Vlastimil Hort wird 70

Vlastimil Hort 2012 Vlastimil Hort 2012 Anežka Kružíková (www.praguechess.cz)

Eine lebende, immer noch recht aktive Schachlegende feiert heute einen runden Geburtstag. Ich schreibe dazu aus meiner Perspektive: ein Amateur, der Hort nie persönlich begegnet ist und (da zu jung) seine Karriere nur teilweise mitbekommen hat - aber dazu gibt es ja genug öffentliche (u.a. Wikipedia) und auch noch nicht-öffentliche Quellen. Aufhänger ist, wie ich Hort zunächst 'begegnete' bzw. ihn registriert habe - im Fernsehen.

Von 1983 bis 2005 gab es im Westdeutschen Rundfunk die jährliche Sendung "Schach der Grossmeister". Eingeladen wurden jeweils zwei Spieler, z.T. Weltklasse (ich nenne nur die [Vize-] Weltmeister Karpov, Kortschnoi, Kasparov, Kramnik, Anand und Leko - der Vollständigkeit halber noch Kasimdzhanov), z.T. deutsche Spieler, z.T. (jedenfalls Hübner und Jussupow) waren sie beides. Zweimal war auch "unser" Jörg Hickl dabei, 1988 gegen Susan Polgar die sich damals noch Zsuzsa nannte, und 1999 gegen Jussupow. Kommentiert wurde das meistens vom Duo Helmut Pfleger und Vlastimil Hort, letzterer auf seine Art und in seinem Deutsch: "beste Zug ist Springer zäh drei nach eh finf, leider gägän die Rägäl!". Dass es diese Sendung gut 20 Jahre lang gab (beim letzten Mal spielten Hort und Pfleger gägäneinander) zeigt, dass sie bei Redaktion und Publikum gut ankam. Es gab auch noch andere Fernsehsendungen: Dirk Paulsen erwähnte Horts Reaktion, als Doc Hübner im Kandidatenfinale gegen Kortschnoi einen Turm einstellte: "Helmut, mein Freund, wenn du machst eine solche Zug, das ist wie Ärdbäbän." Ich meine mich zu erinnern, dass Hort auch mal in Wijk aan Zee (auf Englisch) kommentiert hat, kann mich aber irren. Chessvibes erwähnt jedenfalls, dass er - wie auch Ljubojevic - 2013 dort vorbeischaute, und auch bei den Amber-Turnieren war er mitunter Ehrengast.

banner-seminarturnier300-anz2014Daneben oder vor allem davor war Hort selbst Weltklassespieler, 1977 eine Zeit lang Nummer 7 der Weltrangliste, und mehrfach Teilnehmer von Interzonenturnieren. 1967 verpasste er die Qualifikation für die Kandidatenmatches nur knapp nach Stichkampf gegen Reshevsky und Stein (das Turnier ist auch dafür bekannt, dass der in Führung liegende Bobby Fischer bei Halbzeit zurücktrat). 1977 stand er im Viertelfinale des Kandidatenturniers und verlor knapp gegen Ex-Weltmeister Boris Spassky. Während dieses Matches bestätigte er erst seinen Ruf als grossartiger Sportsmann, und wurde dann zum grossen Pechvogel. Spassky war erkrankt und hatte seine time-outs bereits verbraucht, Hort hätte dann kampflos gewinnen können und gab ihm stattdessen einen seiner Timeouts. Dann stand Aussenseiter Hort in der vorletzten Partie glatt auf Gewinn, vergass aber die Uhr und verlor auf Zeit - nach einem Remis in der letzten Partie war der Stand so 8,5-7,5 für Spassky. Soweit steht es auch bei Kollege Hartmut Metz der auch die Partie hat. Was er - im Gegensatz zu Wikipedia auf Englisch - nicht erwähnt ist, wie sich Hort hinterher abreagierte: tags darauf spielte er simultan gegen über 600 Gegner (damals Weltrekord) "to get the loss against Spassky out of his head".

Zu dem Zeitpunkt wohnte Hort noch in der damaligen Tschechoslowakei. 1979 übersiedelte er nach (West-)Deutschland, behielt jedoch zunächst die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft und war auch weiterhin Schach-Tscheche. Ende 1986 nahm er dann die deutsche Staatsbürgerschaft an. Politik spielte eine Rolle - Hartmut Metz zitiert Hort mit den Worten "Mein Weg nach Deutschland war meine endgültige Abrechnung mit dem Kommunismus. Es hat auch meine Schachkarriere beeinflusst."  Auf Anfrage sagte Kollege Metz, dass er Hort für seinen Artikel einige Fragen stellte, und daher stammt dieses Zitat. Es war sicher nicht so dramatisch wie bei Horts doppeltem Landsmann Ludek Pachman - der monatelang gefoltert wurde, bevor man ihn später doch ausreisen liess, und danach bis zu seinem Tod überzeugter und aktiver Anti-Kommunist blieb. Falls Horts Kontakt zu seiner tschechischen Heimat jemals abgerissen war, entstand er später wieder (s.u.). Politisch ist ja einiges passiert - wie ich selbst vor Ort in Prag miterlebt habe oder auch nicht (diese Anekdote steht hier in der Einleitung zum Artikel).

Einige Stichworte zu den Turnieren die Hort spielte, auch als "Ausrede" um einige Fotos zu zeigen - dabei hilft mir, dass es Wikipedia in vielen Sprachen gibt und jeder "seine" Turniere besonders betont. In Wijk aan Zee spielte er 1968-1986 zehnmal in der A-Gruppe, damals hiess das noch Hoogovenstoernooi und 1973 sah er so aus:

Vlastimil Hort 1973 Wijk aan Zee

Auf dem Foto (Autor Bert Verhoeff / Anefo) hätte ich ihn nicht erkannt ... . Seine grössten Erfolge in Wijk waren drei (geteilte) zweite Plätze: 1968 hinter dem überlegenen Sieger Kortschnoi und punktgleich mit Tal und Portisch, 1970 alleiniger Zweiter hinter Taimanov, und 1975 alleiniger Zweiter hinter Portisch (vor u.a. Hübner, Gligoric, Geller und Timman).

Dortmund hat keine so schöne Übersicht wie Wijk aan Zee, ich bin zu faul um nachzuschauen wie oft er insgesamt dabei war - 1982 hat er jedenfalls gewonnen, so sah er damals aus (fotografiert von Gerhard Hund):

Vlastimil Hort 1982 Dortmund Gerhard Hund

Da er zu dem Zeitpunkt zwar bereits in Deutschland wohnte, aber noch für die Tschechoslowakei spielte, wurde Naiditsch 23 Jahre später der erste und bisher einzige deutsche Dortmund-Sieger. Reggio Emilia 1986 lasse ich mal weg - das Schwarzweiss-Foto ist etwas körnig und ähnelt sonst dem Dortmund-Foto. Bei der Schacholympiade war er insgesamt vierzehn mal, elfmal für die Tschechoslowakei und dreimal für Deutschland - dieses Foto (ebenfalls Gerhard Hund) entstand 1988 in Thessaloniki, als er erstmals für Deutschland antrat:

Vlastimil Hort 1988 Thessaloniki Gerhard Hund-Wikipedia

Danach hat er sich vor allem in Grautönen verändert - als Zwischenstufe ein Foto von Stefan64 bei einem Simultan 1997:

Vlastimil hort Simul

Von 1979 bis 2000 spielte Hort in der Bundesliga für die SG Porz - dazu kein Foto sondern eine Anekdote von Dirk Paulsen:

"Das erste Mal als ich ihn traf -- es war im Jahre 1980 -- bei einem Bundesligakampf der SG Porz saß er draußen im Vorraum, nach Beendigung seiner Partie, und erzählte mit diesem und mit jenem. Als zwei Mannschafts-kameraden hinzustießen, um wohl am Gespräch teilzunehmen, fragte er diese: „Was macht ihr denn hier? Sind eure Partien beendet?“ Als sie dies verneinten, meinte er: „Ja, geht an euer Brett, auch wenn ihr nicht dran seid. Arbeiten, arbeiten, arbeiten.“ Das war schon sehr beeindruckend für mich."

Und was macht(e) Hort dieses Jahrtausend? Schach spielt er nach wie vor, nur keine reinen Seniorenturniere, denn das wäre aus seiner Sicht wie "ins Altersheim gehen" - so sagte er jedenfalls 2007, am Rande eines Matches in Dortmund gegen seinen alten Rivalen Westerinen, in einem Chessvibes-Interview (der kursive Text im englischen Original auf Deutsch!). Stattdessen eine Reihe gemischter Turniere mit jungen und alten TeilnehmerInnen: 2001 war er beim Klompendans-Turnier in Amsterdam mit dabei - das letzte einer Serie von Joop van Oosterom gesponsorten Turniere in denen die besten Veteranen gegen die besten Damen spielten (davor gab es u.a. auch ein Walzer-Turnier in Wien, ein Polka-Turnier in Prag, Flamenco in Marbella und Schuhplattler in München). Hort und seine Teamkollegen Smyslov, Taimanov, Kortschnoi und Portisch spielten gegen Xie Jun, Galliamova, Zhu Chen, Ioseliani und Sofia Polgar. Jahre danach hat der Tscheche Pavel Matocha (der mit dem Hahnenkamm) die Idee aufgegriffen und nannte das Ganze Snowdrops & Oldhands, auf Tschechisch Sn?ženky a Mach?i. Das Titelbild stammt aus der Edition 2012, hier noch ein paar Fotos (Quelle für alle praguechess.cz) mit freundlicher Zustimmung von Pavel:

snezenky a machri 2012 gal08 04

2012 - Wer sieht besser aus? Im Hintergrund ein anderer Pavel, Schiedsrichter Votruba (jedes Jahr auch in Wijk aan Zee) [Foto Anežka Kružíková]

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2011 (Foto Martin Chrz) - erinnert mich etwas an einen Chessvibes-Artikel der zu Weihnachten veröffentlicht wurde, nicht etwa am 1. April

sm 2011 zakonceni 01

2011 gewannen die Old Hands - Horts Teamkollegen waren Hübner, Waganjan und Gulko, gegenüber Matocha

snezenky-a-machri-2010 7 kolo 3 HortUhlmann

2010 fotografierte Vladimír Jagr - hier Hort zu Spässen aufgelegt mit Wolfgang Uhlmann

snezenky-a-machri-2010 zaver 2 HortKoneru

Und hier zusammen mit Humpy Koneru (die Besten aus beiden Teams)

Ansonsten spielte Hort z.B. noch im Bobby Fischer Memorial Rapid, bei einem Schnellturnier zum 75. Geburtstag von Lajos Portisch, ein Match gegen Kortschnoi, und ein Turnier "CEG contre Légendes" - CEG steht da für Club d'Echecs de Genève, und die Legenden hiessen Kortschnoi, Ribli, Spraggett, Andersson und Hort. Auch auf dem tschechischen Chess Train, ebenfalls eine Idee von Pavel Matocha, ist er mitgefahren und hat dieses Jahr das Turnier gewonnen. Mannschaftskämpfe spielt er inzwischen in der NRW-Klasse für den Oberhausener Schachverein von 1887. Zum Abschluss seines siebten Lebens-Jahrzehnts war Hort gerade noch beim Basler Schachfestival wo er, an 22 gesetzt, am Ende 18. wurde. Das Lokalfernsehen Telebasel hatte aus diesem Anlass zwei Interviews - eines mit dem Favoriten und späteren Sieger Radek Wojtaszek, und eines mit Vlasti Hort. Hinterher würdigte ihn die Turnierseite mit diesen Worten: "Altmeister Vlastimil Hort erzielte mit 5/7 einen respektablen Erfolg. Doch noch erwähnenswerter ist die Tatsache, dass er der Spieler des Turniers ist, der am meisten Züge gemacht, bzw. am längsten gespielt hat! Oft war der Saal schon praktisch leer, doch Vlasti war immer noch da.....". Schachlich habe ich Hort kaum oder gar nicht charakterisiert und übergebe noch Kortschnoi das Wort, der sinngemäss sagte: "Horts Stellungen erinnern mitunter an ein Zigeunerlager. Für Aussenstehende wirkt es chaotisch, aber dahinter steckt eine innere Logik." Das habe ich von einem niederländischen Amateur-Schachfreund der ausserdem schrieb: "So ungefähr - frag mich nicht nach einer Quelle, ich glaube ich habe das via Timman gehört."

Seinen Geburtstag feiert Hort im tschechischen Blansko (nahe Brno/Brünn) - da gab es Freitag/Samstag ein Schnellturnier mit Hort, Plachetka, Meduna und Lechtynsky sowie Simultans (Info von Pavel Matocha). Am 25. Januar wird er dann auch vom Oberhausener Schachverein mit einem Generationsturnier gewürdigt - Info und Anmeldung via die Vereinsseite.

Alles Gute zum Geburtstag!

Všechno nejlepší k narozeninám! [Google Translate hat mir da geholfen]

Kommentare   

#1 Gerhard 2014-01-14 23:54
Hort habe ich einige Male persönlich erlebt,
Der Verlust im Kanditatenturnier gegen Spassky muß sehr schmerzlich gewesen sein, denn er soll gegen Ende gute Chancen auf Gewinn gehabt haben.
Auch in Erinnerung ist mir seine Unterstützung für Robert Fischer in den Kanditatenturnieren...so habe ich das zumindest in Erinnerung.
Und besonders sein Witz und seine untadeliges Verhalten als Sportsmann verdient besondere Beachtung.

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