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Damenendspiele in Bilbao

Schwarz am Zug, was tun? Schwarz am Zug, was tun?

"Normale" Berichterstattung über Bilbao mache ich für den Schachticker, zumal die Schach-Welt mit Olaf Steffens einen Reporter vor Ort hat. Stattdessen wieder ein Bericht mit Leitmotiv "Multiplizität der Ereignisse" - dasselbe Thema mehrfach in ein- und demselben Turnier (bzw. nun in zwei parallelen Turnieren, offen und unter Ausschluss des männlichen Geschlechts, am selben Ort zur selben Zeit) in zum Teil kuriosen Variationen. Mehrfach ist auch der Leser am Zug und darf versuchen, (Damen)Züge zu finden, die die Damen am Brett nicht gefunden haben. Es wird eine Quadruplizität der Ereignisse, wobei ich mich im ersten Fall aus Rücksicht auf den beteiligten GM kurz fasse und auf Diagramme verzichte:

GM Sandipan (2619) - FM Frischmann (2254) 0-1

Der indische GM in Solinger Diensten versuchte, ein Damenendspiel mit vier gegen drei Bauern am selben Flügel zu gewinnen. Irgendwann kam er auf die Idee, einen Bauern zu opfern und gleichzeitig die Damen zu tauschen - also haben wir ein Bauernendspiel. Da ist es mitunter eine gute Idee, absichtlich ein Tempo zu verlieren - hier war es keine gute Idee. Der Gegner wusste, für welchen Verein er bei dieser Gelegenheit spielt - The Smashing Pawns Belvaux aus Luxemburg - und schmetterte einen Bauern auf die Grundreihe, damit hatte nur er wieder eine Dame. Das war nicht das einzige überraschende Einzelergebnis in dieser (und auch in anderen) Runde(n), aber wohl in der Entstehung das kurioseste und glücklichste. Solingen gewann übrigens 4,5-1,5.

Schon in Runde 2 gab es eine Spitzenpaarung (SOCAR-Moskau) und damit mehrere Duelle zweier prominenter Spieler, eines passt zum Thema:

GM Topalov (2784) - GM Morozevich (2731) 1-0 [Elozahlen hier und anderswo vor dem Turnier, die Elolücke zwischen diesen Spielern vergrösserte sich nicht nur wegen dieser Partie]

Nach 27 Zügen Benoni-Geplänkel entstand diese Stellung:

Topalov-Morozevich move 27

 

 

 

 

 

 

 

Weiss hat einen gedeckten Freibauern, wieviel besser steht er deswegen? Die Partie dauerte noch acht Züge: 28.De3 Dd6 29.Kg2 Kg8 30.Kf3 Da6 31.Ke4!? (31.Dxc5 war wohl auch nicht schlecht) 31.-Dxc4+ 32.Kxe5 Dxa2 33.Ke6 Dxb2 34.Df3 Kg7 35.g5

Topalov-Morozevich move 35

 

 

 

 

 

 

 

1-0 Eine Faustregel nicht nur in Damenendspielen ist "Qualität der Bauern zählt mehr als Quantität" - meistens geht es darum, welcher Bauer schneller laufen kann. Hier hat der d-Bauer vor allem die Funktion, seinen König zu schützen (35.-Db6+ 36.d6), und der g-Bauer ist wichtig, obwohl kein Freibauer.

Den Damen widme ich mich, passend zum Thema, etwas ausführlicher:

Cramling (2516) - Kovalevskaya (2431) 0-1

Trotz der respektablen Elozahlen erinnerte diese Partie phasenweise an Mavuso Lunga - Cheda von der Olympiade. Nun gut, die Bedenkzeit war wohl mitunter knapp, und da die Damen an nur vier Brettern spielen ist der Druck womöglich noch grösser als bei den Herren - jede einzelne Partie zählt! Das Mittelspiel überspringe ich, da es nicht zum Thema gehört, bis auf einen Moment:

Cramling-Kovalevskaya move 30

 

 

 

 

 

 

 

Weiss am (31.) Zug - wie konnte sie nun die Partie am einfachsten beenden und den gegnerischen Widerstand (vermutlich) sofort brechen? Stattdessen entstand dann dieses Damenendspiel (Stellung nach 44.-DxTb6):

Cramling-Kovalevskaya move 44

 

 

 

 

 

 

 

Im weiteren Verlauf liefen die weissen Freibauern am Damenflügel, Schwarz warf ihren h-Bauern über Bord und installierte dessen Kollegen auf g3 - Stellung nach 67.-g3:

Cramling-Kovalevskaya move 67

 

 

 

 

 

 

 

Nun musste Weiss mit dem König flüchten (Kf1 entweder sofort oder nach ein paar Damenschachs), das machte sie nicht und nach 68.De1? Dd3! ist die Stellung, kaum zu glauben aber wahr, bereits objektiv remis. Aber dann passierte dies:

Cramling-Kovalevskaya move 76

 

 

 

 

 

 

 

Zuletzt 76.Dxf6?? Dd1+. Weiss hat einen Mehrbauern zu viel, ohne den auf g2 wäre noch alles im Lot. Hier ist ein schwarzer g-Bauer mehr wert als diverse weisse Bauern. Ohne Worte ... oder "alte Schwedin!".

Noch kompliziert-kurioser verlief die nächste Partie, auch wenn sie auf chess.com so beschrieben wurde: "Khotenashvili easily won a queen ending with two connected passed pawns to secure both match points." Ich beginne etwas früher, sofort nachdem das Damenendspiel im 33. Zug entstand:

Khotenashvili (2507) - Pogonina (2482) 1-0

Khotenashvili-Pogonina move 33

 

 

 

 

 

 

 

Weiss steht wohl angesichts der Bauernschwäche auf c6 etwas besser, aber ist das ausbaufähig? Das nächste Diagramm setze ich nach dem 72. Zug:

Khotenashvili-Pogonina move 72

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz tat zwischenzeitlich ... eigentlich nichts, während der weisse König nach b4 marschierte (und das war noch nicht das Ende der Reise). Nun tat sich etwas, nämlich 72.-De2 73.Dxc6 Dxf2. Nächstes Diagramm nach dem 85.Zug von Weiss:

Khotenashvili-Pogonina move 85

 

 

 

 

 

 

 

Damit haben wir das Titelbild - Schwarz am Zug, was tun? Selbst hatte ich diese Stellung zufällig live gesehen und dachte "was macht der weisse König auf g5?". Das ist kein (zusätzlicher) Hinweis auf die Lösung - natürlich geht es darum, diese Königsstellung auszunützen. Live roch ich selbst keinen Braten, und als Vorbereitung auf diesen Artikel habe ich dann die komplette Partie zusammen mit Houdini durchgeklickt, der hier "piepte". Einigen Schachfreunden habe ich diese Stellung geschickt mit derselben Frage "Schwarz am Zug, was tun?". Sie haben (nationale oder FIDE-)Elo ca. 1400-2557, damit sind sie (bis auf einen!?) anonym. Sechs fanden die Lösung (zum Teil mit der Bemerkung "wenn man weiss, dass etwas geht ..."), vier scheiterten, diverse andere haben meine email (noch) nicht beantwortet. Es ist also, auch wenn man weiss dass etwas geht, nicht ganz trivial. Von den vier schrieben zwei "keine Ahnung", einer sah die Idee aber nicht alle Varianten, und einer wollte das spielen was auch aufs Brett kam und dann einen kreativ-illegalen Zug. Die Partie ging weiter mit 85.-Dh6+ 86.Kf6 g5+ 87.Kxf5 Dg6+ 88.Ke5 - soweit auch in der email, und nun 88.-Dxg3+!!??. Dazwischen steht der schwarze g-Bauer (nicht immer ist es hilfreich, wenn man einen g-Bauern hat!). Also 88.-gxh4 und Pogonina verzichtete zunächst auf (89.)gxh4 sondern spielte erst 89.Da7+ Kh6 90.gxh4. Die nächsten Züge verrate ich nicht - da sie die Lösung der nächsten Aufgabe andeuten - nächstes Diagramm nach 92.Kd5:

Khotenashvili-Pogonina move 92

 

 

 

 

 

 

 

Der Gewinn ist dahin, aber Schwarz am Zug muss diese Partie nicht verlieren - war 92.-Dxh4 etwa ein Gewinnversuch? Das letzte Diagramm setze ich nach 99.Kxh4:

Khotenashvili-Pogonina move 99

 

 

 

 

 

 

 

Den Rest der Partie hat chess.com ja bereits zusammengefasst!

Passend zum Thema dieses Artikels war die womöglich letzte Partie des gesamten Turniers ein Damenendspiel, das Caruana und (mit ab hier leichtem Vorteil) Karjakin vom 58. bis zum 101. Zug übten, bevor sie sich auf remis einigten und die Abschlussfeier nicht weiter verzögerten. Das war aber nach Redaktionsschluss und beiderseits sauber vorgetragen.

 

 

 

 

Kommentare   

#1 MiBu 2014-09-22 12:36
Ich neige auch zu der Auffassung, dass man den Weg, den zu weit nach vorn gestürmten König in Verlegenheit zu bringen, mit dem Hinweis "Hier ist was!" finden kann, aber in der praktischen Partie mit vermutlich nur noch wenig Zeit bzw. im Inkrementmodus nach stundenlanger Defensive vermutlich verpasst - jedenfalls wäre es mir so gegangen!

Randnotiz zum EU-Cup, leicht bis kräftig off-topic: Die Schlussrunde war am Samstag, die 1. Runde 2.BL am Sonntag. Die beiden Eynattener Mannschaftskollegen Michael Hoffmann und Thomas Koch verzichteten auf Runde 7 und reisten schon früher zurück, um sich sonntags beim Aachener Derby DJK-ASV an Brett 2 gegenüber zu sitzen...!
#2 Thomas Richter 2014-09-22 18:43
Zu MiBu's zweitem Absatz passt auch die Antwort von SOCAR-Kapitän Tukmakov auf die Frage, ob seine Spieler sich gemeinsam vorbereiten und dabei Eröffungsgeheimnisse austauschen: "Natürlich nicht, vor und nach dem Turnier sind sie ja Konkurrenten!".

Immerhin durfte bei Eynatten so auch ein Belgier mitspielen, der seine Aufstellung dann mit einem Sieg gegen einen nominell besseren Gegner rechtfertigte. (Das dritte belgische Team hatte sogar sieben Belgier aufgestellt)

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