Attack & Defence - Flugzeugabstürze und Buchrezensionen

Beim Durchstöbern des Tagesgeschehens auf focus.de wurde ich, neben der wichtigen Meldung über einen oscarlosen Leonardo DiCaprio und dem allseits präsenten Konterfeis Uli Hoeneß, eines Artikels gewahr, dessen Schlagzeile mich unmittelbar in den Bann zog. Es handelte sich um den Aufmacher zu The Huffington Post: "Plan für den Notfall, Wie man einen Flugzeugabsturz überlebt!" 

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Ein schneller Klick - ein flüchtiger Blick - ein großer Schmerz:

flugzeugabsturz-focus-200"Behalten Sie Ihre Schuhe und Socken an" klingt logisch, genauso wie "Besorgen Sie sich einen Plan (und einen Plan B)" - sieh an, eine Parallele zwischen Schach und Flugzeug-abstürzen.
Doch führte beides zu einem schnellen Schließen des Browserfensters.

Mit solchen Hilfestellungen kann ich Ihnen nicht dienen, aber vielleicht beim Überleben eines Schachbuchs behilflich sein oder besser noch , vor dessen Kauf bewahren.

 


Jacob Aagaard: Attack & Defence, 29,99 €, Quality chess,

304 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2014.

Schachbücher stellen im Allgemeinen einen hohen Anspruch an den Leser. Man kann Sie nicht wie einen Roman behandeln - die ordenttliche Beschäftigung mit der Materie erfordert zuweilen Monate und auch die Erstellung einer (üblicherweise nicht bezahlten) Schachbuchrezension ist entsprechend aufwändig.

Nachdem auch mir das von Martin Rieger zur Weihnachtszeit vorgestellte Buch vorliegt, hier nun einige Anmerkungen, die über die üblichen, zumeist überaus freundlichen Besprechungen hinausgehen:

Wie lassen sich allgemeine Themen des Schachs wie Angriff und Verteidigung in einem Buch lesererhellend darstellen? Eine Frage, die Jakob Aagard mit seinem neuesten Werk Attack&Defense aufwirft, doch leider nicht beantworten kann. Uns erwartet ein Taktikbuch auf höchstem (Computer-) Niveau.

Die Aufschlüsselung in ebenfalls schwammige Unterkapitel wie „Angriff auf den stärksten (schwächsten) Punkt“, „Momentum“ oder auch „Prophylaxe“ bringt dabei kein Licht ins Dunkel. Grundlage sind jeweils einige wenige Partien extrem hoher taktischer Komplexität, die in brauchbarer Form kommentiert werden, gefolgt von diversen Taktikaufgaben. Houdini ist dabei omnipräsent und scheint die Hauptarbeit geleistet zu haben. Praxisnähe/-relevanz und die damit verbundene menschliche Komponente gehen vollkommen unter.

banner-seminarturnier300-anz2014Wie leicht zu merken ist, konnte das Werk keinen Blumentopf bei mir gewinnen. Aus der Sicht des Trainers erwarte ich weiterverwertbare Erkenntnisse oder zumindest brauchbare Aufgaben für den Unterricht.

Aus Sicht des Lesers/Lernenden rührt wahrscheinlich das größte Frustrationsgefühl: Zugegeben, das Buch diente wochenlang als Gute-Nacht-Lektüre bei einem gewissen Dämmerzustand, doch eine Ausbeute bei Taktikaufgaben im Bereich von gefühlten 10% ist mir fremd. Und selbst nach Konsultation der (Houdini-) Lösung glaube ich nicht, bei meinen zukünftigen Partien daraus etwas anbringen zu können.

Das größte Problem ist wohl die permanente Verwendung von Computerprogrammen. Es überrascht wenig, dass in der überwiegenden Anzahl der vorgestellten Beispiele auch starke Großmeister nicht in der Lage waren, das Stellungsproblem zu lösen; Aagard im Anschluss anscheinend schon… Der Höhepunkt ist wohl die Vorstellung eines Diagrammes, bei dem es ihm nicht unbedingt auf den (schwierigen) Anfang der Kombination ankommt. Die Hauptproblem sieht er im dritten Zug, den zu finden WELTWEIT wohl kein Spieler in der Lage sei…

Eine solche Herangehensweise kann uns sicher ein beeindrucktes „Oha“ oder „Mann, sind die Computer gut!“ entlocken. Letztendlich stellt sich jedoch die Frage nach dem Nutzen für den Leser.

Fazit:

Bedenkt man, dass weit über 90% der Schachspieler ein DWZ-Niveau unter 2100 haben und wohl die Hauptkäuferschicht darstellen, geht dieses Buch komplett an dieser Gruppe vorbei. Ähnlich verlief vor Jahren auch meine Einschätzung eines anderen Aagard-Buches „Variantenberechnung“, doch diesmal überbot er dieses um Längen.

Martin Riegers Aussage aus der Rezension vom 25.12.2013, „Selbstverständlich aber reiht es sich ein in die Liste der sehr guten Trainingsbücher.“ Kann ich nicht im Entferntesten nachvollziehen, den Rest des Absatzes hingegen schon:

„Und der sehr schwierigen! Die Aufgaben und Übungsbeispiele erfordern höchste Konzentration und Ausdauer. Die Frustrationsgrenze sollte beim Leser auf das höchstmögliche Maximum eingestellt sein, andernfalls landet das Buch womöglich mit einem weiten Wurf aus dem offenen (oder auch geschlossenen) Fenster!“

Fly Baby, fly!

Obwohl in dem Buch nichts Falsches steht, Layout und Erscheinungsbild ebenfalls kaum Beanstandung finden und auch größtenteils neue Partien aus den Jahren 2012 und 13 verwendet wurden (was für ein Lehrbuch letztendlich unwesentlich ist), bleibt für mich nur ein Urteil:

Nutzwert für Spieler unter DWZ 2200: 0 von 5 Punkten

Geht man davon aus, dass das Buch zur anspruchsvollen Serie "Grandmaster preparation" gehört und auch nur solche, bzw. entsprechende Anwärter ansprechen möchte, was letztlich zu einer unrealistischen Käuferbasis führt, so vergebe ich

mit etwas gutem Willen für Spieler jenseits 2600: 1 von 5 Punkten

Spieler mit Faible für Computerschach hingegen, mögen die Aufgaben vielleicht anders zu würdigen wissen als ich. Entsprechende Kommentare sind willkommen.

Eine kleine Liste mit weiteren Buchempfehlungen (oder auch Warnungen) finden Sie auf der Schachreisen-Website.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen.

Jörg Hickl

Großmeister, Schachtrainer, Schachreisen- und -seminarveranstalter.
Weitere Informationen im Trainingsbereich dieser Website
oder unter Schachreisen

Webseite: www.schachreisen.eu

Kommentare   

#1 Losso 2014-03-10 13:32
Passiert ziemlich selten, dass ein Buch gleich zwei Mal auf einer Plattform rezensiert wird und das, obwohl beide Rezensenten wenig begeistert sind.

Schwierig, ein Kommentar zu einem Buch zu bringen, das man selbst nicht besitzt.
Ich empfinde ehrlich gesagt schon einige Aufgaben von John Nunns Chess Puzzle Book (deutsch: John Nunns Buch der Schachaufgaben) als etwas arg hart. Vielleicht hast Du, Jörg, hier ja die Möglichkeit zum Vergleich, sofern Du Nunns Buch besitzt.

Unabhängig von der Schwierigkeit finde ich bei solchen Büchern wichtig, dass es keine Nebenlösungen gibt (vor allem bei Testaufgaben ist das für mich ein No Go), da ist Nunn recht gut, aber auch Zenon Franco mit seinem Giant Chess Puzzle Book bekommt das recht gut in den Griff.
Wenn ich Training gebe, was alle Jubeljahre vorkommt, bearbeite ich die Stellungen bis die Eindeutigkeit erreicht ist. Das ist mühsam, aber ein Training verdient auch instruktive Aufgaben - andere Versuche als die Lösung müssen widerlegbar sein.

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