Die Bundesliga verliert ein Zugpferd

Rückbesinnung auf alte Werte – die Bundesliga verliert ein weiteres Zugpferd

Vor einigen Jahren die SG Köln-Porz nun Werder Bremen: Das nächste Spitzenteam wendet sich vom Ziel der Erringung der Deutschen Mannschaftsmeisterschaft ab. Die Gründe werden nicht explizit genannt. Doch erweckt der Text auf der vereineigenen Website den Anschein, dass, wie auch bei Porz, finanzielle Gründe nicht die ausschlaggebende Rolle spielen, sondern die Unzufriedenheit mit dem Bundesliga-Management ganz oben steht:

Unsere bisherigen Bestrebungen, attraktives Spitzenschach in der höchsten deutschen Spielklasse zu vermarkten, haben sich unter den aktuell unbefriedigenden Rahmenbedingungen der Schach-Bundesliga leider als wenig fruchtbar erwiesen. Es ist uns unter diesen Umständen nicht gelungen, unser über viele Jahre erfolgreiches Bundesligateam als Zugpferd für den Schachsport zur Geltung zu bringen.“ (Quelle:“ Werders Schachabteilung stellt sich neu auf“ auf der vereinseigenen Homepage http://www.werder.de/de/schach/aktuell/news/38133.php)

Deutschlands Spitzenliga verliert somit einen über lange Zeit zuverlässigen Aktivposten. Doch wird sich die einzige Mannschaft, die in den letzten Jahren dem Abonnementmeister Baden-Baden gefährlich werden konnte, nicht komplett aus der höchsten deutschen Spielklasse verabschieden.

Das neue Konzept

Der zukünftige Kader beinhalten neben acht "Profis" auch acht Amateure der zweiten Mannschaft. Zudem wird angekündigt. die gesparten Gelder zur Verringerung der Kluft zwischen Spitzen- und Breitenschach einzusetzen.

„Angestrebt wird ein umfassenderes Spiel- und Trainingsangebot, um für Interessenten im nordwestdeutschen Raum - insbesondere aus dem bremischen Umfeld – attraktiver zu werden.“

Dafür wird sogar eine hauptamtliche Trainerstelle geschaffen.

Eine aus meiner Sicht sehr erfreuliche Entwicklung. Die Schachbundesliga verliert in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung. Eine Identifikation der Zuschauer (und auch der Spieler) mit den Vereinen findet kaum statt. Die nahezu stärkste Liga der Welt wurde immer unpersönlicher und hat erhebliche Probleme, Zuschauer für die Veranstaltungen zu begeistern.

Treffend dazu die Bemerkung eines Bochumers anlässlich des Zweitligakampes vor zwei Wochen: “Vor 30 Jahren hatten wir hier 1.000 Zuschauer am Tag. Die Leute standen auf der Straße Schlange, nur um den Hübner zu sehen!“ Heute haben wir für manchen Zweitligakampf keine 20...

Jörg Hickl

Großmeister, Schachtrainer, Schachreisen- und -seminarveranstalter.
Weitere Informationen im Trainingsbereich dieser Website
oder unter Schachreisen

Webseite: www.schachreisen.eu

Kommentare   

+1 #1 Gerhard 2012-03-08 16:03
"Verringerung der Kluft zwischen Spitzen- und Breitenschach":
Das klingt doch zunächst mal recht gut:!
-1 #2 Thomas Richter 2012-03-08 18:45
Anno 2003 klang das ähnlich vom Lübecker SV:
"Der Deutsche Mannschaftsmeister im Schach, der Lübecker Schachverein, hat sich entschlossen, seine Mannschaft mit sofortiger Wirkung aus der 1. Bundesliga zurückzuziehen. Grund dieser Maßnahme ist die seit Jahren bestehende Unbeweglichkeit der Liga, die es unmöglich macht, diese Veranstaltungsform öffentlichkeitswirksam zu vermarkten. Wie in der Vorsaison hat der Verein erneut nur zwei Heimspiele, die in Lübeck präsentiert werden könnten [gemeint sind wohl zwei Wochenenden, also vier Heimkämpfe - genau wie jeder andere BL-Verein?]. Ein weiterer Grund sind die enormen Nebenkosten, die gegenwärtig die höchste deutsche Liga unwirtschaftlich machen. In einem vertrauensvollen Gespräch hat sich der Lübecker Schachverein trotz der grundsätzlichen Unterstützungszusage durch die galaxis technology ag entschlossen, sein Engagement in der 1. Liga mit sofortiger Wirkung zu beenden. Die entsprechende Erklärung ist dem Deutschen Schachbund gegenüber erfolgt. Die galaxis technolgy ag bedauert diese Entscheidung, zeigte aber für den Schritt Verständnis. Die seit über 10 Jahren bestehende sehr erfolgreiche Zusammenarbeit soll auf anderen Feldern fortgesetzt werden. Hierzu gehört insbesondere die Förderung des Nachwuchses und die Ausrichtung anderer Veranstaltungsformen. So ist für das Jahr 2004 ein Internationales Schachturnier in Planung, wo insbesondere Nachwuchskräfte aus Schleswig-Holstein die Chance bekommen, Titelnormen zu erspielen.
Langfristig wird auch angestrebt, über die Förderung des eigenen Nachwuchses die sportliche Qualifikation für die 1. Liga zu erreichen.
"
Ob das nun - in Lübeck und/oder Bremen - die ganze Wahrheit ist, wer weiss das schon. Olaf Steffens weiss vielleicht mehr was er uns aber dann vermutlich nicht verraten kann oder will.
Wie dem auch sei, Schuld sind immer andere. Ist es nicht vor allem Sache des Vereins seine erste Mannschaft zu präsentieren - bzw. zu akzeptieren wenn das Interesse an einer Multikulti-Truppe trotz aller Erfolge begrenzt ist?

Interessant auch dass sich Jörg Hickl offenbar unschlüssig ist ob er diese Entwicklung nun bedauern oder begrüssen soll. Abzuwarten ist was sich eigentlich genau ändert: diese Saison hat Bremen 9 Profis mehr oder weniger regelmässig eingesetzt, vier weitere sporadisch und drei im Kader aufgestellte gar nicht. Vielleicht dürfen nächste Saison pro Wettkampf zwei Amateure Bundesligaluft schnuppern (die anderen werden ja auch in der zweiten Mannschaft gebraucht). Ob der achte Amateur Olaf Steffens mal dran ist, wer weiss ... .
#3 Woltmann 2012-03-09 11:40
Interessanter Titel: BL verliert ein Zugpferd - vielleicht gewinnt sie auch ein Zugpferd mit diesem Konzept?! Bin gespannt auf die Aufstellung im nächten Jahr!
Wie war die Begründung für die Auslagerung der BL in einen e.V.? Scheint, als wären nicht mehr alle überzeugt von diesem "Verein". Aber die Geister, die ich rief...
+1 #4 tillsb 2012-03-09 16:17
Was, Thomas Richter, klingt eigentlich "ähnlich", wenn Lübeck seine Mannschaft zurückzieht, seitdem in der 2. und 3. Liga dümpelt, der Sponsor pleite ist und dennoch so tut, als habe der Verein die Mannschaft zurückgezogen, und wenn Werder erklärt, wegen erwiesener Unbeweglichkeit des Schachbundesliga e.V. seine Mannschaft künftig nur noch als Halb-Profiteam aufzustellen (und zwar in der 1. Liga) und mit den eingesparten Mitteln einen Vollzeittrainer zu engagieren?
Und wieso ist es unsere "Schuld", dass endlose Versuche unseres Vereins, z.B. das Spielsystem zu ändern, so dass mehr als zwei Heimspiele pro Saison herauskommen, oder auch nur die Spieltage auf Freitag und Samstag zu legen, um den unteren Ligen aus dem Weg zu gehen, permanent abgelehnt wurden?
Ich selber habe zu den Initiatoren des Schachbundesliga e.V. gehört - als Chance, möglichst unbürokratisch zu Reformen zu kommen. Die Mehrheit der Vereine hat das leider als Chance verstanden, jede Reform umstandslos blockieren zu können - daraus hat Werder die Konsequenzen gezogen.
Aber da ich gesehen habe, dass Sie der Generalkommentator hier sind, sind Ihnen diese und andere Kleinigkeiten vielleicht im Drang der Geschäfte entgangen.
+1 #5 Krennwurzn 2012-03-09 18:58
Vorab wünsche ich dem Schach in Mitteleuropa, dass das angekündigte Bremer Model erfolgreich klappt. Meiner Meinung nach können wir Profischach in den "Hochpreisländern" nur dann eine Chance geben, wenn wir die Anzahl der Legionär drastisch reduzieren und das Schach lokalisieren.

Gleichzeitig muss man aber auch die Skepsis verstehen, die natürlich vorhanden ist, denn die Geschichte hat uns gelehrt, dass jene, die gesagt haben "wir kehren gestärkt wieder zurück" im Endeffekt sich elegant und mit schönen Worten verabschiedet haben.

Bewerten wir also nicht die Ankündigungen - denn Papier ist sehr geduldig, dies kann ich als gelernter Österreicher nur zu gut bestätigen - sondern die umgesetzten Taten!

Natürlich darf man berechtigerweise hoffen, dass Bremen das umsetzen wird und kann!
-1 #6 Thomas Richter 2012-03-09 19:02
@tillsb: Ich sagte nicht dass die Situation in Lübeck und Bremen ähnlich ist, nur dass die offiziellen Stellungnahmen ähnlich klingen. Als da wäre: "Unbeweglichkeit der Liga" (von Ihnen jetzt wortwörtlich übernommen), zukünftig mehr Nachwuchsförderung und jetzt auch die Sache mit den zwei Heimspielen.
Das ist zum einen zumindest missverständlich, gemeint sind ja vier Heimkämpfe an zwei Wochenenden. Zum anderen, wie man es auch dreht und wendet, das zu ändern würde die grossen bzw. finanzkräftigen Vereine auf Kosten der kleinen begünstigen - es wundert mich daher nicht dass Sie hierfür keine Mehrheit bekommen. Welche Möglichkeiten gäbe es?
- mehr Heimspiele für Bremen, Baden-Baden (wen noch?), dafür weniger für andere Vereine?
- Einzel- statt Doppelrunde damit immer jeder zweite Verein Heimrecht hat. Das hiesse dass ausländische Spieler noch öfter eingeflogen werden müssten, was sich wohl nicht jeder Verein leisten kann.
- weiterhin zwei Runden an einem Wochenende aber mit wechselndem Heimrecht. Dann müsste z.B. Eppingen Samstag bis 20:00 in Hamburg oder Berlin spielen, anschliessend eine Zugfahrt, Ankunft zu Hause nach Mitternacht und Sonntagmorgen wieder am Brett? Bremen und Baden-Baden würden wohl fliegen ... .
Die Runden von Sonntag auf Freitag zu verlegen würde auch Vereine mit Amateuren (die gibt es auch noch) benachteiligen denn die müssen wohl Freitag arbeiten. Und mehr Zuschauer gäbe es wohl nur wenn man abends spielt, und dann eventuell bis nach Mitternacht?

Ich würde mich über eine sachliche Reaktion freuen - bitte dabei nicht vergessen dass es auch noch andere Vereine gibt die die Dinge, aus deren Sicht nachvollziehbar, anders sehen.

P.S.: "in der 2. und 3. Liga dümpeln" ist zumindest respektlos oder arrogant. Im Vergleich zu den allermeisten Schachvereinen ist das immer noch überdurchschnittliches Niveau, zumal wenn Lübeck tatsächlich der Sponsor abhanden gekommen ist.
#7 Stony 2012-03-11 22:34
Sowohl im Artikel von Jörg Hickel als auch von Thomas Richter werden Fälle verglichen, die gar nicht vergleichbar sind. Die SG Porz hat sich 2007, nachdem sie 05/06 und 06/07 nur noch Dritter wurde, aus der Bundesliga verabschiedet als diese organisatorisch Umstrukturiert wurde.
Analog z.B. DFB/DFL wurde die Schachbundesliga aus dem DSB herausgelöst wurde und wurde eigenständig, losgelöst von den Entscheidungsstrukturen des DSB. Diesen Weg ist die SG Porz damals nicht mitgegangen. Die SG Porz war ohne Zweifel lange ein Spitzenteam in der 1. Liga, von einem Zugpferd zu reden ist m.E. aber völlig übertrieben, denn Initiativen zur Weiterentwicklung der höchsten deutschen Spielklasse, egal in welche Richtung, kamen von dort nicht.
Der Lübecker SV spielte 99/00 erstmalig in der 1. Liga und endete im Mittelfeld. Nachdem die Mannschaft ordentlich aufgerüstet wurde, sicherte man sich in den darauf folgenden zwei Jahren den Titel und zog sich dann zurück. Ob dieser Zeitraum ausreichend ist, fehlende Beweglichkeit der Liga zu monieren stelle ich zumindest in Frage, mir sind auch keine Lübecker Initiativen bekannt, Veränderungen anzuschieben.
Werder Bremen dagegen war über lange Jahre bemüht, etwas zu verändern (das ist jetzt kein Eigenlob sondern belegbar), Schachbundesliga als Spitzensport zu etablieren, Zugpferd für den Breitensport zu sein und sponsorentauglich zu machen. Aus meiner Sicht hierfür elementare Veränderungen konnten jedoch nicht durchgesetzt werden und sind perspektivisch bei der vorhandenen Struktur des Schachbundesliga e.V. nicht zu erwarten.
Ich sehe es nicht als "Schuld haben immer die anderen", sondern eher als Einsicht und Konsequenz daraus, dass die angestrebten notwendigen Veränderungen jetzt nicht mehrheitsfähig sind und hier auch zukünftig kein Umdenken erwartet wird.
Der Strategiewechsel bedeutet u.U., dass sich Werder zukünftig nicht in der Bundesliga halten wird und auch in der 2. oder 3. Liga "rumdümpelt". Klingt vielleicht negativer als es gemeint ist, aber und da muss sich keiner was vormachen, der Einsatz von Amateuren statt Profis führt letztendlich zu einer Absenkung der Spielstärke einer Mannschaft, die derzeit nicht zwingend erstligatauglich sein muss. Sollten sich diejenigen durchsetzen, die die Anzahl starker Profis in den Bundesligamannschaften reduzieren wollen, wird das heutige Zweitliganiveau ja die zukünftige Spielstärke der ersten Liga und Lübeck ist auch wieder dabei. Vielleicht kommt dann auch Porz zurück.
#8 Thomas Richter 2012-03-12 17:06
@Stony (im Gegensatz zu tillsb habe ich keine Ahnung wer sich dahinter verbirgt): Nochmals, ich habe nicht die "Fälle" sondern die Stellungnahmen verglichen.

Jörg Hickl meinte wohl dass Köln-Porz ein Spitzenteam war (übrigens mit dem Deutschen Christopher Lutz an Brett 1 oder 2, ging damals offenbar noch ...). Ob man das nun Zugpferd oder Aushängeschild oder ... nennt, sei's drum. Wobei das ein bisschen relativ ist: Manchen Fans von Shirov ist es vielleicht recht egal für welchen Verein er gerade spielt, wenn ich richtig gezählt habe im Lauf der Jahre vier verschiedene.

Was wären eigentlich die "elementaren Veränderungen"? Speziell, wie würden Sie mehr als (zweimal) zwei Heimspiele realisieren wollen? Ein weiteres Problem bei Einzelrunden wäre ja ob es dafür überhaupt genug freie Termine gibt: die Bundesliga sollte sich ja nicht mit diversen internationalen Veranstaltungen (zumindest Olympiade und Europameisterschaft) überschneiden, und auch nicht mit grösseren deutschen Open, davon gibt es einige und das ist gut so.

Und da Sie sich über Porz mokieren (wurden "nur noch Dritter"): Hat der Strategiewechsel rein gar nichts damit zu tun dass Bremen immer 'nur' Zweiter hinter Baden-Baden wurde? Auch wenn es dieses Jahr (wie zuletzt 2009/2010) noch spannend bleibt und Bremen die Chance hat durch einen Sieg im direkten Duell Meister zu werden.

Die Teilnahme an unserer Kommentarfunktion ist nur registrierten Mitgliedern möglich.
Login und Registrierung finden Sie in der rechten Spalte.