Medienecho zur Nordsee-WM

Weltmeisterschaften ohne Ende: zunächst die von Olaf Steffens erwähnte Harz-WM in, natürlich, Bad Harzburg, dann ein kleines Turnier am Indischen Ozean, dann ein etwas grösseres für Mannschaften am Mittelmeer, dann ein noch viel grösseres in der Wüste von Al Ain. Aus diversen Gründen war ich nie dabei: Bad Harzburg kannte ich nicht, für Chennai bin ich nicht gut genug, bei der Mannschafts-WM wurde ich - warum auch immer - nicht eingeladen (weder für Deutschland noch für die Niederlande), und für die Wüsten-WM war ich schlichtweg fast 30 Jahre zu alt. Höchste Zeit, dass ich auch mal eine WM spiele - die Chance ergab sich gleich um die Ecke. Das Titelbild (und die Tatsache, dass nicht Olaf, sondern ich diesen Artikel schreibe) weist darauf hin, dass es keine Veranstaltung in oder nahe Bremen war sondern an der entlegensten Nordsee-Peripherie.

Bei dieser WM - ein Mannschaftskampf der siebten holländischen Liga - war der Eloschnitt für beide Teams immerhin etwa 1800:

14-12-2013 M.S.C. (Den Helder)  -  En Passant (Texel) 2½ - 5½
1 6059889  Tom Adriaanse  1838  -  8383694  Mohamed Al-Rawy  1819 0-1
2 7134204  Reinier Weber  1978  -  6244502  Jaap Dros  1902 ½-½
3 6882315  Richard Bolster  2002  -  8496213  Joop Rommets  1849 1-0
4 6583764  Henk Bermon  1841  -  6095771  Gert Both  1904 0-1
5 7025777  Evert Bergman  1820  -  8039955  Thomas Richter  1953 0-1
6 7526937  Niels de Haan  1711  -  7602177  Jaap de Wijk  1714 0-1
7 7817909  Hans Dielissen  1665  -  7518269  Piet Bakelaar  1586 0-1
8 8468966  René Geus  1678  -  7295134  Piet Cornelisse  1531 1-0
   1816    1782  

Warum war das trotzdem eine Weltmeisterschaft, und nicht etwa in der Altersklasse U8? Das Foto unten beweist, dass alle Protagonisten etwas älter sind (der älteste ist 79). Natürlich ist das Blödsinn - es war nur ein brisantes (aber sportlich absolut faires) Lokalderby [Den Helder ist der Fährhafen am Festland], in dem womöglich eine Vorentscheidung über die Meisterschaft in dieser Spielklasse fiel, nicht mehr und nicht weniger. Aber in der 'gegnerischen' Lokalpresse (Helderse Courant) wurde es vor- und hinterher fast so ausführlich behandelt wie anderswo die WM in Chennai. Das ist der Vorbericht, und das der Artikel hinterher (wir haben das jeweils für die Vereins-Homepage übernommen). Was braucht Schach, um in allgemeinen Medien erwähnt zu werden - auch wenn kein Skandal mitspielt? Vielleicht zwei Dinge: 1) Themen von lokalem (regionalem, nationalem) Interesse [ob ein norwegischer Weltmeister dauerhaft Medienpräsenz garantiert - für Schach statt nur für ihn selbst - bleibt abzuwarten] 2) Journalisten die sich ein bisschen auskennen und, da Mitglied der Redaktion, Artikel unterbringen können. Ausserdem spielt wohl eine Rolle, dass im "Kop van Noord Holland" sonst nicht immer allzu viel passiert - ein Schachfreund schrieb mir per email "In Den Haag ist es nachvollziehbarer Weise schwieriger, in die Zeitung zu kommen."

Peter van Couwenhoven, Autor beider Artikel, ist selbst Amateur-Schachspieler für einen anderen Verein in derselben Spielklasse. Er hat sich ziemlich reingekniet - vorher beide Mannschaftsführer angerufen und am Spieltag gut vier Stunden vor Ort dabei. Ich will nur ein paar Dinge übersetzen. Vor zwei Jahren hatte Den Helder noch 7-1 gewonnen (und wurde am Ende Erster und Aufsteiger in dieser Klasse, Texel war Zweiter) - damals hatte ich die traurige Chronistenpflicht, für unseren Texelschen Courant einen kleinen Artikel zu schreiben. Generell ist MSC (steht übrigens für "Morphy Schaakmat Combinatie") Den Helder Fahrstuhlmannschaft , die abwechselnd in der ersten und zweiten regionalen Klasse antreten darf oder muss. Daher wurde der Secretaris von MSC auch so zitiert: "Wir haben genug Qualität für die erste Klasse. Das ist wieder unser Ziel. Wir sind sehr zuversichtlich, diese Ambition zu realisieren. Letztes Jahr hatten wir Pech, dass öfters viele Spieler absagen mussten." Unser Vorsitzender dagegen: "Aufstieg wäre schön, aber beschäftigt uns nicht wirklich. Es ist für uns kein 'must'. Oft können wir nicht mit dem stärksten Team antreten [auch diesmal fehlten zwei Stammspieler aus beruflichen Gründen]. Letztes Mal haben wir hier hoch verloren. Das wird diesmal nicht passieren, aber ob wir gewinnen? Dann muss alles stimmen. Schau'n mer mal.

Das Ergebnis kennt der Leser bereits: Wie in Chennai war es - auf gut Russisch - odnovorotnim (einseitig), und das Team aus dem Norden hat klar gewonnen. Selbst 7-1 war möglich, denn die beiden Siege für Den Helder waren etwas glücklich und davor stand es schon 5,5-0,5. Unser Brett 3 hat in besserer bis gewonnener Stellung in aller Seelenruhe die Zeit überschritten da er dachte, die Zeitkontrolle sei bereits geschafft [ich wusste als Kibitz Bescheid, sah die Sekunden herunterticken aber konnte nicht eingreifen ...]. Und Brett 8 "fand" im Remisendspiel mit ungleichfarbigen Läufern den einzigen Verlustzug. Peter van Couwenhoven schrieb dann auch "Ver van Status van topper" (kein Topwettkampf, da zu einseitig).

Bevor ich nochmals auf diesen Kampf und diese Spielklasse eingehe, ein kleiner Ausflug in höhere schachliche und journalistische Regionen. Gibt es noch mehr schachspielende fest angestellte Journalisten, die - neben anderen Dingen - in ihrer Zeitung auch über Schach schreiben? In Deutschland zumindest Ulrich Stock für "Die Zeit" und Hartmut Metz vom Badischen Tagblatt. Hartmut, mit dem ich gelegentlich email-Kontakt habe, erwähnte noch Norbert Wallet (Stuttgarter Nachrichten) sowie Martin Breutigam und "unseren" Stefan Löffler - wobei die letzten beiden wohl Freelancer sind die auch des Geldes wegen über Schach schreiben [natürlich absolut nicht vorwurfsvoll gemeint!]. In den Niederlanden will ich noch Wim van der Wijk erwähnen (nationale Elo 2143, spielt für den ehemaligen Topverein Hilversum) und die folgende nette Geschichte auf der ohnehin (sofern man Niederländisch lesen kann) interessanten Seite schaaksite.nl. Kurzfassung: Er wunderte oder beschwerte/beklagte sich, dass seine Zeitungen (er schreibt für einen Verbund regionaler Zeitungen) gar nicht über die WM in Chennai berichteten. Das lag daran, dass sie von ANP (niederländische dpa) ziemlich ignoriert wurde. Dann schrieb er eben selbst einen Artikel - den ersten in der Mittagspause, danach durfte er auch einen Teil seiner Arbeitszeit für Schach ver(sch)wenden. Solche Leute braucht das Schach - es gibt sicher noch mehr, weitere Namen gerne per Kommentar.

Zurück in meine Region: Beim derzeitigen Stand in der "Tweede Klasse A NHSB" müssen wir uns anstrengen, um nicht aufzusteigen. Ob wir wirklich aufsteigen wollen ist ein bisschen unklar - das hiesse nicht nur stärkere Gegner sondern auch weitere Reisen. Ausserdem haben wir 2006/2007 schon einmal in der ersten Klasse gespielt und sind dann sehr souverän wieder abgestiegen - allerdings hatten wir damals zwei Spieler mit Elo über 1800, derzeit haben wir deren sieben.

Noch ein Foto vom Mannschaftskampf - auch vom Helderschen Courant:

20131214 msc enpassant

Ich selbst ganz links ein bisschen abgeschnitten in Denkerpose - meine Partie war durchaus kompliziert und hing vorübergehend am seidenen Faden:

Diese scharfe Variante im Franzosen (zumindest bis 10.Kf2 Theorie) spielte ich zuletzt vor gut 15 Jahren - während meiner Zeit in Bordeaux anno 1998 hatte ich gegen einen etwa gleichwertigen Vereinskollegen diverse Blitzpartien, in denen meistens der gewann der zwischendurch schlechter stand. Das schwarze Figurenopfer war thematisch und korrekt - wenn er richtig weiterspielt muss (laut Houdini) eher Weiss aufpassen, erst nach 16.-Sxd4? (viel besser 16.-Lxh3+ und 17.-Tad8) bekam ich Oberwasser. Ich habe dazu (also) Houdini befragt, verzichte hier aber auf Details.

Hinterher sagte ein Teamkollege, dass er schon dreimal gegen Bergman spielte und dass der "immer" opfert, auch wenn es total inkorrekt ist. Hätte ich das vor der Partie gewusst, dann hätte ich sie anders angelegt. Da mich diese Partie ziemlich beschäftigte - auch noch in der Phase wo ich nur noch nichts mehr anbrennen lassen musste - kann ich nicht beurteilen wie souverän die anderen Siege ausfielen.

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