Ein Endspiel

Die Schlusstellung Die Schlusstellung

Ein Leser hatte (in einer privaten email) vorgeschlagen hier auch mal Endspiele zu thematisieren. Meine Antwort war "das kann ich nicht, dafür bräuchte man Karsten Müller (und der macht das vielleicht nicht ehrenamtlich und gratis)". Jetzt versuche ich es doch einmal, vielleicht auch zweimal: zwei Partien von der Schnellschach-EM (Dreev-Naiditsch und Shirov-Sargissian) hatte ich bereits nebenbei erwähnt - da verstehe sogar ich im Nachhinein(!) was da eigentlich los war bzw. bilde mir das zumindest ein. Es gibt aber keine oder kaum Varianten, dafür reihenweise Diagramme und einige Worte dazu. Vielleicht bietet es sich an zunächst nur die Diagramme zu betrachten und dann erst was jeweils zwischendrin geschah. Die Schlusstellung kennt der Leser bereits, nun noch der Weg dahin:

Dreev-Naiditsch players

Naiditsch (links mit Schwarz) gegen Dreev, noch haben beide alle 16 Klötze (Foto: Turnierseite)

1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sc3 Lb4 4. Dc2 O-O 5. a3 Lxc3+ 6. Dxc3 b5 7. cxb5 c6 8. Lg5 cxb5 9. e3 Lb7 10. Sf3 h6 11. Lh4 g5 12. Lg3 Se4 13. Dd3 a6 14. Sd2 f5 15. Tc1 Sxg3 16. hxg3 Kg7 17. Dc3

Dreev-Naiditsch 1

Zur Eröffnung nur soviel: das schwarze Bauernopfer im 6. Zug ist bekannt, und meistens gibt Weiss - wie Dreev - den Bauern sofort zurück. Noch sieht es nicht danach aus dass diese Partie im Endspiel entschieden wird, aber Schwarz gefiel die weisse Dame auf c3 offenbar nicht, also 17.- Dc8 und nun 18. Dxc8 Txc8 19. Txc8 Lxc8

Dreev-Naiditsch 2

Damit haben wir schon ein Endspiel, sind aber irgendwie noch mitten in der Eröffnung - das ist doch die Partiephase in der beide Spieler ihre Figuren entwickeln? Während der Liveübertragung wusste ich nicht wie ich diese Stellung einschätzen sollte: etwa ausgeglichen aber sicher nicht totremis, der erfahrene Techniker Dreev wird wohl noch einiges versuchen? Ich drückte Naiditsch die Daumen, habe aber prinzipiell die Einstellung "Möge der Bessere gewinnen" und "Möge die Wahrheit über die Stellung zu Tage kommen". Weiss fällt es vermutlich leichter seine restlichen Figuren zu entwickeln als Schwarz die seinen am Damenflügel zu entknoten. Auf der Habenseite für Schwarz: der König steht bereits etwas aktiver (momentan muss er ja noch den Bauern auf h6 decken, aber der weisse Turm bleibt wohl nicht ewig auf der h-Linie). Ob das im weiteren Partieverlauf eine Rolle spielte? 20. Ld3 Ta7 mir erscheint 20.-Lb7 logischer, aber Schwarz will offenbar schnell die c-Linie besetzen und kontrollieren. Da hat er zwar wegen dem Läufer auf d3 kein Einbruchsfeld, aber was Schwarz hat das bekommt Weiss nicht mehr, oder vielleicht irgendwann doch? 21. e4 Rc7 22. O-O auch hier für mich überraschend dass Weiss noch rochiert statt 22.Ke2 - Plan ist wie sich zeigen wird f2-f4 und dann steht der Turm gut auf der sich potentiell öffnenden f-Linie 22.-fxe4 23. Sxe4 Lb7 Hier ging sicher auch 23.-Sc6 um den weissen d-Bauern anzugreifen bevor Weiss ihn bequem mit Ke3 decken kann. Dann kommt wohl 24.Tc1 mit Fesselung auf der c-Linie 24. Sd6 Kf8 25. f4 Ke7 26. Sxb7 Später ist der weisse Läufer stärker als der schwarze Springer, konnte Schwarz seinen Läufer auf a8 vor dem Abtausch verstecken? Im 24. Zug natürlich gar nicht (25.Se8+), einen Zug später müsste er auch erst 25.-gxf4 26.gxf4 einschieben und dann bekommt Weiss potentiell einen Freibauern auf der g-Linie der von seinen Figuren gut unterstützt wird. Wenn Weiss will kann er auch da zwischendrin 26.Sxb7 einschieben, aber ich glaube in dem Fall will er nicht. Langsam wird deutlich was das schwarze Problem ist oder wird: die weissen Figuren bestreichen beide Flügel, die schwarzen kleben am Damenflügel. 26.-Txb7 27. Kf2 Sc6 28. Ke3 siehe Kommentar zum 23. Zug von Schwarz 28.-Kf6 der König muss wieder zurück da h6 nach wie vor schwach ist. Hmm, musste das sein? Engines plädieren für 28.-Tb8 29.Th1 Tg8 oder 28.-Sa5 Idee Gegenspiel mit -Sc4. 29. Th1 Kg7 30. Tc1 erst den König nach g7 stellen, dann selbst auf die c-Linie 30.-Se7 31. Le4 Ta7

Dreev-Naiditsch 3

Hatte Schwarz nicht mal die c-Linie kontrolliert? 32. g4 gxf4+ 33. Kxf4 d6 34. g5 Nun bekommt Weiss nach 34.-hxg5+ wiederum einen Freibauern auf der g-Linie. Stattdessen macht Naiditsch was für die verteidigende Seite generell eine gute Idee ist: möglichst viele Bauern eliminieren. 34.-e5+ 35. dxe5 dxe5+ 36. Kxe5 hxg5 37. Kd6

Dreev-Naiditsch 4

Eine Konsequenz der schwarzen Vereinfachung ist aber dass der weisse König nun viel aktiver ist als sein Kollege. Wenn man diese Stellung mit der nach dem 19. Zug vergleicht (zweites Diagramm): damals stand der weisse König auf e1 und der schwarze (da schon) auf g7 und jetzt immer noch oder wieder. Im Nachhinein musste Schwarz den weissen Königs-(Durch)marsch wohl mit 33.-Kf6 oder 33.-Sg6+ verhindern? 37.-a5 38. Tc7 Weiss tauscht dagegen Figuren ab - die Kontrolle der c-Linie dient nur dafür, aber so macht er weitere Fortschritte 38.-Txc7 39. Kxc7 Kf6 40. Kb6 Ke5

Dreev-Naiditsch 5

Jetzt steht der schwarze König zwar zentralisiert, allerdings ohne da viel zu bewirken - er kann nur davon träumen einen der weissen Bauern zu ergattern. Der weisse Monarch ging dahin wo nun die Musik spielt: zu den schwarzen Bauern am Damenflügel 41. Lb7 b4 42. Kxa5 bxa3 43. bxa3 Kd6

Dreev-Naiditsch 6

Nächstes Zwischenfazit: jetzt hat Weiss einen Bauern mehr bei allerdings stark ausgedünntem Material. Es ist aber gerade noch genug dass Schwarz seinen Springer nicht einfach gegen einen weissen Bauern opfern kann. Nicht für den a-Bauern denn es gibt ja noch die g-Bauern (und Weiss kann seinen auf g2 jederzeit bequem mit dem Läufer verteidigen). Und auch nicht für den g-Bauern da Weiss zum Randbauern den richtigen Läufer hat. Mit einem schwarzfeldrigen Läufer hätte er wohl lieber einen b-Bauern behalten was auch möglich war - das ist natürlich hypothetisch denn dann hätte sich die gesamte Partie anders entwickelt. 44. Kb6 Ng6 45. a4 Ne5 46. a5 Nd7+ wie gesagt, 46.-Sc4+ 47.Kb5 Sxa5 reicht nicht zum Remis 47. Kb5 Kc7 48. Bd5

Dreev-Naiditsch 7

Houdini nennt den nächsten schwarzen Zug einen schweren Fehler und plädiert für 48.-Se5 oder auch 48.-Sf8 was er anfangs nur mit etwa +1 bewertet - Weiss steht besser aber nicht auf Gewinn? Idee ist danach wenn möglich den weissen a-Bauern mit Ka7 zu blockieren, dann wird daraus keine Dame. Weiss kommt dann nur weiter wenn er mit dem König zum schwarzen g-Bauern läuft, und vielleicht schafft es Schwarz doch seinen Springer für beide Bauern zu opfern? Ich gebe hier mal was stärkere "Kollegen" (Sergey Shipov?) "an approximate variation" nennen - nicht forciert aber um die Idee zu demonstrieren: 48.-Se5 49.Le6 (vergleiche Partie) 49.-Kb7 50.a6+ Ka7 51.Lc8 Sd3 52.Kc4 Sf4 53.g4 (53.g3 Sh5 54.g4 Sf6 55.Kd4 - hier gewinnt nur 55.Kc4-f5 - 55.-Sxg4 56.Lxg4 Kxa6 =) 53.-Sh3 54.Kd4 Sf2 und wieder bekommt er beide Bauern. Wenn Weiss es sich mit 54. bzw. 55.Kb5 anders überlegt kann er wohl auch nicht mehr gewinnen. Einen Zugzwang sehe ich nicht, der schwarze Springer behält immer mindestens ein Feld [ausser er ist ziemlich dumm: in der ersten Variante mit Springer auf f6 weiter mit 55.Kb5 Sg8 56.Lf5 Sh6?? 57.Le6 1-0]. Schwarz kann das Remisendspiel mit Bauer gegen Läufer aber vermutlich nicht erzwingen - wahrscheinlich belässt Weiss seinen a-Bauern am besten erst mal auf a5, da ist er bereits gefährlich aber noch nicht verwundbar. 48.-Kb8 49. Le6 nur so - der Läufer dominiert den Springer, der weisse König kommt bleibend nach b6 da Schwarz ihn mit Sd7+ oder Sc4+ nicht vertreiben kann Ne5 50. Kb6 Sd3 51. a6 1-0 Nochmal zur Erinnerung:

Dreev-Naiditsch 8

Und hier die Partie in Gänze zum Durchklicken:

Betreiben wir nun Ursachenforschung, auch wenn Richter dafür vielleicht nicht der Richtige ist: Warum hat Naiditsch verloren? Lag es an Dreevs Orangensaft? Der Herr in Weiss mit Cola im Hintergrund ist, glaube ich, Malakhov - er gewann in derselben Runde gegen (den getränkelosen?) Kamil Miton, auch im Endspiel allerdings erst nach 95 Zügen (am Ende eine gewonnene Version von Turm und Bauer gegen Turm). Wenn wir diese Information nicht hätten oder nicht daran glauben müssen wir die Partie nochmal Revue passieren lassen. Knackpunkt war vielleicht Naiditschs 33. Zug - wie gesagt, das Eindringen des weissen Königs musste und konnte er wohl verhindern. Hat Naiditsch verkehrt eingeschätzt dass Dreev nach 37.Kd6 (gerade) noch genug Gewinnpotential hatte? Alles davor ist wohl eher Ansichts- oder Geschmackssache. Houdini hat übrigens öfters d7-d5 in der engeren Wahl, aber (selbst wenn es geht) welcher Mensch macht das schon? Noch einen oder zwei Bauern auf der Farbe des gegnerischen Läufers festlegen und (solange er noch auf dem Brett stand) den eigenen Läufer damit auf selbst angemischten Beton beissen lassen? Danach tendiere ich dazu dass 48.-Se5 auch nicht mehr geholfen hätte, auch wenn es dann noch Schummelchancen gibt.

Noch ein bisschen Kontext zur Partie bzw. zu Dreev: Whychess zitierte ihn mal mit (sinngemäss) "Karjakin versucht seine Gegner zu überspielen, während Carlsen eher auf deren Fehler wartet". Das ist natürlich starker Tobak mit - wie ich finde - einem wahren Kern. Aus indirekter aber verlässlicher Quelle weiss ich dass Khalifman irgendwo auf Russisch dazu sagte "Dreev hat zu seinen besten Zeiten (1994-2005 war er - mit Unterbrechungen - top20) doch auch so gespielt wie er es Carlsen unterstellt oder vorwirft". Selbst wenn dem so ist (ich werde mir nicht zig seiner Partien anschauen um eine eigene unwesentliche Meinung zu bilden) wäre es nachvollziehbar wenn er mehr Respekt, Bewunderung oder Lob hat für jemand der das kann was er nie konnte, als für jemand der "nur ein besserer Dreev ist". Und in der vorliegenden Partie würde ich nicht sagen dass Dreev vor allem abgewartet hat.

Was noch? Ich bin gespannt auf Kommentare und würde mich darüber freuen. Gerne auch Ergänzungen oder Korrekturen, gerne auch (falls sie diesen Blog lesen) von Karsten Müller und/oder Arkadij Naiditsch. Und dann noch: Ich wünsche allen Lesern (und speziell meinen Kollegen vom Autorenteam) Frohe Weihnachten und bereits jetzt einen guten Rutsch ins Neue Jahr - das ist wahrscheinlich mein letzter Blogbeitrag anno 2012, ich weiss auch nicht in wieweit ich ab morgen mittags auf Kommentare reagieren kann - familiäre Verpflichtungen und nur begrenzt Internet-Zugang.

Kommentare   

#1 Michael Schwerteck 2012-12-23 13:56
Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass es hier genügend an Endspielen interessierte Leser gibt (bisher sieht es aber nicht danach aus), könnte ich mir vorstellen, die Rubrik zu übernehmen. Ich heiße zwar nicht Karsten Müller, bin aber in den letzten Jahren immer mehr zum Endspielfreak geworden und bilde mir ein, eine gewisse Expertise entwickelt zu haben. Zumindest mit Hilfe von Literatur, Engines und Tablebases kriege ich normalerweise jedes Endspiel auf die Reihe. Dies nur mal als kleines Angebot.

Ein paar Bemerkungen zur vorliegenden Partie:
a) Keine Ahnung, was Houdini im 48. Zug gesehen haben will. Dass Weiß total auf Gewinn steht, erkenne ich auch noch mit bloßem Auge. In der Tat zeigt Stockfish (für Endspiele oft die bessere Wahl) hier schnell +20 und mehr. Nach 48...Se5 kommt natürlich nicht 49.Le6??; das ist ja ein völlig kontraproduktiver Zug, der den schwarzen König nach b7 lässt. Stattdessen gewinnt so ziemlich alles andere, z.B. 49.Kc5.
b) Bewertungen wie "+1" sind hier sowieso fehl am Platz. In solchen elementaren Endspielen gibt es nur zwei mögliche Bewertungen, nämlich gewonnen oder remis. So etwas wie "Weiß steht besser" ist für einen gründlichen Analytiker ausgeschlossen.
c) Solche Endspiele mit 7 Steinen sind auch schon tablebase-mäßig berechnet. Die Allgemeinheit hat meines Wissens noch keinen Zugriff darauf, aber es wird wohl nicht mehr lange dauern.
d) Ich habe nicht alles analysiert, aber der 33. Zug scheint mir ein Schlüsselmoment zu sein. 33..d6? war m.E. verkehrt, denn 34.g5! hätte man nicht zulassen dürfen. Stattdessen z.B. 33...d5 34.Ld3 Kf6 und Weiß hat viel größere Schwierigkeiten, Fortschritte zu erzielen.
#2 Helmut 2012-12-24 00:04
Ich würde regelmäßige Ensdspielanalysen begrüßen. Ich fand diese von Thomas Richter schon recht instruktiv und den Kommentar von Mattovsky ebenfalls. Dass ansonsten bisher keine Kommentare abgegeben wurden, läßt nicht auf mangeldes Interesse der Leser schließen -- eigene Erfahrung mit einem Blog sagen mir: 100% der Besucher lesen, aber nur maximal 3% fühlen sich gemüßigt, eigenen Senf dazuzugeben. Eher noch deutlich weniger. Auch ich selbst zähle mich eher zu der Gruppe der Leser, "Konsumenten" halt...

(Das trifft z.B. ebenso auf die Beiträge von Losso zu, die finde gut, kommentiere sie aber nicht unbedingt.)
#3 Thomas Richter 2012-12-30 19:42
Hallo zusammen,

Bin zurück aus dem Weihnachtsurlaub, ein paar Bemerkungen. Ich habe (im passwort-geschützten Administratorbereich) eine Info die Leser nicht haben, nämlich wie oft Beiträge angeklickt werden. Dieser hier bisher etwa 700-mal, das ist blogintern unteres Mittelfeld aber mehr als Null. Wobei ich nicht weiss wieviele _einzelne_ Leser sich dahinter verbergen (die ersten zwei drei Klicks sind immer von mir selbst da ich meine Beiträge nach Veröffentlichung oft noch etwas editiere und das dann kontrolliere) und wer den Beitrag wirklich komplett gelesen hat und schätzt. Aber derlei Interesse kann man vielleicht auch erzeugen, "steter Tropfen höhlt den Stein"? Mein Interesse am Problemschach war (und ist immer noch) eher begrenzt, dennoch bravo Losso! Also, wenn Mattovsky oder wer auch immer Lust (und zumindest ab und zu Zeit!) hat das Autorenteam zu verstärken, einfach email an info@schach-welt.de ! Von mir wird es wohl keine regelmässige Endspiel-Serie werden (da es zeitraubender ist als andere Blogbeiträge), aber Shirov-Sargissian kommt noch irgendwann demnächst.

Zu Mattovskys Bemerkungen:
a) Houdini sieht zunächst mal dass 48.-Kb8 schnell verliert (im Sinne von definitiv aufgabereif) während es nach 48.-Se5 länger dauert. Und dann muss man eben die Idee haben mit dem weissen König zum g-Bauern zu laufen (Engines haben keine Ideen, sie rechnen nur)
b) korrekt, aber Engines sehen eben (wie auch Menschen mitunter) erst später das Licht. Sie bewerten ja mitunter auch (z.B. Turm-)Endspiele als klar vorteilhaft die laut Tablebase glatt remis sind.
d) 33.-d5 34.Ld3 Kf6 ist zumindest zäher, nach 35.Th1 muss man dann wohl (oder übel) das passiv erscheinende 35.-Sg8 spielen !? Ich weiss auch nicht ob d7-d5 wirklich nötig ist, sieht unattraktiv aus [wer Französisch oder Stonewall spielt ist vielleicht anderer Meinung, aber auch die Leute wollen wohl am liebsten die weissfeldrigen Läufer abtauschen].
#4 Michael Schwerteck 2012-12-31 16:42
Aha, danke für das Feedback. 700 Klicks, hm, ich würde mal tippen, dass das ungefähr halb so viele Leser sind. Für einen der bekannteren Schachblogs in Deutschland ist das schon relativ wenig, aber es wundert mich nicht. Dafür war vielleicht schon die Überschrift ("Ein Endspiel") taktisch unklug gewählt. Das hängt mit der rätselhaften Schachkultur in Deutschland zusammen. Wir haben zwar trotz aller Unkenrufe immer noch sehr viele Aktive (im Vergleich zu anderen Ländern), aber die meisten von ihnen interessieren sich erstaunlich wenig für Schach im engeren Sinne. Ergebnisse sind wichtig, Elozahlen sind noch wichtiger, ansonsten lesen die Leute gerne von Streitfällen und Skandalen, von Klatsch und Tratsch. Hätte die Überschrift "Der Naiditsch-K.o." o.ä. gelautet, hätten die Leute gedacht, es handle sich um neuen Zoff mit dem DSB und es hätte mindestens drei Mal so viele Klicks gegeben. Wer interessiert sich dagegen schon für so ein langweiliges Endspiel...

Ich gehöre anscheinend zu den wenigen Exoten, die gerne in medias res gehen. Deshalb noch zwei kleine Ergänzungen zu den bereits angesprochenen Punkten:

zu a) Die Houdini-Analysen habe ich komischerweise nicht reproduzieren können. Bei mir schätzen alle Versionen schon bei geringer Rechentiefe die Lage richtig ein.
zu d) 35...Sg8 ist kein Problem, weil ja der Th1 danach auch nichts mehr leistet und Schwarz im Begriff steht, die offene c-Linie zu besetzen. 33...d5 habe ich v.a. aus konkreten Gründen empfohlen, weil sonst nach 35...Sg8 36.Lh7 ginge. So aber kontrolliert der Ta7 das Feld h7.
#5 Thomas Richter 2013-01-01 18:43
Ich schweife nun ab, aber was die "Quote" für Schach-Welt betrifft ist das Glas für mich eher halb voll als halb leer. Ich weiss wieviele Besucher Chessvibes im Schnitt hat(te) - Zahlen nenne ich nicht denn die Info von Peter Doggers ist über ein Jahr alt und war vielleicht vertraulich. Da können wir nicht mithalten, was wohl u.a. zwei Gründe hat:
- wir bedienen nur den deutschen Sprachraum
- auch im deutschen Sprachraum können/wollen(?) wir nicht mit Chessbase konkurrieren betrifft täglich was Neues, GM-Analysen usw. .

Jedenfalls sind typischerweise 1000-2000 Klicks pro Artikel nicht soo schlecht. Dass dieser Artikel weniger populär scheint liegt vielleicht am "langweiligen" Titel (habe es diesmal schlicht gehalten), vielleicht auch daran dass das Publikum über Weihnachten anderweitig beschäftigt war.
Skandalbeiträge sind populärer - momentan führt Bindrich vor Naiditsch und dann wieder Bindrich (als er bei der Deutschen Meisterschaft zu spät kam und genullt wurde). Das liegt aber vermutlich auch daran dass sie mehr Mehrfachklicks bekommen weil Leser die jeweils neuesten Kommentare lesen wollen?

Was die Houdini-Analysen betrifft: ich habe nur die Gratisversion und vielleicht ist mein Laptop eher langsam? Was das passive 35.-Sg8 betrifft: das geht sicher aber es _erscheint_ eben passiv. Wobei Naiditsch sich vorher, eigentlich (soweit ich seinen Stil beurteilen kann) für ihn untypisch, vorher eher passiv verhielt, im 28. Zug (wenn auch nicht partieentscheidend) vielleicht zu passiv. Aber die erwähnten Alternativen kosten wohl mehr Bedenkzeit, und die war vielleicht bereits knapp?

P.S.: Shirov-Sargissian ist (immer noch) in Vorbereitung und bekommt einen 'attraktiveren' Titel statt des anfangs geplanten "Noch ein Endspiel" :)
#6 Gerhard 2013-01-03 13:02
Danke für das instruktive Endspiel.
Ich habe es nur im Artikel und Player überflogen.
Zum einen sah das Endspiel von der Anfangsstellung nicht sehr toll für Schwarz aus. Weiß hatte aber den Nachteil des Doppelbauern auf g, was sich im (zweischneidigen) Zug g4 bemerkbar machte.
Endspiel ist immer konkret, das zeigt auch dieses Beispiel. Man muß sehen, was man in einer gegebenen Stellung erreichen kann.
Die Auffangstellung mit Sg8 überzeugte jedenfalls auf den ersten Blick.

Ich finde, daß man auch unter Amateuren eine gegebene Endspielstellung analysieren kann. Ein GM würde womöglich auf für ihn offensichtliche Dinge keine schriftl. Analyse verwenden. Ein Amateur würde zumindest probieren, ob am Damenflügel was für Weiß drin war und wie.

Bin gespannt auf weitere Folgen.

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