Mai 2015
Weiss am Zug, was tun?
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Auch dieses Jahr berichte ich vom Limburg Open zweigeteilt: zunächst ein aktueller Turnierbericht auf dem Schachticker, und nun - nicht mehr aktuell, aber irgendwie zeitlos - hier einige Fragmente. Und dieser Bericht ist wiederum dreigeteilt mit den Rubriken Einfälle, Reinfälle und Mattbilder. Bei einem Fragment zweifelte ich, ob ich es als Aufgabe präsentieren oder die Lösung verraten soll - also mache ich beides, unten im Text gibt es (fast) dasselbe Diagramm nochmals. Wer es erst selbst versuchen will bekommt nur einen kleinen Tip: Zuletzt geschah 16.Tf1-e1 Tf8-d8 (was die Spieler am Brett natürlich wussten).

Und nun ein bisschen Runde für Runde, wenn auch teilweise durcheinander: Schon in der ersten Runde gab es eine Überraschung - am Spitzenbrett verlor Elofavorit Fedorchuk gegen den belgischen FM Frederic Decoster. Decoster hat nur (oder immerhin) Elo 2303, sein Gegner immerhin (oder nur) Elo 2657. Hat Decoster, was Underdogs gerne mal unterstellt wird, betrogen? Wohl kaum, denn zunächst stand er "wie erwartet" auf Verlust. Die Entscheidung fiel scheinbar vor, und dann tatsächlich in umgekehrter Richtung nach der Zeitkontrolle. Das erste Diagramm setze ich nach dem 39. Zug von Weiss:

Decoster Fedorchuk move 39

 

 

 

 

 

 

 

Das war ein wilder Sizilianer in dem - etwas untypisch - beide lang rochierten. Später musste Schwarz (Fedorchuk) eine Qualität opfern, quasi erzwungen aber gut. Danach drohte er Matt, was Weiss nur mit Dauerschach oder eventuell Matt parieren kann. Auf dem Weg zum (erhofften) Dauerschach gab er einen ganzen Turm zurück. Und nun? Die Houdini-Hauptvariante lautet 39.-Kd5 40.Dd8+ Ke5 41.Db8+ Kf5 42.Tf1+ Tf2 - Weiss kann dann zwar mit 43.Txf2 das Matt verhindern, aber nicht den Partieverlust. Stattdessen geschah 39.-Dc7 40.Dxc7+ Kxc7 41.Th6 und das ist bereits "unklar". Schwarz versuchte einen zweiten Mattangriff und übersah dabei ein Detail: 41.-a5 42.Txg6 a4 43.f7 a3??

Decoster Fedorchuk move 43

 

 

 

 

 

 

 

(Pflicht war 43.-Lxf7 44.Tg7 a3 45.Txf7+ - Schwarz kann das Turmendspiel dank seines aktiven Turms gerade so remis halten). Nun kam (nicht 44.f8D?? sondern) 44.Txe6! Txe6 45.Kb1! 1-0

In Runde 2 gab es bereits ein Duell etwa auf Elo-Augenhöhe: GM Janssen (2464) - IM Burg (2507) - der nach Elo unterlegene GM gewann diese Partie und am Ende nach Wertung das gesamte Turnier. Dabei konnte er dasselbe taktische Motiv kurz hintereinander zweimal anwenden. So stand es nach 28.Dxf6:

Janssen Burg move 28

 

 

 

 

 

 

 

Und dann folgte 28.-Te6 29.Dc3 Tg6 30.f4 Sf7 31.Dxg7+

Janssen Burg move 31

 

 

 

 

 

 

 

Das ist zwar (im Gegensatz zu einigen Diagrammen später) kein Matt, aber Schwarz verliert einen weiteren Bauern und dann noch eine Qualität, oder er kann (wie in der Partie) zuvor, nämlich hier aufgeben.

Nun (aus Runde 3) das Titeldiagramm leicht anders, nämlich einen halben Zug später:

Bok Commercon 2

 

 

 

 

 

 

 

Das war GM Bok - Commercon (2216). Ein Schachfreund, der die Partie mit Engine-Analysen live verfolgte, schrieb zu 17.Lc8! "Ich wäre eine Wette eingegangen, dass Weiss diesen Zug nicht findet. Wie kommt man auf so etwas?". Im Nachhinein ist es aus meiner Sicht logisch: Bok hatte das Motiv Se7+ mit 16.Te1 selbst erzeugt (Schwarz musste das mit 16.-Le5 oder auch 16.-Kh8 parieren), weiterhin dachte er vielleicht: "Ich habe momentan Entwicklungsvorsprung, kann ich davon profitieren bevor es (17.-Sc6) zu spät ist? Gibt es eine Schwäche in der schwarzen Stellung? Ja, b7!". Die relevanten nächsten Züge waren 17.-Sa6 18.Lxb7 Tab8 19.Se7+ Kf8 20.Sc6 Dc7 21.Sxd8 Dxd8 - danach spielte Schwarz noch ein bisschen weiter, bis er nach 26 Zügen noch eine Figur verlor. Der Leser darf selbst untersuchen, warum Alternativen für Schwarz im 20. Zug keinesfalls besser oder zäher waren.

In der Rubrik Ëinfälle springe ich zu Runde 6, Haast - Van Foreest:

Haast Van Foreest vor 27 Dxc5

 

 

 

 

 

 

 

Der holländische Jungstar entkorkte hier 27.-Dxc5!? - was zwar nicht forciert gewinnt, aber in den darauf folgenden Komplikationen gewann er recht schnell.

Nun einige Reinfälle - Zufall, dass zwei deutsche Teilnehmer beteiligt sind und auf dem verkehrten Stuhl sassen. Besonders aktiv war allerdings der niederländische IM Koen Leenhouts, als Täter und Nutzniesser. In Runde 4 hatte er Schwarz gegen GM Ernst:

Ernst Leenhouts

 

 

 

 

 

 

 

Die vorherige Partiephase verlief nicht ganz nach Wunsch für Sipke Ernst, Dauergast in Maastricht. Nun folgte 44.d4?? exd4 0-1 da auch der weisse Sb3 ersatzlos verschwinden wird. In Runde 5 spielte Leenhouts gegen den (wie bereits erwähnt) späteren Turniersieger Ruud Janssen, und nach 38 Zügen und wechselndem Vorteil stand es so:

Leenhouts Janssen vor 39Dg4

 

 

 

 

 

 

 

Nun ist 39.hxg5 (nach 39.-exf4 oder 39.-Dxg5+) remislich, aber er spielte weiter auf Angriff und verlor im Gegenangriff: 39.Dg4?! exf4 40.Lc3+ Kh7 41.fxg6+ fxg6 42.hxg5 De4 43.Lf3 De3+ 44.Kh2 und zugleich 0-1. Der Turniersieger im Glück, das gehört dazu. In Runde 6 traf Leenhouts auf Lokalmatador Jacob Perrenet (2078) und war vielleicht vorgewarnt, dass es keine "normale" Partie werden würde. Perrenet war bereits in Runde 4 zu Gast in der Liveübertragung, da versuchte er gegen IM Shkapenko 1.Sc3!? Sf6 2.g4!????! - nach eigenen Angaben hatte er sich dieses Gambit selbst ausgedacht. Datenbanken kennt er vielleicht nicht, es gab immerhin 58 Vorläufer. Gegen Leenhouts hatte Perrenets Schwarz und spielte "etabliertes Kaffeehaus-Schach": 1.e4 Sc6!? 2.Sf3 f5!?? . Ich weiss nicht, ob das bereits in Colorado gespielt wurde oder woher der Name dieser Variante stammt - gespielt wurde es jedenfalls u.a. in Pardubice, Wien und Deizisau. Die Partien hatten eines gemeinsam: ein gewisser Ilja Schneider hatte Schwarz. Perrenets (bzw. Leenhouts) Interpretation führte zu klarem schwarzem Vorteil:

Leenhouts Perrenet vor 16 Lg7

 

 

 

 

 

 

 

Mir wird bei dieser Stellung zwar schwindlig, aber ich kann durchaus nachvollziehen, warum Engines Schwarz klar bevorzugen. Nun spielte Perrenet 16.-Lg7??!! und das war dann doch inkorrekt.

Zurück zu Runde 5 mit deutscher Beteiligung, IM Braun - GM Dambacher nach 41.-Lxa2:

Braun Dambacher vor 42Tb5

 

 

 

 

 

 

 

Trotz Mehrqualität muss Weiss aufpassen angesichts der weit vorgerückten schwarzen Freibauern, die nach 42.Te1 Lg7 usw. ungehindert weiter laufen könnten. Richtig war 42.Te4, und nach 42.-b3 kann Weiss (nicht erzwungen aber möglich und sicher) mit 43.Te6+ nebst 44.Txh6 in ein Remisendspiel mit ungleichfarbigen Läufern abwickeln. Stattdessen geschah 42.Tb5?? - wohl dieselbe Idee aber ... 42.-Le3+ 43.Kh2 b3 0-1.

Runde 7 fehlt noch, der nominell stärkste deutsche Teilnehmer IM Thomas Henrichs spielte gegen WGM Bianca De Jong-Muhren (wenn ich ihr begegne, vor allem alle Jahre wieder in Wijk aan Zee, nenne ich sie Bianca). Nach wildem Verlauf stand es so:

Henrichs DeJongMuhren vor 34Sf6

 

 

 

 

 

 

 

Warum nun 34.Sf6+ Txf6 0-1 ? Das muss der Leser Thomas fragen, aber nicht mich!

Noch eine Maastrichter Besonderheit anno 2015: Etwa jede zehnte Partie in der Liveübertragung (neun von 12*7=84) endete mit Matt. Alle neun Stellungen zeige ich nicht, nur drei. Warum hat der Verlierer nicht vorher aufgegeben? Dafür mag es jeweils individuelle Gründe geben.

Shkapenko-Offringa

Shkapenko Offringa mate

 

 

 

 

 

 

 

Coenen-Burg

Coenen Burg mate

 

 

 

 

 

 

 

Geht auch mit Schwarz

Van Osch - Tate

Van Osch Tate mate

 

 

 

 

 

 

 

Geht mitunter auch ohne Damen. Nicht überliefert ist, ob der Einheimische seinem amerikanischen Gegner zum Schluss sagte "Mr. Tate, it's mate!".

 

 

 

The chess manual of avoidable mistakes von Romain Edouard
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Der französische Schachfreund Edouard ist schachlich mittlerweile in die erweiterte Weltspitze geklettert (ELO im Juni 2014: 2700) und legt hier sein erstes Buch vor (gesponsort vom Schachversand Niggemann - schachversand.de).

Der Titel lässt Spielraum für Fragen. Was will der Autor mit seinem Buch erreichen? Vermeidbare Fehler im Schach sind ein sehr weites Feld. Doch danach wird es sehr strukturiert. Schnell erkennt man, dass es um Schachpsychologie geht - die Einstellung während der Partie und was den (nicht perfekten) Spieler davon ablenkt, sein bestmögliches Schach zu spielen.

In mehreren Kapiteln schreibt Edouard über seine Fehler in früheren Partien und die psychologischen Hintergründe dafür. Daraus leitet er sehr klar formulierte Regeln ab. Ich habe meine Schüler und mich bei praktisch allen Anmerkungen wieder gefunden. Das Buch kann somit schon mal als sehr realitätsnah angesehen werden.

Edouard liefert für jeden seiner „vermeidbaren Fehler“ mehrere Beispiele aus seinen Partien, wobei er sich wirklich auf die Stelle(n) konzentriert, die für die jeweilige Regel / den jeweiligen Fehler entscheidend sind. Dadurch spart sich der Leser viel Zeit. Er wird - wie in einer guten Partie - nicht abgelenkt. Das ist wirklich sehr gut gemacht. In den Beispielen entwickelt Edouard Stück für Stück seine Regel, die er am Ende dann zusammenfasst. Auch das ist pädagogisch stark.

Nach den Beispielen kommen die Übungen zum Thema. Ob die Reihe der Beispiele und die Übungen am Ende tatsächlich helfen, die Einstellung in der echten Partie zu verändern, wird sicher nur die Zeit zeigen können. Das Buch jedenfalls ist sehr strukturiert, übersichtlich und verständlich. Damit ist es logischerweise nicht so unterhaltsam wie die wohl bekanntesten Schachpsychologiebücher der letzten 10 Jahre von Jonathan Rowson („Die 7 Todsünden des Schachspielers“ und „Schach für Zebras“), übrigens beide auch sehr empfehlenswert, dafür aber konkreter. Ein starkes und sehr effizient wirkendes Buch.

Dennis Calder

Fide InstructorSterne5

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Der SV Osnabrück von 1919 e. V. ist 10. Deutscher Fernschach-Mannschaftsmeister! Herzlichen Glückwunsch dem Team und damit den Spielern Gerhard Müller (zugleich Mannschaftsführer), Klaus Kögler, Heinrich Repp und Matthias Rüfenacht!

Für die Osnabrücker ist dies bereits der vierte Titelgewinn nach den Spielzeiten 2001/2003, 2005/2007 und 2007/2009. Seit der vierten Spielzeit 2001/2003 haben sie mit einer einzigen Ausnahme in jeder Meisterschaft das Podium erreicht. So erfolgreich hat bisher kein Team die Deutschen Fernschach-Mannschaftsmeisterschaften bestritten.

Joachim Gries mit Krennwurzn über den DSB
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„So the winner takes it all and the loser has to fall“ sangen ABBA schon in den 70er Jahren. Zwar fragte die Krennwurzn schon vor der Wahl bei Joachim Gries wegen eines Interviews an, erhielt aber eine Absage allerdings auch mit der Aussicht darauf nach der Wahl vielleicht doch eines zu machen. Da die Wahl – je nach Sichtweise knapp oder klar – 109 zu 79 für Herbert Bastian ausging, schätzte die Krennwurzn die Chancen auf ein Interview mit Joachim Gries sehr gering ein. Aber man sollte es nicht für möglich halten auch eine Krennwurzn kann sich irren und es entstand ein hochinteressantes Gespräch über den DSB und Verbandsprobleme auch im Allgemeinen. Wer auf das Waschen von Schmutzwäsche in der Öffentlichkeit hofft, dem kann ich nur empfehlen hier mit dem Lesen aufzuhören.

Krennwurzn:
Erlauben Sie zuerst eine persönliche Frage - Sie hatten am Anfang des Jahres gesundheitliche Probleme mit dem Herzen geht es Ihnen jetzt wieder gut und könnten Sie sich den Schachfreunden ein wenig vorstellen?

Joachim Gries:
Ich bin am 01.11.1950 geboren, verheiratet seit 9.2.1976 mit meiner Ehefrau Petra Gries und habe 11 Kinder (6 Söhne und 5 Töchter). Von Beruf bin ich Studienrat mit den Fächern Mathematik und Sport, bin im Alter von 21 Jahren erstmals in einen Schachclub eingetreten (Schachfreunde Friedberg/Hessen). Parallel dazu habe ich zunächst von meinem 13. – 21. Lebensjahr gefochten (war 1971 - 12. in der deutschen Hochschul-Rangliste und hatte damals berechtigte Hoffnungen noch auf den Olympiazug nach München zu springen). Musste meine Fechterkarriere aber 1971 bedingt durch eine Meniskusverletzung abrupt beenden und da ich mein Sportstudium nicht an den "Nagel hängen" wollte bin ich auf Volleyball umgestiegen, das ich damals bereits als Hobby regelmäßig spielte. Im Zuge der wachsenden Begeisterung für dieses Spiel landete ich dann bei der SG Rodheim (Rosbach vor der Höhe bei Friedberg(Hessen) und wir schafften innerhalb von 6 Jahren den "Durchmarsch" von der Kreisklasse bis in die Regionalliga. Dort spielten wir fast 10 Jahre in einer unveränderten Formation und schafften es 1982 - 1984 in der 2.Bundesliga zu spielen. Bereits damals hatte ich vielfältige weitere zusätzliche Aufgaben wahrgenommen

  1. Abteilungsleiter Volleyball in der SG Rodheim
  2. Vereinsvorsitzender in der SG Rodheim
  3. Schiedsrichterobmann im hessischen Volleyballverband und Ausbilder von SR
  4. Staffelleiter in der Regionalliga
  5. Bundesliga Schiedsrichter

Während all dieser Jahre habe ich u.a. auch noch Schach, quasi als Ausgleichssport, in Friedberg, Klein Karben und Oberursel gespielt. Der größte schachliche Erfolg war dabei der Aufstieg der Schachfreunde Friedberg mit denen ich damals in die Oberliga aufgestiegen bin.

1986 musste ich meine aktive Volleyballkarriere einstellen, da ich massiv an Asthma erkrankte und durch mehrere Knieoperationen alle meine Menisci eingebüßt hatte. Die Arthrose in den Kniegelenken nahm damals "galoppierende" Geschwindigkeit auf. Somit erfolgte folgerichtig/zwangsläufig der Wechsel zum Schachsport (ab ca. 1987), in dem neben aktiven Spielen in den Mannschaftskämpfen vor allem der Aufbau und die Betreuung von Schulschach_AG`s zu meinen neuen Aufgaben gehörte.
1989 wurde ich in Hessen zum Ausbildungsreferenten gewählt, ein Amt, das ich bis heute wahrnehme und in dem neben der Trainerausbildung, der SR-Ausbildung vor allem auch die Lehrerfortbildung einen breiten Raum einnahm. Ab 1997 wurde ich Mitglied in der Lehrkommission des DSB und arbeitete dort bis 2007 aktiv mit, obwohl ich in den Jahren 2001 - 2003 noch zusätzlich Präsident in Hessen war.
2007 übernahm ich das Amt des Ausbildungsreferenten auf DSB-Ebene und übernahm dort anschließend das Amt als DSB Vizepräsident Sport (2011 - 2015) und bis 2015 auch zeitweise die kommissarische Leitung des Ausbildungsreferates, weil der gewählte Ausbildungsreferent wegen beruflicher Überlastung leider nicht zur Verfügung stand.

Bis Mai 2015 war ich Vizepräsident im DSB und kandidierte dann am Bundeskongress gegen Herbert Bastian, eine Entscheidung, die ich nach ein paar Tagen Abstand durchaus ambivalent sehe:

  1. Einerseits habe ich mir viel Stress und Ärger erspart, insbesondere im Hinblick auf die finanzielle Situation des DSB. Die Durchführung/Einberufung eines außerordentlichen Kongresses im Herbst dieses Jahres, in dem ein komplett neuer Haushalt vorgelegt werden soll, weil der bisher vorgelegte "nicht ab(zu)stimmungsfähig" war wirft ein bezeichnendes Bild auf die Gesamtsituation im DSB. Meine Ehefrau ist überglücklich darüber, (obwohl sie meine Kandidatur unterstütze und sich der zusätzlichen zeitlichen Belastung bewusst war), dass ich nunmehr nicht mehr in dem bisherigen Maße mit Schachthemen gebunden bin. Insbesondere der teilweise aufgestaute Ärger, z.B. nach Präsidiumssitzungen den die Familie zumeist ertragen musste entfällt - mithin also ein massiver Zugewinn an Lebensqualität für mein/unser Familienleben.
  2. Andererseits habe ich gesehen, dass wir nur mit massiven Einschnitten das "finanzielle Desaster" das uns im DSB droht unbedingt angehen müssen. Dem neuen Präsidium sind durch die Forderung nach einem neuen Haushalt die bisherigen Defizite nachhaltig aufgezeigt worden und im Prinzip ist es gut, dass der alte und neue Präsident Entscheidungen der Vergangenheit nunmehr selbst korrigieren muss.

Meinen im Januar erlittenen Herzinfarkt habe ich sehr gut überstanden. Nach Aussage der Ärzte ist die "Pumpe" ohne Schädigung geblieben. Mein Blutdruck und mein Puls hat sich wieder auf ein einem Level eingependelt, das mich an meine Zweitligazeiten erinnert. Alles in allem fühle ich mich wie "neugeboren".

Krennwurzn:
Das ist erfreulich zu hören! Dennoch war die Schachwelt vor dem Kongress doch sehr überrascht über die Rücktritte so vieler Präsidiumsmitglieder und auch dass Sie nach Ihrer Wiedergenesung als Präsident kandidiert haben, sehen viele als Anzeichen dafür, dass es neben möglicherweisen persönlichen Gründen auch massive sachliche Auffassungsunterschiede im Präsidium gegeben haben muss. Können Sie uns da ein wenig Ihre Sicht der Dinge darlegen?

Joachim Gries:
Das Präsidium ist "explodiert", die Auffassungen gingen in vielen Themen quasi diametral auseinander. Es war folgerichtig, dass fast das komplette Präsidium die "Reißleine" zog. Persönliche Interessen haben hierbei sicherlich ebenfalls eine Rolle gespielt. Für mich, für die anderen Kollegen kann ich nicht sprechen und möchte auch keine weitere Vermutung äußern, entscheidend waren in meinem Rechenschaftsbericht zwei Dinge, einerseits die Finanzkrise mit dem BMI, die noch nicht beendet ist, denn die Subsidiaritätsprüfung steht noch aus und andererseits mein Gesundheitszustand (Stand: Mitte/Ende Februar - damals befand ich mich noch in der Reha und konnte noch nicht absehen wie sich meine Gesundheit entwickeln würde).
Die Gefahr, die uns durch die Subsidiaritätsprüfung droht ist nicht absehbar, insbesondere könnte ein Ergebnis zwischen Komplettstreichung aller Zuschüsse bis zu minimalen Veränderungen herauskommen. Wer allerdings berücksichtigt, dass unsere Personalquote knapp unter 50% liegt und zwei Mitarbeiterinnen in ca. 12 Monaten wieder ihre Arbeit auf der Geschäftsstelle in vollem Umfang aufnehmen werden und wir dann mit größter Wahrscheinlichkeit auf über 50% steigen werden, weiß, dass bei solchen Prozentwerten die Gewährung von BMI-Mitteln in größter Gefahr sind. Darüber hinaus hatten wir vor kurzer Zeit eine Beitragserhöhung um 2 € durchgeführt mit der wir eigentlich die Erfordernisse für die nahe Zukunft lösen wollten. So wie es sich jetzt darstellt (siehe Kongressbeschluss - Vorlage eines neuen überarbeiteten Haushaltes), zeigt, dass diverse Haushaltspositionen massiv überarbeitet werden müssen (Kürzungen! oder gar Streichungen!), das gilt insbesondere auch für den Personalbestand auf unserer Geschäftsstelle, obwohl gerade hier in den letzten 24 Monaten diverse MitarbeiterInnen eingestellt wurden.

Krennwurzn:
Subsidiaritätsprüfung und Personalquote klingen ein wenig "technisch" und dürfen den Nichtfunktionären eher unbekannt sein, können Sie das unseren Lesern noch kurz erläutern?

Joachim Gries:
Eine Subsidiaritätsprüfung ist ein Verfahren/Mittel, das dem BMI zur Verfügung steht, um einen Verband zu überprüfen. Prüfkriterien sind zunächst u.a. die Prüfung der Struktur, wie z.B. Personal (Wie viele Stellen?), Kosten (Wie teuer ist das Personal?), Buchungen (Welche Gebühren/Kosten/Investitionen fallen an?), usw., im zweiten Schritt wird überprüft in welchem Verhältnis steht der Kostenfaktor "Personal" zu dem Gesamthaushalt. In unserem konkreten Fall haben wir ca. 450.000 € Personalkosten bei einem Gesamtvolumen von ca. 900.000 €. Das entspricht somit einer Quote von ca. 50%. Grundsätzlich sieht es so aus:

  1. jeder Sportverband, der Mitglied im DOSB ist wird in "olympisch" und "nichtolympisch" eingestuft. Die NOV (Nichtolympischen Verbände) werden im Vergleich zu den olympischen Verbänden deutlich geringer mit finanziellen Mitteln durch das BMI bezuschusst als die olympischen. Der DOSB ist diejenige Stelle, die dem BMI vorschlägt in welcher Höhe Zuschüsse erfolgen sollen.
  2. Wie bekannt, hatten wir im letzten Jahr einen heftigen Streit darüber, ob Schach weiterhin Fördermittel für den Leistungssport bekommt. Es ging damals nicht darum, ob Schach als Sport anerkannt wird oder nicht. Leider wurde in der Öffentlichkeit diese saubere Trennung nicht immer so exakt vollzogen.
  3. Sicher ist, dass wir, (die Auseinandersetzungen und die Einschaltung des Finanzausschusses des Bundestages sind sicherlich jedem bekannt) die Zuschussthematik insofern für uns zunächst positiv beenden konnten, dass die ursprünglich vorgesehene Komplettstreichung der Fördermittel (135.000 €) durch intensive Verhandlungen und Gespräche in eine Kürzung auf nur 93.000 € mündete.
    Nach den letzten Informationen (Stand: 09.Mai2015) aus dem DOSB müssen wir mit einer weiteren Kürzung auf ca. 80.500 € rechnen, da der "Verteilungstopf" (2,17 Millionen €) konstant bleibt, aber bedingt durch die Aufnahme weiterer nichtolympischer Verbände, der Anteil für jeden Verband damit kleiner wird.
  4.  Das BVA (Bundesverwaltungsamt) hat uns in den letzten 4 Jahren insgesamt 2-mal geprüft. Die zweite Prüfung "Nachprüfung" wurde nötig, weil es eine gewisse Anzahl von "Anmerkungen" gab, die wir zunächst abarbeiten/umsetzen mussten. Ein Punkt hierbei war u.a. der komplette Rückkauf der Anteile der Wirtschaftsdienst GmbH.
    Festzustellen ist, dass wir alle Auflagen erfüllt haben und deshalb zunächst auch weiterhin förderwürdig blieben. Angemerkt wurde bereits damals, dass wir nach Ansicht des BVA einen nicht unbedingt niedrigen Personalbestand haben (im Vergleich zu unserem Jahresbudget und in Bezug auf die Anzahl unserer Mitglieder).

Im vergangenen Jahr, als die Komplettstreichung der BMI-Mittel im Raume stand und wir in intensiven Gesprächen mit dem BMI standen wurde seitens des BMI unverhohlen damit "gedroht", zeitnah (in 2015 - vorausgesetzt, wir bekommen wieder Fördermittel) eine Subsidiaritätsprüfung durchzuführen. Aus Fällen, die in der Vergangenheit anderen Sportverbänden widerfahren sind und auch aus den Gesprächen im letzten Jahr beim BMI ist diese Quote für den DSB sicherlich eine "herbe Hypothek", die nicht unbedingt hoffungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Meine Einschätzung ist daher nicht unbedingt positiv, aber vielleicht haben wir auch einfach mal Glück!

Krennwurzn:
Die öffentlichen Kassen sind seit der Finanzkrise 2008 eher leer und nach dem nicht so optimalen Abschneiden bei der Sommerolympiade 2012 in London (für Deutschland gab es zu wenige Medaillen und für Österreich gar keine) wurde in vielen europäischen Ländern die Sportförderung kritisch hinterfragt und da Schach sowohl medial als auch im Spitzenbereich nicht liefern kann, erscheinen mir Kürzungen in erster Lesung einmal logisch. Blickt man dann aber tiefer und denkt an Einstein, der sagte Schach ist das Spiel, das die Verrückten gesund hält, und nimmt die pointierte Formulierung verrückt aus dem Spiel, dann bleibt doch die Erkenntnis, dass man vom Schach viel Positives ins praktische Leben mitnehmen kann. Kurz gefragt: Setzen wir mit unserer Spitzenschachorientierung nicht aufs falsche Pferd oder fallen wir als reiner Breitensportverband aus den Fördertöpfen?

Joachim Gries:
Die Entwicklung im olympischen Bereich ist gelinde gesagt "Unerträglich"! Warum formuliere ich dies so negativ? Antwort: Die olympischen Verbände schließen im Vorfeld der Olympiade mit dem BMI sogenannte "Zielvereinbarungen"/"Erwartungsverträge" ab, die ihre Berechtigung nur daraus ableiten, dass nach Ablauf der Olympiade das eingetretene Resultat jedes(r) AthletenIn evaluiert wird. Konkret bedeutet dies, dass die möglichen Medaillenränge in ein Punktesystem übertragen werden und dann festgestellt wird, ob die Erwartungen erfüllt wurden. Ein solches Verfahren ist zwar auf den ersten Blick transparent, aber auf den zweiten Blick entstehen bei dem kritischen Beobachter doch Bedenken:

  1. Die Sportler "opfern"/"investieren" extrem viel Zeit in ihren Sport (vielfach können sie keinen Beruf ausüben und leben von der Sporthilfe), um sich in der Weltspitze zu etablieren. Allerdings sind alle nur Menschen, d.h. Magenverstimmung, "mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden", Wetterfühligkeit, besonderer Stress bei Olympiade, etc. sind Faktoren, die nicht planbar sind und demzufolge eigentlich auch entschuldbar sein müssten. Aber eine Entschuldigung für VERSAGEN gibt es formal gesehen nicht, denn das Nichterreichen der erwarteten und damit förderungswürdigen Platzierung führt zur Kürzung/Streichung der Zuschüsse.
  2. Wenn also die Spitzenverbände einem solchen "Druck" durch das BMI ausgesetzt sind, herausragende Platzierung mit ihren Sportlern erreichen zu müssen, ist es nur allzu verständlich, wenn die Verantwortlichen alles unternehmen, um eine maximale Leistung des Athleten zu ermöglichen und die Athleten noch zusätzlich mit der Drohung unter Druck setzen, welche Konsequenzen damit verbunden sind, wenn sie nicht die gewünschte Platzierung erreichen. Wie nahe wir uns in einer solchen Situation beim Doping befinden, kann wahrscheinlich fast jedermann ahnen/bzw. nachvollziehen.
  3. Wie paradox unsere Gesellschaft beim Thema Doping handelt lässt sich auch daran ermessen, dass einerseits ein Weltrekord/Olympiasieg quasi gefordert wird und andererseits das Erreichen eines solchen Titels mit Unterstützung durch Dopingmitteln mittlerweile nicht nur juristisch, sondern auch ethisch-moralisch in der Gesellschaft als verwerflich angesehen wird. "Gefeiert wird der Sieger - dann ist er Superstar, andernfalls, falls ihm Betrug nachgewiesen werden kann "Verräter an den Werten der Gesellschaft". Dazwischen scheint es in unserer Gesellschaft nichts mehr zu geben. Ein guter 6. Platz ist der berühmte "Blechplatz" und keiner weiteren Erwähnung würdig.

Alle Spitzensportler bewegen sich in einem Umfeld, das höchste psychische und physische Anforderungen stellt. Ein "Versagen" gehört nicht zum Vokabular, obwohl gerade dies uns die Chance eröffnen würde, sie die Spitzensportler etwas sympathischer und menschlicher wahrzunehmen. Leider verfahren viele Medien immer noch nach dem Prinzip "Bad News are good news!" und ein Platz "unter ferner liefen" ist nicht einmal eine Meldung wert. Versucht man Schach in diesem Problemfeld "Profi - Amateur" zu verorten wird schnell klar was in unserem Sport unbedingt geklärt werden muss. Seit Jahren "drückt" sich der DSB vor der Klärung der Frage: " Wann sehe ich einen Sportler als Amateur und wann als Profi an?"

Insofern müsste sich der Schachbundesliga e.V. und der DSB zusammensetzen und eine tragfähige Struktur/Profilizenz, etc. auf den Weg bringen. Die Förderung des Nachwuchs-Spitzenschachs, z.B. das "Schachjahr für Matthias Blübaum und Dennis Wagner" (übrigens eine Drittelfinanzierung zwischen DSB/Sponsor/Eltern) hat sich insofern bewährt, als die gesetzten Ziele nicht nur erreicht, sondern sogar teilweise überboten wurden. Eine Fortschreibung solcher Förderkonzepte ist anzustreben, da sie nicht nach dem "Gießkannenprinzip", sondern konkret an Einzelpersonen und mit einem überschaubaren Finanzaufwand umgesetzt werden.

Der Unterstützung von großen Turnieren, wie z.B. Dortmund, Baden-Baden stehe ich deutlich skeptischer gegenüber, z.B. deshalb, da die "Startgelder" für deutsche Nationalspieler bei solchen Turnieren die Fördermittel für das Schachjahr unserer Prinzen überstiegen. Insofern sehe ich die Investitionen in unsere Nachwuchsspieler mit einer höheren Priorität, als Möglichkeiten zu eröffnen, dass unsere Spitzenspieler gegen Weltklassespieler antreten können.

Fazit:
Die gleichzeitige Förderung des Spitzensportes und des Nachwuchsleistungssportes gehören unabdinglich zu den Aufgaben eines Sportverbandes. Der Breitensport, zu dem wir in unserem Verband fast 99% unserer Mitglieder zählen müssen, hat ein Anrecht darauf in seiner Sportentfaltung gleichberechtigt neben dem Spitzensport zu stehen. D.h. auch in diesem Segment müssen Finanzmittel bereitgestellt werden, so dass neben der Mitgliedergewinnung auch die Mitgliederbindung sichergestellt werden. Projekte zu diesen Themen gibt es unzählige, umso wichtiger ist es, diese Aktivitäten zu stützen und zu fördern. Es ist nicht nötig große Workshops oder Akademien zu organisieren, hilfreich und notwendig ist es unseren Vereinen Materialien an die Hand zu geben mit denen sie die Vereinsarbeit/die Alltagsarbeit besser und effektiver bewältigen können.

Krennwurzn:
Immer öfter hört man bei Schachfreunden, dass man "die da oben" ohnehin nicht wirklich braucht, es gibt so viele Möglichkeiten Schach zu spielen und Vereine und Verbände sind sowieso überholt und nicht mehr zeitgemäß beziehungsweise kommt auch die Aussage: pfeifen wir auf die Förderungen und Spitzenschach und zahlen uns den funktionierenden Rest (Mannschaftsmeisterschaften) einfach selbst.

Joachim Gries:
Diese provokante Aussage passt zu der großen Anzahl "der Nichtwähler" bei Wahlen im Bund oder in den Bundesländern. Es ist mittlerweile bei vielen Schachspielern in den Vereinen (an der Basis), tatsächlich so, dass "die da oben" als nicht unbedingt nötig angesehen werden. Vielfach ist dies dem Umstand geschuldet, dass Projekte und Themen aufgegriffen werden mit denen sich die Basis nicht identifizieren kann, bzw. überhaupt keinen Bezug dazu hat. Es wird sehr oft darüber geklagt, dass sich der Verband doch endlich um die Belange der Vereine kümmern möge. Diese Aussage lässt sich an vielen Regeländerungen der Vergangenheit exemplarisch nachvollziehen:

  1. Abschaffung der Hängepartien - Aufschrei der Schachspieler, "Das Schachspiel droht zu sterben"
  2. Abschaffung der "langen Bedenkzeit" -Die Qualität der Partien geht verloren!
  3. Abschaffung von Alkoholika, Zigaretten - Warum müssen wir dies mitmachen!
  4. Handyklingeln - Was soll so ein Unsinn!
  5. Mitbringverbot von Handy, Smartphone, etc. - Ich will doch gar nicht betrügen?
  6. Einführung der Fischerbedenkzeit - Wir haben nur mechanische Uhren, wollen die uns ruinieren?

Die Aufzählung ist sicher unvollständig. Es gibt noch viel mehr Themen, die für Irritationen sorgen und dazu beitragen, dass die Basis sich nicht mehr im Fokus der zuständigen Funktionäre fühlt. Umso wichtiger ist es für unsere Vereinen, die die wichtigste Rolle innehaben, denn sie sorgen und kümmern sich darum, dass neue Mitglieder geworben, vorhandene Mitglieder an den Verein gebunden werden, Nachwuchs gefördert wird und last but not least ein "VEREINSLEBEN" tatsächlich praktiziert wird, Die verantwortlichen Funktionäre dürfen dies niemals vergessen. Eine gute Verbandsentwicklung wird sich intensiv der Probleme und Aufgaben der Vereine stellen müssen, wie z.B. keine kostenfreie Nutzung mehr von Spielräumen (insbesondere in Ballungsräumen), kaum Nachwuchsspieler [weil es keine Trainer, bzw. Spieler gibt, die dies Aufgabe ausfüllen können], das Vereinsturnier (Vereinsmeisterschaft) kommt nicht mehr zu Stande, weil die meisten Spieler keine freien Spielabende haben (sie spielen meistens parallel in weiteren Vereinen mit), usw. Die Liste kann beliebig verlängert werden, besonders dann, wenn man zusätzlich die Internetangebote hinzufügt, die jedes weltweites Schachspiel "rund um die Uhr" ermöglichen. Der Begegnungscharakter, die persönliche Präsenz am Brett, das Gespräch, das "gemeinsame Bier", die gemeinsamen Vereinsabende treten deutlich in den Hintergrund. Wir entwickeln uns zunehmend in einem immer schnelleren Maße zu EINZELGÄNGERN, die sich vielleicht noch zu einem Mannschaftswettkampf treffen, aber spätestens danach wieder in alle Himmelsrichtungen auseinandergehen. Gemeinsame Partieanalysen am realen Brett finden nur noch selten statt. Verbandsentwicklung unter diesem Aspekt gesehen, muss bewirken, dass die Vereinsmitglieder wieder regelmäßig in den Verein kommen 

Fazit:
Wir müssen glaubhaft machen, dass wir uns für die Belange unserer Vereine interessieren und bei der Lösung von Problemen helfen wollen und KÖNNEN. Wir benötigen Vereinsberater, die langjährige Erfahrungen in der Vereinsorganisation erworben haben und sich den aktuellen Fragestellungen nicht verschließen.

2015JoachimGries

Krennwurzn:
Ein heißes Thema sind auch Einzelmeisterschaften und Spitzenturniere

Joachim Gries:
Was mich besonders bewegt, das habe ich auch in meinem mündlichen Rechenschaftsbericht vor dem Kongress ausgeführt, ist die Durchführung/Organisation unserer deutschen Meisterschaften. Wir haben seit Jahren eine sinkende Anzahl von Bewerbern für die Durchführung von deutschen Meisterschaften. In den letzten Jahren sind deshalb Herbert Bastian (Saarbrücken) Michael S. Langer und Michael Woltmann (Verden) im Langschach und ich (Gladenbach) im Schnellschach - Männer und Frauen- als Ausrichter eingesprungen. Dass ein solcher Zustand nicht zum Dauerzustand werden darf ist wahrscheinlich nachvollziehbar. Notwendig wäre an dieser Stelle deshalb eine Erhöhung des DSB-Zuschusses an die potentiellen Ausrichter. Leider ist eine solche Erhöhung in den letzten Jahren nur in unzureichender Höhe erfolgt. Wir liegen trotz leicht erhöhter DSB-Zuschüsse immer noch in einem Bereich von mindestens 10.000 € den der Ausrichter aufbringen muss. Kleine Vereine, die keinen Sponsor/Mäzen haben laufen Gefahr sich finanziell zu "übernehmen". Das kann nicht im Interesse des DSB liegen. Eine Gegenfinanzierung muss zwingend durch Umschichtung erfolgen.

Ich stand mit diesem "basisorientierten Ansatz" (Unterstützung unserer Vereine bei der Durchführung von deutschen Meisterschaften) ziemlich allein. Die Erhöhung der Zuschüsse für deutsche Meisterschaften fiel im Vergleich zur Unterstützung von Turnieren, wie z.B. Baden-Baden und Dortmund, sehr bescheiden aus.

Krennwurzn:
Da kann die Krennwurzn mal ganz unverschämt Ihre Boshaftigkeit ausleben: Ist nicht die Problematik jene, dass sowohl der Deutschen Meisterschaften und der Bundesliga Geld und Teilnehmer fehlen und man immer wieder sisyphosartig versucht Formate, die sich nachweislich am Markt bei den Schachspielern und -fans nicht durchsetzen, künstlich am Leben zu erhalten?

Joachim Gries:
Für die Organisation der Bundesliga möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen, denn dies ist der Zuständigkeitsbereich des Bundesliga e.V. und die Vereine regeln und besprechen ihre Organisationsstruktur dort in regelmäßigen Abständen in ihren turnusmäßigen Treffen. Dort werden neue Organisationsformen diskutiert und thematisiert und nach entsprechendem Beschluss in der Praxis erprobt.
Zu den deutschen Meisterschaften habe ich bereits eine ganze Menge in meinem Rechenschaftsbericht in der Kongressbroschüre gesagt. Zusammenfassend kann ich festhalten:

  1. Die Bezuschussung für den Ausrichter ist zu niedrig
  2. Die Durchführung und Organisation unter den momentanen Rahmenbedingungen ist ländlich strukturierten Regionen vorbehalten. Ballungsräume kommen nur dann in Frage, wenn dem Ausrichter ein Sponsor zur Seite steht

Krennwurzn:
Kommen wir zum Schluss noch zum heftig diskutierten Thema FIDE

Joachim Gries:
Wie schon in anderen Bereichen auch war sich das Präsidium bezüglich FIDE-Kongress Tromsö (Iljumschinow vs. Kasparow) uneins. Ich vertrat damals, wie auch heute, die Position, dass beide Kandidaten nicht vom DSB wählbar waren und zwar deshalb, weil beide nicht nur dem Korruptionsverdacht ausgesetzt waren, sondern nachweislich auch mit Korruption gearbeitet haben. Ein Verband, der solche Kandidaten unterstützt rückt sich damit selbst in die Nähe der Korruption. Der DSB war und sollte auch weiterhin ein Verband sein in dem das Wort Korruption und seine damit verbundenen Aktivitäten geoutet sind.

Krennwurzn:
Da teile ich Ihre Ansicht, dass beide Lager nicht wählbar waren! Allerdings verstehe ich auch den Ansatz von Herbert Bastian dennoch in die Institutionen zu gehen, weil man mit dem Oppositionskurs der letzten Jahre genaugenommen nichts erreicht hat. Welche alternativen Möglichkeiten gäbe es noch - ein FIDE Austritt demokratischer Föderationen?

Joachim Gries:
Ob Herbert Bastians FIDE - Weg der richtige ist, wage ich zu bezweifeln. Das Argument, nur das Beste für das deutsche Schach im Auge zu haben, muss erst bewiesen werden. Die Nichtberücksichtigung deutscher SR bei der Schacholympiade in der Türkei (wegen Rechtsstreitigkeiten zwischen FIDE und den Unterstützern von Karpow) ist ein Beweis für "die harte Haltung gegenüber Kritikern". Auch die Forderung/Angebot an den DSB mit Zahlung einer Summe X die Beziehungen zwischen DSB und FIDE wieder in geordnete Bahnen zu lenken - ist kein Freundschaftsdienst und im Prinzip ein "NO GO".

Die Annäherung, die von Herbert Bastian vollzogen wurde - erscheint nicht wenigen Schachspielern in Deutschland als ein "Opfern deutscher Positionen - gegenüber der FIDE". Die Ausführungen zur Korruption möchte ich nicht wiederholen!

Die Position des DSB lässt sich auch in der NEUTRALEN Rolle manifestieren. Wir haben es nicht nötig auf "Schmusekurs" mit Präsidiumssitz in der FIDE zu äugen. Die geschäftlichen Beziehungen (Finanzen, ELO, Titel, etc.) laufen über das FIDE-Büro und sind absolut unabhängig von irgendwelchen Funktionen in der FIDE.
Die Kontakte in der ECU und im westlichen Europa sind seit Tromsö nicht mehr die besten und bedürfen der Verbesserung. Hier sind bilaterale Gespräche dringend notwendig (siehe Aussage Michael S. Langer bei ChessBase).

Der langfristige Aufbau eines Kandidaten ist in der Vergangenheit gescheitert. Alle Versuche Iljumschinow zu entmachten sind gescheitert. Ein Austritt aus der FIDE ist aber dennoch nicht nötig, denn die Chaoszustände in den 1990 - 2005-er Jahren sind überwunden. Die Infrastruktur funktioniert, der Präsident ist umstritten. Die Föderationen können aber ihren Aufgaben nachkommen.
Allerdings kann es passieren, dass Entscheidungen getroffen werden, z.B. die Vergabe der Blitz- und Schnellschachweltmeisterschaft nach Berlin 2015, ohne dass dies dem DSB-Präsidenten bekannt gegeben wurde, obwohl er zum gleichen Zeitpunkt in China weilte. Der DSB ist zwar nicht Ausrichter, aber es müsste eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein den zuständigen Präsidenten der betroffenen Föderation zu informieren, insbesondere dann, wenn er außerdem Vizepräsident der FIDE ist.

Ein Zusammenschluss, eine Kooperation mehrerer Föderationen zu einer Interessengemeinschaft ist denkbar, aber nicht außerhalb der FIDE. Das "Hochhalten demokratischer Strukturen" und die Unterstützung bedürftiger Mitglieder (ohne Korruptionsinteressen) kann ein Weg sein langfristig in der FIDE Veränderungen einzuleiten. Gegenseitiger Respekt, Vertrauen und Offenheit müssen Grundlage der angestrebten Kooperationen sein. Politisches Taktieren, Lavieren, diplomatisches Geplänkel sind kontraproduktiv.

Krennwurzn:
Sie sagten Sie sehen die Kandidatur jetzt ambivalent – wie ist Ihr persönliches Verhältnis zum Präsidenten heute?

Joachim Gries:
Mit Herbert Bastian verband mich eine langjährige persönliche Freundschaft, aber in den letzten Jahren und Monaten haben wir durchaus unterschiedliche Einschätzungen von Sachfragen entwickelt. Er stieß in der Vergangenheit eine Vielzahl von Ideen und Projekten an, die er mit viel Engagement und Kreativität vorantrieb, die den DSB zum Teil finanziell stark belasteten, vergaß aber leider dabei, dass es im DSB möglicherweise wichtigere "Baustellen" gab (deutsche Meisterschaften - ausgeglichenen Haushalt, etc.)

Chess Structures – a Grandmaster Guide von Mauricio Flores Rios
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Mauricio Flores Rios (MFR) ist ein junger GM (aktuelle Elo: 2531), der regelmäßig für Chile bei der Schacholympiade spielt.

Er selbst beschreibt seine schachliche Entwicklung so, dass er früher stark von seinen taktischen Fähigkeiten profitierte, ohne positionell besonders gut ausgebildet gewesen zu sein. Er geht sogar so weit, zu sagen, dass er IM wurde, ohne das positionelle Wissen zu haben, das er in diesem Buch verarbeitet hat. Nachdem ich die langen taktischen Varianten in den ersten kommentierten Partien gesehen habe, glaube ich ihm das.

MFR unterteilt das Buch in 22 Kapitel (mit Übungen am Ende des Buches), die jeweils die bekanntesten Bauernstrukturen besprechen. Z. B. beginnt er mit dem Isolani, um später unter anderem hängende Bauern, die Caro-Kann- und die Carlsbader Bauernstruktur und viele mehr zu erläutern.

Nachdem er ausführlich erklärte, warum er nicht nur die positionellen Motive besprechen will, sondern die sich anbietenden typischen, hinter den Bauernstrukturen steckenden Pläne, war ich begeistert und gespannt. Dann allerdings las ich mich in die Partien ein, in denen viele lange Varianten nicht oder nur mit einer abschließenden Bewertung versehen waren. Da war ich zunächst enttäuscht und wollte das Buch schon abhaken. Doch glücklicherweise kam ich dann dahinter, dass dieses Buch sich nicht durch die Kommentare in den Partien auszeichnet, sondern durch den Rest:

Vor jeder Partie stellt MFR kurz dar, was in der folgenden Partie gelernt werden soll. Nach der Partie erklärt er die feineren positionellen Aspekte, die für den Ausgang der Partie relevant waren. Und er hat dafür sehr gut passende Partien gefunden. Um es konkreter zu sagen: MFR schafft es hervorragend, sehr anschauliche Partien zu finden und dann die positionelle Essenz, die prinzipiellen Pläne, aus den Partien in kurze und sehr verständliche Anmerkungen zu verpacken. Dabei meine ich auch zu erkennen, wie gut MFR selbst die einzelnen Bauernstrukturen verstanden hat, da ich das Gefühl hatte, dass er manche Stellungen noch besser beschreiben kann als andere. Aber selbst wenn es tatsächlich Qualitätsunterschiede in den einzelnen Kapiteln geben sollte: Für Spieler bis zu einem Rating von 2300 ist dieses Buch in jedem Fall ein enormer Gewinn, wahrscheinlich auch für noch bessere Spieler.

Nachdem es mir gelang, die Anmerkungen in den Partien nur „nebenbei“ oder bei Bedarf eingehender zu berücksichtigen und ich stattdessen mehr Konzentration in den Verlauf der Partien und die Anmerkungen davor und danach investierte, erkannte ich, wie nützlich dieses Buch zum Lernen ist. Besonders deutlich wurde es mir bei Bauernstrukturen, für die ich bisher nur wenig Stellungsgefühl entwickeln konnte.

Fazit: Unverzichtbar für Spieler zwischen 1500er und 2300er Rating, wenn man nicht ständig einen professionellen Schachtrainer von überdurchschnittlicher Qualität dabei hat. Mein Dank geht an den Schachversand Niggemann (schachversand.de) für dieses erst auf den zweiten Blick großartige Buch.

Dennis Calder, Fide Instructor

Sterne5

The modern Tiger
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Was gibt es über Tiger Hillarp Persson zu sagen? Zunächst einmal: Ja, er heißt wirklich Tiger. Der aktuell zweitstärkste Schwede spielt seit Jahren konstant zwischen 2500 und 2600 Elo und ist der vermutlich bekannteste Spieler, der regelmäßig die moderne Verteidigung spielt. Ein Hinweis noch: Tiger ist seit einiger Zeit mein Trainer. Obwohl ich mir auf meine Objektivität etwas einbilde, bin ich mir nicht sicher, ob ich hier wirklich objektiv bleiben kann. Ich versuche es.

Tiger´s Modern aus dem Jahr 2005, Tiger´s Erstlingswerk zur modernen Verteidigung, wurde ein Klassiker der Eröffnungslehre. Er beschäftigte sich, wie der Name schon sagt, mit der modernen Verteidigung (aus schwarzer Sicht). Dass seine Eröffnung lebt, kann leicht dadurch bewiesen werden, dass sie mindestens gelegentlich auch von anderen GMs erfolgreich gespielt wird, z. B. von Caruana. Knapp 10 Jahre später packt der Autor sozusagen Version 2.0 seines Buches aus. Dabei schaut er besonders auf seine Hausvariante 1. e4 g6 2. d4 Lg7 3. Sc3 d6 4. … a6!? Damals noch exzentrisch, heute akzeptiert.

Zum Buch:

Zu Beginn erläutert Tiger, wie sich seine eigene Einstellung zur modernen Verteidigung über die Jahre verändert hat - von der „besten Eröffnung überhaupt“ zu einer immer noch sehr interessanten Eröffnung, die aber nicht jedermann zu empfehlen ist. Wenn man die Spielweise und Stärken des Tigers kennt, erklärt sich seine Vorliebe für die moderne Verteidung. Er hat eine starke Neigung, hochkomplexe positionelle Stellungen spielen zu wollen, um den Gegner von Beginn des Spiels an unter Druck zu setzen, weil er ein ausgezeichnetes Gefühl für komplexe Stellungen hat und kreativ ist. Eine Eröffnung, in der Verständnis mehr zählt als Auswendiglernen, weil man hochgradig flexibel auf die Aufstellung des Weißen reagieren kann und oft auch muss, um nicht unter die Räder zu kommen. Im Gegenzug bekommt man oft sehr komplexe (auf neudeutsch: „abgefahrene“) Stellungen, in denen nicht nur schwächere Schachspieler den Überblick sehr schnell verlieren, dafür aber die Partie so schnell nicht mehr vergessen. Da kommt dann der Vorsprung durch Erfahrung als Schwarzspieler zum Tragen.

Diese Eröffnung ist folglich das Richtige für kreative Spieler mit überdurchschnittlichem positionellen Verständnis, die komplexe Stellungen spielen wollen. Mein früherer Trainer hat mal gesagt, dass die moderne Verteidigung für Anfänger und nicht starke Spieler eher eine schlechte Wahl ist. Dem kann ich nur zustimmen.

Zur Sprache: Der Autor geht feinsinnig mit der Sprache um, subtiler Humor und klare Aussagen machen das Lesen der Anmerkungen sehr unterhaltsam. Wer englisch nicht so gut versteht, kommt vielleicht mit dem Humor nicht immer mit, immer aber mit den schachlichen Aussagen.

Ich selbst hatte inhaltlich etwas anderes erwartet als das, was das Buch nun geworden ist. Ich rechnete mit einem Lehrbuch, um die Massen von dieser Eröffnung zu begeistern und weil Tiger lehren kann. Nun halte ich stattdessen ein ausgewachsenes Nachschlagewerk in Händen. Über 520 Seiten voller Varianten, Analysen und fundierten Bewertungen auf hohem Niveau.

Tiger hat jede einzelne Variante intensiv durchleuchtet und noch einmal bewertet, insbesondere hat er sein Erstlingswerk nicht geschont. Man bekommt auch ohne Beschönigung die Bewertung eines anerkannten Spezialisten der Eröffnung über die einzelnen Varianten und kritischen Abspiele. Von wegen Erstlingswerk: Der Name "The modern Tiger" ist natürlich eine platte Anspielung auf "Tiger´s Modern" - die Idee kam vom Verlag, Tiger hat allerdings leicht beschämt zugegeben, sich nicht energisch genug gegen diesen Titel gewehrt zu haben...

Neben einer groben Variantenübersicht zu Beginn der Kapitel stellt Tiger auch mehrfach die typischen Pläne von Weiß dar und in welchen der folgenden Partien dieser Plan behandelt wird. Das bringt Überblick und gibt ein besseres Gefühl für die Strukturen.

Um ein Gefühl für die richtige Platzierung der Figuren und Bauern zu bekommen, muss man die Anmerkungen, auch in den Partien, sorgfältig lesen, weil sie leider nicht wie in einem guten Lehrbuch systematisch sortiert sind, sondern sich mal hier, mal dort „verstecken“. Überfliegen reicht da nicht. Und erstaunlicherweise sollte man wirklich vorne mit dem Durcharbeiten anfangen. Warum erstaunlicherweise, wo man Bücher doch meistens von vorne nach hinten liest? Bei den meisten Schachbüchern macht es keinen nennenswerten Unterschied, wenn man sich die Kapitel einzeln vornimmt, je nachdem, was man gerade gespielt hat oder spielen will. In diesem Buch lesen sich die Kapitel von vorne nach hinten irgendwie sehr logisch und man nimmt die mitgegebenen Faustregeln besser im Gedächtnis auf, um in den Folgekapiteln davon zu profitieren. Also doch eher Lehrbuch? Vom Aufbau her wahrscheinlich schon, vom Inhalt her überwiegend nicht. Von einem Lehrbuch erwarte ich mehr Erläuterungen, wo es lang geht und worauf es ankommt. Die vorhandenen Erläuterungen sind sehr nützlich, aber eben nicht so ausführlich, dass ein Anfänger oder mittelmäßiger Spieler (jeder definiere diese Bewertung nach eigenem Geschmack) ein echtes Gefühl entwickeln kann, wo die Figuren hingehören. Dafür findet man ungefähr jede halbwegs brauchbare Variante in diesem Buch und eine entsprechende Bewertung.

Was mir an den meisten Eröffnungsbüchern nicht gefällt, ist die Besprechung ganzer Partien, so auch hier. Ganze Partien blähen das Buch auf und haben üblicherweise einen überschaubaren Lehreffekt. Immerhin werden die eröffnungstheoretisch nicht mehr relevanten Passagen kürzer besprochen. An manchen Stellen weist Tiger aber auch aktiv darauf hin, wenn es sich um typische Endspielstrukturen handelt. Immerhin.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für mich, dass mitunter Partien verwendet wurden, in denen schon früh schlechte Züge gespielt wurden. Dadurch ist eröffnungstheoretisch der Rest der Partie unwichtig geworden, was für ein Eröffnungsbuch ja gerade nicht optimal ist... Andererseits sind nicht so viele Partien gespielt worden, die theoretisch bis zum 20. Zug fehlerfrei waren. Und es soll niemand auf die Idee kommen, dass diese Eröffnung nur von mittelmäßigen Spielern gespielt würde. Neben dem am Anfang erwähnten Caruana stehen unter anderem Weltklassespieler wie Tkachiev, Bologan, Benjamin, Gulko, Gurevich, Kramnik, Khalifman, Seirawan und Wojtaszek auf der Liste der Schwarzspieler. Das sagt etwas darüber aus, wie komplex die Eröffnung werden kann.

Dafür bekommt man auch allerhand Abspiele, die auf Clubniveau gespielt werden, um damit umgehen zu können.

Fazit:

Am Ende ist es eine Mischung aus Lehrbuch und Nachschlagewerk geworden. Die gesuchten Informationen sind im Buch, nur nicht so übersichtlich, wie ich es mir gewünscht hätte. Daher:

Deutlich fortgeschrittene Spieler (ab Rating von mindestens (!) 1800, passender wäre ab 2000) werden beim Durcharbeiten von den Anmerkungen bestimmt stark profitieren. Für schwächere Spieler ist es meines Erachtens zu komplex.

The Modern Tiger wird wieder ein Klassiker für Anhänger der modernen Verteidung oder solche, die es werden wollen. Als Nachschlagewerk für diese Zielgruppe unverzichtbar. Es hätte etwas übersichtlicher sein können. Als Lehrbuch ist es auch geeignet, allerdings braucht es mehr Aufwand, um die Infos zusammenzutragen.

Bereitgestellt wurde dieses Rezensionsexemplar vom freundlichen Schachversand Niggemann (schachversand.de)

Dennis Calder

Fide Instructor

Sterne4