Brutale Bauernendspiele II

Hopp oder Topp: wer zieht, verliert! Hopp oder Topp: wer zieht, verliert!

 















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Niclas Huschenbeth (2460) – Zoltan Gyimesi (2595)

Schachbundesliga (6), 2010, (nach 46.g5xf6) :

Gerade hat der Weiße, unser amtierender Deutscher Meister, auf f6 Läufertausch angeboten und der ungarische Großmeister, der die ganze Partie über hart ums Remis hatte kämpfen müssen, hat das Angebot dankend angenommen! Weiß besaß schon seit längerem einen Mehrbauern, doch war seine Struktur durch einen Doppelbauern auf der b-Linie sowie einen weiteren auf der g-Linie entwertet. Nun ist zwar dieser g-Doppelbauer durch Tausch auf f6 aufgelöst worden, doch der vorgepreschte Bauer f6 droht ganz schnell verloren zu gehen. Was aber hat Huschenbeth veranlasst, ins zumindest auf den ersten Blick unklare Bauernendspiel abzuwickeln, wo er doch wissen sollte, dass nun ein Tempo, ein Zugzwangmotiv, eine kleine Feinheit die Stellungseinschätzung radikal ändern kann von sagen wir mal „Weiß gewinnt“ auf sogleich „Schwarz gewinnt“.

Denn alles „gesehen“ hat er sicher nicht bei seiner Entscheidung, abzuwickeln. Er erhoffte sich in diesem Bauernendspiel zumindest einen halben Punkt.

Letztlich ergeben sich in wenigen Zügen ein paar „Schlüsselstellungen“, in denen die Entscheidung zwischen Tod und Leben am Zugzwang hängt. Richtig, es geht um nicht mehr oder weniger als Tod oder Leben, denn bei vielen Bauernendspielen, diesem eingeschlossen, ist die Remisbreite, die man so vom Mittelspiel gewohnt ist, verdammt schmal! Eine Remisabwicklung ergibt sich oft nur etwas „zufällig“ oder studienartig. Häufiger ist es schon so, dass sich die Lage auf eine Zugzwangsstellung zuspitzt und schließlich derjenige, der „Dumme“, der ziehen muss, Opposition oder Deckungsaufgaben zwangsweise aufgeben muss und hernach die Dämme brechen und der gegnerische Monarch alles vernichtend eindringen kann.

Letztlich sah Huschenbeth wohl einige Stellungen, in denen der Zugzwang den Schwarzen hart traf, aber er sah nicht alle Feinheiten/Zugumstellung, die nötig gewesen wären, um das Bauernendspiel komplett zu erfassen und zu beurteilen.

Zunächst ging er davon aus, dass er, nachdem Schwarz mit Kd5-e5xf6 den vorgedrungenen Bauern eingefangen haben wird, mit Kd3-e3-f4 die Opposition sichern würde. Müsste Schwarz dann seinen König ziehen, könnte der weiße auf die 5. Reihe vordringen, etwa so:

Beispieldiagramm:

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Diese Stellung wäre optimal für den Weißen: er besitzt den aktiveren König, vor allem hat er den Damenflügel zu seinen Gunsten festgelegt. Hier gewinnt Weiß unabhängig davon, wer am Zug ist! Schwarz am Zug ist offenkundig im Zugzwang, sein König muss dem Opponenten Platz machen oder zulassen, dass sich der Weiß mittels g4-g5 einen entfernten Freibauern verschafft. Während sich der schwarze König um den h-Freibauern kümmern muss räumt der weiße Widersacher die schwarzen Bauern am Damenflügel ab und gewinnt – vermutlich, manchmal schafft es der Schwarze vielleicht gerade noch rechtzeitig zum Damenflügel zurückzueilen. Aber  abgesehen von gewissen Ausnahmen, prinzipiell interessiert uns mal das typische Szenario des entfernten Freibauern als Masterplan mit ausgezeichneten Gewinnaussichten. Und wenn Weiß am Zug wäre hätte er gar zwei Gewinnideen: zunächst ist da das Reservetempo, b2-b3!, womit er das Zugrecht an Schwarz abtreten kann. Zudem geht die Wendung 1.g5! hxg5+ 2.Kg4, was den Schwarzen wieder mal in einen unangenehmen Zugzwang bringt. Das greift auch, wenn der Damenflügel bereits in irgendeiner Form festgelegt wäre, ein Beispiel:

Analysediagramm:

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 Das ist so ein typischer Fall, in dem nur „Hopp“ oder „Topp“ gilt. Wer dran ist, verliert! Selbst mit momentan zwei Mehrbauern würde der Zugzwang dem Schwarzen den Garaus bereiten.

Diese wenigen Beispiele zeigen: es gab durchaus Gründe und es war verlockend für den Weißen, den Abtausch ins Bauernendspiel einzuleiten. Hinzu kommen zwei nicht unbedeutende Faktoren: 1. der Wunsch, gewinnen zu wollen. Huschenbeth stand die komplette Partie über besser, spielte auf Gewinn und da kann es leicht passieren, dass der Wunsch, gewinnen zu wollen, mächtiger wird als die realen Faktoren am Brett. Dann nimmt man selektiv nur die sich potentiell ergebenden Stellungen war, die auch wirklich zum Gewinn führen würden! Und 2. Konzentration und Kondition. Nach 5 Stunden Spielzeit kann es leichter passieren, dass man die Varianten nicht mehr sauber durchrechnet. Besonders bei den Bauernendspielen, wo alles genau „sitzen“ muss, kann eine Ungenauigkeit in der Ausarbeitung fatale Folgen zeitigen. Und so kam es auch:

46. …Ke5!  

Ganz richtig, Schwarz muss einen möglichen Durchbruch am Königsflügel sogleich unterbinden. 46...b4?, was sich einen Zug später als goldrichtig erweisen würde, wäre hier falsch: 47.g5 Ke5 48.g6! Kxf6 (48...hxg6 49.hxg6 Kxf6 50.gxf7 Kxf7 51.Kc4) 49.gxf7 Kxf7 50.Kc4 Kf6 51.Kxb4 Kg5 52.Ka5 Kxh5 53.Kxa6 Kg4 54.b4 h5 55.b5 h4 56.b6 h3 57.b7 h2 58.b8D h1D führt zu einem Damenendspiel mit praktischen Gewinnaussichten für Weiß. Ergänzend ist dazu zu sagen, dass 46...a5 ein wenig besser für Schwarz wäre als …46. …b4, denn nach der analogen Zugfolge 47.g5 Ke5 48.g6 Kxf6 49.gxf7 Kxf7 50.Kd4 Kf6 51.Kc5 b4 52.Kb5 Kg5 53.Kxa5 Kxh5 54.Kxb4 hätte Weiß einen zusätzlichen Königszug machen müssen und nach 54. …Kg4 55.Kc5 h5 56.b4 h4 57.b5 h3 58.b6 h2 59.b7 h1D 60.b8D Dc1+ ist Schwarz am Zug und sollte das Remis sichern. 
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 47.Ke3 Weiß hat weder Zeit, am Damen- noch am Königsflügel die Bauern in Position zu bringen:

a) Der Durchbruchsversuch 47.g5 Kf5 48.g6 führt zu nichts, weil Schwarz nach …hxg6 49.hxg6 (oder 49.h6 Kxf6 50.Kd4 g5) 49...Kxg6 derjenige ist, der einen Freibauern am Königsflügel beibehält.

b) 47.b4, um den Damenflügel günstig mit Reservetempo festzulegen, scheitert an …Kf4! (wobei auch 47...Kxf6 48.Ke4 Kg5 zum schwarzen Sieg ausreichend wäre, der König auf g5 garantiert den späteren Gewinn des Bh5:  49.Kf3 h6 50.Kg3 f5 51.gxf5 Kxf5 52.Kf3 Kg5–+).

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47...b4! und Weiß gab auf! Das erscheint vielleicht etwas voreilig, ist aber durchaus angebracht, denn Huschenbeth realisierte, dass nicht seinen Gegner, sondern ihn selbst der tödliche Zugzwang ereilen wird!

Bei allen anderen Zügen hätte Weiß zumindest das Unentscheiden gesichert, nur für den Schwarzen wäre es eng geworden, man sehe:

a) 47...Kxf6? 48.Kf4 b4! (der einzige Zug, 48...h6? 49.b4 Kg7 50.Kf5 führt zu einem ganz günstigen Fall für Weiß (siehe 2.Diagramm!), und auch 48...a5 49.g5+ Ke6 50.h6 b4 51.Ke4 Kd6 52.Kf5 Ke7 53.Ke5 gewinnt für Weiß)

49.g5+ Kg7! (nur so, 49...Ke6 50.h6! mit Zugzwang) 50.Kf5 h6! 51.gxh6+ Kxh6 52.Kf6 Kxh5 53.Kxf7 Kg5 54.Ke6 Kf4 55.Kd5 Ke3 56.Kc4 Kd2 57.Kxb4 Kc2 58.Ka4 a5 59.Kxa5 Kxb3 und Schwarz hat sich gerade noch mit einigen einzigen Zügen gerettet.

b) 47...h6? 48.b4! Kxf6 49.Kf4 Ke6 50.g5 hxg5+ 51.Kxg5 und Weiß gewinnt wegen des entfernten h-Bauern.

c) 47...a5 erlaubt 48.b4! (48.Kf3 Kxf6 49.Kf4 b4! hält ähnlich wie bei a) gerade noch remis; prüfen Sie es bitte selber!) 48...axb4 49.b3 Kxf6 50.Kf4 Kg7 51.Kf5 und Schwarz droht in Zugzwang zu kommen. Hier gibt es eine weitere unerwartete Wendung, mit Einsatz des Pattmotivs kann der Nachziehende die schwierige Lage doch noch halten:

Analysediagramm:

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51. …f6! (51. …h6? 52.g5 +-) 52.Ke6 Kh6! 53.Kxf6 und patt!

Doch zurück zur Partie. Nach 47. …b4! ist der Weiße plötzlich in allen Varianten verloren. Hier das Wesentliche:

48.Kf3 Oder 48.h6 Kxf6 49.Kf4 Kg6 50.g5 f6! 51.gxf6 Kxf6 bzw. 48.g5 Kf5 49.g6 hxg6 50.hxg6 Kxg6

48...Kxf6 49.Kf4

Analysediagramm:

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49. …h6! 50.Ke4 Denn bei 50.g5+ hxg5+ 51.Kg4 verfügt Schwarz diesmal über das entscheidende Reservetempo 51. …a5!

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50...Kg5 51.Kf3 f5 52.gxf5 Kxf5 und der Rest ist klar, Schwarz holt sich den Bh5, hat damit einen entfernten h-Bauern erschaffen, und während sich der Weiße um den kümmert läuft der schwarze König nach c2. 

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