Aero-flotte Impressionen

Aero-flotte Impressionen Sergey Kustov - Wikipedia

Dass das Aeroflot Open wieder stattfand (was einige Zeit nicht gesichert war) ist für mich zunächst mal eine gute Nachricht. Dass dieses Jahr alles anders ablief, darüber kann man geteilter Meinung sein. Schuld waren die Sponsoren die diesmal nur für Schnell- und Blitzschach zahlen wollten: sie finden Partien mit klassischer Bedenkzeit "langweilig, armselig und nutzlos" - nicht etwa (wie gelegentlich suggeriert wurde) Ilya Levitov vom Russischen Schachverband, der hat sie nur zitiert, don't blame the messenger. Die Alternative war wohl dieses Turnier oder gar kein Turnier.
Wieviele Grossmeister waren deswegen sauer? Dementsprechend geäussert haben sich offenbar Khalifman, Krasenkov, Sutovsky und Spraggett. Wobei "mickey" (Krasenkov, nicht etwa Adams) auf Khalifmans Forum schrieb dass ihm Aeroflot immer eher egal war - Google-Übersetzung: "And from Aeroflot I personally did not really have neither cold nor hot." Viele andere machten sich auf die mehr oder weniger weite Reise nach Moskau - mit seiner Prognose "90% Russen" lag Sutovsky wohl eher daneben. Wer ein starkes Open mit klassischer Bedenkzeit bevorzugt kann ja z.B. in Reykjavik spielen - da ist es um diese Jahreszeit auch kalt und ausserdem dunkel!
Man kann den Spiess auch umdrehen: Was wäre wenn die Mainzer Organisatoren vor inzwischen anderthalb Jahren gesagt hätten: "Schnellschach ist blöd, zu viele Patzerzüge, ab sofort spielen wir mit klassischer Bedenkzeit!" Der Aufschrei wäre wohl auch gross gewesen, zumal das Teilnehmerfeld dann wohl schwächer wäre - bei gegebenem Etat bekommt man wohl entweder Weltklassespieler für zwei Tage oder zweitrangige GMs für eine Woche? So ist Aeroflot 2013 irgendwie Nachfolger von Mainz - ein stark besetztes Schnellturnier für jedermann oder zumindest jeder-GMann. Und die Wolld Mind Spolts Games in Peking sind Nachfolger der Amber-Turniere - ein stark besetztes Schnell-, Blitz- und Blindturnier für geladene Gäste. In beiden Fällen reicht das Budget wohl nicht für die allerbesten und allerteuersten Spieler, aber dafür bekommen andere ihre Chance.

War dann bei Aeroflot 2013 alles prima? Schnellschach an sich ist OK, aber wenn ich Ausrichter wäre (da fehlen mir, jedenfalls auf diesem Niveau, einschlägige Erfahrung und einschlägige Kontakte) oder Sponsor (da fehlt ein bisschen Kleingeld) würde ich ein paar Dinge anders machen. Teil eins des Turniers war im Schweizer System wobei sich die ersten 32 für die anschliessend KO-Phase qualifizierten - und es war ziemlich egal ob man erster, achter, fünfzehnter oder zweiunddreissigster wird. Daher wurde in den letzten Runden fröhlich remis gespielt um das Erreichte abzusichern. Den Anfang machten in Runde 7 von 9 Mamedov (davor 6/6) und Sjugirov (davor alleiniger Zweiter mit 5.5/6) - das konnte spannend werden, und tatsächlich opferte Mamedov mit Weiss schon im vierten Zug eine Figur: 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.Lb5+ Ld7 4.0-0!? Sc6!? 5.Te1 Sf6 6.c3 e6 7.d4 cxd4 8.cxd4 d5 9.e5 Se4 10.Sbd2 1/2 - wenn die Übertragung stimmt wollten sie wohl keinen Zweifel aufkommen lassen dass sie das Ergebnis bereits vor der Partie kannten? Es kann natürlich auch sein dass sie 4.Lxd7+ Dxd7 so schnell spielten dass es nicht registriert wurde. In den nächsten beiden Runden war Chadaev Rekordhalter: mit Weiss gegen Guseinov 1.d4 Sf6 2.Sf3 g6 3.Lf4 Lg7 1/2 (OK, das London-System ist sehr remislich) und mit Schwarz gegen Tukhaev 1.e4 e5 2.Sf3 1/2 (hier hätte er zumindest noch 2.-Sf6 spielen können?). Und was machte Mamedov zwischenzeitlich? Erst eine Niederlage am Spitzenbrett gegen Kamsky (der wollte tatsächlich noch spielen, Brett 2-10 wurde alles remis in insgesamt 60 Zügen) und dann das gegen Le Quang Liem: 1.d4 d5 2.c4 c6 3.cxd5 cxd5 4.Sc3 Sf6 5.Sf3 Sc6 6.Lf4 Lf5 7.e3 e6 8.Dd3

Mamedov-Le
und schnell remis anbieten bevor der Gegner auf dumme Gedanken kommt, dem war nicht so. Hier kann es auch sein dass das DGT-Board den jeweils achten Zug (8.Ld3 Lxd3) nicht registrierte - andererseits hatte Mamedov so gute Karten dass er sich auch mit einer Niederlage noch qualifiziert hätte. Am Spitzenbrett kopierten Sjugirov und Kamsky diese Partie bis zum siebten Zug, dann geschah 8.Ld3 Ld6 9.Lxd6 1/2 . Wie kann man derlei Geschichten verhindern? Vielleicht indem sich nur 8 Spieler qualifizieren, dann können allenfalls ein paar taktieren und nur in der allerletzten Runde.

Teil 2 war im KO-Format (irgendwann auch mit den eingeladenen Spielern Karjakin, Grischuk, Svidler, Nepomniachtchi, Karpov(!), Mamedyarov, Andreikin und Wang Hao), zwei Schnellpartien und dann - wenn nötig - gleich Armaggedon. 13 von 39 Mini-Matches wurden so entschieden, siebenmal gewann Weiss und sechsmal Schwarz. War wirklich keine Zeit für ein paar Blitzmatches vor dem finalen Showdown? Ein Grund warum die Russen Schnell- und Blitzschach mögen ist vielleicht dass sie darin Doppel-Weltmeister sind? Zufällig (oder auch nicht) trafen Schnellschach-Weltmeister Karjakin und Blitz-Weltmeister Grischuk im Finale aufeinander, und auch da kam es zum Armaggedon. Ich zeige dem Publikum die beiden erstmal, die Fotos stammen vom Vorgänger das Aeroflott-Festivals:

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Grischuk 2009 in Mainz [Stefan64 - Wikipedia]

 Karjakin

Karjakin 2010 (noch ohne Privatsponsor) [Stefan64 - Wikipedia]

2009 war Karjakin nicht dabei, und Grischuk wurde (nach zwei Niederlagen in den Schlussrunden) 23. . Ein Jahr später teilten sich beide den zweiten Platz mit Shirov, einen halben Punkt hinter Aronian.
2013 in Moskau musste am Ende einer von beiden gewinnen und der andere verlieren. Die Schlusstellung der Armaggedon-Partie ist ja bekannt:
Karjakin-Grischuk
Zuletzt geschah 54.De4!! Txe4+ 55.fxe4 1-0 denn Turm und zwei Sekunden ist mehr wert als Dame und null Sekunden! Mit Inkrement hätte wohl Grischuk gewonnen, das hätte es aber erst ab dem 60. Zug gegeben.
Eine russische Zeitung schrieb dazu (Google-Übersetzung): "But in 'Armaggedon' white Karjakin won by request. Did it beautifully, in the end, giving the queen to make Grischuk spend an extra second and cut his flag."  Auf Deutsch: "Aber in 'Armaggedon' wei?en Karjakin gewann auf Anfrage. Hat es schön, am Ende, was die Königin zu machen Grischuk verbringen sie einen zusätzlichen zweiten und schnitt seine Fahne."
Über 'beauty in chess' kann man geteilter Meinung sein, ich habe schon beautifullere Damenopfer gesehen (leider noch nicht selbst gespielt - eine Chance hatte ich potentiell letzte Woche in der Vereinsmeisterschaft aber mein Gegner hat lieber prosaisch verloren). Hier erwähnte Stirlitz dass der Autor des Artikels Cyril Zangalis auch Karjakins Manager ist. Nun ist es - Karjakin gegenüber - etwas unfair die Partie auf die Schlusstellung zu reduzieren: er stand 50 Züge lang besser bis klar gewonnen und erst danach objektiv auf Verlust. Wer hat nicht schon mal solche Blitzpartien gespielt und den Gegner am Ende über die Zeit gehoben? Das  kenne ich aus meiner eigenen Praxis.
Noch ein bisschen Klatsch und Tratsch: Karjakin hat offenbar auch abseits des Schachbretts eine Dame eingestellt, geopfert oder verloren und sich von seiner Frau getrennt - das wurde hier eher nebenbei erwähnt ("We are completely different. I am more calm, she explosive."). In der Hinsicht ist Grischuk vielleicht der Glücklichere und womöglich eher Ausnahme: ein Spitzen-Schachspieler mit einer stabilen Beziehung/Ehe zu einer Schachspielerin? Ich gehe davon aus dass diese Fakten stimmen, nicht unbedingt alles andere in diesem Artikel - z.B. dass Carlsen in Gewinnstellung remis anbietet um rechtzeitig im Hotel Fussball (Real Madrid) zu gucken.

Soweit war das meine Meinung zu Dingen die auch anderswo erwähnt wurden. Nun noch was ich selbst entdeckte: zwei Stellungen aus dem Quali-Schnellturnier bei denen das Ergebnis nicht zur Schlusstellung passt (und auch nicht zur Paarung, denn jeweils hat der nominell Bessere mit Weiss verloren).

Le Quang Liem (2705) - Ponkratov (2584)
Le-Ponkratov
Zuletzt geschah in einer wechselhaften Partie 41.-Tb5 und Weiss gab auf (oder sein Blättchen fiel). Houdini analysiert trocken 42.Dxc3 Tb1+ 43.Lf1 Lxf1 44.Td1 Dxd6!? 45.Txb1 Dxd7 46.Txf1 +2. Auch wenn man sich als Weisser verzählt wieviele Figuren geschlagen werden und was übrig bleibt - im 44.Zug hätten einige Alternativen zumindest nicht verloren.

Sasikiran (2677) - Kazhgaleyev (2594)
Sasikiran-Kazhgaleyev
Zuletzt geschah 21.Dxa8 Sc5 0-1. Welche Gespenster hat Sasikiran hier gesehen? Houdini sieht weit und breit nur Dauerschach-Varianten, z.B. 22.Lc2 Dxe3+ 23.Tf2 De1+ 24.Tf1 De3+ (Schwarz kann abweichen aber steht sicher nicht gewonnen).

P.S.: Mein Dank an Colin McGourty für - teils auf Anfrage - diverse russische Quellen (mehr als ich dann verwenden konnte oder wollte), Google für die Übersetzungen und Olaf Steffens für das Aeroflott-Wortspielchen (da wäre ich aber auch selber drauf gekommen).

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