Ritterlichkeit war mal: welche Vorstellungen von Fair-Play prägen die Opens?
Herr S. ist ein begeisterter Amateurspieler. Turnierschach spielt er erst seit zwei Jahren, war schon über 40, als er begonnen hat, sich intensiver mit der Materie auseinanderzusetzen. Er ist seither ein engagierter und ernsthafter Schachspieler, der nach einem harten Arbeitstag noch Stundenpartien im Internet spielt, Bücher liest, sich ein Eröffnungsrepertoire zusammengestellt hat und regelmäßig mit einem Trainer, mir, übt. Zwei- bis dreimal im Jahr spielt Herr S. ein Turnier, nimmt sich dafür einen Großteil seines Jahresurlaubs, nimmt die Kosten für Startgeld, Unterkunft und Reise auf sich.
Letztens schrieb er sich fürs Pfalzopen in Neustadt an der Weinstraße ein und ging motiviert in die erste Runde des B-Turniers. Seine Turnierwertungszahl lautete 1317 – seine Elozahl von 1630, die aus nur wenigen Partien zustande kam, wurde nicht zu Rate gezogen. Die „Wahrheit“ liegt wohl irgendwo dazwischen, schon öfters hat er Spielern mit 1800 ein Remis abgeknöpft, aufgrund seiner mangelnden Turnierpartien sind seine Leistungen wechselhaft, aber seine Fortschritte in Spielverständnis und Schachkultur offenkundig. Desöfteren „wundern“ sich seine Gegner, warum er so gut spielen würde, viel besser, als es seine Zahl vermuten ließe. Manche beschimpfen ihn gar deswegen, fühlen sich „betrogen“, weil ihre Erwartungshaltung seiner Spielstärke(-schwäche!) ihre Konzentration trübe! Regelmäßig bekommt er Remisangebote, obgleich er einen Bauern oder gar eine Figur mehr hat. Wenn die Leute zu verlieren drohen, klammern sie sich an jeden Strohhalm…
Nun aber zur 1. Runde beim Pfalzopen:
Dieses verzeichnete einen regen Publikumsandrang, Rekordteilnehmerzahl! Die Berufsbildende Schule, ohnehin räumlich sehr eng bemessen, platzte aus allen Nähten, schlechte Luft. Kein Durchkommen bei der Begrüßungsansprache, Drängeln. Herr S. zog es vor, das Treiben aus der Ferne zu beäugen, die Kräfte für die bevorstehende Abendpartie, die ja bis Mitternacht gehen konnte, zu schonen.
Dann ging es los, Herr S. führte die weißen Steine gegen einen 15jährigen Jugendlichen, Philipp R., der mit knapp 1700 der Favorit in dieser Begegnung war.
Bevor es losging, machte Herr S. sein Handy „unschädlich“. Vor den Augen des Gegners nahm er den Akku aus dem Gerät, steckte ihn in seine Hosentasche und das Handy in die Innentasche seines Wintermantels, den er in der Ecke des Raumes an eine Garderobe hängte, etliche Meter vom Brett entfernt. Herr S. hielt diese Vorkehrungen für absolut ausreichend, machte sich keine weiteren Gedanken und eröffnete mit 1.d4. Alsbald entstand das Sämisch-System gegen Königsindisch, das er sich als Repertoire angeeignet hat: 1. …Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3 0-0 6.Le3 e5 7.d5 Se8. Hier endeten seine Theoriekenntnisse, er spielte 8.Sge2 f5 9.g3!?, sicherlich nicht ideal oder theoretisch, doch durchaus plausibel. Sein jugendlich übermütiger Gegner, der zu ziemlich flottem Zugtempo neigte, versuchte sogleich eine Attacke in der f-Linie: 9. …Df6 10.Dd2 fxe4 11.fxe4 Df3 12.Tg1
Und hier packte das Jungtalent eine „Keule“ aus: 12. …Lh6??! Das schockierte Herrn S. zunächst, aber wie er die Sache näher betrachtete, wunderte er sich nur, was sein Gegner beabsichtigte. Er zog – es gab auch nichts anderes – 13.Lxh6 Df2+ 14.Kd1 Dxg1 15.Sxg1 Txf1+ 16.Kc2 Txa1
Materiell ist es ja recht ausgeglichen, zwei Türme für die Dame. Aber! Schwarz ist ziemlich unterentwickelt, und seine Königsstellung … hier kam Herr S., der inzwischen mehr als eine halbe Stunde Bedenkzeit verbraucht hatte, sein Gegner dagegen noch keine 10 Minuten, eine gute Idee: 17.Dg5! mit offenkundigen Drohungen gegen e7 und d8. Sein Gegner fasste sofort nach seinem Turm und fraß in Windeseile den Springer. Materialgierig eben: 17. …Txg1??, doch nach 18.De7 wurde er unruhig. Wenig später verließ der junge Mann das Brett, obgleich er am Zug war. Herr S. hatte schon mitbekommen, dass sich sein Gegner desöfteren mit seinem im Hintergrund mitfiebernden Vater beriet. Herr S. betrachtete die Stellung, und es wurde ihm zu seiner Zufriedenheit immer klarer, dass das Matt nicht mehr zu verhindern war:
y
Weitere Minuten vergingen, dann sah Herr S. seinen Gegner wieder nahen. Im Schlepptau seinen Vater und ein weiterer Mann, der sich als Schiedsrichter entpuppte. Der Schiedsrichter trat an Herrn S. heran mit den Worten: „Ihr Gegner behauptet, Sie würden ein Handy mit sich führen. Trifft das zu?“
Wahrheitsgemäß antwortete Herr S., dass er den Akku, den er dem Handy entnahm, in der Hosentasche hätte, und sich das Gerät im Mantel an der Garderobe befände. Auf Anweisung des Schiedsrichters zeigte er diesem die Gegenstände. „Sie wissen, dass Sie kein Handy mit sich im Turniersaal führen dürfen?“ „Nein, mir ist nur bekannt, dass man verliert, wenn es klingelt. Es ist ausgeschalten und funktionsunfähig.“ „Schon das Mitführen des Handys führt zu Partieverlust“ blieb der Schiedsrichter unbeirrt, „das hätten Sie wissen müssen, wir haben es bei der Turniereröffnung mitgeteilt.“ „Ich war aber nicht bei der Eröffnungsveranstaltung. Es war zu eng, man hat nichts gehört.“ Herr S. versuchte, den Schiedsrichter von seinem unlauteren Verhalten zu überzeugen. Er wies auch darauf hin, dass sein Gegner sich mehrmals vom Brett entfernte und sich mit seinem Vater unterhielt bzw. Tipps einholte, während er sich in der knappen Dreiviertelstunde, die die Partie bislang dauerte, nicht vom Brett rührte.
Es gab Diskussionen, das Schiedsrichterteam zog sich für eine Weile zur Beratung zurück. Dann der Bescheid des Schiedsrichters: es täte ihm sehr leid, auch in Anbetracht der Tatsache, dass Herr S. völlig auf Gewinn stünde und offenkundig nicht betrogen und ehrlich geantwortet hatte, aber „Regel sei Regel“, ihm seien „die Hände“ gebunden. Die Partie müsse für Herrn S. genullt werden.
Eine herbe Enttäuschung für unseren Hobbyspieler, der in die Fänge eines absurden Regelwerks geriet.
Herr S. beließ es dann auch auf sich, „schluckte“ die bittere Pille, und nahm es als „Erfahrung“.
Aber was ist das nur für eine desillusionierende Erfahrung?!?!
Ich bin keinesfalls der Ansicht, dass man „Schwamm drüber“ sagen und zur Tagesordnung übergehen sollte. Nein, meines Erachtens gehört dieser Fall an die Öffentlichkeit!
Denn der Fall könnte „Schule machen“, Denunziationen an den Open zur Tagesordnung werden.
Denn betrachten wir nochmal, welche Art von „Gerechtigkeit“ obsiegte: der Schiedsrichter sprach Herrn S. explizit mit den Worten an: „es wurde behauptet, Sie würden ein Handy mit sich führen“.
Das war es, was der halbwüchsige Denunziant an den Schiedsrichter herantrug, nach Beratung mit seinem fürsorgenden Vaterkomplizen: er sagte nicht: „ich glaube, mein Gegner betrügt mit einem Handy.“ Nein, er sagte nur: „mein Gegner führt ein Handy bei sich.“ Weil er gesehen hatte, wie Herr S. es „wegschloss“. Weil er von der Regel gehört hatte, dass die bloße Anwesenheit eines Handys zu Partieverlust führen würde. Und weil er sich nicht mehr anders zu helfen wusste, denn er stand ja auf Matt! Um den eigenen Kragen zu retten, ist die heutige Jugend also durchaus bereit, andere an den Pranger zu stellen. Was aber der Gipfel der Krönung ist: sie werden von ihren überehrgeizigen Eltern dazu ermuntert, unbescholtene Amateure anzuschwärzen! Wo es um DWZ-Punkte geht, ist einem jedes Mittel recht! Und das Traurige dabei: der Schiedsrichter bestraft den, der fair spielt, und gibt dem den Punkt, der die Konsequenzen seiner Fehler nicht zu tragen bereit ist. Der viel zu schnell – und offensichtlich zu arrogant - spielt, seinen Gegner nicht „ernst“ nimmt, zudem den nötigen Respekt missen lässt. Der falsch kombiniert, und dafür noch den sportlichen Erfolg bekommt.
Früher war Schach noch eine Art „Charakterschule“. Dadurch, dass es einen zur Objektivität zwingt, müssen wir lernen, uns selbst und die Gegner objektiver einzuschätzen. Die Fähigkeit zur Selbstkritik war ein wichtiger Weg zum Besserwerden. Wir verlieren, weil wir Fehler machen, etwas falsch einschätzen. Aber wo bleibt der Lerneffekt, wenn fehlerhaftes Spiel mit Punkten belohnt wird?
Wir leben in einer Generation der „Prinzen“. Die Prinzengruppe im Schach steht für talentierte junge Spieler, die gezielt gefördert wurden. In den meisten Familien gibt es heutzutage „Prinzen“, oder solche, die es werden sollen, wenn es nach dem Wunsche der Eltern ginge. Und diese potentiellen Prinzen werden verwöhnt, verhätschelt, gepuscht. Jegliches Ungemach wird von ihnen ferngehalten, sie lernen es nicht, die Konsequenzen auszuhalten – schlechte Züge, die eigentlich die Niederlage verdienen, werden konterkariert.
Auch die Wissenschaft und die Medien beobachten vermehrt das Phänomen, dass Kinder verhätschelt und zum Narzissten herangezogen werden.
Für Schach in der Schule wird vielfach geworben, auch Exweltmeister Kasparow engagiert sich viel in diverse Projekte. Der Gesellschaft soll vermittelt werden, warum es sinnvoll ist, als Heranwachsender Schach zu spielen. Weil man dadurch Fähigkeiten – heute heißt es Kompetenzen, gar „Kernkompetenzen“ – erlernen, einüben kann. Sei es logisches Denken, die bildhafte Vorstellung, Willensfähigkeit, Selbstbeherrschung. Auch die objektive Einschätzung von Situationen wurde früher immer gern genannt, im Bemühen, den Stellenwert des Schachs in der Gesellschaft zu mehren. Doch mittlerweile scheint vor allem eins gefragt: der Erfolg: „junge Leute, spielt Schach! Da lernt ihr schon früh, wie man sich Vorteile verschafft, sich durchsetzt. Begreift, dass nur der Erfolg zählt! Und bloß keine Rücksicht! Lernt, euch zu behaupten, das Leben ist ein Kampf, und Ellbogen sind gefragt!“ Das wär doch mal ein toller Werbeslogan. Und die Eltern lassen sich so überzeugen: „Hatten Sie schon immer das Gefühl, dass Ihr Kind das Schlauste von allen ist? Haben Sie auch einen Prinzen, der es verdient, richtig groß rauszukommen? Im Schach kann Ihr Zögling endlich zeigen, was in ihm steckt! Und der Erfolg wird auf Sie zurückfallen!“
Um noch auf den/die Schiedsrichter zurückzukommen. Das Totschlagargument heißt dann immer „uns sind die Hände gebunden“. Ich habe mich mit einem befreundeten FIDE-Schiedsrichter über den Fall unterhalten, und der sieht sehr wohl Möglichkeiten zur Interpretation in den Statuten der FIDE, die dem Schiedsrichter Eigenverantwortung bieten, die ein fallgerechtes Abwägen erlauben. So steht in Art. 11.3 b [...] „wenn es offenbar ist, dass ein Spieler ein solches [z. B. Handy] Gerät in das Turnierareal gebracht hat, verliert er die Partie. [...] Das Turnierreglement kann eine weniger strenge Bestrafung vorsehen.“ Gerade dieser Nachsatz lässt dem Schiedsrichter Freiheiten. Offenkundig wird dieser von vielen Schiedsrichtern überlesen.
Oder unter
- Art. 12.2 steht:
Der Schiedsrichter,
a) sorgt für faires Spiel
b) handelt im besten Interesse der Veranstaltung
Man muss also nicht strikt Regeln befolgen – was für die Schiedsrichter freilich oft das einfachste wäre! – sondern ist gar angehalten zum Abwägen, zum eigenverantwortlichen Entscheiden im Sinne von fair-play und zum Wohle der Gesamtveranstaltung. Hinsichtlich beider Punkte trafen die Schiedsrichter in Neustadt meines Erachtens nicht die richtige Entscheidung: es scheint nicht besonders fair zu sein, den, der auf Matt steht und offenkundig eine Ausflucht sucht, zu belohnen. Auch muss man nicht in der 1. Runde eines B-Opens drastische Strafen aussprechen, wenn Strapazen wie –Anreise am Freitagabend, -Spielen zu später Stunde, Gedränge im engen Turnierort etc., an den Nerven der Teilnehmer zehren. Herr S. wird nach dieser Erfahrung höchstwahrscheinlich nicht mehr am Pfalzopen teilnehmen, man vergrault Teilnehmer – das kann unmöglich im besten Interesse der Veranstaltung gehandelt sein!
- Art. 11.3 a) Während des Spielverlaufs ist es den Spielern verboten, [...] Informationsquellen oder Ratschläge zu benutzen [...].
Mit gleichem Recht hätte der Schiedsrichter darauf beharren können, denn offenkundig nahm der Jugendliche Rat von seinem Vater an und suchte während der Partie nach dessen Unterstützung.
Kurzum: es gab einige Interpretationsmöglichkeiten, dem Schiedsrichter waren die Hände mitnichten gebunden. Fingerspitzengefühl wäre bitter nötig gewesen. An den wichtigsten Parametern, die ein Schiedsrichter laut meines Freundes zur Grundlage seines Handelns machen sollte, mangelte es: Abwägen und Verhältnismäßigkeit.
Der Schiedsrichter hat auch eine Vorbildfunktion: er steht für Fairness und korrektem, respektvollen Umgang am Brett. So gesehen hat er mit dieser Entscheidung, die jedes Verständnis von Fairplay auf den Kopf stellt, seinem Berufsstand einen Bärendienst erwiesen. Wenn schon die Eltern dazu nicht fähig sind, sollten wenigstens die Schiedsrichter dafür sorgen, dass die Heranwachsenden eine Vorstellung von ethischem Empfinden entwickeln können. Jenseits der Komfortzone einer heilen Prinzenwelt, auch wenn`s mal weh tut. Denn Frustrationstoleranz ist eine „Kernkompetenz“, die Ihrem Kind später einmal zum Vorteil gereichen könnte!
Kommentare
Das Verhalten des Spielers ist natürlich indiskutabel. Ich erinnere mich allerdings, dass ich in diesem Alter auch völlig zerfressen von schachlichem Ehrgeiz war und vor unfairem Verhalten nicht zurückgeschreckt habe. Am meisten Vorwürfe würde ich dem Vater machen - der sollte ja wohl besser wissen, dass sowas nichts bringt.
Dem Jugendlichen sollte man klar machen, dass Gewinnen um jeden Preis auch wenn es durch die Regeln gedeckt ist, sportlich und menschlich wertlos ist!
Dem Herrn S. sollte man sagen, dass er die Regeln kennen sollte - noch dazu mit einem Trainer der in der Bundesliga spielt und die "Spielervereinbarung" unterschrieben hat und sicherlich auch die Diskussionen um diverse "Handybetrügereien" kennt. Eine ebensolche Unterwerfungserklärung war bei der Anmeldung zum Turnier zu leisten - siehe http://www.pfalzopen.de/images/Ausschreibung-2015.pdf
Kommen wir zu den Regeln
"FIDE 11.3b)
Während des Spiels ist es einem Spieler verboten, ein Mobiltelefon und/oder ein
anderes elektronisches Kommunikationsmittel im Turnierareal bei sich zu
haben. Wenn es offenbar ist, dass ein Spieler ein solches Gerät in das
Turnierareal gebracht hat, verliert er die Partie. Der Gegner gewinnt die Partie.
Das Turnierreglement kann eine andere, weniger strenge Bestrafung vorsehen."
Die Schiedsrichter müssen sich an diese Regelungen halten und bestrafen da gibt es keinen Ausweg! Dass die Regelung für den Hobbybereich total unpraktisch ist, steht auf einem anderen Blatt. Im Turnierreglement (Ausschreibung) steht nichts über alternative Bestrafung bzw. Handyverwahrung ... hier trifft die Schuld den Veranstalter nicht den Schiedsrichter!
Handy und Akku zu trennen finde ich als nicht zielführend oder würde jemand versuchen das Magazin einer Pistole in den Koffer zu geben und die Waffe ins Handgepäck und dann den Sicherheitsleuten am Flughafen erklären, dass man sie ohne Magazin ohnehin nicht benutzen kann!
Moralisch 0:0? Inwiefern ist es denn unmoralisch, die Regeln nicht genau zu kennen (die genau in diesem Punkt übrigens zuletzt recht dynamisch waren)?
Die FIDE hat ja selbst schon erkannt, wie unpraktisch das Ganze ist. Deshalb die Änderungen, die es erlauben können, das Handy ausgeschaltet in einer Tasche zu haben:
http://www.fide.com/component/content/article/1-fide-news/8280-changes-of-the-article-113b-of-the-laws-of-chess.html
Und ja, ich weiß, dass die Ausschreibung keinen Gebrauch davon gemacht hat, die Regeln freundlicher zu gestalten. Zumindest fürs B-Turnier, wo es sicher nicht um so viel Geld ging.
Und nein, ich bin nicht für Betrug beim Schach.
Sollte aber nur ein Bruchteil so stimmen (woran ich keine Zweifel hege), war es keine Entscheidung im Sinne des Schachsports.
Profiregelung bzgl. Handys etc funktionieren in der Amateurwelt einfach nicht, denn bei der Anreise dient das Handy auch zur persönlichen Sicherheit und viele von uns haben auch von beruflicher Seite eine höhere Erreichbarkeit sicherzustellen, sodass die einfache Forderung das Handy einfach zu Hause zu lassen nicht greift!
Dass der Jugendliche nach längerem Nachdenken die einzige rettende Variante (Handyreklamation) gefunden hat, zeigt natürlich Defizite bei der Fairness auf, ich gebe aber zu bedenken, dass wir nicht wissen, wie er jetzt darüber denkt: vielleicht schämt er sich schon lange, dass er einen "Opa" unfair aber regelkonform um den Punkt gebracht hat und damit das Gesehen am Brett auf den Kopf gestellt hat!!
PS: Ich habe vor über 30 Jahren ebenfalls als Jugendlicher in einem für den Abstieg wichtigen Spiel im Fußball in der Kreisliga ein Tor mit der Hand geschossen, weil ich den Ball anders nicht erreichen konnte und nicht absteigen wollte. Alle bis auf den Schiedsrichter haben das gesehen und zudem konnte man auch noch die Rötung sehen, die der Ball am Unterarm hinterlassen hatte, weil sehr kaltes Wetter herrschte. Unser Kapitän nahm mich zur Seite und sagte: wenn der Schiedsrichter fragt, dann lüge nicht! Aber der Schiri diskutierte nur mit anderen Spielern und Zusehern und gab das Tor. Im Restprogramm konnten wir den Abstieg vermeiden und ich schäme mich noch heute für meine Feigheit!
Also sollten wir die Morallosigkeit der Jugendlichen generell und damit auch nicht jene des oben genannten einzelnen vorschnell verurteilen!
Erstaunlicherweise befand ich mich im vergangenen Jahr beim Dresdner Open in der umgekehrten Position. Mein ca. 300 ELO Punkte stärkerer Gegner verstaute vor der Partie unübersehbar sein Handy in der Brusttasche seines Hemds. An den Türen zum Turniersaal war deutlich sichtbar in Deutsch und Englisch Regel 11.3b angeschlagen. Ich hätte mir also zu jedem Zeitpunkt der Partie durch Reklamation den ganzen Punkt sichern können. Aber ich war ja zum Schach spielen nach Dresden gereist und nicht zum Zweck des kampflosen Punktesammelns. So habe ich die Partie dann, wie es sich gehört, mit Anstand verloren.
Für mich ist dieses Beispiel eher ein Fingerzeig, wie sehr man dem Schachspiel durch Überregulierung Schaden zufügt. Wegen einiger weniger Betrugsfälle werden alle Schachspieler weltweit kollektiv unter Verdacht gestellt und das bloße mit sich Führen eines Handys wird mit dem "Tod" (= Partieverlust) bestraft. Gerade im Amateurbereich, wo es ja in der Regel nicht um nennenswerte Preise geht, ist dies aus meiner Sicht weltfremd. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Regel 11.3.b - ohne die es diesen ganzen Vorfall nicht gegeben hätte - zur Beliebtheit unserer Sportart bei Jugendlichen beiträgt.
Zum Kern der Sache: Ich schrieb schon mehrfach, dass für mich wilde und spekulativ-unberechtigte Betrugsvorwürfe genauso gefährlich sind wie tatsächliches Cheating. Dieser Fall geht noch weiter: Ein Spieler, der selbst betrogen hat und weiss, dass der Gegner unschuldig ist, betrügt nochmals indem er Anti-Cheating Regeln ausnützt.
Allerdings sind harte bis falsche Schiedsrichter-Entscheidu ngen im Schach (und erst recht in anderen Sportarten) immer drin. Ich war selbst mal Opfer einer, jedenfalls nach Ansicht mehrerer Titelträger im selben Blitzturnier (einer hat mich ein Jahr später noch darauf angesprochen), falschen Schiri-Entscheidung. Das kostete mich ca. 50 Euro Preisgeld, im A-Finale ging es um vierstellige Summen.
Der liebenswürdige Amateur hat sich offensichtlich absolut untadelig verhalten.
Der aufstrebende Jugendliche ? Ich bin sellbst Vater und seit 25 Jahren Jugendtrainer. Da habe ich viele Typen von Nachwuchs kennengelernt: Viele mit untadligen Moralvorstellungen, wenige kleine Kröten mit fragwürdigen Moralvorstellungen. Und dann gibt es solche, die keine schachspielenden Eltern haben, im Verein spielen wo es keinen Jugendwart gibt, der solche Fälle wie oben im Training anspricht, und die sich daher ihre schachlichen Moralvorstellungen ohne fremde Hilfe erarbeiten müssen... Bei mangelnder Lebenserfahrung führt das manchmal zu Ergebnissen, die die Jugendlichen selbst einige Zeit später, wenn sie nochmal drüber geschlafen haben, als verwerflich ansehen.
Aus dem Bericht geht nicht hervor, ob es sich um eine kleine Kröte handelt oder um Unerfahrenheit.
Der überehrgeizige Vater? Der Jugendliche zieht recht flott und geht, wenn sein Gegner länger überlegt zu seinem Vater. Spricht eher für normale Vater-Sohn-Beziehung. Ich selbst rede auch oft während mein Gegner überlegt mit Bekannten - er halt mit seinem Vater. Da er recht flott zieht und erst danach zu seinem Vater geht, spricht nichts dafür dass er sich dort Tipps holt oder bekommt. Vielleicht kann der Vater gar kein Schach spielen ?
Später begleitet der Vater seinem Sohn bei der Reklamation zum Schiedsrichter. Wenn Sohnemann ankommt : Papa ich muß beim Schiri was Reklamieren - welcher Vater würde seinen Sohn nicht begleiten?
Sicher kann es auch sein, dass der Vater Schachspieler ist und seinen Sohn erst auf die Idee gebracht hat zu reklamieren.
Aus dem Bericht geht diesbezüglich gar nichts hervor - es wird nur klischeehaft angedeutet.
Der Schiedsrichter? Klare Fehlentscheidung! Und das offensichtlich von einem Schiedsrichtergremium! Der liebenswerte Amateur hat sich absolut korrekt verhalten. Die richtige Shiri Entscheidung ist klar: Protest entgegennehmen, Amateur befragen, sich überzeugen, dass Händy und Akku wie angegeben getrennt wurden, Protest als unbegründet ablehnen und auf weiterspielen entscheiden.
2. Verlierer:
Der liebenswerte Amateur wird gefrustet.
Der Jugendliche, unabhängig ob kleine Kröte oder unerfahren, kriegt die Bestätigung, dass sein Verhalten richtig ist - und wird es zumindest in näherer Zukunft nicht ändern.
Ich frage mich aber auch, ob es kein Schiedsgericht gab, wie bei großen Turnieren üblich, oder ob der Schiedsrichter nur die Rechtsmittelbelehrung weggelassen hat. Ich für meinen Teil habe eine Reihe von Lehren aus diesem Vorfall gezogen, was die Regelkentnis von Schiedsrichtern und Spielern betrifft, die sich wohl im wesentlichen auf die Gangart der Figuren beschränkt.
Das kein Betrug vorliegt war wohl allen klar: Die weißen Züge waren erzwungen und naheliegend. Wieso bekommt Dg5 ein Rufzeichen? Df2 mit Drohung Df6 auf Sg7 gewinnt auch. Vielleicht kann er sich mit Lf5 noch aus dem Matt mogeln, ist aber völlig platt. Die Figur auf g1 hängen lassen ist aber zugegeben eleganter.
1. Halte Dich an die Regeln
2. Unsportliches Verhalten wird nicht belohnt
"Während des Spiels ist es einem Spieler verboten, ein Mobiltelefon und/oder ein
anderes elektronisches Kommunikationsmittel im Turnierareal bei sich zu
haben. Wenn es offenbar ist, dass ein Spieler ein solches Gerät in das
Turnierareal gebracht hat, verliert er die Partie. Der Gegner gewinnt die Partie.
Das Turnierreglement kann eine andere, weniger strenge Bestrafung vorsehen."
Ich war in dem festen Glauben, wenn ich das Teil nicht "am Mann" habe ist es in Ordnung. Da steht aber "im Turnierareal". In den Turnierausschreibungen ist der Punkt m.E. nicht erwähnt. In der Bundesliga bekommt man das organisatorisch irgendwie hin, was ist aber bei Massenveranstaltungen wie z.B. Deizisau (700 Teilnehmer)?
Ich habe mein "Dummphone" immer ausgeschaltet im Rucksack. Gab noch nie Ärger, ist nach der Regel aber auch illegal.
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