Schach - der Billigsport!

In den vergangenen Wochen thematisierten wir diverse Missstände im deutschen Schach und stießen damit erfreulicherweise auf positive Resonanz bis in die oberen Etagen unserer Schachpolitik. Erhellende Leserkommentare und weiterführende Kontakte zu Funktionären zeigten jedoch auf, dass es zu einfach wäre, den schwarzen Peter einzig dem Deutschen Schachbund in zuzustecken. Oftmals ist dieser aufgrund seiner ehrenamtlichen Struktur zu sehr limitiert, um für das Schach zukunftsträchtige Konzepte aufzubauen und umzusetzen. Zwar hält der weltweit drittgrößte Verband einen beispiellosen Spielbetrieb am Laufen, doch darüber hinaus funktioniert wenig.
Kein Wunder, denn die Unterstützung durch die Mitglieder fällt mit sage und schreibe 8,00 € pro Jahr kaum messbar aus - keine rosige Ausgangslage für vernünftiges Wirtschaften und prosperierende Schachlandschaften..

Zusammen mit den Österreichern scheinen wir allein auf weiter Flur zu stehen. Zum Vergleich: Die Holländer erzielen mit einem Viertel an Mitgliedern ähnlich hohe Einnahmen. Sie fordern mehr als 33 €/Jahr ein, die Schweizer sogar 68 CHF, was ca. 51 € entspricht. Die Beiträge des französischen Verbandes sind mir nicht bekannt, doch erhält er zusätzliche Zuwendungen eines Sponsors in Höhe von 200.000 €, so dass hier sogar ein kleines Gehalt von 2.000 €/Monat an den Präsidenten gezahlt werden kann. Die ersten drei Länder meiner Recherche spielen in einer anderen Dimension, weshalb ich hier weitere Nachforschungen desillusioniert abbrach. Vielleicht können unsere Leser noch weitere Daten beitragen.

Schach in Deutschland ist auf ein Billiggleis geraten. Der Kostenvergleich mit anderen Sportarten fällt sehr einseitig aus: Wir brauchen zur Ausübung keine besondere Kleidung oder Ausrüstung. Platz- oder Hallenmiete fällt ebenso wenig wie Verbrauchsmaterial an. Ein Plastikbrett mit Figuren kostet 15 € und hält die nächsten 20 Jahre, doch auch dieses hat wohl noch nicht einmal jeder Zweite zu Hause. Auch  Schachtraining ist unpopulär, einzig im Bücher- und DVDkaufen scheinen wir weit vorne zu liegen. Geschätzt geben wir im Schnitt vielleicht 100-150 € für unseren Sport aus. Das reicht noch nicht einmal für einen Tennisschläger, Skier, eine Golfausrüstung oder Futter fürs Pferd.
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Doch wie erwecken wir das deutsche Schach aus diesem ehrenamtlichen Dornröschenschlaf?

Hier eine Anregung:
Vieles sollte über lokale Initiativen laufen, doch ohne Rückendeckung von oben wird es für alle schwierig. Der Schachbund muss deshalb in die Lage versetzt werden, die allgemeinen Rahmenbedingungen zu verbessern. An einer Anhebung der Mitgliedsbeiträge auf ein deutlich höheres Niveau führt deshalb kein Weg vorbei: z. B.  in zwei Stufen – zunächst um 6 auf 14 € und anschließend um weitere 6 auf 20 €
Schon bei einer Anpassung um 50 ct stehen jedoch wilde Diskussionen auf der Agenda. Dabei lassen einige außer acht, dass der Schachbund nicht wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen gewinnorientiert arbeitet, sondern als Zielsetzung haben muss, Schach populärer zu machen. 
Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass es so nicht weitergehen kann. Es bleibt nur dieser unbequeme Weg, bei dem man es naturgemäß nicht allen rechtmachen kann.
Oberste Priorität besteht dabei jedoch, den Mitgliedern den Mehrwert der Maßnahme zu vermitteln.
Das Geld, nennen wir es „Notopfer Schachbund“, kann in erster Linie dazu dienen, Schach nach außen hin attraktiver zu machen und die sich verstärkende Mitgliedererosion in den Vereinen zu stoppen. Es gilt das gute Image des Schachspiels den Menschen näherzubringen und das mäßige der Schachspieler aufzubessern. Ein großer Teil sollte deshalb in die Schaffung professioneller Vollzeitstellen fließen und für Marketing und Sponsorenakquise verwendet werden. Z. B.  auch in einen repräsentativen Internetauftritt.
Mir ist bewusst, dass nicht jeder bereit sein wird, 50 ct bzw. 1 €/Monat zusätzlich für das deutsche Schach auszugeben und es vereinzelt  deshalb zu Austritten kommen kann. Doch bin ich davon überzeugt, dass ein professionelles Auftreten den Sport beleben und uns aus der aktuellen Misere befreien könnte. Dabei erscheint es auch vertretbar, das Risiko eines kurzfristigen Mitgliederschwundes einzugehen. z. B. 5.000 Mitglieder zu verlieren, wenn die Chance auf 20.000 neue besteht. Die Zukunft des gesamten Sports muss im Vordergrund stehen und nicht die Interessen einiger weniger. Bei der aktuellen Tendenz verlieren wir diese 5.000 übrigens auch, wenn wir nichts tun….
Jörg Hickl

Großmeister, Schachtrainer, Schachreisen- und -seminarveranstalter.
Weitere Informationen im Trainingsbereich dieser Website
oder unter Schachreisen

Webseite: www.schachreisen.eu

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