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Joachim Gries mit Krennwurzn über den DSB

„So the winner takes it all and the loser has to fall“ sangen ABBA schon in den 70er Jahren. Zwar fragte die Krennwurzn schon vor der Wahl bei Joachim Gries wegen eines Interviews an, erhielt aber eine Absage allerdings auch mit der Aussicht darauf nach der Wahl vielleicht doch eines zu machen. Da die Wahl – je nach Sichtweise knapp oder klar – 109 zu 79 für Herbert Bastian ausging, schätzte die Krennwurzn die Chancen auf ein Interview mit Joachim Gries sehr gering ein. Aber man sollte es nicht für möglich halten auch eine Krennwurzn kann sich irren und es entstand ein hochinteressantes Gespräch über den DSB und Verbandsprobleme auch im Allgemeinen. Wer auf das Waschen von Schmutzwäsche in der Öffentlichkeit hofft, dem kann ich nur empfehlen hier mit dem Lesen aufzuhören.

Krennwurzn:
Erlauben Sie zuerst eine persönliche Frage - Sie hatten am Anfang des Jahres gesundheitliche Probleme mit dem Herzen geht es Ihnen jetzt wieder gut und könnten Sie sich den Schachfreunden ein wenig vorstellen?

Joachim Gries:
Ich bin am 01.11.1950 geboren, verheiratet seit 9.2.1976 mit meiner Ehefrau Petra Gries und habe 11 Kinder (6 Söhne und 5 Töchter). Von Beruf bin ich Studienrat mit den Fächern Mathematik und Sport, bin im Alter von 21 Jahren erstmals in einen Schachclub eingetreten (Schachfreunde Friedberg/Hessen). Parallel dazu habe ich zunächst von meinem 13. – 21. Lebensjahr gefochten (war 1971 - 12. in der deutschen Hochschul-Rangliste und hatte damals berechtigte Hoffnungen noch auf den Olympiazug nach München zu springen). Musste meine Fechterkarriere aber 1971 bedingt durch eine Meniskusverletzung abrupt beenden und da ich mein Sportstudium nicht an den "Nagel hängen" wollte bin ich auf Volleyball umgestiegen, das ich damals bereits als Hobby regelmäßig spielte. Im Zuge der wachsenden Begeisterung für dieses Spiel landete ich dann bei der SG Rodheim (Rosbach vor der Höhe bei Friedberg(Hessen) und wir schafften innerhalb von 6 Jahren den "Durchmarsch" von der Kreisklasse bis in die Regionalliga. Dort spielten wir fast 10 Jahre in einer unveränderten Formation und schafften es 1982 - 1984 in der 2.Bundesliga zu spielen. Bereits damals hatte ich vielfältige weitere zusätzliche Aufgaben wahrgenommen

  1. Abteilungsleiter Volleyball in der SG Rodheim
  2. Vereinsvorsitzender in der SG Rodheim
  3. Schiedsrichterobmann im hessischen Volleyballverband und Ausbilder von SR
  4. Staffelleiter in der Regionalliga
  5. Bundesliga Schiedsrichter

Während all dieser Jahre habe ich u.a. auch noch Schach, quasi als Ausgleichssport, in Friedberg, Klein Karben und Oberursel gespielt. Der größte schachliche Erfolg war dabei der Aufstieg der Schachfreunde Friedberg mit denen ich damals in die Oberliga aufgestiegen bin.

1986 musste ich meine aktive Volleyballkarriere einstellen, da ich massiv an Asthma erkrankte und durch mehrere Knieoperationen alle meine Menisci eingebüßt hatte. Die Arthrose in den Kniegelenken nahm damals "galoppierende" Geschwindigkeit auf. Somit erfolgte folgerichtig/zwangsläufig der Wechsel zum Schachsport (ab ca. 1987), in dem neben aktiven Spielen in den Mannschaftskämpfen vor allem der Aufbau und die Betreuung von Schulschach_AG`s zu meinen neuen Aufgaben gehörte.
1989 wurde ich in Hessen zum Ausbildungsreferenten gewählt, ein Amt, das ich bis heute wahrnehme und in dem neben der Trainerausbildung, der SR-Ausbildung vor allem auch die Lehrerfortbildung einen breiten Raum einnahm. Ab 1997 wurde ich Mitglied in der Lehrkommission des DSB und arbeitete dort bis 2007 aktiv mit, obwohl ich in den Jahren 2001 - 2003 noch zusätzlich Präsident in Hessen war.
2007 übernahm ich das Amt des Ausbildungsreferenten auf DSB-Ebene und übernahm dort anschließend das Amt als DSB Vizepräsident Sport (2011 - 2015) und bis 2015 auch zeitweise die kommissarische Leitung des Ausbildungsreferates, weil der gewählte Ausbildungsreferent wegen beruflicher Überlastung leider nicht zur Verfügung stand.

Bis Mai 2015 war ich Vizepräsident im DSB und kandidierte dann am Bundeskongress gegen Herbert Bastian, eine Entscheidung, die ich nach ein paar Tagen Abstand durchaus ambivalent sehe:

  1. Einerseits habe ich mir viel Stress und Ärger erspart, insbesondere im Hinblick auf die finanzielle Situation des DSB. Die Durchführung/Einberufung eines außerordentlichen Kongresses im Herbst dieses Jahres, in dem ein komplett neuer Haushalt vorgelegt werden soll, weil der bisher vorgelegte "nicht ab(zu)stimmungsfähig" war wirft ein bezeichnendes Bild auf die Gesamtsituation im DSB. Meine Ehefrau ist überglücklich darüber, (obwohl sie meine Kandidatur unterstütze und sich der zusätzlichen zeitlichen Belastung bewusst war), dass ich nunmehr nicht mehr in dem bisherigen Maße mit Schachthemen gebunden bin. Insbesondere der teilweise aufgestaute Ärger, z.B. nach Präsidiumssitzungen den die Familie zumeist ertragen musste entfällt - mithin also ein massiver Zugewinn an Lebensqualität für mein/unser Familienleben.
  2. Andererseits habe ich gesehen, dass wir nur mit massiven Einschnitten das "finanzielle Desaster" das uns im DSB droht unbedingt angehen müssen. Dem neuen Präsidium sind durch die Forderung nach einem neuen Haushalt die bisherigen Defizite nachhaltig aufgezeigt worden und im Prinzip ist es gut, dass der alte und neue Präsident Entscheidungen der Vergangenheit nunmehr selbst korrigieren muss.

Meinen im Januar erlittenen Herzinfarkt habe ich sehr gut überstanden. Nach Aussage der Ärzte ist die "Pumpe" ohne Schädigung geblieben. Mein Blutdruck und mein Puls hat sich wieder auf ein einem Level eingependelt, das mich an meine Zweitligazeiten erinnert. Alles in allem fühle ich mich wie "neugeboren".

Krennwurzn:
Das ist erfreulich zu hören! Dennoch war die Schachwelt vor dem Kongress doch sehr überrascht über die Rücktritte so vieler Präsidiumsmitglieder und auch dass Sie nach Ihrer Wiedergenesung als Präsident kandidiert haben, sehen viele als Anzeichen dafür, dass es neben möglicherweisen persönlichen Gründen auch massive sachliche Auffassungsunterschiede im Präsidium gegeben haben muss. Können Sie uns da ein wenig Ihre Sicht der Dinge darlegen?

Joachim Gries:
Das Präsidium ist "explodiert", die Auffassungen gingen in vielen Themen quasi diametral auseinander. Es war folgerichtig, dass fast das komplette Präsidium die "Reißleine" zog. Persönliche Interessen haben hierbei sicherlich ebenfalls eine Rolle gespielt. Für mich, für die anderen Kollegen kann ich nicht sprechen und möchte auch keine weitere Vermutung äußern, entscheidend waren in meinem Rechenschaftsbericht zwei Dinge, einerseits die Finanzkrise mit dem BMI, die noch nicht beendet ist, denn die Subsidiaritätsprüfung steht noch aus und andererseits mein Gesundheitszustand (Stand: Mitte/Ende Februar - damals befand ich mich noch in der Reha und konnte noch nicht absehen wie sich meine Gesundheit entwickeln würde).
Die Gefahr, die uns durch die Subsidiaritätsprüfung droht ist nicht absehbar, insbesondere könnte ein Ergebnis zwischen Komplettstreichung aller Zuschüsse bis zu minimalen Veränderungen herauskommen. Wer allerdings berücksichtigt, dass unsere Personalquote knapp unter 50% liegt und zwei Mitarbeiterinnen in ca. 12 Monaten wieder ihre Arbeit auf der Geschäftsstelle in vollem Umfang aufnehmen werden und wir dann mit größter Wahrscheinlichkeit auf über 50% steigen werden, weiß, dass bei solchen Prozentwerten die Gewährung von BMI-Mitteln in größter Gefahr sind. Darüber hinaus hatten wir vor kurzer Zeit eine Beitragserhöhung um 2 € durchgeführt mit der wir eigentlich die Erfordernisse für die nahe Zukunft lösen wollten. So wie es sich jetzt darstellt (siehe Kongressbeschluss - Vorlage eines neuen überarbeiteten Haushaltes), zeigt, dass diverse Haushaltspositionen massiv überarbeitet werden müssen (Kürzungen! oder gar Streichungen!), das gilt insbesondere auch für den Personalbestand auf unserer Geschäftsstelle, obwohl gerade hier in den letzten 24 Monaten diverse MitarbeiterInnen eingestellt wurden.

Krennwurzn:
Subsidiaritätsprüfung und Personalquote klingen ein wenig "technisch" und dürfen den Nichtfunktionären eher unbekannt sein, können Sie das unseren Lesern noch kurz erläutern?

Joachim Gries:
Eine Subsidiaritätsprüfung ist ein Verfahren/Mittel, das dem BMI zur Verfügung steht, um einen Verband zu überprüfen. Prüfkriterien sind zunächst u.a. die Prüfung der Struktur, wie z.B. Personal (Wie viele Stellen?), Kosten (Wie teuer ist das Personal?), Buchungen (Welche Gebühren/Kosten/Investitionen fallen an?), usw., im zweiten Schritt wird überprüft in welchem Verhältnis steht der Kostenfaktor "Personal" zu dem Gesamthaushalt. In unserem konkreten Fall haben wir ca. 450.000 € Personalkosten bei einem Gesamtvolumen von ca. 900.000 €. Das entspricht somit einer Quote von ca. 50%. Grundsätzlich sieht es so aus:

  1. jeder Sportverband, der Mitglied im DOSB ist wird in "olympisch" und "nichtolympisch" eingestuft. Die NOV (Nichtolympischen Verbände) werden im Vergleich zu den olympischen Verbänden deutlich geringer mit finanziellen Mitteln durch das BMI bezuschusst als die olympischen. Der DOSB ist diejenige Stelle, die dem BMI vorschlägt in welcher Höhe Zuschüsse erfolgen sollen.
  2. Wie bekannt, hatten wir im letzten Jahr einen heftigen Streit darüber, ob Schach weiterhin Fördermittel für den Leistungssport bekommt. Es ging damals nicht darum, ob Schach als Sport anerkannt wird oder nicht. Leider wurde in der Öffentlichkeit diese saubere Trennung nicht immer so exakt vollzogen.
  3. Sicher ist, dass wir, (die Auseinandersetzungen und die Einschaltung des Finanzausschusses des Bundestages sind sicherlich jedem bekannt) die Zuschussthematik insofern für uns zunächst positiv beenden konnten, dass die ursprünglich vorgesehene Komplettstreichung der Fördermittel (135.000 €) durch intensive Verhandlungen und Gespräche in eine Kürzung auf nur 93.000 € mündete.
    Nach den letzten Informationen (Stand: 09.Mai2015) aus dem DOSB müssen wir mit einer weiteren Kürzung auf ca. 80.500 € rechnen, da der "Verteilungstopf" (2,17 Millionen €) konstant bleibt, aber bedingt durch die Aufnahme weiterer nichtolympischer Verbände, der Anteil für jeden Verband damit kleiner wird.
  4.  Das BVA (Bundesverwaltungsamt) hat uns in den letzten 4 Jahren insgesamt 2-mal geprüft. Die zweite Prüfung "Nachprüfung" wurde nötig, weil es eine gewisse Anzahl von "Anmerkungen" gab, die wir zunächst abarbeiten/umsetzen mussten. Ein Punkt hierbei war u.a. der komplette Rückkauf der Anteile der Wirtschaftsdienst GmbH.
    Festzustellen ist, dass wir alle Auflagen erfüllt haben und deshalb zunächst auch weiterhin förderwürdig blieben. Angemerkt wurde bereits damals, dass wir nach Ansicht des BVA einen nicht unbedingt niedrigen Personalbestand haben (im Vergleich zu unserem Jahresbudget und in Bezug auf die Anzahl unserer Mitglieder).

Im vergangenen Jahr, als die Komplettstreichung der BMI-Mittel im Raume stand und wir in intensiven Gesprächen mit dem BMI standen wurde seitens des BMI unverhohlen damit "gedroht", zeitnah (in 2015 - vorausgesetzt, wir bekommen wieder Fördermittel) eine Subsidiaritätsprüfung durchzuführen. Aus Fällen, die in der Vergangenheit anderen Sportverbänden widerfahren sind und auch aus den Gesprächen im letzten Jahr beim BMI ist diese Quote für den DSB sicherlich eine "herbe Hypothek", die nicht unbedingt hoffungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Meine Einschätzung ist daher nicht unbedingt positiv, aber vielleicht haben wir auch einfach mal Glück!

Krennwurzn:
Die öffentlichen Kassen sind seit der Finanzkrise 2008 eher leer und nach dem nicht so optimalen Abschneiden bei der Sommerolympiade 2012 in London (für Deutschland gab es zu wenige Medaillen und für Österreich gar keine) wurde in vielen europäischen Ländern die Sportförderung kritisch hinterfragt und da Schach sowohl medial als auch im Spitzenbereich nicht liefern kann, erscheinen mir Kürzungen in erster Lesung einmal logisch. Blickt man dann aber tiefer und denkt an Einstein, der sagte Schach ist das Spiel, das die Verrückten gesund hält, und nimmt die pointierte Formulierung verrückt aus dem Spiel, dann bleibt doch die Erkenntnis, dass man vom Schach viel Positives ins praktische Leben mitnehmen kann. Kurz gefragt: Setzen wir mit unserer Spitzenschachorientierung nicht aufs falsche Pferd oder fallen wir als reiner Breitensportverband aus den Fördertöpfen?

Joachim Gries:
Die Entwicklung im olympischen Bereich ist gelinde gesagt "Unerträglich"! Warum formuliere ich dies so negativ? Antwort: Die olympischen Verbände schließen im Vorfeld der Olympiade mit dem BMI sogenannte "Zielvereinbarungen"/"Erwartungsverträge" ab, die ihre Berechtigung nur daraus ableiten, dass nach Ablauf der Olympiade das eingetretene Resultat jedes(r) AthletenIn evaluiert wird. Konkret bedeutet dies, dass die möglichen Medaillenränge in ein Punktesystem übertragen werden und dann festgestellt wird, ob die Erwartungen erfüllt wurden. Ein solches Verfahren ist zwar auf den ersten Blick transparent, aber auf den zweiten Blick entstehen bei dem kritischen Beobachter doch Bedenken:

  1. Die Sportler "opfern"/"investieren" extrem viel Zeit in ihren Sport (vielfach können sie keinen Beruf ausüben und leben von der Sporthilfe), um sich in der Weltspitze zu etablieren. Allerdings sind alle nur Menschen, d.h. Magenverstimmung, "mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden", Wetterfühligkeit, besonderer Stress bei Olympiade, etc. sind Faktoren, die nicht planbar sind und demzufolge eigentlich auch entschuldbar sein müssten. Aber eine Entschuldigung für VERSAGEN gibt es formal gesehen nicht, denn das Nichterreichen der erwarteten und damit förderungswürdigen Platzierung führt zur Kürzung/Streichung der Zuschüsse.
  2. Wenn also die Spitzenverbände einem solchen "Druck" durch das BMI ausgesetzt sind, herausragende Platzierung mit ihren Sportlern erreichen zu müssen, ist es nur allzu verständlich, wenn die Verantwortlichen alles unternehmen, um eine maximale Leistung des Athleten zu ermöglichen und die Athleten noch zusätzlich mit der Drohung unter Druck setzen, welche Konsequenzen damit verbunden sind, wenn sie nicht die gewünschte Platzierung erreichen. Wie nahe wir uns in einer solchen Situation beim Doping befinden, kann wahrscheinlich fast jedermann ahnen/bzw. nachvollziehen.
  3. Wie paradox unsere Gesellschaft beim Thema Doping handelt lässt sich auch daran ermessen, dass einerseits ein Weltrekord/Olympiasieg quasi gefordert wird und andererseits das Erreichen eines solchen Titels mit Unterstützung durch Dopingmitteln mittlerweile nicht nur juristisch, sondern auch ethisch-moralisch in der Gesellschaft als verwerflich angesehen wird. "Gefeiert wird der Sieger - dann ist er Superstar, andernfalls, falls ihm Betrug nachgewiesen werden kann "Verräter an den Werten der Gesellschaft". Dazwischen scheint es in unserer Gesellschaft nichts mehr zu geben. Ein guter 6. Platz ist der berühmte "Blechplatz" und keiner weiteren Erwähnung würdig.

Alle Spitzensportler bewegen sich in einem Umfeld, das höchste psychische und physische Anforderungen stellt. Ein "Versagen" gehört nicht zum Vokabular, obwohl gerade dies uns die Chance eröffnen würde, sie die Spitzensportler etwas sympathischer und menschlicher wahrzunehmen. Leider verfahren viele Medien immer noch nach dem Prinzip "Bad News are good news!" und ein Platz "unter ferner liefen" ist nicht einmal eine Meldung wert. Versucht man Schach in diesem Problemfeld "Profi - Amateur" zu verorten wird schnell klar was in unserem Sport unbedingt geklärt werden muss. Seit Jahren "drückt" sich der DSB vor der Klärung der Frage: " Wann sehe ich einen Sportler als Amateur und wann als Profi an?"

Insofern müsste sich der Schachbundesliga e.V. und der DSB zusammensetzen und eine tragfähige Struktur/Profilizenz, etc. auf den Weg bringen. Die Förderung des Nachwuchs-Spitzenschachs, z.B. das "Schachjahr für Matthias Blübaum und Dennis Wagner" (übrigens eine Drittelfinanzierung zwischen DSB/Sponsor/Eltern) hat sich insofern bewährt, als die gesetzten Ziele nicht nur erreicht, sondern sogar teilweise überboten wurden. Eine Fortschreibung solcher Förderkonzepte ist anzustreben, da sie nicht nach dem "Gießkannenprinzip", sondern konkret an Einzelpersonen und mit einem überschaubaren Finanzaufwand umgesetzt werden.

Der Unterstützung von großen Turnieren, wie z.B. Dortmund, Baden-Baden stehe ich deutlich skeptischer gegenüber, z.B. deshalb, da die "Startgelder" für deutsche Nationalspieler bei solchen Turnieren die Fördermittel für das Schachjahr unserer Prinzen überstiegen. Insofern sehe ich die Investitionen in unsere Nachwuchsspieler mit einer höheren Priorität, als Möglichkeiten zu eröffnen, dass unsere Spitzenspieler gegen Weltklassespieler antreten können.

Fazit:
Die gleichzeitige Förderung des Spitzensportes und des Nachwuchsleistungssportes gehören unabdinglich zu den Aufgaben eines Sportverbandes. Der Breitensport, zu dem wir in unserem Verband fast 99% unserer Mitglieder zählen müssen, hat ein Anrecht darauf in seiner Sportentfaltung gleichberechtigt neben dem Spitzensport zu stehen. D.h. auch in diesem Segment müssen Finanzmittel bereitgestellt werden, so dass neben der Mitgliedergewinnung auch die Mitgliederbindung sichergestellt werden. Projekte zu diesen Themen gibt es unzählige, umso wichtiger ist es, diese Aktivitäten zu stützen und zu fördern. Es ist nicht nötig große Workshops oder Akademien zu organisieren, hilfreich und notwendig ist es unseren Vereinen Materialien an die Hand zu geben mit denen sie die Vereinsarbeit/die Alltagsarbeit besser und effektiver bewältigen können.

Krennwurzn:
Immer öfter hört man bei Schachfreunden, dass man "die da oben" ohnehin nicht wirklich braucht, es gibt so viele Möglichkeiten Schach zu spielen und Vereine und Verbände sind sowieso überholt und nicht mehr zeitgemäß beziehungsweise kommt auch die Aussage: pfeifen wir auf die Förderungen und Spitzenschach und zahlen uns den funktionierenden Rest (Mannschaftsmeisterschaften) einfach selbst.

Joachim Gries:
Diese provokante Aussage passt zu der großen Anzahl "der Nichtwähler" bei Wahlen im Bund oder in den Bundesländern. Es ist mittlerweile bei vielen Schachspielern in den Vereinen (an der Basis), tatsächlich so, dass "die da oben" als nicht unbedingt nötig angesehen werden. Vielfach ist dies dem Umstand geschuldet, dass Projekte und Themen aufgegriffen werden mit denen sich die Basis nicht identifizieren kann, bzw. überhaupt keinen Bezug dazu hat. Es wird sehr oft darüber geklagt, dass sich der Verband doch endlich um die Belange der Vereine kümmern möge. Diese Aussage lässt sich an vielen Regeländerungen der Vergangenheit exemplarisch nachvollziehen:

  1. Abschaffung der Hängepartien - Aufschrei der Schachspieler, "Das Schachspiel droht zu sterben"
  2. Abschaffung der "langen Bedenkzeit" -Die Qualität der Partien geht verloren!
  3. Abschaffung von Alkoholika, Zigaretten - Warum müssen wir dies mitmachen!
  4. Handyklingeln - Was soll so ein Unsinn!
  5. Mitbringverbot von Handy, Smartphone, etc. - Ich will doch gar nicht betrügen?
  6. Einführung der Fischerbedenkzeit - Wir haben nur mechanische Uhren, wollen die uns ruinieren?

Die Aufzählung ist sicher unvollständig. Es gibt noch viel mehr Themen, die für Irritationen sorgen und dazu beitragen, dass die Basis sich nicht mehr im Fokus der zuständigen Funktionäre fühlt. Umso wichtiger ist es für unsere Vereinen, die die wichtigste Rolle innehaben, denn sie sorgen und kümmern sich darum, dass neue Mitglieder geworben, vorhandene Mitglieder an den Verein gebunden werden, Nachwuchs gefördert wird und last but not least ein "VEREINSLEBEN" tatsächlich praktiziert wird, Die verantwortlichen Funktionäre dürfen dies niemals vergessen. Eine gute Verbandsentwicklung wird sich intensiv der Probleme und Aufgaben der Vereine stellen müssen, wie z.B. keine kostenfreie Nutzung mehr von Spielräumen (insbesondere in Ballungsräumen), kaum Nachwuchsspieler [weil es keine Trainer, bzw. Spieler gibt, die dies Aufgabe ausfüllen können], das Vereinsturnier (Vereinsmeisterschaft) kommt nicht mehr zu Stande, weil die meisten Spieler keine freien Spielabende haben (sie spielen meistens parallel in weiteren Vereinen mit), usw. Die Liste kann beliebig verlängert werden, besonders dann, wenn man zusätzlich die Internetangebote hinzufügt, die jedes weltweites Schachspiel "rund um die Uhr" ermöglichen. Der Begegnungscharakter, die persönliche Präsenz am Brett, das Gespräch, das "gemeinsame Bier", die gemeinsamen Vereinsabende treten deutlich in den Hintergrund. Wir entwickeln uns zunehmend in einem immer schnelleren Maße zu EINZELGÄNGERN, die sich vielleicht noch zu einem Mannschaftswettkampf treffen, aber spätestens danach wieder in alle Himmelsrichtungen auseinandergehen. Gemeinsame Partieanalysen am realen Brett finden nur noch selten statt. Verbandsentwicklung unter diesem Aspekt gesehen, muss bewirken, dass die Vereinsmitglieder wieder regelmäßig in den Verein kommen 

Fazit:
Wir müssen glaubhaft machen, dass wir uns für die Belange unserer Vereine interessieren und bei der Lösung von Problemen helfen wollen und KÖNNEN. Wir benötigen Vereinsberater, die langjährige Erfahrungen in der Vereinsorganisation erworben haben und sich den aktuellen Fragestellungen nicht verschließen.

2015JoachimGries

Krennwurzn:
Ein heißes Thema sind auch Einzelmeisterschaften und Spitzenturniere

Joachim Gries:
Was mich besonders bewegt, das habe ich auch in meinem mündlichen Rechenschaftsbericht vor dem Kongress ausgeführt, ist die Durchführung/Organisation unserer deutschen Meisterschaften. Wir haben seit Jahren eine sinkende Anzahl von Bewerbern für die Durchführung von deutschen Meisterschaften. In den letzten Jahren sind deshalb Herbert Bastian (Saarbrücken) Michael S. Langer und Michael Woltmann (Verden) im Langschach und ich (Gladenbach) im Schnellschach - Männer und Frauen- als Ausrichter eingesprungen. Dass ein solcher Zustand nicht zum Dauerzustand werden darf ist wahrscheinlich nachvollziehbar. Notwendig wäre an dieser Stelle deshalb eine Erhöhung des DSB-Zuschusses an die potentiellen Ausrichter. Leider ist eine solche Erhöhung in den letzten Jahren nur in unzureichender Höhe erfolgt. Wir liegen trotz leicht erhöhter DSB-Zuschüsse immer noch in einem Bereich von mindestens 10.000 € den der Ausrichter aufbringen muss. Kleine Vereine, die keinen Sponsor/Mäzen haben laufen Gefahr sich finanziell zu "übernehmen". Das kann nicht im Interesse des DSB liegen. Eine Gegenfinanzierung muss zwingend durch Umschichtung erfolgen.

Ich stand mit diesem "basisorientierten Ansatz" (Unterstützung unserer Vereine bei der Durchführung von deutschen Meisterschaften) ziemlich allein. Die Erhöhung der Zuschüsse für deutsche Meisterschaften fiel im Vergleich zur Unterstützung von Turnieren, wie z.B. Baden-Baden und Dortmund, sehr bescheiden aus.

Krennwurzn:
Da kann die Krennwurzn mal ganz unverschämt Ihre Boshaftigkeit ausleben: Ist nicht die Problematik jene, dass sowohl der Deutschen Meisterschaften und der Bundesliga Geld und Teilnehmer fehlen und man immer wieder sisyphosartig versucht Formate, die sich nachweislich am Markt bei den Schachspielern und -fans nicht durchsetzen, künstlich am Leben zu erhalten?

Joachim Gries:
Für die Organisation der Bundesliga möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen, denn dies ist der Zuständigkeitsbereich des Bundesliga e.V. und die Vereine regeln und besprechen ihre Organisationsstruktur dort in regelmäßigen Abständen in ihren turnusmäßigen Treffen. Dort werden neue Organisationsformen diskutiert und thematisiert und nach entsprechendem Beschluss in der Praxis erprobt.
Zu den deutschen Meisterschaften habe ich bereits eine ganze Menge in meinem Rechenschaftsbericht in der Kongressbroschüre gesagt. Zusammenfassend kann ich festhalten:

  1. Die Bezuschussung für den Ausrichter ist zu niedrig
  2. Die Durchführung und Organisation unter den momentanen Rahmenbedingungen ist ländlich strukturierten Regionen vorbehalten. Ballungsräume kommen nur dann in Frage, wenn dem Ausrichter ein Sponsor zur Seite steht

Krennwurzn:
Kommen wir zum Schluss noch zum heftig diskutierten Thema FIDE

Joachim Gries:
Wie schon in anderen Bereichen auch war sich das Präsidium bezüglich FIDE-Kongress Tromsö (Iljumschinow vs. Kasparow) uneins. Ich vertrat damals, wie auch heute, die Position, dass beide Kandidaten nicht vom DSB wählbar waren und zwar deshalb, weil beide nicht nur dem Korruptionsverdacht ausgesetzt waren, sondern nachweislich auch mit Korruption gearbeitet haben. Ein Verband, der solche Kandidaten unterstützt rückt sich damit selbst in die Nähe der Korruption. Der DSB war und sollte auch weiterhin ein Verband sein in dem das Wort Korruption und seine damit verbundenen Aktivitäten geoutet sind.

Krennwurzn:
Da teile ich Ihre Ansicht, dass beide Lager nicht wählbar waren! Allerdings verstehe ich auch den Ansatz von Herbert Bastian dennoch in die Institutionen zu gehen, weil man mit dem Oppositionskurs der letzten Jahre genaugenommen nichts erreicht hat. Welche alternativen Möglichkeiten gäbe es noch - ein FIDE Austritt demokratischer Föderationen?

Joachim Gries:
Ob Herbert Bastians FIDE - Weg der richtige ist, wage ich zu bezweifeln. Das Argument, nur das Beste für das deutsche Schach im Auge zu haben, muss erst bewiesen werden. Die Nichtberücksichtigung deutscher SR bei der Schacholympiade in der Türkei (wegen Rechtsstreitigkeiten zwischen FIDE und den Unterstützern von Karpow) ist ein Beweis für "die harte Haltung gegenüber Kritikern". Auch die Forderung/Angebot an den DSB mit Zahlung einer Summe X die Beziehungen zwischen DSB und FIDE wieder in geordnete Bahnen zu lenken - ist kein Freundschaftsdienst und im Prinzip ein "NO GO".

Die Annäherung, die von Herbert Bastian vollzogen wurde - erscheint nicht wenigen Schachspielern in Deutschland als ein "Opfern deutscher Positionen - gegenüber der FIDE". Die Ausführungen zur Korruption möchte ich nicht wiederholen!

Die Position des DSB lässt sich auch in der NEUTRALEN Rolle manifestieren. Wir haben es nicht nötig auf "Schmusekurs" mit Präsidiumssitz in der FIDE zu äugen. Die geschäftlichen Beziehungen (Finanzen, ELO, Titel, etc.) laufen über das FIDE-Büro und sind absolut unabhängig von irgendwelchen Funktionen in der FIDE.
Die Kontakte in der ECU und im westlichen Europa sind seit Tromsö nicht mehr die besten und bedürfen der Verbesserung. Hier sind bilaterale Gespräche dringend notwendig (siehe Aussage Michael S. Langer bei ChessBase).

Der langfristige Aufbau eines Kandidaten ist in der Vergangenheit gescheitert. Alle Versuche Iljumschinow zu entmachten sind gescheitert. Ein Austritt aus der FIDE ist aber dennoch nicht nötig, denn die Chaoszustände in den 1990 - 2005-er Jahren sind überwunden. Die Infrastruktur funktioniert, der Präsident ist umstritten. Die Föderationen können aber ihren Aufgaben nachkommen.
Allerdings kann es passieren, dass Entscheidungen getroffen werden, z.B. die Vergabe der Blitz- und Schnellschachweltmeisterschaft nach Berlin 2015, ohne dass dies dem DSB-Präsidenten bekannt gegeben wurde, obwohl er zum gleichen Zeitpunkt in China weilte. Der DSB ist zwar nicht Ausrichter, aber es müsste eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein den zuständigen Präsidenten der betroffenen Föderation zu informieren, insbesondere dann, wenn er außerdem Vizepräsident der FIDE ist.

Ein Zusammenschluss, eine Kooperation mehrerer Föderationen zu einer Interessengemeinschaft ist denkbar, aber nicht außerhalb der FIDE. Das "Hochhalten demokratischer Strukturen" und die Unterstützung bedürftiger Mitglieder (ohne Korruptionsinteressen) kann ein Weg sein langfristig in der FIDE Veränderungen einzuleiten. Gegenseitiger Respekt, Vertrauen und Offenheit müssen Grundlage der angestrebten Kooperationen sein. Politisches Taktieren, Lavieren, diplomatisches Geplänkel sind kontraproduktiv.

Krennwurzn:
Sie sagten Sie sehen die Kandidatur jetzt ambivalent – wie ist Ihr persönliches Verhältnis zum Präsidenten heute?

Joachim Gries:
Mit Herbert Bastian verband mich eine langjährige persönliche Freundschaft, aber in den letzten Jahren und Monaten haben wir durchaus unterschiedliche Einschätzungen von Sachfragen entwickelt. Er stieß in der Vergangenheit eine Vielzahl von Ideen und Projekten an, die er mit viel Engagement und Kreativität vorantrieb, die den DSB zum Teil finanziell stark belasteten, vergaß aber leider dabei, dass es im DSB möglicherweise wichtigere "Baustellen" gab (deutsche Meisterschaften - ausgeglichenen Haushalt, etc.)

Krennwurzn

Anonymer aber dennoch vielen bekannter kritischer Schachösterreicher! Ironisch, sarkastisch und dennoch im Reallife ein netter Mensch - so lautet meine Selbstüberschätzung! Natürlich darf jeder wissen wer die Krennwurzn ist und man darf es auch weitererzählen, aber man sollte es nicht schreiben, denn die Krennwurzn hat so eine abkindliche Freude damit „anonym“ zu sein – lassen wir ihr doch bitte diese Illusion!

Motto: Erfreue Dich am Spiel, nicht an der Ratingzahl! Das Leben ist hart, aber ungerecht (raunzender Ösi)!
 

Kommentare   

#1 Olaf Steffens 2015-05-26 14:35
Ein kluges Interview mit starken Gedanken, wo man Schwerpunkte setzen kann in der Schachförderung. Vielen Dank für die interessanten Details, und an Krennwurzn und Joachim Gries für diesen Beitrag!
#2 Dennis Calder 2015-05-31 13:26
Krennwurzn kriegt sie alle - wie wir seit dem Blatter Sepp wissen, gibt es dafür verschiedene Wege...
Aber im Gegensatz zum Schweizer stellt er auch noch unangenehme Fragen und bekommt darauf Antworten mit Inhalt! Und er stellt Fragen, die die Leser interessieren... Davon hat der Blatter Sepp keine Ahnung. Hut ab, Herr Alpenländler! Gute Arbeit!

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