Berliner Jugendblitzeinzelmeisterschaft 2011

1) Die gewohnten „philosophischen“ Vorüberlegungen

Als Autor hat man es nicht ganz leicht, wird man doch durch die Veröffentlichung von Texten – selbst bei nur kleiner Leserschar – immer ein wenig exponiert. Es ist ein vertrautes Phänomen, dass, sofern man „alles richtig macht“ (natürlich, eine Illusion), als einziger Effekt -- dem Auftreten und der Beurteilung eines Schiedsrichters gleich, welcher angeblich dann am besten war, wenn er gar nicht erwähnt wird – zur Folge hat, dass man gar nichts hört, wohingegen im umgekehrten, aber doch Normal-, Fall der Fehlerhaftigkeit oder Verbesserungswürdigkeit man von Ratschlag um Ratschlag ereilt wird. Dies hat eine weitere Folge: anders als erwartet – es wird gerne zur Nachahmung empfohlen, zum Austesten der Wirkungsweise – legt man sich einfach ein dickes Fell zu. „Lass die ruhig erzählen. Einzig wichtige Erkenntnis: wenn die Leute was zu Meckern haben, heißt es doch immerhin, dass sie gelesen haben.“

Nun war es ja nicht einmal direkt ein Meckern, welches einem zu Ohren kam, jedoch enthielt es den gut gemeinten Ratschlag, doch von dem unpersönlichen „man“ dann abzusehen, wenn „man“ persönliche Erlebnisse einbezieht. So lobenswert die Absicht auch sein mag – so der unerwähnte Kritiker – sich selbst in den Hintergrund zu stellen: sobald die möglichst lebhaft geschilderten Erlebnisse zu sehr von eigenen Beobachtungen, Empfindungen begleitet sind, das eigene Handeln mit einbeziehen, klingt es, im Mindesten, etwas staksig und unbeholfen. „Dringend“, so der Rat, „dies einzustellen.“

Insofern war ich zwar selbst nicht beteiligt an jenem Turnier – sofern man nicht die philosophischen Gedanken weiter trägt, nach welchen man (und dieses „man“ betrifft jedes Elter) doch in den eigenen Kindern weiter lebt – und dennoch war ich irgendwie Teil des Ganzen. Also: für heute möge der Leser mal wieder mit einem Bericht in der Ich-Form vorlieb nehmen – und die Kritik ab nun vorformulieren, um sie mir bei passender Gelegenheit persönlich unter die Nase zu reiben.

Am Sonntag, dem 18. Dezember 2011 sollte, sozusagen als krönender Jahresabschluss, die Berliner Jugendblitzeinzelmeisterschaft ausgetragen werden. Sohn Ben-Luca war bereit und willens, sich den Altersgenossen im traditionellen auf 5 Minuten Bedenkzeit pro Spieler und Partie beschränkten Wettstreit im Kampf um Titel zu stellen. Immerhin winkte dem Sieger doch ein solcher. Dabei ist der Begriff „dem Sieger“ bereits irreführend, denn, selbst wenn alle Spieler in einer Gruppe in einem Schweizer System Turnier spielten und es somit nur einen Erstplatzierten des gesamten Turnieres gab, so wurden doch die Sieger sämtlicher Altersklassen im Anschluss – gar mit Medaillen von Platz 1 bis 3, in der entsprechenden Legierung -- geehrt.

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Obwohl es sich in Erzählungen des Autors selten um Turnierstände oder deren Ausgänge dreht: hier ein „Einstiegsbild“ nach der Entscheidung in der entscheidenden Partie. Der Mine des gegenübersitzenden Turniersiegers Jan Paul Cremer könnte man höchstes ein „Job erledigt“ entnehmen, wenn überhaupt irgendetwas. Dem Gegner Alexei Kropman gelang es ein klein wenig schlechter, die Gefühle zu verbergen. Seine Mine könnte den Gedanken verraten: „Das wars dann wohl mit dem Titel“. Es war Runde 6 von 11 und beide zuvor makellos. Die beiden Topfavoriten haben übrigens zwei Bewunderer, die beide im Turnier für einige Furore sorgten und bald schon die Fußstapfen der Größeren ausfüllen könnten:: Jirawat Wierzbicki, sitzend, 10, und Dennie Shoipov, stehend, 9. Dennie erzielte 7 Punkte und einen phantastischen 5. Platz, Jirawat gute 6 Punkte und Platz 14. Dahinter ein Trainer, sich gerade zum Gehen wendend: Dr. Marcos Kiesekamp.

2) Die „Turniervorbereitung“

Tja, einer alten Tradition folgend – unerwähnt sollte, bei allen vorab aufgezählten Nachteilen des Autorenjobs, nicht bleiben, dass es parallel zur Kritik ebenso Motivationsschübe gibt in Form von Zuspruch für die Texte – soll die Turniervorbereitung inklusive Anfahrt etc. nicht fehlen.

Da der größere, bereits seit einiger Zeit eifrig Schach spielende Sohn Ben, wie man dem Nachnamen entnehmen kann nicht einer Ehe entspringend, nicht dauerhaft bei mir sondern bei der Mutter wohnt, und an diesem Wochenende nicht bei mir war – er spielte am Samstag in Potsdam ein Kinderturnier, während ich beim SK Präsident um Grand-Prix Punkte kämpfte – musste man sich am Samstagabend kurzschließen, um sich möglichst irgendwo auf dem Weg zwischen Spandau, seinem Wohnort, Lichterfelde-Süd, meinem, und Weißensee, dem Austragungsort, in der Absicht, möglichst nahe an 10 Uhr – dem Registrierungsbeginn -- am Zielort einzutreffen, um nicht verantwortlich zu werden für einen möglichen verspäteten Turnierbeginn, welcher, laut Ausschreibung, alsbald nach Registrierungsschluss -- dieser 10:30 Uhr -- stattfinden sollte. Sofern nämlich jeder diesen zwar einhalten aber auch nicht „unterbieten“ würde, würde es stets zu einer Verspätung kommen – was im Übrigen der Praxis entspricht. Der eigene – ja, ich gewöhne mich daran: „Unser“ – Beitrag sollte dennoch möglichst gering sein, wenn überhaupt einer geleistet würde.

Die Vereinbarung war einfach, nachdem man ja im Zeitalter des Internet (und des Handys, welches übrigens die unerfeuliche Begleiterscheinung hat, dass man mittlerweile in Bahn und Bus ständig Ohrenzeuge von Verabredungen wird, wer sich gerade wo befindet und wann wo eintreffen wird etc. – und dies eigentlich nicht unbedingt wissen möchte) über www.bvg.de in Windeseile alle An- und Abfahrtszeiten aufgelistet bekommt, gepaart mit der kürzesten Verbindung und den Laufwegen (bitte um Nachsicht für die unvollständige Aufzählung), kamen Sohn und Vater überein, sich um 9:41 am S-Bahnhof Greifswalder Straße zu treffen, um ab dort mit der Tram M4 bis Hansastraße/Buschallee beziehungsweise dem Stadion dort den Weg gemeinsam fortzusetzen. Da jedoch die Stationen ab S-Bahnhof Gesundbrunnen auf dem Ring gemeinsam und theoretisch im gleichen Zug überbrückt würden, sollte der letzte Wagen der Treffpunkt werden.

Mein Fahrplan verlief vorschriftsmäßig, wobei ich bereits einkalkulierte, dass ich einen Zug früher da sein könnte. Gelegentlich sollen ja in letzter Zeit ab und an Züge ausgefallen sein. Geduscht, mit einem Kaffee und einem rasch verspeisten Brot im Magen, traf ich tatsächlich um 9:25 am Gesundbrunnen ein. Die Ringbahn S 41 traf ein auf dem Nebengleis, im letzten Wagen keine Spur von Ben.

10 eisige– trotz Abwanderns in die unteren Etagen – Minuten später der vereinbarte Zug. Nix Ben. Nun, vielleicht war er versehentlich in einem anderen Waggon? Also: Einsteigen bitte – Zurückbleiben bitte. Um 9:41 an S-Bahnhof Greifswalder. Kein anderer Wagen, nix Ben – nix verwundert. Wieso klappt es nicht? Weitere eisige 10 Minuten Wartezeit, die sich doch schon mal in Bangezeit verwandeln könnten. Denn: was, wenn er in dem nächsten Zug auch nicht wäre? Das Handy hatte immerhin die mütterliche Auskunft „er ist rechtzeitig los“ eingebracht. Wie lief das nur vor 20 Jahren? Irgendwie gefühlt: da klappte es. War sich jeder der Tatsache bewusst, dass man Absprachen unbedingt einzuhalten hätte, eingedenk der Unmöglichkeit, sich von Veränderung in Kenntnis zu setzen? Heute, so denkt man vielleicht, ist ja egal, ob ich pünktlich und am rechten Ort bin? Man könnte ja per Handy jederzeit umdisponieren?

Nun, ich schlenderte zur Zeitüberbückung (und Aufwärmung; der Wind war wirklich frisch) zur Tram rüber. In 4 Minuten und in 13 Minuten eine. Die müssten wir kriegen. Und: auf dem Aufdruck standen auch die gesuchten Stationen: Hansastraße/Buschallee und das Stadion, ZWISCHEN welchen beiden sich das Spiellokal befinden sollte.

Um 9:51 traf der Zug ein, und Ben stieg aus dem letzten Wagen aus. Aha, nicht geklappt weil ... U-Bahn verpasst. Wie geht das? Nun ja...

Die Tram brachte uns zum Stadion – auf die Station fiel die Wahl, da es doch gleichgültig sein sollte. Man vermisste bereits in der Tram wenigsten ein einziges kindliches Gesicht, welchem man (ja doch: „wir“), selbst wenn nicht bekannt, die Teilnahme zugetraut hätte. Nix, alleine marschierten wir los. Hausnummer 190 – gegenüber. 182 sollte es sein. Welche Richtung? Na klar, logisch, zurück zur vorherigen Station. Nummer 188 nach 100 Metern. „Aha“, so dachte man, „könnte ja werden.“ Exponiert, abgeleitet, extrapoliert ergäben es so 400 Meter – wenn sich doch wenigstens überhaupt Häuser auf jener Straßenseite befunden hätten. Da war nur das Stadion, in welchem ein einsamer Pensionär seine Runden eher neudeutsch „walkend“ als „joggend“ bewältigte.

Da wir nach ca. 300 Metern die Mitte der beiden Stationen erreicht hatten, mussten wir ja, so meine Schlussfolgerung, ohnehin bereits falsch sein. „Strafverschärfend“ kam jedoch hinzu, dass sich noch immer weder Hausnummer noch Gebäude in Sichtweite befand. Nach 400 Metern jedoch das kleine, bereits gefühlte Wunder. Ein einsames Schild mit einer Hausnummer, und nicht nur das. Die Aufschrift: „182“. Angekommen?

Na, man kann das Drama nicht immer auf dem Höhepunkt erwarten. Abgesehen von der Tatsache, dass man nach wie vor weder Kinder- noch Erwachsenengesicht zu sehen bekam und auch keinerlei Transportmittel – von welchen Autos am ehesten erwartet worden wären – und abgesehen von jenem Eindruck, dass dieses winzige Häuschen, über einen schlammigen Weg erreichbar, eher Umkleidekabine als Schachlokal war, wuchs doch die Zuversicht, nun eigentlich nicht mehr falsch sein zu können.

Der nach der Menschenleere befragte Sohn gab zu Protokoll: „Die sind alle schon drinnen.“ Dies allerdings konnte ich, ganz persönlich ich, ja, der Lerneffekt setzt ein, nicht etwa „der Autor“, zunächst belächeln – und dann ins Reich der Fabel verweisen.

Jedoch lehrte mich der Blick in das Lokal eines Besseren. Tatsächlich waren „alle“ schon da. BEIDE Turnierleiter nämlich, Andreas Rehfeldt UND Olaf Sill. Nun wurden wir freudig begrüßt – und um 10 Uhr 33 verkündete Olaf Sill gleichzeitig Anmeldeschluss und Turniersieger.

Da er es lächelnd tat und wir doch alle um des Schaches Willen erschienen waren, wurde den erwarteten Teilnehmern großzügig der Aufschub gewährt. (es macht übrigens ein Scherz in Berlin die Runde: kein Turnier startet je pünktlich, das gibt es eigentlich nicht; demnach hat man sich angewöhnt, den Anmeldeschluss an einem anderen Kriterium festzumachen. So heißt es, bevor man schließt, „ist Phillippe Vu da?“ „Ja!“ „Dann kann es ja losgehen.“)

Und bitte MIR (Übung macht den Meister) die schriftstellerische Pointierung bis hierher nachsehend, vor allem die nun Erwähnten: es WAREN ein paar weitere Teilnehmer dort, etwa zwei fast zeitgleich mit uns eintreffend (unter anderem übrigens Mathe-Genie Markus Penner) sowie mindestens ein weiterer, die Familien Schnabel und Schmidek ebenfalls kurz davor/danach eintrudelnd. Das Gros jedoch fehlte.

Als gegen 10:45 die Tür aufging und sich eine Reihe jugendlicher Schachfreunde einfand, konnte in Erfahrung gebracht werden, was denn nun im Wege stand. Heinz Großmann, Vorvater und Organisator der Jugendgruppe der BSC Rehberge – bei welcher ich das Mittwochstraining leiten darf – hatte zunächst ein Kind vergessen, deshalb die anderen am gewohnten Spielort des Ausrichtervereines – der Hausnummer 190 – abgesetzt, in der Gewissheit, dass sich das Spiellokal dort befinden müsste. Die Kinder, begleitet von einem unwissenden Erwachsenen (einem weiteren Fahrer, deshalb viele Kinder), wohl einem Vater, irrten sicher 15 Minuten in der Gegend umher, da sie, im Gegensatz zu uns, nicht einmal den Anhaltspunkt der korrekten Hausnummer hatten. Wie es die Runde machte, waren auch andere betroffen von dem Irrtum, dass der Ausrichter Chemie Weißensee wäre und man diesen Spielort ja zu kennen meinte.

Immerhin konnte man (denn das betraf ja nicht nur mich) beim „Einblitzen“ Zeuge werden, wie zwei der U 18 Spieler, Alexei Kropman und Jan Paul Cremer in Windeseile die Figuren über das Brett fliegen ließen. Da sie es zugleich in einer tollen Partie absolut gekonnt taten war das Urteil nicht schwer zu fällen: das müssen die Favoriten sein. Markus Penner mit seinen knapp 2000 DWZ wollte auch gerne ein Wörtchen mitreden, und sogar die am Vortag beim Grand-Prix erstmals gesehene Margarita Kostré war als Mitbewerberin einzustufen (trotzdem waren die beiden die 1 und die 2; alle vier saßen auch beisammen).

Der Hauptgrund: Sie hat am Samstag in diesem Turnier eine beeindruckende Leistung abgeliefert mit 5.5/9 (genau so vielen wie Jan Paul Cremer) und vor allem im Schlussspiel gegen Shapiro in einem Turmendspiel mit einem Minusbauern mit 19 Sekunden auf der Uhr gegen dessen 4 Minuten ihre Versiertheit im Schnellspiel auf dem Brette vorgeführt und das Remis gehalten.

Für das leibliche Wohl war gesorgt mit Kaffee (für die Erwachsenen) und ein paar geschmierten Brötchen, wozu sich am späten Vormittag jede Menge Knabbereien gesellten. Die Räumlichkeiten waren zwar klein, aber gerade so ausreichend für die Teilnehmerzahl von 39, inklusive der Begleiter. Man stand sich gerade so nicht auf den Füßen, sondern es war eher gemütlich. (Seit die Bilder da sind, kann man sich ja eines davon machen)

3) Ein einzügiges doppeltes Figurenopfer – statt Matt

Wie man (!) als Leser sicher schon festgestellt hat nutzt der Autor – also ich – bei jeder sich bietenden Gelegenheit schamlos die sprichwörtliche Geduld des Papieres, dabei zugleich jene des Lesers aufs Äußerste strapazierend. Wo ist denn nun das „Thema“ außer uns plaudernd hinzuhalten? Erzählen könnte man (! Ja, denn es gilt doch für jeden Beobachter; hinschauen, niederschreiben) so viele verschiedene Dinge, so dass man eigentlich gezwungen wird, sich auf ein paar wenige zu beschränken.

Da es 39 Teilnehmer waren, hatte man die Chance, 19 verschiedene Partien zu beobachten, in jeder Runde. Worauf fiel die Wahl? Wofür sollte ich mich entscheiden? Der erste Zwiespalt bereits bei Überlegungen auf der (einsamen) Anfahrt: hatte Ben wirklich recht, dass es ihn verunsichern würde, wenn ich zuschaute und somit – dies die von mir gezogene Schlussfolgerung, er sagte das nicht -- seine Leistung beeinträchtigen? Ja, man konnte es sich gut vorstellen. Selbst wenn ich in dem damaligen Gespräch die Überzeugung vertrat, dass er so gut wäre wie er wäre und dass er damit leben müsse, dass dieser oder jener ihm über die Schulter schaue. Als Konsequenz dessen: bitte lieber heute schon daran gewöhnen, weil man sich, wie mit jedem geschriebenen Wort so auch mit jedem ausgeführten Zug, der Öffentlichkeit und deren vielschichtigen Urteil in gewisser Weise ausliefert. Dazu kann selbstverständlich ein (verhohlenes) belächelt werden gehören, andererseits aber auch zu Beifallsstürmen führen, welche man doch sicher gerne über sich ergehen ließe.

Die Gefahr – dies eine grundsätzliche Überlegung – ist die, dass vielen Nachwuchstalenten, und das nicht nur im Schach, die Freude durch überzogene Ansprüche, welche oftmals gar von Erwachsenenseite ausgestrahlt werden, verloren geht – und sie dem einstmals geliebten Spiel frühzeitig den Rücken kehren. Für heute – und jedes andere von ihm gespielte Turnier – gibt es zunächst den Rat, der sich auf alle anderen betreuten Jugendlichen erstreckt, zunächst Hauptaugenmerk auf die Qualität der ausgeführten Züge zu legen und weder Resultat der Partie noch und geschweige denn die gewonnenen oder verlorenen DWZ-Punkte als Gradmesser zu nehmen. Wobei gerade an dieser Stelle ein kleines Problem einsetzt: wer beurteilte denn diese Qualität, außer, dass sie per Eintrag in die Tabelle Niederschlag findet?

Nun, an dieser Stelle bringe ich einfach meine Spielstärke und meine Aufmerksamkeit ins Spiel: ich sehe das sehr wohl, wenn es Qualitätssprünge gibt und ich sehe auch, wenn eine Partie gut angelegt wird, wenn planvoll und mit guter Zeiteinteilung gespielt wird, selbst wenn das Ergebnis ab und an und unvermeidlich (selbst bei offensichtlicher Verbesserung) negativ ausfallen mag.

Ein weiterer philosophischer Gedanke war übrigens jener: da man meist auf eine vergleichbare Gegnerschaft trifft stellt sich grundsätzlich die Frage, inwieweit die eigenen Fortschritte jenen der Konkurrenz überlegen sein sollten? Auch dabei gibt es außer der Trainerwahl und der eingeplanten und durchgeführten Trainingszeiten (sowie der letztendlichen Anzahl von Turnierteilnahmen) eine Reihe anderer Kriterien, angefangen schon allein mit dem Alter... Andererseits: wer könnte je die empfundene Freude messen?

Ja, ach so, apropos Geduld und Thema. Ich schaute einfach beinahe beliebig herum, dabei bevorzugt bei Ben-Luca (auf seinen Wunsch hin), wenn überhaupt, aus der Ferne. Von den anderen Teilnehmern rückte mal dieser, mal jener in den Fokus und ich machte mir keinerlei Vorgaben. Mal sehen, wohin das Auge schweift. Eine interessante Beobachtung machte ich noch beim Schweifen lassen des Blicks: ich persönlich tue es in den meisten Fällen vor allem aus Liebe zum Schach, mit der weiter gehenden Konsequenz, dass ich mir in jeder Stellung einfach überlege, was der beste Zug wäre. Wenn der am Zug befindliche – ohne Betrachtung der emotionalen Bindung zu ihm oder seinem Gegenüber – einen ungeeigneten, einen schlechten, gar einen Katastrophenzug macht, so tut es mir weh, egal, ob ab und an der eigene Schützling davon profitiert. Dabei gibt es sehr wohl den Unterschied, ob der schlechte Zug in bereits verlorener oder zumindest klar nachteiliger Stellung geschah – wo die Bedeutung gering wird – oder ob er in vorteilhafter oder gar Gewinnstellung geschah. Selbst dann noch fallen jene Züge heraus, welche den Gewinn nur erschweren gegenüber solchen, die ihn gänzlich verderben. Auf diesen Aspekt hin – warum schaut man? – möge sich ruhig jeder Trainer oder (andere) Beobachter hin überprüfen: fühlt er mit dem Kind, denkt er an seinen Schützling, hofft er nur einseitig oder interessiert ihn das Spiel, liebt er die Kunst, liebt er gelungene Aktionen, Züge, Strategien, Kombinationen, unabhängig vom Profitierenden beziehungsweise dem Opfer?

Es gab sogar einen speziellen Anlass, auf diesen Gedanken zu stoßen. Dennie Shoipov, der Star mit den gerade 9 Jahren, aber zuletzt in meiner Trainingsgruppe in Rehberge befindlich, insofern einer derjenigen Teilnehmer, dem man den Erfolg selbstverständlich (mehr) gönnt, hatte sich einmal diese Stellung „erwirtschaftet“.

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Weiß: (Es war wohl Ole Jannes Karge aus Runde 4; Rechercheergebnis), Schwarz: Dennie Shoipov

Der Gegner hatte zuletzt mit einem Königsmarsch bis nach f6 so ziemlich alles richtig gemacht, Dennie hatte eine bessere Verteidigung verpasst und gewohnt weiter schnell gezogen. Ich hatte genügend Gründe, den Gegenspieler, welcher ihm an Leibesgröße kaum überlegen war, zu beachten, hatte er doch sicher zuvor ebenfalls schon eine Menge richtig gemacht um diese Stellung gegen den klar favorisierten Gegner zu erreichen. Ja, apropos Liebe zum Spiel: wenn der Gegner, dem es unbedingt zuzutrauen war, nun den Entscheidungszug 1. Tc1-h1(nebst)# gefunden hätte, so wäre man sicher ein wenig traurig für den Schützling, andererseits hätte man die Chance, auf die Sorglosigkeit und auf das teils zu rasche Ziehen bei ihm aufmerksam zu machen – mit fortan erhoffter Besserung. Im Sinne des Schachspiels jedenfalls wünschte ich mir unvermeidlich diesen Zug. Schachmatt ist Schachmatt, das, dem im Fußball gleichen „TOR“, als ultimatives Ziel des Spiels ausgerufene. Der Ball MUSS rein, der Turm gehört nach h1.

Der Gegner verfiel auf den Zug 1. g2-g4. Nun die große Frage: würde Dennie das Matt selbst erkennen? Wie wäre es abzuwenden? Zumal man mit g4-g5+ eine weitere Drohung hätte, die Partie sogar auf andere Art zu gewinnen. Sicher, es geht. Bei gründlicher „Analyse“ stellt man fest, dass es entweder die Aufgabe beider Zentralbauern, mit 1. ... Ta5-a2, täte, um auf h2 zwischenstellen zu können, oder aber das Läuferopfer mit 1. ... Ld6-e7+. Ja, wenn man es gesehen hätte. Und, ich erinnerte mich an das (von mir nie gelesene) Buch „Chess for tigers“: würde der Autor da raten, das Matt, wenn selbst erblickt, abzuwenden, oder würde er raten, möglichst rasch und unerschrocken den Zug 1. ... Ld6-f4, den Partiezug, auszuführen, nach dem Motto „hat er einmal nicht gesehen, wird er wieder nicht sehen.“? Fragen über Fragen und dies in nur einer einzigen kleinen Stellung...

Der Zug 1. ... Ld6-f4 schien den Gegner komplett zu überfordern, während ich über die Sinnhaftigkeit, selbst als „tiger“, dieses Zuges sinnierte: wenn man den Turm auf c1 angriffe, so zwänge man doch eigentlich den Gegner, ihn hinfort zu bewegen. Auf welches schönere Feld als zumindest eines den König bedrohendes könnte man ihn denn nun ziehen? Nein, die eigene Lehre war gezogen: der Zug „erzwang“ das Matt. Ein Kind hat einen angegriffenen Turm zu bewegen, welcher mit Schach (rein zufällig einem Matt) entweichen kann. Das wird er, das MUSS er einfach finden.

Schon zog der Junge 2. Le6xd5. Hand aufs Herz: ein solcher Zug tut doch weh, muss doch jedem Schachliebhaber wehtun? Nun hatte er den Gewinn beinahe erreicht, es fehlte nur noch das Tüpfelchen auf dem i, er hatte den starken Gegner so weit, dass er nicht einmal mehr auf eine Kapitulation angewiesen wäre, da dieser Sieg sogar von der Turnierleitung zuerkannt würde, unabhängig von der Blättchenposition (gut, nein, ihr habt Recht: es ginge noch Lf4-h2 auf Turmschach von h1), er hatte alle stürmischen Winde in der sicher bereits lange hinziehenden Partie schadlos überstanden, alle Fehler vermieden, und nun das? Ein einzügiges, doppeltes Figurenopfer, ohne jede Not?

Dennie zuckte kurz mit den Schultern, welches der Geschenke er denn nun annehmen sollte, und, keine Frage, seine erste Wahl fiel auf das größere: 2. ... Lf4xc1 mit baldigem Sieg.

Ist es wirklich immer so, dass, sobald in einer Partie eine wirkliche Entscheidung möglich ist, ausgerechnet dann die größten Fehler passieren? Denn: diese Zugqualität zugrunde gelegt (von 2. Le6xd5) hätte die Partie keine 15 Züge dauern können, bis zum Sieg des Favoriten. Einen derartigen Klops, ausgerechnet, wo man Matt setzen kann ist doch eine unglaubliche Kuriosität, da es sich in der gesamten Partie mit einiger Sicherheit um den mit Abstand größten handelte?

4) Lehren -- was für Lehren?

Ich hoffe, für die Allgemeinheit zu sprechen, wenn ich hier sage, dass man(n) sich über jedes weibliche Gesicht im Schachcircuit freut, da das Spiel so sehr männerlastig ist und jede Teilnehmerin zugleich dafür sorgen könnte, dass auch andere Mädchen den Schritt wagen, sich nicht so verloren vorkommen, und somit einen weiblichen Schachboom auf den Weg bringen könnten.

In diesem Turnier gab es drei Mädchen: Margarita Kostré, Katharina Du und Luise Schnabel, was prozentual vielleicht schon überdurchschnittlich ist. Dazu waren ein paar Mütter da, so dass sich die Weiblichkeit in diesem Fall nicht einsam oder verloren fühlen musste. Katharina Du befindet sich in der gleichen Rehberger Trainingsgruppe und ihr Schicksal bewegt mit am meisten, seit jener ersten Begegnung, als sie gegen Ben-Luca die unfassbare Partie spielte, in welcher sie einen klaren Gewinn herausgespielt hatte, dazu ein Bedenkzeitplus von 10 Minuten hatte, Ben also nur noch über Sekunden verfügte. Als Ben tatsächlich eine Wunderrettung – mit ihrer Hilfe – gefunden hatte und mit zwei Türmen auf der siebten das Dauerschach verkündete – lehnte sie ab. Sie ging mit dem König auf ein anderes Feld. Danach wäre sie sofort Matt gewesen bei richtiger Spielführung (der stille Zug h6-h7 war erforderlich). Stattdessen stellte Ben seinen Turm ein, gab mit dem falschen Turm Schach (das Dauerschach wäre sonst noch immer garantiert und man hätte gar nach ein, zwei Zügen einen Turnierleiter herbeirufen können, da es so eindeutig war). Dieser Turm hätte nun von ihr ersatzlos geschlagen werden können, mit sofortigem Gewinn. Stattdessen stellte sie den eigenen Turm ein. Dies wäre ohne Veränderung des Endergebnisses gewesen, da lediglich das Endspiel Turm plus Bauern gegen Dame plus Bauern herausgekommen wäre, mit leichtem Sieg für das Mädchen wegen der Zeit. Sie zog stattdessen ihren letzten Turm weg anstatt seinen zu schlagen – und war im nächsten Zug doch Schachmatt, welches Ben mit hängendem Blättchen und zitternden Fingern mit der Damenumwandlung ausführte.

Hier, bitte, in Kleinformat, kurz das Finale vom Frühsommer:

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Weiß: Ben-Luca Schreiber - Schwarz: Katharina Du

Weiß am Zuge

Zuletzt war Td6-d7 geschehen, in zuvor klarer Gewinnstellung. Das Matt ist abgewendet, das Dauerschach, wegen der wenigen Sekunden, vorgezeichnet, trotz des möglichen Turmgewinns. Ben zog ein paar Mal den Turm von f7 nach g7 und zurück. Ben bot Remis aber sie lehnte ab. Katharina wich dann einmal nach h8 aus ( ähnlich sinnlos wie Ben in dem späteren Beispiel; siehe unten). Ben schlug auf h7, was am Ausgang nichts ändern sollte, sofern der König ab nun zwischen g8 und h8 pendeln würde. Als er dann nach f8 ging, diesmal ohne schwarzen h-Bauern, hätte h6-h7 gewonnen, wegen der unparierbaren Drohun h7-8D#. Ben zog stattdessen Te7-f7+??. Dieser Turm hätte ohne Kompensation und Hoffnung geschlagen werden können. Sie ging stattdessen weiter nach e8. Kein Problem, denn nun ist der König raus aus dem Dauerschachkäfig. Ben zog Tf7xd7, sie Td8xd7. Nun zog Ben den letzten Pfeil aus dem Köcher: h6-h7. Einen einfachen Sieg hätte nun der Zug Td7xg7 gebracht, trotz des möglichen Damenschachs auf h8. Sie zog aber den Turm nach d1 zum Schach, woraufhin das Matt unabwendbar war. 1:0, mit ca. 2 Sekunden auf der Uhr.

Ja, Katharina sorgt immer für einiges Spektakel. In der einen Partie in diesem Turnier war es so: in absoluter Gleichmäßigkeit hatte sie ihren noch jüngeren Gegner (sie ist 11, Duc Anh Tran, ebenfalls von Rehberge, ist 9) an die Wand gespielt. Der Sieg stand völlig außer Zweifel, nur hat ausgerechnet Duc Anh die Fähigkeit, ein hohes Zugtempo anzuschlagen. Dennoch beachtete ich die Partie kaum noch, da Katharina mit Qualität und einem Haufen verbundener Freibauern zu eindeutig auf der Siegerstraße war.

Später richtete sich die Aufmerksamkeit fast zwangsläufig zurück auf diese Partie, denn – im Gegensatz zu allen anderen – lief sie noch immer. Der Sieg war nur in dem Sinne näher gerückt, dass weiteres Material vom Brett verschwunden, jedoch nicht neue Vorteile angehäuft waren, abgesehen von längst möglichem Schachmatt.

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Weiß: Katharina Du - Schwarz: Duc Anh Tran

Weiß am Zuge

Nun ja, Fortschritte gab es also doch. Der Freibauer auf der f-Linie hatte wohl einen Turm eingebracht. Dennoch erstaunlich: noch lief die Partie. Katharina zögerte einen Moment, dachte das letzte Mal nach, hatte den Turm auf h8 schon fast in der Hand, vermutlich, um ihn nach h7 zu stellen, entschied sich um und opferte sofort auf f7. Natürlich ist ein Gewinnweg so gut wie der andere, vor allem, wenn man die letzte gegnerische Figur vom Brett befördert. Der Unterschied nur: mit etwa verbliebenen 15 Sekunden pro Partei stellte sich allmählich die Frage, ob es zur Mattführung reichen sollte.

Duc Anh machte im gleichmäßigen Tempo seine Züge. Sicher, im Duell zwei asiatisch stämmiger gaben sich beide im konstanten Lächeln kaum eine Blöße, vielleicht lag aber Duc Anh, angesichts der längst im Geiste besiegelten Niederlage um eine Nasenlänge vorne, denn von Zug zu Zug machte sich mehr Nervosität bei der Weißspielerin breit. Nun, man hätte ihr den Rat erteilt, zuerst die Bauern abzuräumen um wenigstens das Remis zu sichern. Vor allem ist es so, dass man damit einen klaren Plan hätte und demnach Zug um Zug ohne Nachdenken ausführen könnte. Den Turm nach a8, zuerst den Bauern a5 weg, dann den Turm nach b5, Bauer b4 abgeräumt, im nächsten den Bauern d4 schlagen.

Auf dem Weg zum Mittagstisch, welcher an der alten Spielstätte, der Hausnummer 190 also, verabreicht wurde (nach Runde 5) konnte ich beim gemeinsamen Marsch endlich herausfinden, was sie abgehalten hatte, den kompletten Bauernraub durchzuführen: sie war mit den Regeln nicht vertraut und sich nicht sicher, ob es tatsächlich zum Remis reichen würde. Ihr Gegner war übrigens mit dabei, sowie Sohn Ben, auf der, für den aufmerksamen Leser leicht zu errechnenden Wegstrecke von 800 Metern, welche man mit einigem Geschick durch Morast und Schlamm (versehentlich) auf etwa 1.2 km ausweiten konnte, im malerischen Weißensee am Stadion entlang, bei anwachsender Anzahl zu beobachtender Walker und Jogger.

Zurück zur Partie:

Die Sekunden tickten beidseitig herunter, die Anzahl der Zuschauer wuchs. Man hat bei ihr aber noch nie den Eindruck gehabt, dass sie irgendetwas von der vollen Konzentration auf die Partie abhalten könnte, nur suchte sie einen Gewinnplan: wie ging das noch mit einem Turm? Der Gegner verschaffte sich durch das Ausführen einzig legaler Züge einen hauchdünnen Vorteil. Kurios war, dass Katharina die Regeln des Bauernendspiels wohl etwas zu sehr beherzigt hatte, in denen das EINNEHMEN der Opposition oftmals die Entscheidung bringt, während es bei der Mattführung auf das ERWZINGEN der Opposition mit dem gegnerischen Zug ankäme. Man sollte den König oftmals am besten auf das um eins versetzte Feld stellen. Sie stellte immer wieder die Opposition auf, der Gegner wich ihr aus. Einmal wäre per Zugzwang eine Mattstellung möglich gewesen, nur dadurch, dass der a-Bauer noch hätte ziehen können, hätte es selbst dabei eine Verzögerung gegeben. Und, man bedenke bitte: nach a5-a4 müsste Weiß mit b3xa4 schlagen, wonach der weitere Zug b4-b3 zur Ausführung bereit stünde.

Es gelang ihr weder dies noch jenes, kein Matt, kein Bauernraub, keine Zeitüberschreitung beim Gegner, welcher, mit einer verbliebenen Sekunde, seinerseits reklamieren konnte: 0:1! Ein unfassbares, beinahe tragisches Ende.

Nur sollte es nicht das einzige bleiben. Der Lerneffekt stellte sich beinahe unmittelbar ein. Es mussten nur ein paar Runden vergehen, bis sie in die gleiche Lage kam. Ich traf auf sie und ließ mir von der Partie erzählen. Ja, sie hatte ebenfalls einen Turm mehr gehabt, der Gegner nichts mehr, nur noch ein paar Bauern. Diese hätte sie, nach beschriebenem Ratschlag, allesamt vernichtet. Die Frage nach dem Partieausgang erübrigte sich .. eigentlich. Denn: das Ergebnis lautete Unentschieden! Sie hatte den Gegner Patt gesetzt! Sie sagte, lächelnd (aber insgeheim sicher sarkastisch, so gut es ein Kind sein kann): „Immerhin habe ich doch alle Bauern geschlagen?“

Was lehrt einen das insgesamt? Vielleicht erweist sich auch der Trainer als lernfähig? Die erlernte Regel: es gibt keine Regel (außer dieser). Räume die Bauern dann ab, wenn es richtig ist. Spiele auf Matt, dann, wenn es richtig ist. Mache immer das, was am Besten ist, in jeder Situation, Ja, ein toller Ratschlag. Nur: wo sind die Anhaltspunkte, das herauszufinden?

5) Ein Läufer auf g5

Erneut war ein Problem, an allen Brettern zu sehen, mit welchem anscheinend sowohl die Kinder als auch ihre Trainer nicht zurechtkommen – natürlich beziehe ich mich mit ein. Es taucht in einer von drei Partien ein Läufer auf g5 (g4) auf, oftmals je einer. Keiner weiß, wie er die Fesselung abschütteln soll. Fast immer kommt es irgendwann zu einer geschwächten Königsstellung, da man entweder sofort mit der Dame ausweicht oder auf den Springerzug nach d5/d4 wartet.

Frage 1 dazu lautet: ich selbst befürworte zwar die Zak-Methode, nach welcher man zunächst die drei Goldenen Regeln beachten sollte: 1) Zentrum besetzen mit Bauern, 2) Leichtfiguren raus, 3) Rochade. Dennoch gibt es andere Wege, die Figuren ins Spiel zu bringen als mit 1. e2-e4, woraufhin der Gegner reflexartig 1. ... e7-e5 entgegnet. So wenig ich auch Einfluss nehmen möchte, speziell auf die Eröffnungswahl: sagt denn jeder Trainer, dass ist die ultimative Eröffnung, mit welcher man es bis zum richtigen Schachspieler schafft? Die (eigens betreuten) Kinder sind oftmals gar nicht davon abzubringen, mit beiden Parteien den Königsbauern im ersten Zug im Doppelschritt zu bewegen. Auf die Frage, warum sie es denn täten unisono: „Wir können nichts anderes.“

Genau hier liegt aber das Problem, wie es scheint. Erstens ist es ziemlich offensichtlich, dass sie auch das nicht wirklich können (insofern ein Wechsel gar nicht zu viele Probleme bringen würde), aber zweitens scheint es sich bereits eingefressen zu haben, dass man nur Züge ausführen darf, die man auch kennt. Denn: das schreibt die Zak-Methode genau nicht vor. Entwickle dich nach deinem Geschmack, stelle die Figuren auf Felder, wo sie möglichst nicht gleich vertrieben werden können, besetze das Zentrum (nimm aber nicht dafür zwangsläufig den e-Bauern, denn auch der d-Bauern tut es) aber, die damit vertretene Auffassung lautet doch: vergiss alle Theorie.

Der Springer raus, jawohl, aber der Damenspringer darf sowohl gerne mal nach d2, ebenso aber auch hinter den c-Bauern gestellt werden. Ein Läuferfianchetto: warum nicht? Widerspricht keinem Prinzip. Rochade ja, aber nicht immer nur die kurze.

Es war eigentlich kaum zu ertragen, dass es in jeder Runde wieder und wieder geschah. Kurios jedoch, dass man Katharina vor der einen Partie noch den Rat gab, eventuell ein vorbeugendes h2-h3 oder h7-h6 einzuschalten, was Meister aus früheren Jahren aus drei Gründen getan hätten: a) der Läufer kann nicht mehr nach g5(g4), b) der Springer kann nicht mehr nach g5(g4), und c) man hat schon ein Luftloch.

Sie hatte Weiß und es gelang ihr, wie üblich, den Springer auf f6 zu fesseln. Nur hatte sie einen Moment Zeit zur Abwehr der gegnerischen Fesselung, und konnte den Zug h2-h3 einschalten. Sie verpasste den Moment, und alles wurde wieder symmetrisch, beide mit dem gleichen Problem konfrontiert: wie werde ich die Fesselung los?

6) Katharina Du – Alexander Czerniak

Gleich mal eine Partie zu dem Thema, in welcher das Motiv auf beiden Flügeln auftauchte. Alexander, ihr Gegner, gehört zur gleichen Trainingsgruppe. Katharina dennoch in der Favoritenstellung.

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Immerhin habe ich ein Bild entdeckt mit Alexander Czerniak. Es ist der hübsche Junge mit der perfekten Frisur neben Maximilian Hüls, Brett 12, mit Schwarz

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Weiß: Alexander Czerniak - Schwarz: Katharina Du, Schwarz am Zuge

Bemerkenswert hier: Zunächst ist Alexander freiwillig in diese Fesselung gegangen, mit dem Zug Dd1-d2. Nun folgte 1. ... Sf6-e4 und er fluchte ein klein wenig, dies übersehen zu haben. Noch verwunderlicher aber, dass es eine Weile später am anderen Flügel zur gleichen Konstellation kam. Man sehe:

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Weiß: Alexander Czerniak- Schwarz: Katharina Du, Schwarz am Zuge

Sie hatte also auf c3 mit dem Läufer geschlagen, nachdem er den Läufer mit a2-a3 angegriffen hatte (vorbildlich von ihr, denn viele, so auch Ben in dem Turnier einmal, tauschen mit der Erzwingung des Doppelbauern, nur geschieht es ohne Not, da der Gegner noch nicht einmal droht, die Fesselung abzuschütteln). Beide haben die nun offene b-Linie besetzt. Auch gut. Weiß hatte klugerweise das Feld b3 betreten, wovon sie sich ein Vorbild hätte nehmen sollen/können: ihr Turm stünde auf b6 gut. Der Abtausch wird unattraktiv für Weiß, zugleich droht man die Verdoppelung. Aber auch der Zug Lf5-g4 hatte seine Meriten, vor allem, da Alexander ein zweites Mal die Möglichkeit dieser Fesselung erschaffen hat mit dem Zug De1-e2.

Es folgte der Zug 7. ... Se4-g5, woraufhin Alexander mit 8. Kg1-h1 reagierte. Natürlich kein schlechter Zug, ein vorbeugender Zug, aber zugleich kein wirklich hilfreicher Zug. Diese Fesselung wäre nur mit dem Zug Le5-f4 zu bekämpfen, abzuschütteln, aber immerhin gäbe es noch diese Möglichkeit. Ganz kurios an dieser Geschichte, dass wir in einer Pause – Ben, Katharina und ich – über diese Dauerkonstellation sprachen, mit der Fesselung. Und sie erzählte gleich ganz eifrig: „Die meisten spielen dann immer so.“ Bei der Bemerkung zog sie den König nach h1. Der Beweis war erbracht: die meisten, so auch Alexander, ziehen den König nach h1. In dieser Partie mit noch mehr Sinn als in anderen, denn man beachte den Läufer auf e5, welcher bereits bedrohlich nach g7 schielt...

Sie tauschte an diesem Flügel vorzeitig (also nicht vorbildlich). Zunächst folgte aber noch 8. ... Tb8xb3 9. a2xb3 und nun erst 8. ... Sg5xf3. Es folgte 9. g2xf3 Lg4-h3 10. Tf1-g1. Ich schaute kurz woanders hin, dachte an nichts anderes als 10. ... f7-f6 und erfuhr Sekunden später, dass Alexander gewonnen hatte. Sie konnte der Verlockung des Bauernraubes – welcher nach dem Einschub f7-f6 gut möglich gewesen wäre – nicht widerstehen und schnappte zu: 10. ... De7xa3.

Beide zeigten mir den Fortgang und Alexander beschuldigte sich zunächst, nicht gleich nach 11. Tg1xg7+ Kg8-h8 mit 12. Tg7-g3 Matt gesetzt zu haben, konnte jedoch insoweit zunächst belehrt werden, dass dies kein Matt sei, wegen des möglichen 12. ... f7-f6, wonach sogar der Gewinn fern bliebe. So erkannte er, dass er absolut richtiger-, aber unbeabsichtigterweise zunächst den Bauern f7 verspeist hatte. 12. Tg7xf7+ Kh8-g8 13. Tf7-g7+ Kg8-h8. Nun zog er 14. Tg7-g3+, verheimlichte aber nicht, dass er dieses lediglich wegen der Eroberung des Läufers auf h3 getan hätte. Das Matt (nach Tf8-f6 Le5xf6#) war ein willkommenes Beiwerk... 1:0.

7) Katharina Du – Kilian Damerow

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Ganz vorne links der Kopf von Jirawat Wierzbicki, daneben kämpft Maximilian Hüls, 8, mit Weiß gegen Robert Denkert, dahinter die Partie zwischen Katharina und Kilian; Ben-Luca führt gerade elegant einen Zug aus. Sein Gegner in der Runde übrigens: Sander Breitzmann (wenn auch kaum im Bild). Eine Partie, von der noch die Rede sein wird. Ein weiteres „Beweisfoto“: ich habe Ben nicht immer nur aus der Ferne zugeschaut. Der rote Pulli und die Kaffeetasse verraten es am Bildrand...

Die Partie zwische Katharina und Kilian war beinahe die spektakulärste von allen beobachteten. Vor allem in der Endphase gab es ein Kuriosum, welches dafür sorgte. Kilian ist auch Rehberger und im gleichen Alter. Gerade er hat in den letzten zwei Trianingssessions urplötzlich Züge aufs Brett gezaubert und Ideen entwickelt, die man nicht für möglich gehalten hätte. Entsprechend war sein Selbstvertrauen im Vergleich zu den nach wie vor Besseren (auch Katharina gehört dazu) gewaltig angestiegen

Dennoch dominierte Katharina diese Partie. Sie baute eigentlich einen ganz ansehnlichen Königsangriff auf, tauschte dann aber den Springer ab, der für Gefahr hätte sorgen können, hielt aber stets ein Übergewicht.

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Weiß: Katharina Du -Schwarz: Kilian Damerow. Weiß am Zuge

Dies der Moment, in welchem die Zugfolge 1. f2-f4 Se5-c6 2. f4-f5! Sc6-d4 3. Lb3-c4 oder auch gleich 3. Se3-g4 Weiß einen viel versprechenden Angriff gegeben hätte.

Sie zog, ziemlich spontan 1. Se3-c4 Se5xc4 2. Lb3xc4, wonach der Vorteil nur noch klein war, wenn überhaupt. Nur machte sie im nächsten oder übernächsten Zug Lc4-b5, woraufhin Kilian erneut spontan zugriff: Ld7xb5 a4xb5. Mit der geöffneten a-Linie hatte Weiß wieder klaren Vorteil, selbst wenn der Bauer a7 noch zu verteidigen wäre.

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Weiß: Katharina Du - Schwarz: Kilian Damerow, Weiß am Zuge

In dieser Stellung nun begann das Spektakel, von welchem man alleine durch Abspulen der Züge absolut keinen Eindruck bekommen könnte. Kilian hatte zuletzt unscheinbar und in in jeder Hinsicht trügerischer Absicht – der Zug deckt ja nicht einmal den Bauern a7 wirklich – die Dame von d8 nach c7 geschoben. Ein Allerweltszug, so könnte man meinen. Katharina führte nicht ohne Nachdenken den Zug 1. Df3-c6 aus. Dieser Zug erscheint auf den ersten Blick ganz ordentlich, selbst wenn man sich als Zuschauer schon seit einiger Zeit ein energischeres Vorgehen gewünscht hätte (der Bauern war bereits mindestens einmal davor zu schlagen und wenn er einmal weg ist, ist der b-Bauer Partie entscheidend). Die Partie sollte natürlich auch so gewonnen sein, wenn da nicht...

Kurz nach der Ausführung schien ihr der Zug nicht mehr zu gefallen, nein, ganz im Gegenteil, sie haute sich in Selbstkasteiung mit der Hand gegen die Stirn. Selbstverständlich registrierte dies der Gegner Kilian und er schaute sie kurz verwundert an. Kurz danach bewegte er – der Leser hat es natürlich auch längst gesehen – den Turm von e5 Richtung e1.

1. ... Te5-e1+. Dies schien der Weißen nichts auszumachen. Sie schlug den Turm. 2. Ta1xe1. Kilian hatte auch nichts Besseres gesehen und zog 2. ... Te7xe1+. Katharina zog völlig ungerührt 3. Kg1-h2. Kilian war mindestens zum zweiten Male verwundert, deutete bald auf seine Dame, bald auf ihren König, woraufhin sie sich ein zweites Mal gegen die Stirn haute, aber dem Gegner sofort die Hand reichte. 0:1, nur kann man diese Stellung eben nicht mehr als Schachmatt bezeichnen. Ebenso endete die Partie nicht etwa durch Matt sondern durch einen illegalen Zug, was einen weiteren Exkurs auslösen könnte (der Leser bleibt verschont).

Was hatte dieses Verhalten am Brett nun zu bedeuten? Das erste Mal Hand gegen den Kopf schlagen konnte ja – was man übrigens an der Blickrichtung schon erkennen konnte – nicht bedeutet haben, dass sie das Matt gesehen hatte in dem Moment. Nein, so gut konnten ihre schauspielerischen Fähigkeiten – bei aller Wertschätzung -- nicht sein. Vor allem nicht, den König seelenruhig nach h2 zu bewegen, nachdem man doch erkannt hätte, dass es Matt war in zwei Zügen. Nein, es musste eine andere Erklärung her, welche sie auch gerne lieferte: „Das Matt habe ich überhaupt nicht gesehen. Ich fand den Zug Df3-c6 nicht gut, weil ich dachte, dass Ta6-c6 viel besser gewesen wäre und bald gewonnen hätte.“

Nun gewinnt man daraus mindestens zwei Erkenntnisse:

1) Wenn das Versäumnis einer minimalen Verbesserung im Spiel, also die Erkenntnis, einen etwas besseren Zug ausgelassen zu haben, stets dazu führen würde, dass man sich mit der Hand gegen den Kopf schlagen würde, dann hätten alle Spieler nach dem Turnier mindestens eine Gehirnerschütterung gehabt.

2) Wenn jeder Spieler den Gegner durch eine derartige Geste auf ein eigenes Versäumnis, auf eine Ungenauigkeit, vielleicht auf einen möglichen Gewinn – einen verpassten oder einen vom Gegner nun möglichen – aufmerksam machen würde, dann hätte dieses Turnier einen völlig anderen Ausgang genommen. Schlussfolgerung aus Letzterem: Pokerface gehört dazu und nützt.

Die eigentlich entscheidende Frage stellt sich so dar: hätte Kilian das Matt überhaupt gesehen, wenn sie sich nicht mit der Geste „verraten“ hätte? Kilian behauptete später, ja, er hätte. Zweifel sind nur insofern gestattet, als ich seinen verwunderten Blick auf sie in Erinnerung habe, als sie die Geste ausführte (na, ein Schlagen an den Kopf ist schon fast mehr als eine Geste; im Pokern werden derartige „Gesten“ übrigens als „tells“ bezeichnet; man verrät mit der Körpersprache, welches Blatt man auf der Hand hat).

Dennoch könnte man weiter phantasieren: wenn sie tatsächlich das Matt gesehen hätte in dem Moment, dann wäre es keine Irreführung gewesen, sondern sie hätte sich per „tell“ verraten. Ob der Gegner es nun zuvor oder selbst gesehen hatte oder nicht: spätestens nach der „Geste“ findet er den Zug Te5-e1+, auch wohl ein schwächerer Gegner.

Angenommen nun aber, er hatte das Matt nicht gesehen. Sie hätte sich an den Kopf geschlagen, weil sie das leicht bessere (?!) Ta6-c6 nicht gezogen hätte, er wäre dennoch genau durch die (deplatzierte, da sie ja mit der Sichtung des Matts nichts zu tun hatte) Geste aufmerksam geworden, in dem Sinne „Was ist denn los in der Stellung? Warum macht sie das? Ich stehe doch so schlecht. Moment, ich schaue mal genau hin: Ach ja, Te5-e1+ und sie ist Matt. Danke, Katharina, ohne deine Hilfe hätte ich es nie gefunden.“?

Ob nun dieses Szenario das wahrscheinlichste (wie ich zunächst recht sicher war) sei dahingestellt: Ein Kuriosum ist es allemal, oder?

Aus meiner eigenen Praxis ist mir ein Beispiel von „tells“ unauslöschlich im Gedächtnis haften geblieben: ich war blutiger Anfänger und spielte gegen einen anderen, erfahreneren Jugendlichen.

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Weiß: Andreas Scherer Schwarz: Dirk Paulsen, Berlin, 1973, Weiß am Zuge

In dieser Stellung hier führte mein Gegner den Zug 1. Sf3xe5 aus. Nun drehte er sich entsetzt weg und haute sich mit der Hand sichtbar, laut und vernehmlich gegen die Stirn. Eine prachtvolle Geste, perfekt ausgeführt, selbst wenn er später über Kopfschmerzen geklagt haben soll(te)...

Mein kindliches Gemüt registrierte zunächst, wie übel der Bock war, den er da geschossen hatte, war doch soeben seine Dame dem Schlage des Läufers g4 ausgesetzt worden. Noch größer die einhergehende kindliche Naivität: „Du kannst den Zug ruhig zurücknehmen.“ Er, ganz Gentleman: „Nein, nein, das geht doch nicht.“ Nun gut, zuckte ich mit den Schultern, und war endgültig eingelullt. 1. ... Lg4xd1.

Nun war seine Zeit gekommen: 2. Lc4xf7+ Ke8-e7 3. Sc3-d5#. Natürlich jedermann bekannt, aber dennoch, innerhalb einer Geschichte vielleicht ein wenig zum Schmunzeln geeignet?

Da sieht man mal, wie wenig man selbst mit dem Rat „verrate bloß nichts mit deiner Körpersprache am Schachbrett“ anfangen könnte. Sobald man es sich umgekehrt nutzbar machte ...?

8) Das Niveau

Eine kleine Anmerkung zum Niveau und zum Blitzschach generell. Als Heranwachsender hatten wir oftmals viel Spaß im Schachclub und es wurde reichlich sowohl geblitzt als auch dazu gescherzt. Ein bonmot – vielleicht weit verbreitet? – wurde aus meiner Erinnerung damals kreiert: „Das Blitzen ist dem Schachspiel nicht unähnlich.“

Da ist viel Heiteres – aber auch viel Wahres – dran. Es ist eben kein Schach, was gespielt wird. Ob es Kinder tun sollten steht für mich zur Diskussion. Eine sinnvolle schachliche Entwicklung kann so schwerlich gefördert werden. Natürlich, so räume ich ja stets ein, stelle gar in den Vordergrund, soll der Spaß niemals fehlen, sollte die Hauptantriebsfeder sein und der Spaß sollte nicht ausschließlich an Ergebnissen orientiert sein. Man hat gewonnen – man ist glücklich. Man verliert – man trauert. Nur gibt es eben auch die Gefahr, eine negative Entwicklung, trotz Spaßes, auszulösen.

Wenn Kritik, dann bezieht sie sich auf die ausgelöste, eingeforderte Oberflächlichkeit im Spiel. Im Blitzschach muss man rasch reagieren. Da steht die Zugqualität oftmals an zweiter Stelle. Auch hübsche Wendungen, Kombinationen, tief angelegte strategische Partien sind kaum zu erwarten, scheinen auch nicht Ziel zu sein im Blitzschach.

Sicher ist zwar auch: sobald man ein gewisses Niveau erreicht hat, verschwindet das Problem wieder. Selbst wenn es auf hohem Niveau weiterhin spezielle Blitzexperten gibt und andere denen es weniger liegt: die Ähnlichkeit mit Schach wird bei steigendem Verständnis immer größer.

Was im Kinderschach gezeigt wurde, an jenem Sonntag, war nicht besonders hochwertig. So sehr ich an anderer Stelle das erkennbar gewachsene, ständig steigende Niveau hervorgehoben habe und auch mein Erstaunen darüber bekundete, gepaart mit Bewunderung und Anerkennung, so sehr muss ich doch für die heutigen Partien meine Zweifel anmelden: es war nicht wirklich gut, was gespielt wurde. Die Ausnahmen waren ganz klar die Startpositionen 1 und 2, welche dies in ihrer Vorbereitungspartie bereits andeuteten. Ansonsten war es sehr viel Stückwerk, ständig verpatzte Partien, überall grobe Fehler, gedrehte Partien, übersehene Entscheidungen und verpasste Mattchancen. Nein, so unmöglich es war, die Augen überall zu haben. Wenn man einen Zug sah, dann war es in der Vielzahl der Fälle nicht der beste.

Die vorgezeigten Partien bilden keine wirklichen Ausnahmen und die Kritik soll auch nicht überzogen werden. Die Kinder haben es so gut gemacht, wie sie es konnten. Wenn es um Verbesserungsideen geht, dann sei hier Katharina zitiert, auf dem Weg zum Mittagstisch, als sie sagte: „Warum spielen wir denn nicht 10 Minuten?“

Die 5 Minuten sind zu kurz für Schachspieler, die sich noch in der Entwicklung befinden. Das die Erkenntnis, die gewonnen wurde – und von mir ab jetzt vertreten wird. Falls man die Entwicklung der Kinder positiv fördern möchte (wer könnte da „nein“ sagen?), sollte man sie möglichst nicht all zu viel Blitzschach spielen lassen, selbst wenn Schäden ebenso nicht nachweisbar zu erwarten wären. Spaß hat es allen gemacht, das steht wohl außer Frage.

9) Ein kleiner Streifzug durch die Bretter und Runden

Ohne auf eine Reihenfolge zu achten möchte ich ein paar besondere Partien zeigen, die mir bei meinen Streifzügen durch die Bretter in der Erinnerung haften geblieben sind. Weder die Bedeutung der Partie noch das Spektakel in der Partie noch die Rundennummer sind dabei ein Ordnungskriterium. Es ist erzählt frei nach Schnauze, wie es der Berliner auszudrücken pflegt.

  1. a.Margarita Kostré – Bennet Schnabel

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Vorne die Partie Margarita Kostré gegen Bennet Schnabel

Wie man am Bild sieht war ich gar nicht so aufmerksam wie ich tue. Der weiße Turm stand auf c1, nicht auf a1. Unwahrscheinlich, dass sie ihn dort je wegbewegt hat. Vor allem nicht zurück nach a1. Bennets Haltung spricht Bände. Stets Sieges gewiss (und in dieser Partie trotz völliger Pleitestellung gar erfolgreich damit). Übrigens, zu meiner Ehrenrettung (der männlichen): ich hatte zuvor die Partie an Brett 2 zwischen Jirawat und Dennie verfolgt. Dennie machte ein geschicktes Manöver, was ihm die Qualität hätte einbringen sollen. Jirawat war geschockt, das übersehen zu haben – und warf der Qualität eine ganze Figur hinterher. Damit war die Partie entschieden, kurz nach der Eröffnung, und ich ließ den Blick schweifen.

Um nicht in den Verdacht der einseitigen Berichterstattung zu geraten: ich habe durchaus andere Partien als die Katharinas beobachtet. Hier der Beweis. Dass es sich auch bei Margarita um einen weiblichen Teilnehmer handelte, war natürlich purer Zufall...

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Weiß: Margarita Kostré - Schwarz: Bennet Schnabel, Schwarz am Zuge

Ein beiderseits vorbildlich geführter Sizilianer. Schwarz hatte den Springer auf d4 getauscht, Weiß hatte den Angriff am Damenflügel mit a2-a3 pariert. Nun plante sie die Überführung der Dame nach h4, um vielleicht mit dem Turm über f3 nach h3 einen Mattangriff inszenieren. Es wäre nun sowohl ein Vorstoß des e-Bauern zu erwarten von Schwarz, als auch der Partiezug 1. ... d6-d5.

Die Entwicklung bald danach dramatisch. Es folgte: 2. e4-e5 Sf6-d7 3. Ta1-d1 f7-f6 Dies natürlich ein Fehler, denn man sollte diesen Zug mit e7-e6 vorbereiten. Nun geschah weiter 4. e5-e6 Sd7-f8 5. g2-g4 Td8-c8 (geraten) 6. f4-f5 g6-g5 Ein weiterer Fehler, welcher das Schicksal ZWEIER Figuren besiegelt. Der Springer von f8 kann nie mehr raus (ohne verloren zu gehen, und der Läufer g7 kann es nicht einmal per Opfer schaffen (na, erst den Springer opfern, dann einen Bauern vorziehen ginge). Insofern ist der Sieg des Weißen nur mehr eine Frage der Zeit, es sei denn...

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Weiß: Margarita Kostré - Schwarz: Bennet Schnabel, Weiß am Zuge

Als diese Stellung wenige Züge später auf dem Brett stand (für Freunde der Retro-Analyse ein Kinderspiel) ließ mein Interesse etwas nach. Es spielt sich wie von selbst. Die Türme auf der a-Linie abtauschen, am besten die Dame auch noch, später einen Königsmarsch zum Damenflügel. Schwarz hätte mindestens zwei Figuren weniger, mit dem abgeklemmten König sogar drei! Ein baldiges 1:0, ohne Widerstand, war zu erwarten. Fünf Sekunden später der Blick zurück zu dem Brett. Bennet reckte den Finder in die Höhe und vermeldete den Sieg!

Nun, es war völlig unspektakulär, dennoch nicht weniger tragisch. Eine Figur durfte unter gar keinen Umständen ziehen in dieser Stellung. Das war der Läufer auf d4. Genau ihn bewegte sie aber – nach b6. Bennet packte ohne Zögern zu: 10. Ld4-b6 d5-d4+! 0:1

 

b .Ein weiteres dramatisches Finale

Hier ein Finale zweier unbekannter Kinder. Bringt mich bloß auf die Idee, dass sich diese beiden melden könnten, sobald sie das Diagramm erblicken und sich erinnern, und die Namen entsprechend später ergänzt werden könnten.

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Weiß hatte in den letzten Zügen mit einwandfreier Technik den König zu den Bauern geführt und stand bereit, sie abzuräumen. Schwarz blieb nichts als 1. ... Ka5-b4, woraufhin 2. Kc6xb6 Kb4-b3 geschah. Nicht weiter erwähnenswert, dass jeder erfahrene Blitzschachspieler nun, nach kurzem Restzeitcheck, den Bauern c5 abgeräumt hätte. Das Remis wäre sicher. Danach spielt sich die Technik auch wirklich viel einfacher, wenn der Gegner nichts mehr hat. Die verbliebenen Sekunden waren wieder einmal je um die 15. Eine Mattsetzung wäre möglich mit dieser Zeit, jedoch sollte dann jeder Zug sitzen. Den einen Zug MUSS man hergeben für den Bauernraub. Unklar, wer als erster die Zeit überschreitet im vorliegenden Fall (das heißt, es gibt natürlich auch Fälle, in denen die überlegene Partei deutlich weniger Zeit hat, der designierte Verlierer also sicher dann nicht verliert, wenn er nicht Matt gesetzt wird).

Ab nun geschahen bestimmt 20 Züge pro Seite. Der Junge holte sich eine Dame und begann, seine schwindenden Sekunden registrierend, mit wilden Schachgeboten, bei denen der gegnerische König bald über das gesamte Brett gejagt wurde. Der intuitive Gedanke dabei: ich muss nur schnell sein. An Technik zu denken verblieb keine Zeit. Nur hätte man als Zuschauer am liebsten hineingerufen, nach dem siebten sinnlosen Schach, „jetzt schlag doch wenigstens den Bauern!“. Es gelang nicht, weder eine Mattsetzung noch die bessere Zeiteinteilung. Das Ergebnis: 0:1, ZÜ gegen 2 Sekunden. Wie ist es nur möglich, dass es bald pro Runde ein derartiges Drama gibt?

c.Elais – Ben-Luca

(im Schlussranking steht der Gegner als Elli Gleb Zahars, im Training – er auch Rehberger – stellte er sich als, gesprochen, Elais vor)

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Ein kleiner Eindruck vom Turnier direkt vor dem Anpfiff. Selbst wenn die meisten Gesichter dem Weihnachtsmann (er war es nicht wirklich, wie sich bald herausstellen sollte) Andreas Rehfeldt zugewandt waren und aufmerksam seinen Worten lauschten, so kann man doch immerhin hier jenes des Elais entdecken, welcher neben Johann Donath sitzt und sich bald Fabian Alcer ... beugen musste.

Natürlich habe ich auch bei Ben geschaut, nur tatsächlich oftmals aus der Ferne und nicht Zug für Zug verfolgt. In einer frühen Runde musste er gegen diesen weiteren Rehberger ran. Katharina, die direkt daneben spielte, hatte dem Vereinskameraden noch vor Partiebeginn geflüstert, dass er verlieren würde.

Die Eröffnung aber bereits ein kleiner schwarzer Reinfall.

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Nicht etwa, dass diese Stellung verloren wäre, nein. Nur hat er freiwillig zunächst den Läufer auf g3 abgetauscht, ohne Not. Die h-Linie ist jetzt geöffnet und man wird doch dadurch zu erhöhter Aufmerksamkeit gezwungen? Abgesehen davon hat er den Übergang in der Eröffnung verpasst. Der Gegner spielte nämlich 1. d2-d4 und nach 1. ... Sg8-f6 zog er 2. Sb1-c3. Nun wäre es möglich, in seine geliebte, nämlich die Pirc-Verteidigung, einzulenken mit dem Zug 2. ... d7-d6. Er bemerkte das nicht, zog also alle anderen Züge normal, nur niemals den Zug d7-d6 (wie man unschwer erkennen kann).

In dieser Stellung jedoch der Gipfel der Sorglosigkeit. Er sah, dass der Bauer ungedeckt war und schnappte zu: 1. ... Lg7xe5.

Elais hatte ein paar Ideen, wie man sah, aber plötzlich erspähte er das frei betretbare Feld direkt beim König und zog... 2. Dd2-h6.

Die Gedanken von Ben versuchte er später, zu schildern. Ich selbst dachte nur nach, ob er sich überlegt, direkt aufzugeben, oder lieber den einzig möglichen Zug 2. ... Tf8-e8 zu spielen.

Seine Gedanken müssen in etwa vergleichbar gewesen sein mit einem Schachcomputer in den 80er Jahren. Er rechnet und rechnet, findet in allen Varianten nur Matt, und entschließt sich also, erst den Springer auf c2 zu opfern, um dann mit dem Läufertausch auf c3 noch einen Zug hinauszuzögern. Natürlich käme dies der Partieaufgabe gleich und man hätte sich das Intermezzo mit Springer schlägt c2 sparen können, als Mensch, sofern das Matt unabwendbar wäre. Die Stellung ist übrigens gar nicht so schlecht in Wahrheit. Nur hätte ein Großmeister, wenn er Dd2-h6 gesehen hätte und die Stellung danach als ok eingestuft hätte, es dennoch niemals gezogen. Aber dies nur nebenbei....

Die nächsten Züge wären auch nicht gerade schwer zu rekonstruieren. Der Weiße brachte den Springer von c3 über e4 nach g5 (anstatt vielleicht den von g1 über h3?), Ben zog den d und den e-Bauern auf, sowie den Läufer zurück nach g7. Nun hatte Elais den Geistesblitz mit Th1-h6.

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Sicher ist der Turm unverletzlich wegen Matt auf f7. Aber: was droht er dort? Ein richtiger Gewinnplan bestünde in der Springerüberführung nach e5, dazu müsste aber zuerst c2-c3 geschehen. Am besten, man macht erst noch die lange Rochade. Möglich aber, dass Schwarz sich verteidigen könnte. Viele Gedanken...

Ben war offensichtlich besorgt von so vielen dicken Figuren vor seinem König und fand nicht den guten Verteidigungszug Dd8-f6. Damit drohte man, den Turm sogar zu schlagen, aber auch sonst steht die Dame dort gut (man beachte den Fall der langen Rochade, wo man bereits b2 angreift). Vielleicht hätte Schwarz nun schon Vorteil (nein, ich befrage NICHT den Computer). Vielleicht gibt es einen Einschlag auf f7 nebst g6? Nun ja, der Leser möge das bei Interesse prüfen.

Ben zog jedenfalls das unsägliche 1. ... f7-f6, worauf Elais den Bauern auf g6 schnappte, leicht irritiert aber doch zuversichtlich, Ben zuckte zuerst zum f-Bauern, worauf Vater dachte „Nur das nicht“, nahm die Hand wieder zurück, dachte nach, und --- landete wieder beim f-Bauern! 2. .... f6xg5 3. Dh7xg7#

Nun stubste Elais Katharina in die Seite: „Von wegen: ich verliere!“

d.Alexei Kropman – Ben-Luca

In der zweiten Runde hatte Ben das Vergnügen, am ersten Brett aufzutauchen, gegen einen der beiden Topfavoriten. Alexei Kropman luchste mir vor gut einem Jahr in der Landesliga an Brett 2 einen halben Punkt ab, war mir dort natürlich als talentiert aufgefallen.

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Ben-Luca, mit rotem Pulli, an Brett 1 gegen Alexei Kropman, Daneben Dennie Shoipov, vorne, gegen Jan Paul Cremer. An 3 Markus Penner, vorne, gegen Bennet Schnabel. Der Blondschopf an 5 ist Luis Stratos Rose, neben ihm Margarita Kostré, und ganz vorne Ogus, ebenfalls in meiner Gruppe bei Rehberge, ihm gegenüber Jirawat Wierzbicki. An 4 müsste sich Emil Schmidek (ungewollt) verstecken.

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Alexei Kropman – Ben-Luca Schreiber, Schwarz am Zuge

Diese Stellung müsste Ben halbwegs bekannt gewesen sein, da er doch zwangsläufig mit der Pirc-Verteidigung immer wieder in vergleichbaren Situationen landet. Er spielt immer den Läufer nach g4 und tauscht, sobald der Läufer angegriffen wird, aber auch ab und an, wenn er es nicht wird. Was wäre das Ziel des Tausches? Natürlich: man schwächt durch Abtausch den Felderkomplex d4/e5, welche der Springer überwachte. Hier drängt sich der Zug 1. ... e7-e5 so sehr auf, dass man es sich kaum vorstellen kann, dass er nicht gespielt wird. Man könnte ganz eventuell auch über Sf6-d7 nachdenken, um sowohl d4 anzugreifen, als auch dem bevorstehenden Angriff mit e4-e5 auszuweichen. Jedoch muss man sich sehr gut überlegen, wie man nach dem dennoch erfolgenden e4-e5 das Zentrum nun anzugreifen gedenkt. Nein, ich bleibe dabei: 1. ... e7-e5 ist Pflicht für jeden Pirc-Spieler.

Ben meinte später, er hätte den Zug oftmals gemacht, wenn er nicht gut war. Ich konnte mich kaum erinnern. Der ausgeführte Zug 1. ... Tf8-e8 kann jedenfalls nicht gut sein. Die Absicht könnte nur sein, e7-e5 zu spielen, was man auch sofort tun könnte, und gegen den Vorstoß e4-e5 richtet der Zug nichts aus. Diesen sollte Weiß spielen, mit klarem Vorteil. Stattdessen entschied sich Alexei, fast a tempo, für den Zug 2. 0-0-0.

Dies räumte Ben die Möglichkeit ein, seinen kleinen Fehler zu korrigieren, indem er nun 2. ... e7-e5 spielt. Die Gegenüberstellung von Dame und Turm auf d macht nichts, denn, nach 3. d4xe5 d6xe5, wohin sollte der Läufer (unangenehm) abziehen? Ja, nach Ld3-b5 steht Weiß sicher etwas besser, aber eine normale Partie stünde bevor. Ben entschied sich für den Zug 2. ... Dd8-d7.

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Selbst wenn man nun wieder als gestrenger Lehrer aufgefasst werden sollte: einen Bauernvorstoß wie den Zug e4-e5 kann man doch nicht einfach ignorieren als Möglichkeit, zumal, wenn man häufig ähnliche Stellungen spielt? Der Zug ist eine Drohung, das gewiss. Er greift eine Figur an und erobert Raum. Es ist ein zentraler Vorstoß. Er ist häufig in der Pirc-Verteidigung Thema. Er dachte nicht an den Zug? Der Damenzug raubte dem Springer das letzte sinnvolle Rückzugsfeld, und nach 3. e4-e5 Sf6-h5 4. g2-g4 mit Springerverlust, war, wie der Engländer es ausdrückt, „ the game over as a contest“, die Partie als Wettstreit beendet, selbst wenn noch etliche Züge ausgeführt wurden. Das Endergebnis, bei Kropmanscher Technik fraglos 1:0.

e.Ben-Luca – Ogus Gencaslan

Auch dieser Name musste nachgelesen werden. Ogus kommt auch von Rehberge und ist in der gleichen Trainingsgruppe, obwohl mit seinen 17 Jahren mit Abstand der älteste. Er sagt, man spricht seinen Namen „Oos“ (oder ist es die Kurzform? Jedenfalls will er so genannt werden). Auch Oos hat beachtliche Fortschritte gemacht in letzter Zeit, sammelte bei einem seiner ersten Turniere (mit Erwachsenen) im Rathaus Schöneberg gute 4.5 Punkte aus 9 Partien. Er ist ebenfalls stets fröhlich/freundlich und motiviert, ohne je über eine Niederlage zu klagen, zumindest ist ihm äußerlich nichts anzumerken (es gab auch ein paar Kinder, welche regelmäßig nach Niederlagen, insbesondere den tragischen, Tränchen vergossen). Auf Nachfrage bestätigte er: ja, er arbeitet zu Hause alleine am Schach. Gerade diese Eigenschaft ist es übrigens, auf die jeder Trainer hinarbeiten sollte: wie schafft man es, dass das Kind aus Eigenantrieb zu Hause beginnt, Partien nachzuspielen, Bücher zu lesen oder Aufgaben zu lösen? Bei Ben geschieht es zwar auch in letzter Zeit mehr und mehr, aber noch immer etwas zu wenig, um im Vergleich mit den Altersgenossen die Nase entscheidend nach vorne zu bekommen.

Nun, selbstverständlich soll es, bei keinem Kind, nicht in empfundene „Arbeit“ ausarten, sondern allein aus Freude geschehen und außerdem soll bitte schön zunächst für die Schule alles erledigt sein (vornehmlich die Zensuren stimmen). Dieser „Ratschlag“ hat natürlich Allgemeingültigkeit und bezieht sich nicht speziell auf Ben. Das Blitzen im Internet, wie es sicher einige tun, gilt in dem Sinne nicht als ernsthaftes beschäftigen mit Schach, wie überhaupt noch ein paar Worte über das Blitzschach ausstehen.

Ben hatte diese Position erreicht, als mein (gestrenger?) Blick so en passant auf die Stellung fiel:

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Das, so hätte ich ihm gerne bescheinigt, muss bis zu diesem Zeitpunkt vorbildlich gespielt gewesen sein. Die Rochade wurde zwar aufgeschoben, dies jedoch aus gutem Grund, hatte doch der Turm von h1 glänzende Beschäftigung auf der offenen h-Linie. Der gegnerische König ist, wenn auch unter Figurenopfer und inklusive Damentausch freigelegt. Positionell sieht es am Damenflügel nach gutem Gelingen aus: der Läufer b7 ist richtig schlecht und der c-Bauer rückständig. Weiterhin hat er unnütze Bauernzüge komplett vermieden. Hut ab!

Nur, was war das? Früher hieß es mal : „Wenn ein Patzer ein Schach sieht, dann gibt er es.“ oder auch „Never miss a check, it could be mate.“ (Versäume nie ein Schach, es könnte ja Matt sein; genau dieser Rat ging auch an Ole Jannes Karge in der Partie gegen Dennie Shoipov, dort sogar höchst treffend, da tatsächlich Matt). Allmählich faszinierte mich der Anblick der Stellung. Es war für mich nicht vorstellbar, dass er den Zug Th1-h7+ mit Läufergewinn übersehen konnte, nein, im Scherze sagte ich oftmals zu ihm, wenn eine kleine Taktik möglich war, „das ist Stufe 4“, oder „das ist Stufe 3“. In dieser Stellung würde ich schwanken zwischen Stufe 1 und Stufe 2 aus der Stappenmethode. Ben dachte auch noch ausgesprochen gründlich nach. Verpasste Chancen, wenn man a tempo zieht, waren in dem Turnier Gang und Gäbe. Aber nach mindestens 30 Sekunden war es wirklich kaum denkbar, dass er ihn auslassen konnte.

Er zog 1. f2-f4 und landete bald darauf in dieser Stellung:

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Hier war zwar die Blitzphase angebrochen, aber gerade in jener scheint es noch viel wirksamer (und liegt noch näher), den gegnerischen König anzugreifen. Der Zug Th4-h7+ liegt nicht nur auf der Hand, sondern er gewänne auch stehenden Fußes. Der Läufer oder der Turm geht verloren, wonach die überzähligen Bauern gepaart mit dem aktiven Turm die Partie leicht entscheiden. Stattdessen traute ich den Augen ein zweites Mal kaum: Ben verfiel auf 5. g4-g5. Oos schnappte sofort zu: 5. ... Ld7xf5. Natürlich übersehen von Ben, keine Frage. Führt nur dazu, dass man ab und an (das betrifft jeden Schachspieler) sofort den Gegenzug ausführt, nur um dem Gegner zu suggerieren, dass es nicht übersehen sondern geplant war. Bei Ben fiel die Wahl auf den weiteren Fehler 6. Th4-f4. Nach dem offensichtlichen 6. ... Kf7-g6 blieben von der einstmals so prächtigen Bauernmasse nichts als Trümmer. Der Partieverlust bahnte sich an – und wurde bald Realität: 0:1.

f.Sander Breitzmann (nach Recherche) – Ben-Luca

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Hier nun ein Beispiel einer viel besseren Spielführung des eigenen Jungen. Ebenfalls im Pirc lief hier alles so weit nach Plan, selbst wenn (beiderseits) nicht alle Züge perfekt waren. Das materielle Gleichgewicht ist (noch) nicht gestört, was gerade im Blitzschach bereits ein wichtiges Kriterium ist für eine vernünftige Partie.

Ben hatte systematisch den Springer auf d6 „eingekreist“. Erst zog er b7-b5, dann Ta8-b8. Der Plan war erkennbar. Ihm auch die Folgen? Ich fand seinen Plan klasse und war natürlich zufrieden, obwohl mir klar war, dass längst nicht alles Gold war, was da glänzte. Statt des Partiezuges (die Frage, ob der Gegner seinen Plan gesehen hat, ist zwar interessant, kann aber nicht beantwortet werden; jedenfalls geschah als letztes c2-c3) käme natürlich 1. ... d4xc3 in Frage, sicher mit schwarzen Vorteil. Aber Plan ist Plan und Springerfang ist Springerfang. Oder?

1. ... Lg7-e5 2. Sd6xf7 (hatte er das gesehen?) 2. ... Tf8xf7 3. Sg5xf7 Kg8xf7 4. c3xd4. Weiß hat Turm plus zwei Bauern für zwei Figuren, also rein rechnerisch, ein nicht zu verachtendes Geschäft. Ein schwarzer Gewinn in ganz weiter Ferne, jedoch spielte Ben in der Folge weiterhin stark.

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Sie landeten einmal in ziemlich genau dieser Stellung. Ich überlegte kurz, ob das Eindringen des Turmes auf d8 den Sieg bringen würde (weiß nicht sicher), da ging die Partie auch schon, bei knapper werdender Bedenkzeit, weiter.

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Ein paar Züge später war diese Stellung auf dem Brett. Nun, der mutige Königsmarsch war bis zu einem gewissen Zeitpunkt gar nicht mal so schlecht. Aber auf den letzten Zug Tc2-c3+ hätte man doch lieber den Läufer für den Turm hergeben sollen. Natürlich ein häufig beobachtetes Phänomen: auch sehr starke Spieler neigen dazu, ihren Gegnern Züge „zu glauben“. Wenn man also einen groben Einsteller macht – gelegentlich gar auf ein Schach nicht reagiert – dann passiert es schon mal, dass der Gegner aus Verblüffung und aus Respekt gar nicht merkt, dass er sofort gewinnen kann, und nimmt einem den Zug ab. Dafür gäbe es x Beispiele (aber hier stehen nur y Seiten insgesamt zur Verfügung).

Jetzt hatte der Gegner die Gelegenheit erkannt, das Remis zu forcieren. Es geschah einige Male Tc1-c2+, Kd2-d1, Tc2-c1+, Kd1-d2. Ich wollte mich schon abwenden, plötzlich dieses Kuriosum, was man mal wieder in Tiefe analysieren könnte; Ben wollte dem unvermeidlichen Remis einmal ausweichen (?!?!) mit dem Zug Kd2-e1 anstatt immer nur nach d1 zu gehen. Was war die Idee dabei? Denn leicht erkennbar, dass man dort auch nicht rauskäme, wenn der Gegner bei seiner Abfolge bliebe. Andererseits hat man ihm durch die Abweichung suggeriert, dass man nach einem Gewinn sucht und überhaupt.... Der Gegner reagierte wie folgt: Er zog nicht erneut den Turm nach c1 zurück, sondern stattdessen den anderen nach e3. 46. (?) Tc3-e3+.

Nun blieb nur das Ausweichen nach d1. 46. ... Ke1-d1, woraufhin der Gegner seine „Zwickmühle“ wieder aufbaute mit 47. Te3-e2.

In dieser Stellung fand Ben, fast ohne Nachdenken, den einzigen Rettungszug mit 47. ... Lg7-f6.

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Dies ist natürlich nur objektiv gesehen der Einzige, dennoch eine exzellente Wahl. Er möchte den Turm ziehen können und er hat auf die überraschende Wendung überhaupt nicht irritiert reagiert. Nun machte der Gegner erneut Gebrauch von der möglichen Zugwiederholung. Allerdings wäre der Mattplan auch nicht aufgegangen, denn auf 48. Kg1-f1 folgt 48. ... Te8-d8. Also war alles korrekt. Der Gegner zog etwa drei Mal hin und her. Ben reichte ihm nach dem dritten Mal die Hand, mit 5 Sekunden auf der Uhr gegen 10 beim Gegner, dieser schlug ein.

Obwohl man kaum ein Wort hörte (und ich mir schon bewusst war, dass Ben nicht das Recht hätte, einfach das Remis zu bestimmen, also drei Mal die gleiche Stellung im Blitzschach nicht gilt), war ich sicher, dass es die Remisvereinbarung war.

Es gab nur einen weiteren Zuschauer, der meinte, dass, wenn er die Hand reichen würde ohne Angebot, dies die Aufgabe bedeuten würde. Irgendwie hatte er schon ein klein wenig Recht, aber der Junge gegenüber meldete sofort das Remis. Natürlich die korrekte Entscheidung, dennoch sollte Ben daraus lernen.

g. Johann Donath – Robert Denkert

Ein weiteres Partiebeispiel, dieses aus der Schlussrunde. Robert Denkert ist mir in diesem Turnier das erste Mal so richtig aufgefallen. Sicher hatte ich ihn schon gesehen und sicher hatte er auch ab und an schon gute Ergebnisse. Aber diesmal konnte man wirklich staunen über seine Entwicklung. Er saß fast immer vorne – bei der ersten Sichtung rieb ich mir wirklich noch etwas verwundert die Augen --, aber zeigte auch auf dem Brett, wie versiert er bereits ist. Bisher kannte ich natürlich seine Schwester Anna besser, da sie mit Katharina nicht nur im gleichen Alter, sondern auch schachlich auf Augenhöhe ist.

Robert hat sich diesmal wirklich nach vorne gespielt. Die Partie gegen Margarita Kostré habe ich in Auszügen gesehen, und es war exzellent, was er da aufs Brett zauberte.

Johann Donath ist natürlich längst bekannt. Nicht nur hat Ben-Luca eine seiner ersten Glanzpartien gegen ihn, Johann, den damals bereits weit renommierteren, gespielt (die in einem vorherigen Bericht kommentiert ist), wenn auch diese am Ende verloren, nicht nur haben wir gemeinsam den Schiedsrichterlehrgang im Sommer besucht, nein, darüber hinaus haben wir auch am gleichen Tag Geburtstag, was ihn, dank des „richtigen“ Geburtsjahres, exakt drei Tage älter als Ben-Luca macht.

Johann hat sich beständig weiter entwickelt und vor allem sind seine Objektivität und sein Brettverhalten beeindruckend. Er ist stets freundlich, lächelt Stellung und Gegner an, kann aber selbstverständlich auf dem Brett dennoch die Krallen ausfahren.

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Vorne links im Bild Robert Denkert, rechts der Gegner Johann Donath. Hinter Robert, mit weißer Mütze, Kilian Damerow

 In der Schlussrunde trafen diese beiden Beschriebenen aufeinander und ich widmete mich eine Weile lang dieser Partie. Johann hatte schon frühzeitig Vorteile und, wie er anmerkte, hatte der Gegner schon in der Eröffnung eine Ungenauigkeit begangen (er vergaß in einem Wolga Gambit den Zwischentausch mit dem Läufer auf f1). Dieser „Fehler“ aber keineswegs tragisch. Johann vergrößerte sein Übergewicht und hätte in dieser Stellung hier..

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Weiß: Johann Donath- Schwarz: Robert Denkert, Weiß am Zuge

bereits einen ziemlich einfachen Sieg gehabt. Er hatte den Zug 1. f2-f3 zuvor gespielt, der Springer war von e4 nach g3 gehüpft, 1. ... Se4-g3, in der Hoffnung, nach 2. Td1xd6 mit der Gabel 2. ... Sg3-e2+ den Läufer einzuholen. Nur wäre dann, nach 3. Td6-d8+ gefolgt von c6-c7 der schwarze Turm verloren gegangen, so dass eine Qualität und ein Freibauer mehr (der auf a3) auf der Habenseite stünden, mit eigentlich einfachem Gewinn.

Johann meinte nach der Partie, er hatte das gesehen, aber versprach sich von der Partiefortsetzung noch mehr.

Er spielte 2. Kg1-f2 Sg3-f5 3. g2-g4 Sf5-d4 4. Lc1-e3

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Nun hatte Schwarz zwar die Chance, den Bauern zu nehmen, und die Stellung wäre nach Td1xd6 gefolgt von Td6xe6 bei zwei Mehrbauern gewonnen für Weiß. Trotzdem kann natürlich von „mehr“ aus Sicht des Weißen gegenüber dem Qualitätsgewinn nicht die Rede sein (Johann hatte sicher etwas anders geplant oder gerechnet, kein Vorwurf natürlich). Robert aber entschied sich anders, nämlich für...

4. ... e6-e5 Nach 5. Le3xd4 e5xd4 6. Td1-c1 schien die Partie aber dennoch so gut wie entschieden. Es sah aber vielleicht besser aus als es war, denn Schwarz verteidigte sich gekonnt und schnell, indem er den c-Bauern mit dem Turm aufhielt und den König heranbrachte. Der Springer fand keinen ganz überzeugenden Weg, den Turm zu fangen (gab es überhaupt einen?), und bald danach stand diese Stellung auf dem Brett:dia24

Hier nun war Schwarz dran und eliminierte den a-Bauern mit 8. ...Kb6xa6. Darauf stellte Johann seinen König nach e3, also behielt ihn auf einem schwarzen Feld (besser mal endlich eine weiße Figur auf Weiß). 9. Kf2-e3. Robert spielte sehr stark weiter mit 9. ... d6-d5. Nun ist die Stellung wirklich nahe am Remis. Der Läufer ist eine starke Figur, oftmals stärker als der Springer. Trotzdem gibt es auf Seiten des Weißen einen Mehrbauern ... und diesen setzte Weiß (, zum Entsetzen seiner Fans, hätte ich fast gesagt) in Bewegung! 10. f4-f5. Alle Figuren auf Schwarz, da dürfte das Auge schon mal „Alarm“ an das Gehirn senden? Schwarz zog reflexartig 10. ... g6xf5 und Weiß ebenso 11. Sd4xf5. Nun hielt Robert den Läufer in der Hand, wollte zuerst nach c5, sah, dass das Feld gedeckt war vom Turm, schwebte in der Luft... hier die Chance am größten, dass er das Feld g5 findet!

Aber er setzte ihn auf f8 ab. 11. ... Le7-f8. In beiden Zügen hätte Le7xg5+ den Turm erobert – und die Partie sicher entschieden.

Auch so blieb der Schluss dramatisch, wenn auch nicht in allen Einzelheiten erinnerlich (deshalb hier vorenthalten). Schwarz konnte aber das (verdiente) Remis retten.

Hier die Schlussstellung.

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1/2:1/2.

Nach der Partie war Johann zunächst leicht enttäuscht, was nur bedeutet, dass er genau so nett lächelt wie davor, sich dies also innerlich abspielt („Dann bin ich ja nur Dritter?“ sagte er). Als er auf den möglichen Turmverlust aufmerksam gemacht wurde, reagierte er erleichtert, aber seinem Charakter entsprechend. „Dann habe ich ja sogar Glück gehabt.“, so der lapidare, ehrlich-aufrichtige, objektive aber auch irgendwie treffende Kommentar.

10) Ein atmosphärisches Foto

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Ein Foto zum Beweis, dass der Umgang mit meinem Sohn nur vertraut und angenehm ist, keineswegs streng oder belehrend. Dieses sanfte Lächeln, beiderseits, selbst wenn seines der Bauart „kindlich“, ein ganz klein wenig in „verlegen“übergehend, ist doch einfach nur schön, oder? Auch Beobachter Emil Schmidek scheint angesteckt von dieser Atmosphäre. Ganz rechts sieht man Alexei Kropman, welcher gerade dabei war, die Turnier entscheidende Partie zu verlieren. Neben ihm Dennie Shoipov mit der souveränen Verwertung seines Turmübergewichts gegen Jirawat beschäftigt. Zugleich war es die Runde der Partie zwischen Margarita Kostré gegen Bennet Schnabel. War dies der Moment, in welchem sie den Läufer verhängnisvoll von d4 verschob (da ich ihn ja verpasste)?

11) Zwei falsche Rochaden

Ein weiteres Kuriosum: in einer Runde verloren zwei Spieler an den ersten vier Brettern durch die falsche Ausführung einer Rochade. Dass Vater Schmidek seinen Sohn in gewisser Weise in Schutz nahm, ins Felde führend die Tatsache, dass er nur durchs Schach rochiert hätte, während Dennie Shoipov zuerst seinen König nach d8 zog (um eine Dame zu schlagen), ihn nach e8 zurückbewegte um den Punkt f7 zu verteidigen und weil in einem Moment die Situation so günstig erschien, dass er sich zur (irregulären) Rochade entschloss, konnte nicht wirklich akzeptiert werden. Ob nun ein schwereres Vergehen oder ein gröberer Fehler: dies ist kaum auszumachen und Rochadefehler bleibt Rochadefehler.

12) Der Turniersieger

Ein paar Worte über den Turniersieger: Jan Paul Cremer war bereits in der vorbereitenden Blitzpartie gegen Alexei Kropman als Favorit auszumachen, selbst wenn zwischen den beiden kein erkennbarer Unterschied war. Die Trainingspartie wurde zwar von Jan Paul gewonnen, jedoch in einem Schlussspiel, da sich Alexei bereits des Sieges zu sicher war (es hat mich ein paar Stunden gekostet, das Bemühen um die beinahe mögliche Rekonstruktion dieser Partie durchzuführen – und es aufzugeben; irgendein Detail stimmte nicht).

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 Man ahnt ein wenig, wie es zur Punkteteilung an Brett 2 kam... Jan Paul Cremer scherzend mit Alexei und der Gegnerin, Margarita, verdeckt durch Markus Penner, der sich ebenfalls an der Spaßrunde beteiligt, obwohl ihm mit Robert Denkert ein nicht zu unterschätzendes Kaliber gegenüber sitzt – und jener gar tatsächlich die weiße Armada zum Siege führte. Fabian Alcer an 1 musste Alexei Kopmans Überlegenheit anerkennen, während Jirawat Wierzbicki erkennbar zuversichtlich mit den schwarzen Steinen in den Kampf gegen Emil Schmidek ging – und wirklich die Oberhand behielt.

Immerhin: am Vortage hatte ich ganz persönlich ein Kräftemessen mit Jan Paul Cremer in der Schlussrunde des Grand Prix Turnieres beim SK Präsident. In jener Partie konnte ich ihn in einer von mir gut gespielten Partie bezwingen, musste aber sowohl nach ihr als auch am nächsten Morgen von Jan Paul zur Kenntnis nehmen, dass er das ganze Turnier „ganz schwach gespielt habe“, und auch weiterhin außer Form befindlich sei.

Ein paar Stunden später konnte ich per Nachfrage immerhin erfahren, dass er nun doch wieder zufrieden sei. Sicher, es war die eine Partie, auf die es ankam, gegen Alexei – und diese konnte er für sich entscheiden. Dennoch war der Eindruck insgesamt: der Turniersieg war verdient, auch wenn der halbe abgegebene Punkt gegen Margarita nur bösartigen Gerüchten zufolge ein „Kavaliersdelikt“ war.

Ich nehme für mich frecherweise in Anspruch, ihn in unserer Turnierabschlusspartie vom Vortage „so richtig in Form gebracht zu haben“, selbst wenn es sich erst am nächsten Tag und von ihm bis dahin nicht wahrgenommen zeigte. Er hat sozusagen schnell gelernt...

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Vorne links im Bild Johann Donath, mit dem typischen, wissenden, freundlichen Lächeln. Hier spielte er (bald) gegen Sergii Polutskyi. Neben ihm Katharina, im anstehenden Duell gegen Gugulaschwili, welchen sie bezwingen konnte. Das Bild vor Runde 2.

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Ein weiterer Schnappschuss, dieser aus der Schlussrunde, von den Brettern eins bis viereinhalb. Jirawat an 1 gegen Jan Paul Cremer führt gerade einen Zug aus, ohne den letztendlichen Verlust abwenden zu können. An 2 scheint Alexei kleinere Probleme zu haben (wieso sonst drehte er eine Locke?) gegen Margarita Kostré, selbst wenn diese nur lauteten: „Ob ich gewinne oder verliere: ich bin eh 2., weil Jan Paul gewinnt.“An 3 vergräbt sich Sergii Polutskyi, auf der Suche nach Vorteil, aber auch Emil Schmidek macht einen hoch konzentrierten Eindruck – und verteidigte mit dem Remis den 3. Platz. Coach Heinz Großmann schaut leicht besorgt auf Dennie Shoipovs Partie, da dieser bereits gegen Schwarzspieler Markus Penner eine Qualität eingebüßt hat. Er gewann diese zwar zurück (Markus danach: „Ich hab gar nicht gesehen, dass er den Turm angegriffen hat. Mein Glück war, dass der gedeckt war.“), konnte aber im ungleiche Läufer Endspiel nach Verlust des f-Bauern den frei gewordenen f-Bauern des Gegners nicht aufhalten – und verlor haarscharf.

Johann Donaths Gesicht, ganz vorne links, verrät kaum, wie nahe er sich dem Sieg wähnte – um ihn am Ende zu verpassen (Gegner war Robert Denkert).


Eine kleine Anmerkung zum Schluss: Ein Prinzip von mir ist es, keine Recherchen anzufertigen. Die Gründe: es verliert die Authentizität, wenn man recherchiertes Wissen als eigenes verkaufen möchte beziehungsweise den Leser im Unklaren lässt, ob denn dieses Wissen speziell für diesen Moment angeeignet war oder ob es aus der Erinnerung erzählt ist. Insofern mögen Fehler gar als Beweis dienen, dass man NICHT recherchiert hat, denn die penible Vermeidung würde nur den Rückschluss zulassen, dass man es doch getan hat.

Nur habe ich für diesen Bericht eine Ausnahme gemacht. Auch hierfür ein spezieller Grund: die Namen vieler Teilnehmer waren nur teilweise oder gar nicht bekannt, sowie das winzige Problem der korrekten Schreibweise eines Namens als möglichst zu vermeidendes erkannt. Olaf Sill sandte mir die Schlussrangliste zu, so dass ich etliche Namen korrigieren oder ergänzen konnte.

Die Bilder sind ausnahmslos von Johann Schmidek geschossen und wurden mir von ihm großzügig zur Verfügung gestellt.

Kommentare   

#1 Tiger-Oli 2012-01-03 16:16
Hi Dirk,

vielen Dank für diesen unglaublichen Bericht. Manches Blitzturnier der "Großen" würde sich über so einen Artikel freuen!
Ich habe selten gesehen, dass so viele Diagramme, Photos, Geschichten, Eindrücke von nur einem Turnier zusammengetragen wurden. Ein schönes Dokument des Berliner Jugendschachs.
+1 #2 Jörg Hickl 2012-01-04 08:43
Dirks Beiträge sind einzigartig. Es erreichten mich 44 Word-Seiten. Alleine das Einpassen der Bilder und vielen Schachdiagramme dauerte 3 Stunden. Ich möchte nicht wiessen, wie lange er am Artikel saß. Da ist der Stundenlohn noch deutlich niedriger als der von Hübner angegebene von gut 70 Pf. für seinee Informatoranalysen.
#3 Gerhard 2012-01-04 19:27
Lieber Herr Paulsen,
ich habe mir mal die Freiheit genommen und den ganzen Artikel gelesen. Bei den ersten Zeilen und dann auch Seiten zögerte ich immer wieder, ob ich das tun sollte. Der Artikel wurde aber zunehmend interessanter. Wodurch, will ich nicht ausführen, da ich vermute, daß es nur Vermutungen wären, die ich anführen würde.
Ich habe mir einige Dinge angestrichen – und merke gerade, daß ich nicht auf all die Merkpunkte eingehen sollte.
Der Satz: „Heute, so denkt man vielleicht, ist ja egal, ob ich pünktlich und am rechten Ort bin? Man könnte ja per Handy jederzeit umdisponieren?“ überzeugt mich nicht so recht. Ich denke, es liegen andere Gründe vor, daß es früher „besser klappte“. Man hätte wohl einen Zettel angefertigt, mit all den Informationen und hätte es vor allem eingeübt. Vermutlich hätte man den Weg sogar über Kartenmaterial oder Befragungen studiert.

„Ein einsames Schild mit einer Hausnummer, und nicht nur das. Die Aufschrift: „182“
Wie oft hatte man das schon in seinem Leben? Mit allzu kurzen Schritten und geplagt von Wind und Zeitnot in einem riesigen Feld nach einer Adresse zu suchen?

„Erzählen könnte man … so viele verschiedene Dinge“. Tja, so ist das mit dem Erzählen: Man pickt sich etwas raus, fabuliert den Text dazu und fragt sich vielleicht ab und an: Wieso tue ich das eigentlich? Was ist der höhere Zweck?

Ole Jannes Karge aus Runde 4; Rechercheergebnis), Schwarz: Dennie Shoipov….1. ... Ld6-f4 2. Le6xd5
Ja, so etwas ist hart und kam offenbar zigmal in dem Blitzturnier der Kids vor. Man kennt solche Dinge. Kann man als Trainer genau diese Übergänge trainieren? Da, wo systematisches Spiel übergeht in kopfloses Tun? Irgendetwas muß ja den Kopf ausgeschaltet haben.
Es wäre daher doch anzuraten, zu trainieren, die Übersicht zu behalten, gleich in welcher Lage?! Was nützen Strategeme aller Art, wenn der Erfolg an solchen „irrationalen „Faktoren hängt?
Ich würde auch zu den Kids sagen: Du ziehst jetzt H3, immer! Und nicht von verlorenem Tempo erzählen oder daß h3 schwächen könnte. Man muß den Kindern „eine andere Art von Schach“ beibringen, eine mit ganz wenigen Grundsätzen, vollkommen egal dabei, ob das Einzelne „richtig“ ist oder nicht.

„Das Matt habe ich überhaupt nicht gesehen. Ich fand den Zug Df3-c6 nicht gut, weil ich dachte, dass Ta6-c6 viel besser gewesen wäre und bald gewonnen hätte“
Wichtig ist hier,im Training immer daran zu erinnern, daß der mies stehende Gegner vielleicht doch noch eine Rettungschance haben könnte, auch wenn man gerade breitflächig dominiert!.
Und den Zug Tc6 kannte sie sicher durch Beobachtung. Der Turm ankert auf c6, gedeckt durch den Bauern, macht sich mitten im gegnerischen Raum genüsslich breit. So ein Eindruck bleibt und so führt man einen solchen Ankerzug nur zu gerne aus. IMMERHIN kannte sie also dieses positionell-strategische Motiv und das ist beachtlich.

„Man beachte den Fall der langen Rochade, wo man bereits b2 angreift“..hier; Herr Paulsen, sind Sie wieder zu ihrem heißgeliebten „man“ zurückgekehrt, sozusagen als Reminiszenz und Hut-Gruß vom gegenüberliegenden Berggipfel.

„Ben meinte später, er hätte den Zug oftmals gemacht, wenn er nicht gut war.“
Was genau verbirgt sich hier? Sind ihm vielleicht die PIRC-Strukturen noch zu unverständlich und komplex? Vielleicht gab es einige Partien mit weißem Td1? Hier gilt es nachzuforschen. Fundamentale Züge dürfen eigentlich NIE gänzlich ausser Frage kommen….

„er arbeitet zu Hause alleine am Schach“
Ja, das ist der Schlüssel…und wenn es nur das Hin-und Herschieben der Figuren auf einem kleinen Magnetschach ist.

„Weiß hat Turm plus zwei Bauern für zwei Figuren“
Eine eindrückliche Erinnerung habe ich an eine Anfängerpartie von mir: Ich hatte mir trickreich 2 Springer gegen Turm + Mehrbauer gesichert, um dann mit Schrecken festzustellen, daß ich verloren war. Meine Springer waren SOO hilflos, auf längere Sicht. Ich bot sehr bald Remis an und es wurde angenommen. Ich weiß nicht, wie die Gegenseite dachte.

So, das wars von meiner Seite! Mehr möchte ich nicht anführen.
Danke für den Mammutartikel.
#4 Gerhard 2012-01-04 23:24
Noch etwas möchte ich aus aktuellem Anlass anführen: Ich las gerade, daß "spirituelle" Menschen meist nur ihre "Spiritualität" leben, aber aus diesem Verständnis heraus nicht zusätzlich aktiv sind - politisch und gesellschaftlich. Das erinnert an die Kinder, die sagen: "Ich kann nur e4 spielen". Wie Sie anführten, Herr Paulsen, können die Kinder auch "e4" nicht richtig, wieso also nicht gleich 1.d4 oder sonst ein Kraut?"
Das ist das Dilemma...man hält verzweifelt an Gewohntem fest.
#5 Dirk Paulsen 2012-01-05 11:40
Danke, Gerhard, für das Studium des Textes und die interessanten Anmerkungen. Mir ist schon klar, dass ich mit diesem Text vermutlich ein wenig über das Ziel hinaus geschossen bin. Man wünscht sich Leser -- und schreckt sie zugleich ab. Es gibt die berühmten Sprüche: "Weniger wäre mehr" oder auch, in der scherzhaften Version, "tut mir leid, ich hatte keine Zeit, mich kurz zu fassen." Wer sich dennoch heranwagt -- so war meine Überzeugung -- bekommt doch einigen Lohn dafür, in Form von Unterhaltung oder auch zu ziehenden Lehren.
Falls man wirklich für das Training von Kindern oder auch für sich selbst etwas herausholen möchte, dann ist es sicher dies, dass es gewisse, typische, wiederkehrende Arten von Fehlern gibt, die man, sofern man sie auch bei anderen beobachtet, einerseits erleichtert zur Kenntnis nimmt, andererseits vielleicht die "Denkfehler" oder Reflexreaktionen, die für die folgenden Fehler verantwortlich sind, möglicherweise bekämpfen, vermeiden oder gar gänzlich abstellen kann.
In dieser Form nehme ich auch ihre Anmerkungen wahr. Welche Lehren zieht man für sich, welche könnte man vermittelbar machen und wenn, wie?

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