Beerdsen spielt wie Carlsen

Turniersaal in Vlissingen Turniersaal in Vlissingen De Pion via Turnierseite

Ich hatte auch andere Titel erwogen, z.B. "Fragmente aus Vlissingen" (vom Hogeschool Zeeland Open im tiefen Südwesten der Niederlande) oder "Tücken der Turmendspiele" (auch auf hohem Niveau, FM gegen GM, und selbst auf Weltklasse-Niveau). Gängige Kost in offenen Turnieren ist, dass der nominell (viel) bessere Spieler mitunter keinen Vorteil erreicht, dann ein Endspiel endlos knetet und am Ende doch noch gewinnt. So auch im heutigen Beispiel, mit unterwegs einigen Irrungen und Wirrungen. Die Mischung macht es bei offenen Turnieren - mehr oder weniger bekannte Grossmeister dürfen/müssen gegen aufstrebende Jugendliche antreten. Einige Teilnehmer dieses Opens habe ich bereits persönlich gesprochen - neben den recht bekannten Loek van Wely und Baadur Jobava auch den nicht ganz so bekannten IM Jorden Van Foreest oder auch international unbekannte Jugendliche wie Thomas Beerdsen. Jobava ist heute nicht Schwerpunkt, er wird anderswo gewürdigt - "Jobava does his thing" ist Punkt 6 auf chess24 (jedenfalls vorläufig nur auf Englisch).

Ich sollte wohl zunächst die Protagonisten vorstellen und beginne mit dem indirekt Beteiligten: Magnus Carlsen ist Weltklassespieler mit gewissen Schwächen im Endspiel - hoppla, jetzt habe ich die Carlsen-Fanpolizei aufgeweckt. Gemeint ist z.B. seine Niederlage bei der Olympiade gegen Arkadij Naiditsch, die direkte Parallele zum heutigen Bericht ist natürlich eine Jugendsünde:

Aronian Carlsen move 73

 

 

 

 

 

 

So stand es in der Partie Aronian-Carlsen, Tal Memorial 2006 nach Aronians trickreichem 73.Td6. Carlsen spielte 73.-Ta7+? und gab nach 74.Ke8 auf. Nur 73.-Kg6 hätte remis gehalten, wie in Kommentaren auf chessgames.com erläutert. Moral der Geschichte: Nur weil das Spiel so heisst, muss man nicht unbedingt immer Schach geben (vergleiche unten). Inzwischen verliert Aronian gerne mal unnötig gegen Carlsen, aber das ist nicht Thema dieses Berichts.

Der bereits erwähnte Thomas Beerdsen ist Jahrgang 1998 und immerhin FM mit Elo 2317, ihn sprach ich Pfingsten 2014 beim Limburg-Open und zitiere aus meinem damaligen Bericht: "Halb im Jux fragte ich [Beerdsen], ob er Schachprofi werden will, und die Antwort war ein entschiedenes JA. Daneben stand der ein Jahr ältere Mischa Senders: “Du willst also in Armut leben?! Ich werde studieren und dann einen normalen Beruf ausüben …”. Gegen Ende des Berichts noch ein Zwischenton zu diesem Thema – ohnehin müssen sie sich ja noch nicht entscheiden." Der Zwischenton kam später von Jorden Van Foreest. Beerdsen spielte in der vorgestellten Partie wie Carlsen damals 2006, wird es weitere Parallelen geben??? Er hatte Schwarz gegen GM Jan Werle - mir vom Namen her ein Begriff, aber ehrlich gesagt war ich mir nicht sicher ob er noch aktiv ist. Zumindest ist er für mich allenfalls Jan Nummer 4 hinter (da will ich mich qua Reihenfolge nicht festlegen) Gustafsson, Timman und Smeets.

Ich steige erst spät in die Partie ein bzw. setze zu den ersten ca. 70 Zügen nur ein paar Diagramme:

Werle Beerdsen move 28

 

 

 

 

 

 

Nach 28 gepflegt-ruhigen Zügen (orthodoxes Damengambit) stand dieses Endspiel auf dem Brett - Schwarz hat einen Isolani auf d5, aber das sollte man doch halten können?

Werle Beerdsen move 50

 

 

 

 

 

 

Nach 50 Zügen - gerade wurden die Läufer abgetauscht.

Werle Beerdsen move 66

 

 

 

 

 

 

Nach 66 Zügen.

Werle Beerdsen move 72

 

 

 

 

 

 

Nach 72 Zügen - Weiss hat immerhin einen Mehrbauern, und nun steige ich ein ins Geschehen. Noch braucht man (nicht frei verfügbare) 7 Men Tablebases, um als Laie zu wissen was genau Sache ist. Nun folgte 72.-Tf1? (72.-Te1 und Weiss kann keine weiteren Fortschritte machen) 73.Ke4 Td1 74.Tb5 Kd6 75.Kf5 Tf1 76.Tb6+ Kxd5 77.Txf6

Werle Beerdsen move 77

 

 

 

 

 

 

Das ist nun ein Tablebase-gewonnenes Turmendspiel mit Mehrbauer - aber wenn Werle das souverän gewonnen hätte gäbe es diesen Bericht eher nicht. 77.-Kd4 78.Td6+ Ke3 79.Te6+ Kf3

Werle Beerdsen move 79

 

 

 

 

 

 

Und nun? Nur 80.Te4 gewinnt, Werle spielte 80.Ta6? und der schwarze König landete auf Umwegen da, wo er hin gehört: 80.-Kg3 81.Ta4 Kh4! 82.Kf6 Kh5 83.f5 Tb1 84.Te4 Tf1? (fast alle Turmzüge auf der b-Linie halten remis, ebenso 84.-Tc1 oder 84.-Ta1 - Schwarz braucht Platz für Turm-Seitenschachs) 85.Te5? (nur 85.Te8 oder 85.Te2 gewinnt - warum da bin ich auf die Schnelle überfragt) 85.-Tb1 (schnell zurück!) 86.Kf7 Tb7+ 87.Te7 Tb6 88.f6 Kg5? (88.-Kh6, nur so!) 89. Te5+? ("Patzer sieht ein Schach, Patzer gibt ein Schach" - vielleicht etwas frech, einen GM als Patzer zu bezeichnen, aber hier gewann [nur] 89.Te6) 89.-Kh6! (er bekam seine zweite Chance) 90.Te6 (nun zwar trickreich, aber nicht mehr gewinnbringend, es sei denn ...)

Werle Beerdsen move 90

 

 

 

 

 

 

90.-Tb7+? (Patzer sieht ein Schach, Patzer gibt ein Schach - die Patzer heissen Thomas Beerdsen und Magnus Carlsen. Nach 90.-Tb8 ist es weiterhin, oder auf die heutige Partie bezogen mal wieder, remis). 91.Kf8! (Ausrufezeichen beziehen sich hier und zuvor darauf, dass dies laut Tablebases der einzige Gewinn- oder Remiszug ist. Carlsen hat in sehr ähnlicher Stellung aufgegeben, Beerdsen spielte noch ein paar Züge:) 91.-Kg6 92.f7+ Kh7 93.Te2 Tb8+ 94.Ke7 Tb7+ 95.Kf6 Tb6+ 96.Te6 Tb8 97.Te8 Tb6+ 98.Ke5 1-0.

Rundenbeginn ist übrigens jeweils um 18:30 - damit dauern die Partien mitunter bis in den späten Abend, aber tagsüber kann man sich anderweitig beschäftigen. Womit, da hat die Turnierseite (Flickr-Fotoserie Rubrik Vlissingen) ein paar Ideen:

Vlissingen Stadt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Downtown Vlissingen

Vlissingen Strand

Vlissingen beach

Noch ein Foto von Thomas Beerdsen - in einer früheren Runde war er gegen King Loek van Wely relativ chancenlos:

van Wely Beerdsen

 

 

 

 

 

 

 

Und ein Foto zu einem anderen Endspiel in derselben siebten Runde, das ich nicht auch noch besprechen will - aber als Zugabe gibt es die beiden kompletten Partien.

Ankit Heltzel endgame

 

 

 

 

 

 

 

GM Ankit (2461) - CM Heltzel (2216), Remis nach 108 Zügen.

 

Kommentare   

#1 Darth Frank 2015-08-10 10:22
Danke für die Auffrischung des Endspiels und den unterhaltsamen Bericht.

Wer mit 15 bzw. 16 schon 2300 ELO hat ist schon richtig gut. Aber wer mit 15 bzw. 16 erst ELO 2300 hat sollte kein Profi werden.
#2 Thomas Richter 2015-08-10 22:46
Das Beerdsen-Zitat war vielleicht eine Momentaufnahme - womöglich beeinflusst davon, dass das Turnier für ihn gut lief und dass er kurz zuvor gegen GM Sipke Ernst mit Schwarz bequem remisiert hatte. Im letzten Jahr machte er, jedenfalls elomässig, kaum Fortschritte - vielleicht sieht er es aktuell anders was Profikarriere betrifft. Abitur sollte er schon machen, und dann weitersehen.

Bessere Karten hat sicher Jorden Van Foreest - nicht nur weil er noch ein halbes Jahr jünger ist, sondern vor allem ist er schon IM mit Elo 2514 (live nach den letzten beiden Turnieren 2540). Zwei TPRs >2600 zählen nicht als GM-Nrm: das erste Mal (offene NL-Meisterschaft) hatte er zu wenig ausländische Gegner, in Vlissingen hatte er nur zwei GMs.

Als Bonus noch - gefunden auf der Suche nach Beerdsens Geburtsdatum (13.9.1998): https://www.youtube.com/watch?v=r9JcFXvCBzM - Analyse mit IM Kuijf nach Beerdsens Debut in der höchsten NL-Liga im Alter von 11 Jahren und 3 Monaten (nur einer von beiden trinkt dabei Bier).

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