Bericht aus Amsterdam (UPDATE)

Bericht aus Amsterdam (UPDATE) John O'Neill

Es wird mal wieder Zeit für den rasenden Reporter Rudi Thomas Richter, diesmal aus Amsterdam. Eigentlich wollte ich vor allem über die master class von Ivanchuk berichten die auf der Turnierseite ursprünglich für Mittwoch angekündigt war aber erst Donnerstag stattfindet, wie ich am Mittwoch erst vor Ort erfuhr. Aber da ich ja bereits vor Ort war kann ich über diverse andere Eindrücke berichten.

Ich kam an im Science Park Amsterdam und wunderte mich etwas: draussen keinerlei Plakate oder ähnliches, und auch drinnen eher dezente Hinweise dass da ein bzw. mehrere nicht ganz unbedeutende Schachturniere laufen - in Wijk aan Zee fällt das sofort auf, diesmal ist es nur für Eingeweihte. Im Gebäude ist Schach auch keinesfalls die Hauptsache, Austragungsort ist nämlich das Sportzentrum der Universität Amsterdam. Ich frag(t)e mich ob die Schachspieler zwischen den Partien die anderen Angebote nutzen, als da wären u.a. Klimmhalle, Kraftraum, Yoga, Physiotherapie und sogar sportpsychologische Beratung. Im Turniersaal angekommen wunderte ich mich wieder: Ivanchuk hat keinen Ruhetag sondern sitzt gegen Kamsky am Brett!? Immerhin war er in Amsterdam, seine Anreise einige Tage davor war ja nicht ganz unproblematisch: am Flughafen München war er so in sein Magnetschach vertieft dass er den Anschlussflug nach Amsterdam verpasste. Man stelle sich das vor - ein anderer Schachspieler ist zufällig auch am Flughafen, hört die Durchsage "last call for Mr. Ivanchuk travelling to Amsterdam, we will proceed to offload your luggage" und sieht dann jemand in Gedanken versunken den er zumindest von Fotos her kennt. Wenn dem tatsächlich so war hat diese Person wohl nicht daran gedacht bzw. sich nicht getraut Ivanchuk aufzuwecken. Zum Glück gab es noch einen späteren Flug auf dem Platz war, und - jedenfalls in den ersten beiden Runden - hat es Ivanchuks Spiel nicht negativ beeinflusst.

Zum ACP-Turnier zunächst einige optische Eindrücke: Die fünf Herren erschienen alle in korrekten Anzügen, nur bei Ivanchuk lag, in farblichem Kontrast, eine knallblaue Baseball-Kappe neben dem Brett mit Aufschrift "Cuba" (Capablanca-Memorial ist ja eines seiner Lieblingsturniere). scienceparkAnna Muzychuk dagegen in Jeans, rosa T-Shirt und farblich +- passenden Schuhen. Leider hatte ich keine Kamera dabei - als sie einmal direkt vor dem Science Park Logo stand hätte es eine nette Bildunterschrift gegeben: Muzychuk und die Ausrichter mögen es bunt [es war zwar nicht genau dieses Logo, aber so ähnlich]. Interessant ist immer auch wie sich die Spieler konzentrieren: von Ivanchuk ist ja bekannt dass er die halbe Zeit irgendwohin schaut, z.B. in den Saal, nur nicht aufs Brett. Und Sasikiran sass mehrfach so weit vorüber gebeugt dass er beinahe seine eigenen Figuren aufgegessen hätte.

banner-seminarturnier300Nach den ersten zehn Zügen von Kamsky gegen Ivanchuk verliess ich den Saal und ging runter ins Cafe, vorbei am Klimmsaal - Kontrastprogramm zum (ziemlich) ruhigen Turniersaal denn dort tönte Rockmusik. Im Cafe waren Demonstrationsbretter aufgebaut, besprochen wurden drei Partien der parallel laufenden niederländischen Meisterschaft. Nach etwas einer halben Stunde ging ich wieder rauf und Kamsky-Ivanchuk war bereits remis. Wie ich erst zu Hause erfuhr hatte ich alle Züge dieser Partie gesehen. Laut Turnierseite fühlte Kamsky sich sehr unwohl ("I could only see a black wall in front of me"), dort werden auch Gerüchte erwähnt - die Kamsky selbst nicht bestätigte - dass er eine schlaflose Nacht hatte weil er beim FIDE Grand Prix ein- und dann wieder ausgeladen wurde. Aber ich schweife ab, das soll nicht Thema dieses Beitrags sein - und, bei allem Respekt für u.a. Giri, auch nicht die NL-Meisterschaft. Die anderen beiden Partien verliefen recht zäh, später - da war ich schon wieder weg - wurden sie abgebrochen, und vermutlich werden diese Hängepartien tatsächlich Samstag zu Ende gespielt.

Flüsternd fragte ich einen Schiedsrichter der gerade im Publikum unterwegs war nach der master class von Ivanchuk. "Die ist morgen, heute hat er ja gespielt. Ich wunderte mich heute morgen auch über das verkehrte Datum auf der Turnierseite, das ist ärgerlich." [Disclaimer: alles aus dem Gedächtnis und aus dem Holländischen übersetzt]. Was ich den Schiedsrichter nicht fragte: Gilt "berührt geführt" eigentlich auch wenn Sasikiran seine Dame auf d8 aus Versehen mit dem Mund oder der Nase berührt? Generell würde ich sagen dass Zuschauern vor Ort eher wenig geboten wurde, irgendwie passte dazu auch die halb-falsche Info zu öffentlichen Verkehrsmitteln auf der Homepage: Bus 40 fährt nicht alle 7,5 Minuten wie dort angegeben sondern alle 15 Minuten, und Bus 240 fährt in den Schulferien (d.h. während des Turniers) gar nicht. Ich will nicht zuviel meckern, sie konzentrieren sich offenbar auf ihren Internet-Auftritt und der ist mehr als OK. Demnach kann man das Turnier vielleicht besser im Internet verfolgen, auch dort gibt es im Live Videostream optische Eindrücke. Ich hatte auch den Eindruck dass eher wenige Journalisten vor Ort waren und sah auch keinen Pressebereich. Das - wie auch die Bemerkungen oben zu optischen Eindrücken - ist mehr Beobachtung als Bewertung.

Dass die drei Partien im ACP-Turnier mich nicht unterhalten konnten, sei's drum da hab' ich einfach die verkehrte Runde erwischt. Mehr los war an den Spitzenbrettern im Open, nicht nur aber auch bei meinem Lieblingsspieler Manuel Bosboom . Seine Glanzpartie aus der ersten Runde hatte es (ganz unten) in den Chessvibes-Bericht geschafft, darauf anspielend fragte ich ihn "wieviele Damen opferst Du heute?". "Na, sicherheitshalber muss ich dann erst ein paar Bauern umwandeln." Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste (aber er dachte vielleicht dass ich auch darauf anspielte): er hatte sich im Video auf der Turnierseite zu der Partie geäussert - auf holländisch, ich übersetze es teilweise: Auf die Frage "in Deinen Partien werden viel mehr Figuren geopfert als bei den meisten anderen Spielern?" "Ja kann sein, das ist doch nicht mein Problem, ich hab halt meinen Stil. Ich spiele auf Angriff, manchmal wird es Chaos". Am Ende des Interviews: "Wieviele Damenopfer werden wir insgesamt von Dir sehen?" "Hoffentlich vier, das werde ich zumindest versuchen."
Heute opferte er (soweit ich es gesehen habe) nur eine Qualität und ein paar Bauern, für offensichtliche Kompensation: Entwicklungsvorsprung, schwarze Dame auf a2 und König in der Mitte. Und als er dann f7-f6 (was seinen Läufer auf g5 angreift) mit Rochade beantwortete musste ich grinsen - er stand nach dem Zug einige Meter neben dem Brett und grinste zurück. Die ganze Partie sah ich erst tags darauf und reiche sie hiermit nach. Im Nachhinein sieht es einfach und überzeugend aus (und Houdini ist völlig einverstanden, wobei er manchmal etwas länger denken musste). Bis 15.-e4 hatte ich es vor Ort gesehen, 16.Sfd2 hätte ich auch gespielt, aber ich erwartete nicht dass es für Schwarz so schnell vorbei ist. Das lag daran dass ich dem schwarzen König an den Kragen wollte und gar nicht daran dachte dass Weiss auch seine Dame verhaften kann:

Einiges - das Prozedere in den beiden Hängepartien und anscheinend auch einen Feueralarm im Turniersaal - habe ich verpasst, aber dieser Artikel ist wohl trotzdem lang genug und bietet hoffentlich einiges was sonst nirgendwo steht.

Kommentare   

#1 Gerhard 2012-07-20 01:31
Unterhaltsamer Artikel, danke!

Vielleicht hat Iwantschuk auf dem Flughafen seinen Namen nicht gehört, weil er nicht richtig ausgesprochen wurde?! Man hätte CHESS-Grandmaster voranstellen müssen...

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