Der Französische Schachverband zählt nur 52 000 Mitglieder (Deutschland etwas über 90 000) und 900 Schachvereine (Deutschland fast 3000). Seit einigen Jahren ist es nicht mehr gelungen, Sponsoren für klassische Turniere mit Weltklassebeteiligung zu gewinnen. Die letzten Schlagzeilen machte der Verband mit einem von ihm selbst aufgedeckten Betrug eines eigenen Nationalspielers. Aber nun gibt es positive Nachrichten: Am Wochenende begann in Port-Marly, einer Pariser Vorstadt, einen Grandprix-Zyklus von Schnellturnieren, der den Profis in Frankreich und den Nachbarländern einiges zu bieten hat, nämlich einen Gesamtpreisfonds von 120 000 Euro verteilt über fünf Turniere - die nächsten sind Ende April in Nancy, im Juli in Aix-les-Bains und Anfang Oktober in Villandry im Schloss des neuen Verbandspräsidenten Henri Carvallo (Foto), bevor Ende Oktober in Korsika (im Rahmen des etablierten korsischen Circuits) das Finale steigt. Es gibt jeweils eine Qualifikation und ein von acht Spielern im medial sehr attraktiven k.o.-Modus ausgetragenes Finale. Bei jedem der vier ersten Turniere ist ein Nationalspieler unter die letzten acht gesetzt (in Port-Marly war es Fressinet). Max Vachier-Lagrave hat das Auftaktturnier und 4000 Euro gewonnen und das erste Ticket fürs Finale auf Korsika gelöst.
Kommentare
- "Nachbarländer" war im gegebenen Fall einschliesslich Brasilien, Heimat von Vachier-Lagraves Finalgegner Alexander Fier (der davor Bacrot besiegte). Er ist offenbar auf Europatournee, davor spielte er Opens in Genf und Basel.
- Wenn ich die Regeln richtig verstehe ist VL noch nicht sicher fürs Finale qualifiziert: dabei sind die insgesamt Punktbesten und zwei Finalplätze (2*65) bzw. dreimal Halbfinale (3*35) sind mehr wert als ein Sieg (100 Punkte). Falls ich richtig gerechnet habe können ihn zumindest theoretisch noch acht Spieler überholen - er muss also noch mindestens eines der drei weiteren Turniere spielen und punkten.
- Dann gab es noch ein interessantes Vorprogramm, das "Tournoi egalitaire a handicap de temps"; das werde ich nicht übersetzen sondern erklären. Bedenkzeit war im Prinzip 7 Minuten plus 2 Sekunden Inkrement, aber pro 100 Elopunkte Differenz muss der stärkere Spieler seinem Gegner eine Minute abgeben. D.h. Elo 2601 gegen 2499 bedeutet 6 gegen 8 Minuten, der Extremfall (mehr als 600 Punkte Differenz) ist 1 gegen 13 Minuten [diese Partien gab es tatsächlich, gewonnen hat offenbar immer der Elostärkere]. Gesamtsieger war trotz Handicap Karjakin, im anschliessenden Schnellturnier nicht dabei.
Kurzum: die Idee ist keine gute. Ich habe die Turniere (in denen ich jeweils Elo-Favorit war) in allen Fällen mit 100% gewonnen, wobei einige der Gegner am Ende durch Weiterlaufenlassen meiner Uhr festzustellen gedachten, wie viele Sekunden sie denn nun von der Sensation entfernt gewesen wären, was jedoch rein gar nichts mit Schach zu tun gehabt hätte. Der vorhersehbare Sieg in allen Partien brachte für mich keinerlei Befriedigung, da auch mein Schach in keiner Weise gut oder erlesen war (und man sich bewusst ist, dass man es viel besser könnte, wenn man nur etwas Zeit hätte). für meine Gegner hingegen kann es nur und ausschließlich zur oben beschriebenen und empfundenen Demütigung gereicht haben. Nein, nix für ungut: so geht es nicht. Lieber bei Zeitgleichheit erhobenen Hauptes in einer anständigen Schachpartie die Segel streichen müssen, selbst wenn es sich um einseitige Partien handeln sollte, als gegen flinke Finger bei beiderseits hoffnungslos schlechtem Schach dennoch bis zum Matt durchzuhalten (dazu ist man als Außenseiter ja quasi gezwungen) -- und am Ende doch die unvermeidliche Niederlage quittieren müssen. Für beide Seiten nichts und noch mal nichts.
Ergänzung: die Zeitvorgabe bis zur Chancengleichheit wäre ja tatsächlich auch bei kleineren Elo-Differenzen schwer zu bestimmen, aber, angenommen, es stellte sich heraus, dass ein 2200er gegen einer 2600er dann Chancengleicheit erzielt, wenn er mit 12.5 gegen 1.5 Minuten spielen würde, dann überlege man sich, was es für ihn bedeuten würde, rein vom Empfinden her. Und: unrealistisch ist diese Annahme nicht. Die Hauptprobleme, welche ich bei vielen Vorgabepartien beobachten konnte, waren diese: 1) Der eigentliche Favorit, der durch das Handicap auf Chancengleichheit transportiert werden soll, denkt selbstverständlich auf die gegnerische Bedenkzeit mit. Dies gibt irgendwie beiden doch ansatzweise die gleiche Bedenkzeit, da sie jeweils gleich lange auf die Stellung schauen (was definitiv stimmt). 2) der eigentlich Favorit ist meist mit extremer Konzentration bei der Sache, da ihm die Vorgabe bewusst ist und er weiß, dass er alle Kräfte zum Einsatz bringen muss und 3) direkt damit zusammen hängend, sieht es so aus, dass sich der ursprüngliche Außenseiter psychologisch in einer ungünstigen Ausgangssituation befindet. Er anerkennt irgendwo die schachliche Überlegenheit des Gegners, welche ihm aber durch die Zeitgutschrift (illusorisch) ausgeglichen wurde. Man schämt sich ohnehin, in eine solche Lage geraten zu sein. Den Nachweis erbringen zu wollen, dass der Gegner einem eine SO GROßE Vorgabe nicht machen kann, ist ein vergleichsweise sehr bescheidenes Ziel, so dass man normalerweise nicht ansatzweise gutes Schach spielt, Natürlich einhergehend die ständige Suche nach irgendwelchen Fallen oder Tricks, die möglicherweise der Gegner in der Geschwindigkeit übersehen könnte, bei welchen man jedoch vergisst, einfach normales und anständiges Schach zu spielen.
Eine eigene Geschichte von "receiving end": als Großmeister Mladen Muse, in einer Zeit, da er sich sehr stark fühlte, mir einmal anbot, mich auch mit 2 gegen 5 Minuten besiegen zu können (gut, Mladen hat mindestens einen Deutschen Blitzmeistertitel und auch sonst eindeutig mehr Erfolge als ich, jedoch andererseits sehe ich in persönlichen Duellen gegen ihn bei allen Turnieren, in denen wir aufeinander treffen, immer recht gut aus), ließ ich mich (dummerweise) darauf ein. Wie sehr man in Nachteil ist, bekam ich am Brett zu spüren. Er nahm mich nach allen Regeln der Kunst auseinander, ich bekam niemals ein Bein auf die Erde, was für mich die sofortige Abkehr -- nach reiflicher Überlegung -- von dieser Disziplin, sowohl auf dieser, als auch auf jener Seite, zur Folge hatte.
Wenn man Chancengleichheit haben möchte und dementsprechend sportliche Herausforderung haben möchte, kann man es nur wie die Go-Spieler machen: über Tempo oder Material.
Aber im Ernst - eine spannende Idee, und es sieht nach einem "Format" aus, was irgendwie auch für Film und Fernsehen interessant sein könnte. (K.O-Partien, live und "auf einfache Art" kommentiert, Spieler vorstellen, ... Schach kann doch faszinierend sein, allein schon, wenn es auf dem Bildschirm zu sehen ist. Bestimmt zappen nicht alle gleich weiter.)
Wenn es sogar DART ins Sportprogramm schaffen kann ...
Zum Thema Schach und Fernsehen: egal, ob Dart, Rudern, Tischtennis, Snooker oder Baseball: alles sind Sportarten, bei denen nicht das geringste Können des Beobachters vorausgesetzt wird. Nicht einmal ist es erforderlich, die Regeln (sicher) zu kennen. Die Qualität eines Stoßes (beim Billard), dem Treffen der triple-20 oder dem Bullseye (Dart), einen Abwehrball 10 Meter hinter der Platte, der den Weg dorthin findet (Tischtennis), oder einen homerun nach perfektem Treffer (Baseball) kann jeder als hochwertig erkennen, eben ohne WIssen, Können, Vorbildung oder weiteres Verständnis.
Das Nachvollziehen eines Schachzuges hingegen setzt, unabhängig von Rundherumbegebenheiten oder aufgebauter Spannung, jedoch ein beinahe jahrelanges Studium voraus -- und gelingt selbst dann noch lange nicht mit einiger Zuverlässigkeit. Nixä Verstehen -- nixä Fernsehen.
Als Amateur sehe ich das doch komplett anders: Die sportliche Herausforderung ist extrem gering, wenn mir jemand mit meinethalben 1300 DWZ Spielstärke gegenüber sitzt. Das ist mein Hobby, ich habe ein sehr geringes Interesse, meine Freizeit damit zu verschwenden, einen sportlich uninteressanten Wettkampf auszutragen. Da ist die Idee, eine Anpassung in welcher Form auch immer vorzunehmen, so dass es sportlich interessant wird, eine recht naheliegende. Beim Go ist die Vorgabe von Steinen hierbei völlig normal. Wahrscheinlich spielt bei den Go-Spielern der Spaß an ihrem Brettspiel noch eine Rolle und weniger die Preise, die man bei einem Turnier gewinnen kann.
Meine eigene Einschätzung (bzw. eigene Erfahrung in beide Richtungen) ist dass man im Blitz- oder Schnellschach Elounterschiede bis ca. 200 Punkte manchmal "überbrücken" kann; da ist vielleicht ein kleiner Zeitvorteil denkbar, auch das bleibt Ansichtssache.
Zum Thema noch eine Anekdote aus dem persönlichen Turnierbericht von Pieter Roggeveen zur Schnellschach-EM (er war einziger holländischer Teilnehmer, mit Elo 2200 nicht ganz schlecht), im Original hier:
http://www.kennemercombinatie.nl/?q=artikel/ek-blitz-en-rapid-te-warschau
"In der 10. Runde treffe ich GM Durarbeyli, ein Teenager aus Aserbaidschan mit jeder Menge Machoverhalten und Gehabe. Vor der Partie beklagt er sich, mit mir daneben, lautstark bei seinen Freunden dass er gegen so einen Patzer spielen muss. Nach meinem nicht-so-spektakulären 1.d4 blickt er durch den Saal, starrt mich an, stösst seine Freunde an und spielt nach einer Minute Imponiergehabe 1.-b5. Ich mache ruhig meine Züge, wonach er seine nächsten jeweils in weniger als einer Sekunde raushaut und so wieder mehr Zeit hat als am Anfang der Partie. Davon irritiert spiele ich meine schlechteste Partie des ganzen Turniers. Als ich aufgebe habe ich noch eine Minute und mein Gegner mehr Zeit als vor dem ersten Zug. Peinlich.
Wie erfrischend ist dann mein bärtiger französicher Gegner in der nächsten Runde, der mit Vereinskameraden einen Freund in Warschau besucht und aus Spass an der Freude das Turnier mitspielt ... "
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