Betrugsverdacht

Warnung: das wird ein langer Artikel - vom Zeitaufwand war es für mich mindestens vergleichbar mit dieser Geschichte die ich vor gut einem Jahr anderswo publizierte. Dafür bekommt der Leser auch einiges aus berufenem oder prominentem Munde bzw. Tastatur (gemeint ist nicht der Autor selbst) was meines Wissens bisher sonst nirgendwo steht. Wer keine Zeit oder Lust hat den ganzen Artikel zu lesen kann in seinem Browserfenster z.B. nach "Sutovsky" suchen.
Erst ein bisschen Vorrede mit meiner Meinung zum Thema: Wer beim Schummeln erwischt wird (Natsidis, zu mindestens 90% Feller) muss hart bestraft werden. Wer sich zumindest verdächtig und in jedem Fall regelwidrig verhält (Bindrich) muss auch mit Konsequenzen rechnen - wobei, äh, Konsequenzen? Das Verfahren läuft wohl noch, und zuletzt spielte er recht erfolgreich beim Zürcher Weihnachtsopen. Eine andere Sache ist wenn ein Spieler nur ungewöhnlich gut spielt was manche verdächtig finden, da bin ich gegen schnelle Vorverurteilungen - andererseits kann und soll man derlei Fälle schon untersuchen, eventuell auch im eigenen Interesse dieses Spielers. Und generell: vage bis haltlose Betrugsvorwürfe sind für mich mindestens genauso ein Problem wie Betrug an sich. Vorab meine eigene Meinung zum letzten Fall: selbst wenn ein Spieler zu sagen wir mal 80% schuldig ist reicht das nicht aus um ihn - im übertragenen Sinne - öffentlich zu steinigen oder um ihn zu bestrafen; letzteres wäre natürlich Sache zuständiger Gremien und nicht von irgendwelchen Leuten mit oder ohne Schachtitel die im Internet ihren Senf abliefern.

Nun zum konkreten aktuellen Fall - nicht mehr tagesaktuell, wie gesagt dieser Artikel dauerte einige Zeit - der eine oder andere Leser weiss vielleicht schon was ich meine. Ich fasse es erstmal chronologisch zusammen:
bansem3001) Der Bulgare Borislav Ivanov (Elo 2227, jetzt 2342) spielte beim Zadar Open das Turnier seines (mit 25 Jahren noch relativ jungen) Lebens. Nach einem Erstrundensieg gegen einen österreichischen FM (schon das war überraschend) holte er 5/8 (+4=2-2) gegen GMs der Eloklasse 2530-2640, TPR 2697
2) Das fanden einige Leute verdächtig (wer genau ist übrigens weitgehend unklar). Nach der achten Runde berief sich der Schiedsrichter Stanislav Maroja auf FIDE-Regeln (welche genau ist übrigens unklar) und durchsuchte Ivanov der nichts dagegen hatte. "Strip search" ist etwas übertrieben, offenbar zog er sein Hemd aus, öffnete seine Taschen und zeigte seinen Kugelschreiber. Der Schiedsrichter fand nichts und entschuldigte sich bei Ivanov.
3) Das wurde in kroatischen Zeitungen erwähnt - sowas interessiert Massenmedien auch wenn sie sonst kaum über Schach berichten?
4) Darüber berichteten Schachsites im Internet, u.a. Chessvibes und etwas später Chessbase. Der Chessvibes-Artikel war eher sachlich, der Chessbase-Beitrag (zumindest der englische) riecht für mich (und wie sich herausstellte bin ich damit nicht allein) nach Sensationspresse. Wenn man schreibt "hat er betrogen?" (Original "A certain suspicion once again raises its ugly head") ist das, bildhaft gesprochen, wie wenn eine auflagenstarke Zeitung über einen Minister oder Fussballtrainer schreibt "soll er zurücktreten oder gefeuert werden")? Nebenbei bemerkt: es war eigentlich kein Originalartikel, eher ein Sammelsurium kroatischer Quellen.
5) Wie es im Internet so ist: wenn die Möglichkeit besteht kommentieren Leute - manche geben sich zu erkennen, andere bleiben anonym. Der Chessvibes-Artikel bekam 262 Kommentare - das ist zwar kein Rekord (den hat wohl immer noch Carlsen nachdem er auf die Kandidatenmatches verzichtete) aber sicher überdurchschnittlich.
6) FM Lilov, ebenfalls Bulgare, veröffentlichte ein erschöpfendes (70 Minuten) Video zum Thema, zunächst auf Youtube.
7) Das wurde dann im nächsten Chessbase-Artikel erwähnt und reinkopiert. FM Lilov ist übrigens Chessbase-Autor, soweit so gut das kann man schon erwähnen (bzw. die Chance nutzen dass sein Name damit bekannter ist). Im selben Artikel hat Chessbase auch - weitgehend kritisches - Feedback von Lesern publiziert. Selbst waschen sie ihre Hände in Unschuld - wir haben doch nur berichtet "independently of our own (not yet drawn) conclusions on the matter". Na ich würde (als leicht frankophiler Mensch) sagen: c'est le ton qui fait la musique .

Bevor ich mich wieder Zadar zuwende ein kleiner Ausflug nach Basel: Für mich passte es wie die Faust aufs Auge dass die Basler Zeitung am 30.Dezember (an dem Tag erschien auch der Chessvibes-Artikel, sicher - hier absolut nicht ironisch gemeint - Zufall) diesen Artikel hatte (von der Turnierseite des Basler Schachfestivals verlinkt). Da geht es komplett um Schummeln am Schachbrett - der Artikel war übrigens länger als ein früherer in dem die Teilnehmer genannt wurden: Vachier-Lagrave, Grachev und noch acht mit Elo über 2600. Es beginnt (ohne einen Namen zu nennen) mit dem Fall Natsidis, später wird der Präsident des Schachfestivals Peter Erismann zitiert: "Es gebe Profis, die einen schlechten Ruf in der Szene geniessen. «Und diese laden wir einfach nicht ein», sagt Erismann. ... «Da wir die Spieler aussuchen, können wir den Fairnessgedanken ein wenig steuern», ist Erismann überzeugt." Klingt zunächst mal plausibel, aber hoppla - heisst das (im Kontext des gesamten Artikels) dass Profis nicht willkommen sind weil sie, warum auch immer, berechtigt oder nicht, unter Betrugsverdacht standen? Sieht Basel das (vergleiche Einleitung) anders als Zürich? Hier wurde es - wobei zu dem Zeitpunkt noch kein Blogbeitrag geplant war - für mich ein bisschen Journalismus bzw. Recherche, ich habe bei Schachfreund Erismann nachgefragt (und erwähnt dass ich aus seiner Antwort eventuell öffentlich zitieren würde).
bannersr12013-web-anz400Aus der Antwort: "Mit dem Terminus 'schlechter Ruf' meinen wir tatsächlich [dies hatte ich so ähnlich suggeriert] schlechtes Benehmen in der Vergangenheit wie Beschimpfen des Gegners, wenn man verloren hat oder so ähnliches [darunter könnten auch wilde Betrugsvorwürfe fallen?]. Zum Thema Betrug haben wir bisher keine praktische Erfahrung, sehr erfreulich! Bisher ging immer alles gut, ehrliche und freundliche Spieler und eine ausgezeichnete Turnieratmosphäre!" Zwei Anmerkungen dazu: 1) interessant oder typisch was "die Presse" interessiert und wie ein solches Zitat (im Originalartikel) aus dem Kontext gerissen zumindest missverständlich erscheinen kann? 2) Ein GM (den ich bereits erwähnte und noch zitieren werde) nennt Schachfreund Erismann vielleicht unglaublich naiv?

Zurück nach Zadar bzw. ins öffentliche Internet. Wie gesagt, in der Diskussion auf Chessvibes nannten einige ihren Namen direkt oder indirekt. Gleich am Anfang Leonard Barden - der Name war mir irgendwie bekannt, IM Kenneth Regan (zu dem komme ich nochmal) hat mir auf die Sprünge geholfen: Barden ist seit 54 Jahren(!) Schachkolumnist für The Guardian, und immerhin seit 34 Jahren für Financial Times. Später auch die belgische Krennwurzn Brabo - ein FM dessen Namen man zum Beispiel findet indem man in diesem Blogbeitrag auf diesen Link "de Franse interclub" klickt. Andere blieben anonym, u.a. ein Spieler der sich "the champ" nennt und angeblich Elo 2500 hat (lässt sich nicht überprüfen und ich habe so meine Zweifel) und "uahdnske" der nach eigenen Angaben Elo 2300 hat, vor kurzem selbst gegen Ivanov spielte und schlechte Erfahrungen machte. Man kann sich fragen ob anonyme Beiträge zu so einem Thema generell OK sind (aber das ist im Internet "Tradition"), man kann sich speziell fragen was eventuell gegen Chessvibes' "Terms and Conditions" verstösst ("we ask you not to post comments which make unfounded or unproved allegations (especially of wrongdoing) against a person, organisation or group") - aber da ist die Frage was gerade noch so OK ist?
Auch die Spieler die Ivanov vor Ort in Zadar beschuldigten sind offenbar weitestgehend anonym, es wird nur gemunkelt dass mehrere seiner grossmeisterlichen Gegner protestierten. Selbst wenn dem so war ist es vielleicht eine Art Gruppendynamik? Wenn zwei oder drei meckern, sagt dann der dritte oder vierte "Nee das ist schon OK, er hat gut gespielt, ich habe schlecht gespielt (Du/Ihr übrigens auch), das Ergebnis geht in Ordnung"?? Zumal sie sich wohl fast alle untereinander gut kennen und unabhängig davon ob sie sich mögen oder nicht. Der einzige GM der sich öffentlich äusserte ist offenbar Zlatko Klaric der nicht selbst mitspielte. Wer ist das denn, den Namen habe ich vorher nie gehört? Wenn man auf den Link klickt sieht man dass er Jahrgang 1956 ist, 1983 Grossmeister wurde und dass seine Elo seit über 10 Jahren zwischen 2400 und 2430 pendelt. Der wollte vielleicht mal wieder mit Namen und Schachtitel in der Zeitung erwähnt werden, was nicht (mehr) allzu oft passiert? Ähnliches vermute oder unterstelle ich auch bei FM Lilov, kommen wir nun zu seinem Video:

Wir nähern uns dem Kern der Sache, er (und andere) finden die Übereinstimmung zwischen Ivanovs Zügen und denen von Schachprogrammen mehr als nur verdächtig. Mag sein, aber doch bitte nicht so wie er zu Werke geht - ich setze drei Diagramme:
Ivanov1
Die Stellung gab es schon ein paar (tausend?) mal in der Turnierpraxis, Ivanov spielte nun 7.dxe5 wozu Lilov meint "ich würde das NIE spielen, aber es ist Houdinis erste Wahl". Es ist wohl nicht die übliche oder beste bzw. aussichtsreichste Fortsetzung, aber man kann das schon spielen - sei es nur um den Gegner zu ärgern: wenn er frühen Damentausch will oder zumindest nichts dagegen hat spielt er wohl eher Grünfeld oder angenommenes Damengambit. Und zumindest haben diverse respektable Grossmeister diesen "schlechten" Zug auch schon gespielt - öfter mal vielleicht um ein schnelles Remis zu erreichen, aber es gibt auch Gewinnpartien von z.B. Hikaru Nakamura und Mikhail Tal (letzterer ist völlig unverdächtig betrifft Hilfe von Engines während der Partie!). Die nächsten Züge sind auch erste Wahl von Engines, wurden aber auch schon des öfteren gespielt - und jeder darf doch vor der Partie Datenbanken konsultieren und kann sich das vielleicht merken? 7.-dxe5 8.Dxd8 Txd8 9.Lg5 c6 10.Sxe5 Te8 11.0-0-0 Sa6 12.Td6 Le6 13.f4 Sc5 14.Lf3 h6 15.Lh4 Sfd7 (erst das ist neu) 16.Sxd7 (was sonst?) 16.-Sxd7 17.Kc2 auch naheliegend, ich weiss nicht wie oft Lilov zwischendurch "erste Wahl von Houdini!" gerufen hat ... .
Ivanov2
Hier spielte Schwarz 11.-Sd5, und Lilov ruft "Houdinis erste Wahl!" - ja was soll er denn sonst spielen? Ist das eine lose-lose Situation für Ivanov? Wenn er 11.-Sd5 spielt hat er geschummelt - wenn er das nicht spielt (allenfalls 11.-Se8 ist noch akzeptabel) dann kann er eigentlich gar kein Schach spielen und ist bei dem Zug die Verbindung mit Houdini weggefallen. Etwa hier - nach ca. 15 Minuten im Video - war ich mir sicher dass Lilov keinesfalls unvoreingenommen ist und nur so tut als ob. Den Rest wollte ich mir eigentlich sparen, später betrachtete ich es doch als meine "journalistische Pflicht" das ganze Video anzuhören und zu sehen. Noch ein Beispiel:
Ivanov3
Hier kam 13.-f5 und Lilov ruft (mal wieder) "ich würde das nie spielen, freiwillig meinen Läufer auf g7 einsperren, aber Engines mögen diesen Zug". Nun, zum einen ist das noch eine bekannte Stellung im Grünfeld-Inder und 13.-f5 der theoretische Hauptzug (das kann man einfach wissen). Zum anderen ist es ein gängiges Motiv in dieser Eröffnung, im Gegenzug wird ja das weisse Zentrum demobilisiert oder de-flexibilisiert oder was ist der richtige Begriff? Lilovs Eröffnungsrepertoire kenne ich nicht - ich als Amateur spiele seit über 20 Jahren Grünfeld und habe da zumindest ein bisschen Halbwissen.
Generell ist "ich würde das nie spielen!" zumindest mitunter Unsinn, das ist ja auch Stil- oder Geschmackssache. In manchen Stellungen findet jemand mit Elo 2200 vielleicht einen besseren Zug als Lilov mit seinen 2433 - sei es weil er sich in der Eröffnung oder auch im daraus entstandenen Mittelspiel besser auskennt, sei es weil er das "Glück" hat dass die Stellung eher seinem Stil entspricht?

Genug zu Lilov, selbst wenn er anderswo recht hat ist das insgesamt nicht überzeugend. Ich habe noch eine kleine eigene Untersuchung gestartet - keinesfalls wissenschaftlich und auch aus reiner eigener Neugierde. Im Kommentar auf Chessvibes wurde öfters behauptet dass ein Mensch mit Elo 2200 diverse brilliante Züge von Ivanov "niemals" finden kann. Ich habe nur Elo 1930 aber dachte beim Nachspielen der Partien (zu finden auf den anfangs erwähnten Sites) des öfteren "das hätte ich vielleicht auch gesehen". Niemand weiss das so genau, ich selbst auch nicht, also habe ich die vier Stellungen unten per email verschickt an einige mir bekannte Spieler und einige Vereine wo ich jemanden kenne der stärkere Spieler kennt. Um etwas Masse zu bekommen habe ich gesagt "Zielgruppe ist vor allem Elo ca. 2200, aber jeder ab Elo 1900 darf mitmachen". Natürlich nur Spieler die die Diagramme und Lösungen noch nicht kennen, das wurde dann ein Knackpunkt. Ich zeige sie erstmal unkommentiert und verrate die Lösungen und die Ergebnisse der Umfrage erst hinterher - wer die Stellungen noch nicht kennt darf es noch selber versuchen. In den ersten beiden Diagrammen ist Weiss am Zug, in den beiden anderen Schwarz. Im ersten Diagramm ist die Frage "nenne drei Kandidatzüge eventuell mit Priorität", danach einfach "was würdest Du spielen?" - wobei zumindest im vierten mehr als ein Zug gefragt ist. Los geht's:

Positie1

 Positie2

Positie3


Positie4

In einer Hinsicht ist die Umfrage vielleicht grandios gescheitert: ich hoffte auf 20-30 Reaktionen und bekam sechs, darunter zwei aus der primären Zielgruppe, einen mit Elo etwa 2000 und drei Spieler mit Elo ca. 1900. Die Elozahlen sind z.T. relativ, aus diversen Gründen aber das will ich hier nicht im einzelnen aufbröseln. Ein Grund könnte sein (bei einem Verein weiss ich es) dass die meisten Spieler mit Elo 2200 diese Stellungen und den Hintergrund (den hatte ich bewusst anfangs nicht verraten) bereits kennen. Entweder lesen sie alle zumindest Chessvibes oder Chessbase, oder im konkreten Fall war es "hast Du das schon gehört, was meinst Du dazu?". Und wenn das am Vereinsabend passiert wissen fast alle schon Bescheid.
Natürlich hat die Umfrage diverse Fallstricke, in einem Diagramm ist es vielleicht zuviel Vorab-Information dass der "logische" Zug womöglich nicht der beste ist. Und generell wissen die "Kunden" dass in dieser Stellung vielleicht konkret was geht - das weiss man in einer laufenden Partie nicht, kann es höchstens dumpf vermuten. Andererseits haben sich wohl nicht alle Teilnehmer so in die Stellungen vertieft wie in eigenen Partien: einige verrieten wieviel Zeit sie investierten, das war zwischen 5 und 20 Minuten für alle Diagramme zusammen. Ich muss den Leuten (die ich grösstenteils nicht persönlich kenne) auch glauben dass sie die Stellungen nicht bereits kannten, und dass sie selbständig und ohne Computer analysierten - dem war wohl so da niemand alle vier Antworten fand. Genug der Vorrede, habe ich genug Text unter dem vierten Diagramm dass niemand die Lösungen aus Versehen bereits gesehen hat? Vielleicht ist das alles Käse (statistisch relevant ist es sicher nicht), vielleicht sind die Ergebnisse trotzdem interessant - ich bin es den Kunden (und mir selbst) schuldig das zumindest zu erwähnen?

Diagramm 1: Gespielt wurde 22.Ta1! (laut Houdini der beste) und weiter 22.-Sa6 23.Sc6 Lc8 24.Sf5! (noch so ein Zug den man findet oder auch nicht?). Das hat niemand gesehen, Vorschläge (wie gesagt mehr als einer war erlaubt) waren Sc6, Sb5, Le4, b4, gxf4 und Lh3 - alles gute Züge aber eben nicht der allerbeste. Die Kandidaten haben null Punkte. Vielleicht wäre der "richtige"Zug dabei gewesen wenn ich 20-30 oder, Gott beware, 100 Antworten bekommen hätte (ich habe fast alle emails persönlich beantwortet)? So erscheint es verdächtig dass Ivanov bei so vielen guten und fast gleichwertigen Alternativen ausgerechnet Houdinis Lieblingszug spielte - man müsste detailliert untersuchen wie oft er in einer ähnlichen Lage war.

Diagramm 2: Gespielt wurde 23.Te8+ Kf7 24.De2. Die Kandidaten haben 5 1/2 von 6 Punkten - auch wenn ich nicht weiss ob sie 24.-b5 25. Sxc4 bxc4 26.Txc4 (soweit Partie) 26.-Dd7 27.Texc8! Txc8 28.De6+ noch gesehen haben. 5 1/2 weil einer Te8+ nur als dritte Wahl erwähnte. "Berliner" auf Chessvibes bezweifelte dass ein Spieler mit Elo 2200 Te8+ erwägen würde (statt automatisch Txc4), und Brabo nannte es auf seinem Blog den Beginn einer gut versteckten Kombination ("niet-evidente combinatie"). Ausserdem schrieb er zur Partie dass Schwarz ohne einen ernsthaften Fehler vom Brett gefegt wurde, gibt dem Schwarzen allerdings dreimal "?!" was so viel oder wenig wert ist wie einmal "?". Trotz des oben erwähnten Fallstricks tendiere ich dazu dass Te8+ keine Hexerei ist.

Diagramm 3: Gespielt wurde 32.-Lxg3! 33.fxg3? (33.De4 mit Schadensbegrenzung) 33.-Txe3 34.Kh2 Df3 0-1. Die Kandidaten bekommen einen halben Punkt, denn einer erwähnte dass Lxg3 vielleicht geht, hätte es aber selber nicht riskiert. Vorgeschlagen wurde ansonsten b4, Ta2 und e5. Einer hat nach 32.-Ta2 33.Db3? (auch hier ist De4 Pflicht) Rybka eingeschaltet ("am Königsflügel müsste jetzt was gehen, aber was?") und bekam nun 33.-Lxg3 präsentiert "aber das hatte ich nicht gesehen".

Diagramm 4: Gespielt wurde 31.-Da1+ 32.Kc2 Sb6! 33.Txe7? (Weiss stand laut Houdini ohnehin schlecht, aber das verliert schnell) 33.-Tc8+ 34.Kd2 Df1! (nur so). Die Kandidaten bekommen - mit etwas gutem Willen meinerseits - 2 1/2 von 6 Punkten. Zwei hatten die ersten drei Züge, niemand erwähnte 34.-Df1 (aber das sieht man vielleicht wenn es soweit ist?). Und einer war zumindest auf dem richtigen Weg: erstmal Da1+ aber wie geht es weiter wenn man den weissen Turm nicht von der c-Linie vertreiben kann? Das kann man nicht erzwingen, nur einladen. Zwei wollten 31.-Da1+ 32.Kc2 De1 spielen, was einer noch weiter ausführte mit 33.Txd7 Ta1 34.Kd3 Td1+ 35.Kc2 Ta1 36.Kd3 remis. Einer hatte 31.-Db5, laut Houdini auch 0.00.
Diese Partie wurde übrigens, nur auf chessbase.de erwähnt, nicht live übertragen und war insgesamt (die Konturen eines Najdorf-Sizilianers sind vielleicht noch erkennbar) Ivanovs komplizierteste, er hatte ja bereits eine Qualität geopfert. "Alle" erwähnen dass Runde 8 einen Tag davor nicht live übertragen wurde wo Ivanov seine schlechteste Partie spielte und verlor, gegen den späteren geteilten Turniersieger. FM Lilov suggeriert dass Ivanov seine Schummelstrategie daraufhin anpasste, mit einer in der Armbanduhr versteckten Kamera nach jedem Zug das Brett fotografierte und dies seinem Helfer übermittelte - geht das ohne es vorher überhaupt zu üben?

Wie relevant die Ergebnisse meiner Umfrage nun sind kann jeder selbst entscheiden - wer es hier noch versucht hat darf das gerne per Kommentar erwähnen.


Später hat sich der bereits erwähnte IM Regan noch gemeldet, nebenbei (bzw. hauptberuflich) auch Professor für Computer Science (in Deutschland wäre das wohl Informatik?). Er arbeitet seit 2006 wissenschaftlich an diesem Thema und hat in Fachzeitschriften Artikel publiziert die von Kollegen begutachtet wurden ("peer review"), einen zusammen mit GM Macieja. Der interessierte Leser findet jede Menge Details auf seiner Homepage - das lasse ich hier mal weg zumal ich nicht behaupte alles zu verstehen. Jedenfalls ist das sicher die korrekte und statistisch robuste Methode. Manche warfen ihm vor dass er zu "trocken" analysiert (selbst nannte er es "chess-neutral") während FM Lilov auch sein eigenes Schachverständnis einfliessen lässt, naja ich habe oben bereits geschrieben wie relevant oder irrelevant das mitunter aus meiner Sicht ist. Regan nahm sich die Zeit um den "Fall" ausführlich zu analysieren und dann seine Schlussfolgerungen diplomatisch zu formulieren, u.a. in einem offenen Brief an die Association of Chess Professionals nebst Appendix. Soo diplomatisch dass ich nicht verstanden habe was er nun genau meint und nachgefragt habe, ich zitiere erst das englische Original: "Despite my large Single-PV data set, we don't know enough to say "beyond reasonable doubt" in a judicial process at this time. But it is possible that with more data we can say so, as happens in other fraud-detection fields, and we need to start preparing for this eventuality." Single-PV bedeutet dass Engines nur nach dem einen allerbesten Zug suchen, Multi-PV dagegen dass sie mehrere Vorschläge liefern (wie z.B. im live viewer der Schachbundesliga), aber das eher nebenbei. Meine Übersetzung - von Ken Regan autorisiert, er kann auch Deutsch: "Trotz meines bereits grossen Datensatzes reicht die Beweislast (noch) nicht aus um Ivanov im juristischen Sinne 'ohne vernünftigen Zweifel' zu verurteilen. Dies könnte sich allerdings mit weiteren Untersuchungen ändern, wie in anderen Fällen von erwiesenem Betrug geschehen [da ging es nicht um Schach], und auf diesen Fall müssen wir uns vorbereiten." Dabei belasse ich es mal betrifft Ken Regan - wie gesagt, anderswo stehen jede Menge Details.

Dann habe ich noch Sutovsky versprochen. Auf der Homepage der ACP (Association of Chess Professionals) hat er, deren Präsident, am 13. Januar diese Petition veröffentlicht für die er elektronische Unterschriften sammelt. Am 14.1. morgens hatte er so 200-250, inzwischen steht darunter wer bisher so unterschrieben hat und das habe ich nicht durchgezählt, nur einige Namen von vielen: GM Morozevich, GM Shirov, GM Sumets (den erwähne ich weil er in Zadar mitspielte), WGM Paehtz, IM Kenneth W. Regan, GM Vachier-Lagrave, FM Lilov. Was haben die eigentlich unterschrieben? Da steht kurz und knapp - für meinen Geschmack etwas sehr knapp: "We, the undersigned chess professionals and regular competitors in FIDE rated events, share the view that computer-assisted cheating is a major problem in chess and ask the ACP to address FIDE in order to take all necessary steps for fighting this plague." Da habe ich bei GM Sutovsky nachgefragt, er hat prompt of meine email(s) geantwortet und mir nochmal bestätigt dass ich alles hier veröffentlichen kann (tue das aber nur auszugsweise). Ich mache daraus ein kleines Interview:
TR - Hat dies direkt zu tun mit dem Ergebnis des Bulgaren Borislav Ivanov beim Zadar Open?
Sutovsky - Die Petition hat NICHT [seine Grossbuchstaben] direkt mit Ivanovs Fall zu tun. Kein Spieler dieses Turniers hat mich darüber kontaktiert. Tatsächlich ("actually") versuchen wir seit vielen Jahren zu diesem Problem was zu tun. ... Zuletzt haben wir (GM) Landas Report auf unserer Homepage und auf Facebook veröffentlicht, und das war vor Zadar [stimmt, am 18.11.2012]
TR - Ist dies Ihre eigene Idee, oder unterstützt von allen oder einigen Mitgliedern des ACP Boards?
Sutovsky - Natürlich muss ich als Präsident so einen wichtigen Schritt anführen, aber er wird vom gesamten ACP Board unterstützt.
TR - "all necessary steps for fighting this plague" ist ziemlich vage, was könnte das beinhalten? Zum Beispiel, immer zeitverzögerte Liveübertragung oder alle Teilnehmer von offenen Turnieren (Amateure und Profis) zwingen, ihr Handy bei einem Schiedsrichter oder bei der Turnierleitung abzugeben?
Sutovsky - Wir haben dazu verschiedene Vorschläge. Aber man sollte sicher nicht überhastet agieren. Was klar ist: FIDE muss zugeben dass Cheating ein grosses Problem ist. Aktionen der Schiedsrichter, mögliche Strafen für Spieler, und vielleicht sogar technische Details für 'anti-cheating tools' sollten ins Regelwerk aufgenommen werden. Wahrscheinlich wäre eine Kommission (sagen wir, drei Vertreter der FIDE und drei der ACP) am effizientesten die Empfehlungen entwickelt. Zum Beispiel, betrifft technische Apparatur - sagen wir (signal) jammer und [Metall-?] Detektoren. Ich denke diese sollten in einigen Turnieren angewendet werden (offizielle Turniere and Opens mit viel Preisgeld). Aber das alles ist natürlich 'serious work' und wird nicht auf die Schnelle entschieden. Aktionismus, Schnellschüsse ohne das genau zu untersuchen wäre genauso falsch wie nichts zu tun. Ich bin mit Dir [oder "Ihnen", auf Englisch natürlich 'you'] einverstanden dass nicht unterbaute Vorwürfe und Hexenjagd sehr gefährlich sind [das hatte ich erst danach erwähnt]. Aber der erste grosse Schritt ist ein Problem zu akzeptieren das wirklich existiert [er schrieb "which really insists" aber meinte sicher "which really exists"]
TR - Falls Sie diese Frage beantworten können und wollen: War die Petition nur Ihre eigene Idee, oder haben Teilnehmer des Zadar Opens das angeregt?
Sutovsky - Da habe ich nichts zu verbergen. Nein, ich wurde nicht von Spielern des Zadar Opens kontaktiert, allerdings von anderen Spielern (wahrscheinlich unter dem Eindruck dieser Geschichte). Aber nochmals, es hat unsere ursprüngliche Idee nur leicht beeinflusst.
Soweit meine erste mail und Sutovskys Reaktion, in Teil 2 wird es vielleicht noch interessanter und konkreter:
TR - Sollten Ausrichter kleinerer Turniere und Amateure auch eine Rolle in der Diskussion spielen? Kleine Turniere haben vielleicht nicht die Möglichkeit um signal jammer und Metalldetektoren zu installieren, und wollen sicher nicht wenn die Strafe ist dass ihre Veranstaltungen nicht mehr Elo-ausgewertet werden? Und die Grenze zwischen Amateuren und Profis ist (jedenfalls bei offenen Turnieren) fliessend. Amateure verlieren vielleicht die Lust an ihrem Hobby wenn womöglich drastische Massnahmen eingeführt werden, z.B. Eingangskontrollen bei Turnieren wie an Flughäfen.
Sutovsky - Danke für das Feedback. Ja, das hat Konsequenzen für Ausrichter von Turnieren, und kleine Turniere werden nicht darunter leiden. Ich schrieb Dir: "official tournaments, events with a high prize-fund" - damit meine ich nicht kleine Veranstaltungen. Ja, Du kannst Turniere wie Bad Wiessee, Biel usw. erwähnen. Aber die 'anti-cheating tools' sind nicht so teuer. Eine Möglichkeit wäre auch dass nationale Schachverbände diese kaufen und für zehn Tage an Veranstalter ausleihen.
TR - Bis zu einem gewissen Grad sehe ich die Gefahr dass die Medizin schlimmer sein könnte als die Krankheit. Und (wobei niemand weiss wieviele Cheating-Fälle nicht entdeckt wurden) ist es für mich eher Grippe als Krebs - nicht zu vergleichen mit dem Profi-Radsport, bisher hat es keine Konsequenzen für Sponsoren oder für die Existenz von Schach als Profisport. Daher denke ich wie Du [immer noch 'you', aber seine mail ging an "Dear Thomas" und war nur mit "Emil" unterzeichnet] dass drastische Massnahmen "nur um etwas zu tun" der falsche Weg wären.
Sutovsky - Nun, was cheating heutzutage betrifft - ich glaube wir sehen nur die kleine Spitze des Eisbergs. Niemand hätte gedacht dass Feller schummelt. Inzwischen gibt es schwere Verdächtigungen ("profound suspicions") zu einer Reihe ("quite a few") Spielern mit Elo 2400-2500, und das ist WIRKLICH beunruhigend. Wenn man seinen Gegner verdächtigt ist die ganze Partie (oder gar das ganze Turnier) ruiniert. Und es wird immer schlimmer.
Was Amateure betrifft - zunächst mal denke ich nicht dass sie neue Regeln spüren werden. Starke Amateurspieler (Elo 2200-2300), wie oft spielen sie in einem grossen Turnier mit Dutzenden GMs? Einmal oder zweimal im Jahr? OK, dann spielen sie mit denselben Regeln wie der Rest. Aber die Regeln werden nicht überhastet eingeführt. Ich denke wir schaffen das. Und jetzt ist der Moment bevor jedes zweite Turnier mit Cheating-Vorwürfen zu tun bekommt.

In einer dritten mail sagte er nochmals dass ich alles öffentlich zitieren kann ("I have nothing to hide"), wies aber, ebenfalls nochmals, ausdrücklich darauf hin dass das bisher alles nur Vorschläge sind. Ich kann also nicht schreiben dass grosse Turniere Jammer und Metalldetektoren haben WERDEN, und dass nationale Verbände diese kaufen MÜSSEN. Hatte ich auch nicht vor, und das kann die ACP ohnehin nicht entscheiden bzw. nur für ihre eigenen Turniere.

Uff, das wars - was ist heute eigentlich in Wijk aan Zee so passiert?? Zum Schluss möchte ich nochmal herzlich bedanken bei Peter Erismann, Ken Regan und Emil Sutovsky. Ebenso bei den (paar) Teilnehmern meiner Umfrage und den (drei) Schachfreunden die diese für mich weitergeleitet hatten.



 



Kommentare   

+1 #31 Olaf Steffens 2013-01-19 11:48
Ich fand die Idee, die vier Diagrammstellungen aus Ivanovs Partien zu untersuchen, sehr schön. Nun haben wir gesehen, dass seine Züge nicht vom Himmel gefallen sind und nicht nur extrem genial, sondern so, dass wir sie auch selber mit etwas Glück und Geschick hätten finden können.

Das besagt aber nur etwas über diese konkrete Stellung. Das Unwahrscheinliche ist einfach, dass jemand, der bisher nicht groß durch tiefgründiges, versiertes, feinstes Schach aufgefallen hat, plötzlich ganze Partien zu verstehen scheint, wo er von Anfang bis Ende auf GM-Niveau mitspielt.
Es geht ja nicht nur um die eine oder andere starke Kombination - es geht auch darum, dass man sich (plötzlich ...?) auskennen muss mt den allertollsten Eröffnungssystemen, Stellungsproblematiken - da vor allem scheitern wir doch oft als Amateure, weil wir da gerne den einen oder anderen Gurkenzug einstreuen, der Luft ranlässt und einen Vorteil vergibt.
Wenn Ivanov nun aber über mehrere Spieler nacheinander sich wie ein Fisch im Wasser in allen möglichen Spielsystemen gestandenen GMs ebenbürtig erweist - über mehrere, viele Züge! -, so kann man ja zumindest überlegen, wie er das denn so plötzlich hinbekommt.

Andererseits, ganz praktisch gesehen: im Fußball wurde Griechenland 2004 ebenso wie Dänemark 1990 als ziemlicher Außenseiter Europameister. Manchmal ist es einfach so!

@Krennwurzn: Wie ging´s denn aus, in der Beinahe-Begegnung zwischen Falko Bindrich und Sebastian Siebrecht in der Österreichischen Bundesliga?!
#32 Krennwurzn 2013-01-19 12:26
zitiere Olaf Steffens:
@Krennwurzn: Wie ging´s denn aus, in der Beinahe-Begegnung zwischen Falko Bindrich und Sebastian Siebrecht in der Österreichischen Bundesliga?!

Nun Linz ist zwar etwas näher bei Graz als Bremen, aber es sind dennoch 200 Autobahnkilometer bei zZ winterlichen Bedingungen - allerdings wie ich das gehört habe, hat mich ein kurzer Grazausflug wirklich gejuckt - aber ich bin nicht hingefahren und Infos habe ich leider auch keine! - Denke aber es wird eine professionelle Begegnung mit etwas kühlem Klima gewesen sein.

ad Fall Ivanov:

Die Herangehensweise mit dem Blick auf einzelne Stellungen ist mM total falsch und nicht zielführend, denn selbst wenn der Zufall Regie führen würde - wobei schon manche damit ihre lieben Probleme haben - gibt es da kaum wirkliche Beweiskraft.

Da aber im Schach auch Wissen mit im Spiel ist, wird die rein statistische "fraud detection" sehr, sehr schwierig - es bleibt einfach zu viel Restrisiko über oder stellt man die Systeme so ein, dass niemand (kaum jemand) zu Unrecht beschuldigt wird, dann flutschen wieder zu viele tatsächliche Cheater durch das Netz.

Andererseits ist es natürlich wie Olaf schreibt schon sehr auffällig, dass ein bisher unauffälliger plötzlich sich in sehr vielen Stellungstypen, Eröffnungssystemen gut auskennt - aber dies rein zahlenmäßig beweiskräftig darzustellen ist leider nicht einfach - Schreit zB eine fraud dectection ALARM - hat das der Mensch meist schon vorher als kritisch erkannt (erfühlt)...
+1 #33 Thomas Richter 2013-01-19 14:02
Nochmals: meine Umfrage konnte nur einen Aspekt abdecken - und zwar den den ich auf meine eigene unkonventionelle Art untersuchen konnte. Es wäre ja Quatsch wenn ich mir die neueste Version von Houdini kaufen würde (ich habe nur die Gratisversion die für meine Zwecke völlig ausreicht) und einen schnelleren Computer als diesen Laptop, nur um Lilovs und Regans Analysen zu duplizieren. Die reinen statistischen Zahlen stimmen natürlich, mit der Interpretation hapert es zumindest bei Lilov.

Das mit den Eröffnungssystemen ist für mich das schwächste Glied in der Kette: Das kann man, jedenfalls zu einem gewissen Grad, lernen und auch 'heimlich' üben - wer weiss denn wieviele "unbekannte" Trainingspartien Ivanov spielte, vielleicht auch unter anderem Namen im Internet?
Auf höherem Niveau hat Gelfand für sein WM-Match auch Grünfeld UND Sweschnikow gelernt. Der ist natürlich (zumindest erweiterte) Weltklasse, aber ist ein Spieler mit ca. Elo 2200 denn gar nicht lernfähig? Jedenfalls qualitativ ist es für mich kein Argument, allenfalls quantitativ - aber tja wie quantifiziert man das?
#34 Christian Eichner 2013-01-19 21:34
Der ausführliche Streit um Wahrscheinlichkeiten war zwar deutlich neben dem Thema, aber (um ihn hoffentlich zu beenden) jetzt die Bewertung als Unbeteiligter: Dirk Paulsen hat Recht - und die Krennwurzn kann oder will es nicht verstehen!
-2 #35 Krennwurzn 2013-01-19 22:01
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Zufall doch ein Gedächnis haben sollte, wäre ich Christin Eichner dankbar für eine Aufklärung welche Veränderungen in einer idealen Münze vor sich gehen müssten, um dieses "Gedächnis" dann auch naturwissenschaftlich nachzuweisen?

Meiner Erfahrung nach werden gerade hochpräzise Teile (zB. für Kugellager) nach genau diesen Prinzipien getestet, um die Gleichesten der Gleichen zu ermitteln.

Nochmals Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Spielerfehlschluss

Zitat:
Beispiel: Münzwurf

Der Spielerfehlschluss kann illustriert werden, indem man das wiederholte Werfen einer Münze betrachtet. Bei einer fehlerfreien Münze sind die Chancen für „Kopf“ oder „Zahl“ exakt 0,5 (die Hälfte). Die Chance für zweimal Kopf hintereinander ist 0,5×0,5=0,25 (ein Viertel). Die Wahrscheinlichkeit für dreimal Kopf hintereinander ist 0,5×0,5×0,5= 0,125 (ein Achtel) usw.

Angenommen, es wäre soeben viermal hintereinander Kopf geworfen worden. Ein Spieler könnte sich sagen: „Wenn der nächste Münzwurf wieder Kopf ergibt, wäre das schon fünfmal Kopf hintereinander. Die Wahrscheinlichkeit für eine solche Reihe ist 0,55=0,03125.“ Also denkt man, dass die Chance, dass die Münze das nächste Mal Kopf zeigt, 1:32 beträgt.

Hier liegt der Fehler. Wenn die Münze fehlerfrei ist, muss die Wahrscheinlichkeit für „Zahl“ immer 0,5 betragen, nie mehr oder weniger, und die Wahrscheinlichkeit für „Kopf“ muss immer 0,5 sein, nie mehr oder weniger.
Die Wahrscheinlichkeit 1:32 (0,03125) für eine Serie von 5 Köpfen gilt nur, bevor man das erste Mal geworfen hat. Die gleiche Wahrscheinlichkeit 1:32 gilt auch für viermal „Kopf“, gefolgt von einmal „Zahl“ – und jede andere mögliche Kombination. Nach jedem Wurf ist sein Ergebnis bekannt und zählt nicht mehr mit. Jede der beiden Möglichkeiten „Kopf“ oder „Zahl“ hat die gleiche Wahrscheinlichkeit, egal wie oft die Münze bereits geworfen wurde und was dabei herauskam. Der Fehler beruht auf der Annahme, dass frühere Würfe bewirken könnten, dass die Münze eher auf „Kopf“ als auf „Zahl“ fällt; d. h. dass eine vergangene Glückssträhne irgendwie die Wettchancen der Zukunft beeinflussen könnte.
#36 Gerhard 2013-01-19 23:02
Es war ein Fehler, @Christian Eichner, dieses Berechnungsthema erneut aufzugreifen.Zumal es kaum was mit dem Thema zu tun hat.
#37 Krennwurzn 2013-01-20 01:31
Sorry an Gerhard

Die Sache betrifft es dadurch, dass eben bei statistischer Cheatingerkennungen um ein vielfaches schwieriger ist, korrekte Ansätze zu finden und vor allem dann willkürliche Grenzwerte (das muss man leider auch noch) anzusetzen, um halbwegs abgesichert vom Erkennen von Betrug sprechen zu können. Neben den Zügen und Enginebewertungen ist mM nach auch der Zeitverbrauch mit einzubeziehen - allerdings wirds dann noch kritischer: weil was ist mit jener Zeit, die man manchmal auch während einer Partie "verplempert", weil man am Weg zum WC mit einem anderen Schachfreund Privates bespricht, etc...

Zudem gleicht sich das menschliche Spiel dem Computer an - wir lernen nun mal auch von den Maschinen etc ... dh. es wird wieder schwieriger - usw...
Stat. Cheatingerkennung alleine hilft uns wahrscheinlich nicht wirklich weiter!

Wir müssen versuchen, Zugriff auf externe Informationen für Schachspieler zu blockieren - ein reines Handyverbot reicht da bei weitem nicht aus.
Möglicherweise schütten wir dann aber das Kind mit dem Bade aus, denn ich als Hobbyspieler möchte mich nicht Bedingungen unterwerfen wie sie für Spitzensportler gelten, da diese zu Recht als sehr einschneidend und grenzwertig empfunden werden.
#38 Dirk Paulsen 2013-01-20 06:02
Um nicht noch unsachlicher zu werden: mein Studienfach war die Mathematik, mein Spezialgebiet ist die Wahrscheinlichkeitsrechnu ng. Warum nur muss ich mir derartige Banalitäten anhören von der Krennwurzn, übergehend in gleichermaßen dreiste Anmaßungen wie "Rest in einem Statistikbuch nachlesen"?

Man kann übrigens einiges darüber von mir Verfasste nachlesen auf meiner homepage, http://www.paule-wetten.de oder auch in meinem Blog, der sich hier befindet: bhttp://bundesligazahlen. wordpress.com
-1 #39 Krennwurzn 2013-01-20 11:13
Wenn wir nicht total aneinander vorbeischreiben, dann behauptest Du, dass sich bei einem reinen Zufallsereignis die Einzelwahrscheinlichkeit (Münzwurf fix 50%) durch die Vorgeschichte (vorangegangenen Würfe) ändert. Dass die Gesamtwahrscheinlichkeit für x-mal Kopf immer kleiner wird ist ja trivial und unbestritten!

Daher meine Bitte - dies sowohl mathematisch (das sollte einem Experten ja nicht schwer fallen) als auch für mich als Chemiker noch viel spannender die Veränderung innerhalb der Münze dazulegen, die dieses "Gedächnis" naturwissenschaftlich nachweisbar machen - DANKE im Voraus für die Nachhilfe!
#40 Spieler K 2013-01-20 11:45
zitiere Krennwurzn:
...behauptest Du, dass sich bei einem reinen Zufallsereignis die Einzelwahrscheinlichkeit (Münzwurf fix 50%) durch die Vorgeschichte (vorangegangenen Würfe) ändert. !

Verdammt, das hat kein Mensch behauptet. Sieh's doch bitte ein.
#41 Tiger-Oli 2013-01-20 12:09
Die Partie

Krennwurzn - Dirk Paulsen

wird hiermit als Remis abgeschätzt und beendet.

Grund: zahlreiche Gewinnversuche von beiden Seiten, aber keine Seite konnte sich letztlich durchsetzen.

Glückwunsch beiden Spielern (und danke für die unterhaltsame Diskussion zum Münzgedächtnis!)
#42 Krennwurzn 2013-01-20 13:10
zitiere Spieler K:
Verdammt, das hat kein Mensch behauptet. Sieh's doch bitte ein.

Möglicherweise hast Du Recht ...
Zitat:
...denn er würde die Partie noch immer mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 - 10 hoch 12 (ein geratener Wert) gewinnen, da der Zufallsgenerator nämlich im nächsten Zug vermutlich einen ganzen Turm einstellen würde (oder halt einen vergleichbaren Lapsus machen).
... aber die Formulierung suggiert mM und meiner Lesart nach, dass der Turmeinsteller schon im nächsten Zug eine exorbitante Wahrscheinlichkeit 10hochX haben sollte - die tatsächliche Wahrscheinlichkeit zu diesem Zeitpunkt X ist jedoch die auch schon sehr hohe von 97,5% (Annahme 40 Züge nur einer gewinnt)

Dass dies schon nach wenigen weiteren Zügen exorbiante Wahrscheinlichkeiten erlangen wird und damit der Partiegewinn sehr wahrscheinlich ist, habe ich nie widersprochen.

Das wollte ich klarstellen - nicht mehr und nicht weniger, aber es ist offensichtlich, dass wir aneinander vorbeigeschrieben haben - aber das kommt bei Streitereien nun einmal vor (menschliche Unzulänglichkeit) - aber das ist nicht nur negativ zu sehen - wir haben auf unsere Kosten andere "hoffentlich gut" unterhalten :cry:

Daher meinerseits: Streit ENDE - Diskussion ENDE! - Sorry an Paul
#43 Dirk Paulsen 2013-01-21 13:21
Danke für das Remisangebot, für dessen Akzeptanz ich aber keine Grundlage sehe. Dazu hätte ich ja meinerseits einen Denkfehler begangen haben müssen beziehungsweise mich an irgendeiner Stelle missverständlich ausgedrückt haben. Diese Stelle wäre für mich nicht ausfindig zu machen. Falls mir ein Vorwurf zu machen wäre, dann möglicherweise jener, nicht gleich ausgemacht zu haben, an welcher Stelle mein "Gesprächspartner" seinerseits einen gemacht hätte oder wo er die Chance sah, etwas misszuverstehen, worauf ich nicht direkt zur Aufklärung eingegangen bin. Das "sorry" hingegen nehme ich selbstverständlich gerne an und wer mich kennt, der weiß, dass ich alles andere als nachtragend, nämlich das Gegenteil, nicht nur sehr versöhnlich bin sondern sogar derartig unangenehme Vorfälle alsbald aus dem Gedächtnis streiche.

Weiterhin möchte ich mich auch ein klein wenig über den mir vorgeworfenen mangelnden Sachbezug verwehren. Falls ich aufzeigte (worum ich mich, möglicherweise, wie die Praxis zeigte, vergebens mühte), dass es bereits einem reinen Zufallsgenerator gelingen könnte, mit einer geringen, aber eben doch messbaren und über 0 liegenden Chance, jeweils den Houdini-Zug zu finden, so hätte ein Mensch mit einer ordentlichen Spielstärke (wo immer dort Ivanov hingehören mag) und einigem Sachverstand selbstverständlich eine wesentlich höhere Chance. Man könnte sich dieser Wahrscheinlichkeit auf folgende Art nähern (wobei ich hier beim Raten bleibe): für einen Spieler der Spielstärke 1400 könnte die Zugauswahl vielleicht auf 6-8 Züge je Stellung eingeschränkt sein (denn: er erwägt NICHT den völlig sinnlosen Zug Kg1-h1 sowie NICHT den Dameneinsteller auf einem schräg vor einem Bauern liegenden, zudem ungedeckten Feld, um nur zwei Beispiele zu bringen, welche von den geschätzten 40 legalen Zügen in der jeweils aktuellen Stellung er ganz sicher NICHT machen würde), bei ELO 1800 wäre es bereits auf 5-6 Züge eingeschränkt, bei ELO 2000-2200 kommt man vielleicht auf 3-4, darüber kommen die Züge vielleicht schon ernsthaft in Betracht, nur wählt man nicht immer den laut Houdini besten, auch nicht annähernd auf Großmeisterniveau, aber immerhin ist der Zug in der Auswahl, so dass man einem Großmeister eine einzelne Partie auf dem Niveau bereits locker ohne Anschuldigungen abnehmen, ja sogar zutrauen würde.

Sofern man jedoch eine Zahl von 40 Zügen (für den 2000-2200er Spieler, was hier einfach mal Ivanov unterstellt wird, wobei seine Äußerungen zum Thema "mein Ergebnis gegen Rybka und Houdini" auch eine wesentlich geringere Einschätzung zulassen) mit 3 potenziert, kommt man auf eine Chance von 1/40^3 = 0.000015625, dass er IMMER den Computerzug auswählt (wobei dies ja nicht einmal geschehen ist). Obwohl diese Zahl nun noch immer bei einer nicht ernsthaften Wahrscheinlichkeit liegt (1/64.000? Das entspricht etwa der Chance, dass Mali bei der nächsten Fußball-WM den Titel holt und irgendwie verweisen wir das doch alle ins Reich der Fabel; aber abwarten!), so nähert man sich diesen Werten allmählich an. Noch ein paar Annahmen mehr, und man landet vielleicht bei 1/1000, dass ein Spieler von diesem Level ein derartiges Turnier spielt, ohne Hilfe in Anspruch genommen zu haben. Obwohl man dann noch immer einen recht unwahrscheinlichen, fast unrealistischen Wert vor sich hat, muss man es dennoch irgendwie für möglich halten.

Damit wäre hoffentlich der Sachbezug hergestellt, und irgendwie meine ich, mich sogar dem Kern der Diskussion zu nähern. Genau dies war Ursache für das Verfassen des Berichts. Es gibt Verdachtsmomente, es gibt sogar eine ganze Menge, nur fragt sich jeder, mit ausreichend Ethik und Moralbegriffen sowie Gerechtigkeitsempfinden ausgestattet, ob er bei dieser, selbst wenn recht großen Wahrscheinlichkeit (wobei genau diese vom individuellen Empfinden abhängt), bereits den Zeigefinger ausstrecken darf.


Was mich noch mehr interessiert hätte als Fragestellung: wie war das Brettverhalten des Herrn Ivanov bei dem Turnier? Gab es da SItuationen, wo man irgendwie als Gegner das Gefühl hatte, dass er sich nicht wie jemand verhält, der gerade, nach angestrengtem Nachdenken, eine tolle Kombination entkorkt hat oder strahlte er stets die Zuversicht aus, ohne Schweißperlen auf der Stirn? Noch viel mehr diese Frage: wie verhielt er sich nach der Partie? Stand er zur Analyse bereit, zeigte er eine Feuerwerk von Varianten oder sah man, als Gegner, dass er kaum etwas gerechnet hatte, sondern eher wie ein Schlafwanderer auf dem Dachfirst gewandert ist, und einfach nicht abstürzen konnte, vom Schicksal oder einem geheimnisvollen Schutzengel bewahrt? Hat er sich der Analyse verweigert? Hat er während des Turniers überhaupt mit jemandem kommuniziert, eine Vorbereitung gemacht, ein Blitzturnier oder nur eine einzige Partie nebenher gespielt, die vielleicht hätte Auskunft geben können, wo sein Schachverständnis anzusiedeln ist?
#44 Spieler K 2013-01-21 14:28
zitiere Dirk Paulsen:
..... dass es bereits einem reinen Zufallsgenerator gelingen könnte, mit einer geringen, aber eben doch messbaren und über 0 liegenden Chance, jeweils den Houdini-Zug zu finden, so hätte ein Mensch mit einer ordentlichen Spielstärke (wo immer dort Ivanov hingehören mag) und einigem Sachverstand selbstverständlich eine wesentlich höhere Chance.


Diese These wage ich zu bezweifeln. Zwar kann auch ein Spieler jeglichen Niveaus zufälligerweise gute Züge machen, aber das geschieht auf andere Weise als bei einem Zufallsgenerator. So könnte ein ziemlich schwacher Spieler eine Figur einstehen lassen, die vom Gegner aus irgendwelchen subtilen Gründen nicht genommen werden darf. Wenn der Spieler nicht nur diese Feinheiten nicht gesehen hat, sondern nicht einmal, daß die Figur hing, darf man wohl von einem zufällig gespielten guten Zug sprechen (wenn er denn gut ist). Oder ein Spieler spielt eine kleine Kombination, die auf den zweiten Blick aber widerlegbar zu sein scheint; und erst auf den dritten Blick sieht der Könner die Widerlegung der Widerlegung. Unser Glückspilz hat aber weder den zweiten noch den dritten Blick geschafft, sondern nur sein plumpes Kombinationsmotiv gesehen. (Mit solchen Problemen schlagen sich stärkere Spieler wahrscheinlich häufig herum, wenn sie auf schwächere treffen: sie können nicht wissen, was der Gegner wirklich gesehen hat.) Unser schwächerer Spieler würde aber keine starken Züge finden, die auf sehr schwierigen taktischen Berechnungen und strategischen Vorausschauen basieren, wenn es keine einfache Verlockung gibt, den Zug aus unzureichenden Gründen für gut zu halten. Er wird solche Züge also nie finden, während der Zufallsgenerator eine vergleichsweise gute 1:40-Chance (z.B) hat.
#45 Gerhard 2013-01-21 14:41
Zu Nr. 43 der Kommentare, Paulsen:
Das klingt plausibel, daß mit ein paar zus. Annahmen plötzlich eine Zahl wie 1:1000 herauskommen kann, die dann im Bereich des Möglichen ist.
Dasselbe findet man ja auch bei der Evolution: Es wurde ja gesagt: Wie kann innerhalb 300.000 Generationen aus einem urspr. dumpen Augenfleck ein hockkompliziertes Auge wie das des Menschen herauskommen? Dies ist schier unmöglich! Man vergaß dabei aber, daß 300000 eine riesige Zahl ist und zusätzlich, daß die Evolution nicht ein Spiel bloßen Zufalls ist, sondern "getriggert" verläuft. Sie kann in mancher Hinsicht nicht anders. Wenn man das weiß, sind dann 300000 "Versuche" eine vernünftige Wegstrecke.
#46 Krennwurzn 2013-01-21 15:17
zitiere Dirk Paulsen:
Noch ein paar Annahmen mehr, und man landet vielleicht bei 1/1000, dass ein Spieler von diesem Level ein derartiges Turnier spielt, ohne Hilfe in Anspruch genommen zu haben. Obwohl man dann noch immer einen recht unwahrscheinlichen, fast unrealistischen Wert vor sich hat, muss man es dennoch irgendwie für möglich halten.

Genau darum bin ich so skeptisch dem Problem Cheating nur mit dem Vergleich zu Enginezügen Herr zu werden. Wir begeben uns da in einen sehr großen Unsicherheitsbereich hinein -> wir werden Unschuldige des Betrugs bezichtigen und Betrüger ungeschorren davon kommen lassen müssen. Wollen wir nicht enden wie zB die Dopingkontrolle beim Radsport - alle dopen nur wenige Test sind positiv, dann müssen wir bessere Methoden finden.

Eine interessante Aufgabe hätte ich noch an den Tippexperten Paulsen: Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit dass Deutschland den Europameistertitel (Schach) holen würde? Nun wissen wir ja, dass er geholt wurde und an Betrug wollen wir dabei aber schon gar nicht denken!!
#47 Dirk Paulsen 2013-01-21 15:19
@Spieler K: wahrhaftig hat mich auch diese Überlegung beschäftigt. Sie würde bedeuten, dass man, trotz der Kenntnis sämtlicher Züge, den besten dieser Züge mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit "findet" (was letztendlich die Ausführung bedeutet, aber zunächst müsste man ihn ja finden im Sinne von "ihn sehen", "ihn erwägen") als einige völlig absurde andere Züge. Ich sehe zwar ein, dass es eine Tendenz gibt, gewisse Züge aus der Liste der Kandidaten zu streichen, NUR WEIL MAN ETWAS AHNUNG VOM SCHACH HAT, wobei an dieser Stelle sogar das "ETWAS" noch zusätzlich hervorgehoben werden müsste, darunter kann sich mit einer gewissen Chance auch der beste Zug befinden, dennoch glaube ich sehr ernsthaft, dass es sich in der Summe nicht gegen den Menschen (mit einigem, aber vielleicht doch geringen) Sachverstand auswirkt. Dies wäre nur der Fall, wenn man dem besten Zug an gewissen Stellen die Wahrscheinlichkeit 0 geben würde. Er kennt zwar die Schachregeln, würde dies bedeuten, er weiß von jeder Figur WOHIN sie ziehen dürfte, es befinden sich beispielsweise in der Stellung 13 eigene Figuren auf dem Brett, aber der Gewinn bringende Zug Dame nach g3 (Frank Marshall) wird unter keinen Umständen, nicht einmal als Versehen, auf der Liste der möglichen Züge auftauchen? Auch hieran erlaube ich mir, Zweifel anzumelden.

Naja, im gegebenen Beispiel (von Spieler K)würde es ja genügen, wenn die anerkannt (von Houdini, also quasi von Gott) besten Züge REGELMÄßIG mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit ausgewählt würden. Aber auch dies würde ich -- nach einigem und schon zuvor angestellten guten Bedenken, in Anerkennung der Problematik -- nicht für so wahrscheinlich halten.

Es würde, im praktische Versuch, in etwa so aussehen, dass man ab und zu den richtigen Zug mit einer wesentlich geringeren Chance, sowohl als jener von 1/40 als auch der angenommenen, pro Spielstärke variierenden Zahl, von beispielsweise 1 zu 5 finden würde -- im dem Sinne also Spieler K bestätigend -- nur eben in anderen Fällen den besten Zug (ganz sicher wird dieser Fall sogar häufiger sein) den besten Zug mit einer deutlich höheren Chance finden, so dass das hypothetische Beispiel insgesamt ganz gut aufgeht.

Es ging mir ja auch nur darum, in etwa Größenordnungen herauszuarbeiten, mit welchen man einen Betrugsverdacht äußern könnte. Hier war mehrfach zu lesen, dass man ihn eigentlich nicht verurteilen dürfte, zugleich aber der Hinweis, wieder und wieder auftauchend, dass man es dennoch selbst im Grunde glaubt, und das betrifft so gut wie jeden kommentierenden (dabei den Autoren des ursprünglichen Berichts einbeziehend).

Auch wenn die Chance von 1 zu 1000 nicht annähernd exakt berechnet ist: falls es in etwa so wäre, so würde sich längst der so genannte "gesunde Menschenverstand" einschalten und einfach votieren auf "schuldig", zugleich dabei wissend, dass man sich auf eine Spekulation beruft und damit weiterhin die Hand vorzuhalten hätte.
#48 Darth Frank 2013-01-22 10:04
@Dirk Paulsen:

Bei 1 zu 1000 mit gesundem Menschenverstand auf „schuldig“ zu plädieren ist so eine Sache. Das bedeutet, bei 10 Open mit je 100 Teilnehmern wird man im Schnitt einen Unschuldigen verurteilen weil er einen glücklichen Lauf hatte. (Die Aussage ist qualitativ zu verstehen, nicht unbedingt mathematisch exakt.) Das würde vermutlich nicht nur mein Gerechtigkeitsempfinden verletzten. Irgendwo muss aber trotzdem eine Grenze sein („beyond reasonable doubt“), ich habe aber keine Ahnung, wo man die ziehen sollte.
#49 Dirk Paulsen 2013-01-22 13:27
@DarthFrank: nun ja, also die 1/1000 habe ich doch vergleichsweise bewusst hier eingesetzt. Denn: in der Statistik sind SÄMTLICHE GETROFFENE AUSSAGEN mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit zu versehen. Wenn man also sagt: "Statistisch hat es sich herausgestellt, dass bei diesem Würfel die 6 zu häufig kommt, er also kein Präzisionswürfel ist sondern ein Schwerpunktwürfel" (um nur ein beliebiges Beispiel zu nennen), dann wüsste er sofort, dass er mit dieser Aussage mit einer gewissen Chance einen Fehler gemacht hat, denn, wie zahlreiche Vorredner an dieser Stelle bereits gut erörtert haben, KANN es ja sogar passieren, dass er 20 Mal hintereinander eine 6 würfelt, OHNE ein Schwerpunktwürfel zu sein. Wie oft sollte man es nun noch versuchen, um "beyond reasonable doubt" zu einem Urteil zu kommen? Man würde -- intuitiv übrigens bereits wesentlich früher als nach dem 20. Versuch -- also irgendwann abbrechen und einfach so postulieren "dieser Würfel ist inkorrekt" und sich einfach nicht um Wahrscheinlichkeiten und "Qualität statistischer Aussagen" scheren. Der hat 10 Mal hintereinander eine 6 gewürfelt, das genügt mir, um zu sagen, dass er einen Schwerpunkt hat.

Der Statistiker, wie gesagt, macht sich die Sache generell etwas einfacher. Er legt legt eine Irrtumswahrscheinlichkeit vorab fest, berechnet diese dann, und sofern sie den vorgegebenen Wert unterschreitet (diesen hat er sich selbst gesetzt und dies geschieht sogar quasi willkürlich), wagt er die Aussage. Nur hat er eben sich selbst (weil er gar nicht anders kann als verständiger Mathematiker) eingeräumt, sich möglicherweise geirrt haben zu können.

Dieser Wert wird in aller Regel auf 0.001 festgelegt, weil man sich damit begnügt. Insofern bin ich mal wieder bestätigt in meiner Grundthese, dass sich eigentlich so gut wie alle brisanten Fragestellungen der Menschheit mathematisch lösen lassen, noch mehr sich diese eigentlich stets auf dem Gebiete der Wahrscheinlichkeitsrechnu ng bewegen, und dass GENAU DIESE GRENZWISSENSCHAFT die Verwandtschaft zwischen Mathematik und Philosophie bildet, von der so vielfach die Rede ist.
#50 Erich Weiß 2013-01-22 13:40
"Dieser Würfel hat 20 mal eine 6 gewürfelt, also ist er gezinkt."

"Dieser Mensch hat im Lotto gewonnen, also hat er manipuliert."

"Dieser Schachspieler hat ... "
:eek:
#51 Dirk Paulsen 2013-01-22 13:47
Um auch noch einmal auf die Krennwurzn einzugehen (immerhin stand ja da eine Frage im Raum): ich denke, dass sich die Chance, für die deutsche Mannschaft den Europameistertitel im Schach (im Jahre 2012) zu holen noch relativ leicht errechnen lässt. Wobei ich für derartige Probleme in aller Regel Simulationen zum Einsatz bringe, welche dann ein recht verlässliches (aber eben nur statistisch verlässlich, siehe oben) Ergebnis liefern, wobei man hier ebenfalls ein paar Annahmen zu machen hätte, mit welche sich nicht jeder per se einverstanden zu erklären hätte.

Es gibt nun einmal das Elosystem, welches im Grunde ein Prognosesystem ist (wie viel Prozent der Punkte in dieser Partie gehen voraussichtlich an Spieler A, wie viel Prozent der Punkte gehen an Spieler B). Wie an anderer Stelle von mir ausgeführt, wird es aber nicht als Prognosesystem eingesetzt, sondern etwas mehr als reines Auswertungssystem oder auch Ranglistensystem, in welchem die Aspekte der (guten) Prognose längst in den Hintergrund getreten sind. Man möchte Bewegung in den Ranglisten haben, man möchte sich verbessern können und neidvoll oder hämisch auf den Konkurrenten schauen, der einen oder den man soeben überflügelt hat, aber nicht wissen, mit welcher Wahrscheinlichkeit man in der nächsten Partie wohl einen Sieg zu erwarten hätte.

Insofern liefert Elo zwar halbwegs vernünftige Antworten (ohne, dass auf jene übertriebenen Wert gelegt würde), aber eben nicht auf alle Fragen. Zum Beispiel ist die Schwarz-Weiß-Problematik überhaupt nicht abgedeckt, ebenso nicht die Frage nach der Remiswahrscheinlichkeit (in dem von mir vorgestellten System, hier unter "Bewertungssysteme" zu finden, gehe ich immerhin darauf ein, habe das Problem aber noch nicht endgültig gelöst, aus den verschiedensten Gründen; der wichtigste dabei: falls man den Remiswert PRO SPIELER individuell zu führen hätte, gäbe es möglicherweise Akzeptanzprobleme; andererseits wird niemand leugnen können, dass es Spieler gibt, die mit höherer Wahrscheinlichkeit auf ein Remis zusteuern und solche, die es weniger tun; wobei hinzu kommt, dass die Remiswahrscheinlichkeit generell bei wachsender Spielstärke ebenso zunimmt, wobei dies natürlich auf die Spielstärkesumme in der Paarung zu beziehen ist).

Nun ist aber für eine Simulation die Remiswahrscheinlichkeit von entscheidender Bedeutung. Wenn also Deutschland gegen Russland spielt und von Elo her mit einerm Schnitt von (geratenen) 2650 gegen 2690 in etwa 40 Punkte im Hintertreffen liegt, so beantwortet dies noch lange nicht die Frage, wie oft Deutschland das Match gewinnen könnte (wobei dies auch in einer Partie Mann gegen Mann mit 2650 gegen 2690 nicht beantwortet wäre; man erhielte nur einen Prozentsatz für die Ausbeute, nicht aber aufgeteilt auf Siege, Remisen und Niederlagen).

Fr die Simulation sollte man also eine generelle Remishäufigkeit annehmen (um es nicht zu komplex zu gestalten), und jene müsste erst einmal hingenommen werden (beispielsweise würde ich da auf etwa 50% kommen, die aber natürlich bei größer werdender Spielstärkedifferenz etwas geringer wäre). Sobald man diese hätte, könnte man munter drauflos simulieren, müsste es aber für alle Mannschaften tun, um realistisch zu bleiben. In meinen jüngeren Jahren hätte ich mich vielleicht spaßeshalber an diese Aufgabe herangewagt, heute tue ich es eher nicht, mache vielleicht aber bald mal ein kleines Hilfsprogramm, um eine Abschätzung zu erhalten.

An dieser Stelle mache ich ohne Hilfsprogramm eine Abschätzung, unter der Annahme, dass Deutschland vielleicht auf 7 gesetzt war, wobei die Abstände nicht all zu groß sein dürften?! Da würde ich es in etwa vergleichen mit einer Chance wie jener vor der Fußball Saison, dass Stuttgart (oder eine vergleichbare, aber eventuell überdurchschnittliche Mannschaft; man könnte Bremen oder HSV nehmen, möglich, dass Schalke bereits recht deutlich zu stark ist) Deutscher Meister wird. Diese Chancen liegen dann häufig in der Größenordnung von 1/70. Schalke wäre sicher kleiner als 1/20, und damit irgendwie zu günstig, der Wert. Es sollte also dringend unter 1/100 sein, ist mein Gefühl, aber keinesfalls kleiner als 1/20. Irgendwo dazwischen, falls das erst einmal als Abschätzung genügt?
#52 Krennwurzn 2013-01-22 14:59
zitiere Erich Weiß:
"Dieser Würfel hat 20 mal eine 6 gewürfelt, also ist er gezinkt."

Er ist mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit gezinkt - aber es bleibt immer eine Restunsicherheit, die in diesem Fall aber schon äußerst gering ist.

Da die Grenze ab wann etwas als "unwahrscheinlich" gilt nicht errechnenbar ist, muss sie willkürlich festgelegt werden und zwar nach dem Zweck.

Möchte ich aus den produzierten Wüfeln schnell und billig jene heraustesten, die idealen Würfeln entsprechen, so könnte man sich vielleicht sogar damit zufrieden geben, jene Würfel auszuscheiden, die nur 3x eine 6 gewürfelt haben. (~ Wahrscheinlichkeit 1:200). Für Hochpräzisionswürfel sollten die Test ein wenig anspruchsvoller sein. Solche Methoden funktionieren in der Qualitätskontrolle ganz gut solange man es mit "echtem Zufall" - dh. wirklich unabhängigen Ereignissen zu tun hat.

Problematisch wird es - und das kommt in der Realität auch nicht unhäufig vor zB. Schach - wenn die Ereignisse nicht unabhängig (zufällig) sind, sondern Abhängigkeiten ins Spiel kommen. In der Praxis zeigt sich dann schnell, dass dort "einfache" Methoden, die sich nur auf ein Kriterium wie zB hier Enginefavoriten stützen im Endeffekt nicht jene Nachweiskraft haben, die man sich wünschen würde.

Natürlich ist die Übereinstimmungqoute von Ivanovs Zügen ein sehr starkes Alarmzeichen, aber leider doch weit entfernt ein sicheres Indiz für Betrug zu sein.

Daher reicht es nicht sich auf ein Kriterium zu verlassen, man muss weitere in Betracht ziehen, um dann aus der Kombination derselben eben jene Wahrscheinlichkeitsinform atation zu gewinnen, die mit immer noch willkürlich gewählter Sicherheit eine Betrugsaussage dennoch sehr wahrscheinlich machen.

Als Beispiel dient zB der "biologische Pass" beim Doping - die Idee dahinter ist vereinfacht gesagt: auch wenn alle Einzelmesswerte unter den erlaubten Höchstwerten liegen, gibt es Kombinationen, die praktisch nicht möglich sein sollten und daher einen indirekten Dopingnachweis ergeben!
(Problemfall dazu gibt es auch: Claudia Pechstein) - ja es ist alles viel komblizierter und man kann nicht alles berechnen - leider oder gottseidank!

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