Damenopfer (Teil 2)

Wesley So (Reykjavik 2013) Wesley So (Reykjavik 2013) http://www.reykjavikopen.com/photos/

So Leute, das Kandidatenturnier ist nun wirklich vorbei. Ich widme mich wieder niedrigeren Schachregionen zu - mit einem Beitrag der schon länger geplant und halb angekündigt war, aber in der Zwischenzeit gab es ja z.B. das Kandidatenturnier. Da ist mir zum Thema Damenopfer nur Svidler-Grischuk aufgefallen. Aber das ist a) wohl relativ bekannt, b) für mich viel zu kompliziert, ein Link muss reichen. Dann war da noch das letzte Bundesliga-Wochenende. Knapp eine Woche nach dem Kandidatenturnier, aber vielleicht doch noch in dessen Schatten, und sportlich war oder schien die Luft schon ziemlich raus. Vielleicht deshalb (man kann unbeschwert aufspielen) wurden da fleissig Damen geopfert, wobei Svidler diesmal auf der anderen Seite sass. Das haben Georgios Souleidis und auch Peter Doggers bereits besprochen, dann mache ich es nicht auch noch sondern fasse nur kurz zusammen: 1) Ein Damenopfer kann auch dann interessant und vermutlich korrekt sein, wenn der Gegner am Ende doch gewinnt. 2) Manchmal ist ein Damenopfer auch eher aus der Not geboren, und funktioniert nur, wenn der Gegner girig ist und das Opfer annimmt.
Beim Hessenduell Wiesbaden-Griesheim sassen ja auf beiden Seiten jede Menge Polen am Brett - das erwähne ich nur, weil es zu dem passt was später noch kommt. Nach Stefan Löfflers Beitrag scheint es wahrscheinlich, dass auch nächstes Jahr zwei hessische Vereine in der höchsten Spielklasse vertreten sind. Wiesbaden ist offenbar (auch finanziell) sorgenfrei, aus welchem heim kommt der zweite Vertreter? Viernheim, Hofheim, oder vielleicht doch Griesheim?

Bevor ich zum Kernthema komme noch das: ,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,, . So, damit hat dieser Beitrag vermutlich genug Kommas. Ich hoffe, dass die anderen an der richtigen Stelle sind. Ich hatte ja letztes Mal geschrieben "der Leser ist am Zug" - nicht etwa "die Redaktion ist am Zug". Aber ich kann nur das verwenden was ich bekam, und danach noch das was mir selber ein- oder auffiel. Das erste Beispiel ist nochmal Haudrauf-Schach. Ich setze das Diagramm einen Zug vor dem Damenopfer, denn der erste Zug der Kombination ist vermutlich schwieriger zu sehen:

Steffens, Olaf (2244) - Kiss, Attila (2393)

Steffens-Kiss

Das wurde im Oberwart Open 2004 gespielt, Runde 3 Brett 19. Weiss kann es verkraften, dass drei Figuren (Ta1, Lg2 und Sg1) nicht richtig mitspielen, denn welche schwarze Figur spielt eigentlich mit? Gerade hat Schwarz mit 26. - Lb7-c8 den Läufer zurückentwickelt und das konnte seine Stellung nicht mehr verkraften - nicht dass sie ansonsten völlig OK gewesen wäre. Wie verpasste Kollege Steffens dem Herrn Kiss bzw. dessen König den Todeskuss? So: 27.Le5! (droht Matt und der Leser darf selbst herausfinden was nach 27.-dxe5 passiert - bzw. ich verrate es gleich) 27.-Lf8 ein multifunktioneller Zug, deckt das Matt und greift die gegnerische Dame an. Allerdings droht nichts, denn die Dame ist wegen Matt tabu. Weiss spielte 28.Txf7 kein Ausrufezeichen, denn das war ohnehin geplant. Nun hängen drei weisse Figuren, allerdings hat er jeweils eine überzeugende Antwort. Schwarz kann sich das Mattbild aussuchen oder auch, dies geschah, aufgeben. 1-0
Gewisse Ähnlichkeiten mit Bosboom-Punt sind Zufall, oder vielleicht kein reiner Zufall.

Der nächste Tip stammt von Michael Schwerteck, am Brett sass ein Vereinskollege:

Hirneise, Jens (2090) - Hoensch, Matthias (2279), Wuerttemberg ch-MT(8), Tübingen 2007

Hirneise-Hoensch

Die Konturen der sizilianischen Drachenvariante sind noch deutlich, zuletzt geschah 15.Sb3 De5!? provokativ 16.f4 und nun 16.-Dxc3!? 17.bxc3 Sxe4 18.Dd3 Sxc3+ 19.Kc1 Sxa2+ 20.Kb1 Sc3+ 21.Kc1 Sa2+ 22.Kb1 Sc3+ 23.Kc1 Ein Blick in die Datenbank verrät: das gab es alles schon einmal, zehn Jahre davor in Österreich unter ähnlichen Elo-Vorzeichen. In Hamberger (2175) - Habibi (2325) geschah noch 23.-Sa2+ mit remis. Diesmal wollte Schwarz mehr: 23.-Tac8 24.Td2 Lxg4 25.Ld4 Lf5 26.De3 Sd5 27.Df2 e5 28.Lb2 Sb4 29.c3 Lh6 30.Kd1 Lg4+ 0-1
Auf Nachfrage schrieb mir Michael Schwerteck dazu noch, dass der Gegner (jüngerer Bruder des späteren IM Tobias Hirneise) "nicht irgendein Eloschwächerer" war, sondern damals (mit 15 Jahren) eines der grössten württembergischen Jugendtalente. Ein Jahr danach hatte er bereits Elo über 2300 (auf etwa dem Niveau hat er sich seither stabilisiert). Demnach "wäre ein Remis keine Schande gewesen", und Hoenschs ursprünglicher Plan war dann auch Dauerschach zu geben - aber dann gefiel dem Schwarzen seine Stellung zu gut. Und Weiss hielt seine am Ende für hoffnungslos; nicht jeder hätte da bereits aufgegeben? Michael ist sich sicher, dass Hoensch die Vorgängerpartie nicht kannte.
Ich bin sprachlos und verzichte auf eine eigene Meinung. Schwer zu sagen bzw. in Worten auszudrücken, worin genau die schwarze Kompensation besteht, auch wenn ich einige Zutaten nennen kann: rein materiell Springer und drei Bauern - das ist nicht genug aber da wäre auch noch der anfällige weisse König, der Monsterläufer auf g7, generell die Tatsache dass alle schwarze Figuren im Gegensatz zu ihren weissen Kollegen gut stehen, und auch dass Weiss im schwarzen Lager keinerlei Ansatzpunkte für Gegenspiel hat. Ist das, auch auf Dauer, (mehr als) ausreichend? War Weiss nach 23.-Tac8 bereits im höheren Sinne verloren? Musste es so schnell gehen, oder was hat er danach falsch gemacht? Und wie 15.-De5!? eröffnungstheoretisch zu bewerten ist, ist nochmal eine andere Geschichte, da Weiss ja nicht 16.f4 spielen muss was das Damenopfer erst ermöglicht (denn 17.-Sxe4 gehört dazu).
Das alles mögen andere Leute, z.B. Drachenspezialisten, entscheiden. Hier noch die Partie zum Durchklicken:

 

Nächster Schauplatz ist das Reykjavik Open, aktuell zum Zeitpunkt meines ersten Beitrags. Titel des nächsten Diagramms könnte sein "So kann man auch die Dame opfern", oder auch "So (Vorname GM Wesley) kann auch die Dame opfern".

So-Dziuba, Reykjavik 2013

So-Dziuba

Der Leser kann sich sicher schon denken was kommt: 20.Sxe4!? Txd1 21.Tfxd1 Sxe5 Schwarz schnappt sich einen Bauern, warum auch nicht? Die Alternative war, den Springer auf seinem Blockadeposten zu belassen und zunächst zu rochieren. Dann kommt wohl (21. - 0-0) 22.Sd6 Da7 23.b4 oder so ähnlich, mit positioneller Kompensation denn der Sd6 ist ein Riese und der Bauer auf b5, wie auch in der Partie, schwach. Generell zu diesem Damenopfer: Weiss will weder Dauerschach geben noch schnell mattsetzen. Die Musik spielt vor allem am Damenflügel - und natürlich würde Schwarz auch dann nicht lang rochieren wenn das noch ginge. 22.c6! Vorwärts, denn nach 22.-Sxc6? käme 23.Lf3 mit furchtbarem Röntgenblick 22.-Dc7 23.Lxb5 Damit sind es zwei Freibauern am Damenflügel, noch hat Schwarz sie unter Kontrolle. Houdini bevorzugt hier 23.Sc3 um mit dem Springer auf b5 zu schlagen und die Blockadedame zu befragen. Schwarz hat keine Zeit um den b-Bauern zu retten (23.-b4) oder den auf c6 zu fressen. 23. - 0-0 24.Sc4 Ld8 Auf den ersten Blick merkwürdig, aber die Idee ist dass der Läufer die Dame als Blockadefigur ablöst 25.Sc5 Sxc4 26.Txc4 De5 27.Tc2 Lc7 Voila, und Schwarz droht sogar mal was 28.g3 Tb8 29.La4 Ta8 Nach 29. - Txb2? ist 30.Sd3 (rückwärts) besser als 30.Sd7 (vorwärts) - aber beides zeigt dass der Springer auf c5 richtig gut steht. 30.b4 Df5 31.Tdc1 h5 32.Lb5 Lb6 33.Lf1 h4 34.Sd7 Ld4 35.c7 der nächste Schritt 35.-Tc8 36.Td2 hxg3 37.hxg3 Zugegeben, ich hatte vor allem aus weisser Sicht kommentiert. Aber Schwarz hat sich gut und aktiv verteidigt: den weissen Königsflügel aufgeweicht, Dame und Läufer aktiviert, und mittlerweile ist der Turm eine gute Blockadefigur. Jetzt war 37.- La7 Pflicht und alles bleibt unklar. Auf das direkteste 38.La6 geht dann 38.-Dg5 mit Doppelangriff auf d2 und (gesehen?) g3. Stattdessen kam sofort 37.-Dg5? was auch gut aussieht aber

So-Dziuba2

es kommt eine kleine Kombination: 38.Txd4! Dxc1 Der weisse Läufer steht gut auf f1, ob das im 33. Zug so geplant war? Ich vermute eher dass So ihn gelegentlich nach g2 ziehen wollte. 39.Sf6+ Kf8 39.-gxf6 40.Td8+ Kg7 41.Txc8 immer noch Turm und Leichtfigur gegen die Dame, aber die kann nun ganz alleine die weissen Freibauern nicht aufhalten. 40.Td8+ Ke7 Jetzt wäre 40.Txc8 gxf6 nicht so toll da der schwarze König sich den Freibauern annähert. Aber es gibt einen besseren Zug: 41.Sg8# 1-0

So-Dziuba3

Doch noch Matt! Hatte Dziuba das gar nicht gesehen (es ist ja kein alltägliches Mattbild)? Gönnte er dem Gegner diesen Moment? Oder war er in Zeitnot und hatte keine Zeit um aufzugeben?


Dafür bekam Wesley So den "Game of the day" Preis, eine CD eines isländischen Musikladens. Wichtiger war für ihn wohl, dass er damit gute Chancen auf einen netten Geldpreis hatte. Wie er und Eljanov tags darauf auf Nummer Sicher gingen, dazu wurde schon viel gesagt. Meine eigene Meinung muss ich nicht nochmal aufschreiben; das tat ich bereits und wurde dann von Eljanov zitiert. So wird seither auch hier erwähnt. Bei Eljanov dauerte es noch ein paar Tage; die fehlenden Elopünktchen holte er anschliessend in der isländischen Mannschaftsmeisterschaft.
Die anderen Game of the day Preise gingen meistens auch an mehr oder weniger bekannte Grossmeister (Navara, Sokolov, Eljanov, Ding Liren und dazwischen der Isländer Thorhallsson). Mitunter waren auch Amateure die Glücklichen, die mussten dafür entweder Königsgambit spielen oder die Dame opfern.

So, soso - ich habe noch mehr geplant, aber das reicht für heute. Damit gibt es demnächst in diesem Theater noch Damenopfer (Teil 3).


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