Der perfekte Turniersaal

Nein, das wird keine Reklame für ein Turnier an einem Ort, das werden ein paar allgemeine Gedanken, Denkanstösse oder Stichworte. Am Ende wird allenfalls herauskommen, dass es den perfekten Turnierort nicht gibt - da man es nie allen recht machen kann und da es quasi unmöglich ist, alle fünf Kriterien, die ich nennen werde, optimal zu bedienen. Anregungen für diesen Artikel stammen zum Teil aus email-Diskussionen mit DSB-Vizepräsident Michael Woltmann (am Rand meiner Grand Prix - Berichterstattung für den Schachbund). Und dann beendete auch noch Macauley Peterson einen Artikel über das "Chess Train" Turnier mit der Frage an die Leser: "Wo würdet ihr am liebsten ein Schachturnier spielen? Lasst es mich in euren Kommentaren wissen ...". Ich beziehe mich allerdings auf Superturniere; die allermeisten Leser von chess24 (einschliesslich aller, die auf Deutsch oder Englisch dort kommentierten?) haben vermutlich Elo unter 2700 und bekommen deshalb keine Einladungen zu hochkarätigen Turnieren.

Bevor ich eins bis fünf nenne: eigene Einblicke aus zwei Perspektiven (die aus Teilnehmersicht fehlt!) habe ich vor allem aus Wijk aan Zee - nicht das Mass aller Dinge, aber eben ein konkretes Beispiel. Und nun eins bis fünf, die Reihenfolge/Priorität ist Ansichts- oder Geschmackssache:

1) Was wird den Spielern geboten? Ein ausreichend belüfteter (aber nicht zugiger) sowie, je nach Bedarf, beheizter oder klimatisierter Spielsaal sollte selbstverständlich sein, ebenfalls ein angemessenes Hotel - da scheiden sich dann vielleicht schon die Geister, was (wieviele Sterne) angemessen ist. Und darüber hinaus, für diejenigen die etwas Ablenkung brauchen statt nur Schlafen-Essen-Vorbereiten-Essen-Spielen-Essen-Schlafen? Der eine bevorzugt vielleicht eine Grosstadt (= Kultur, Nachtleben, Einkaufsmöglichkeiten), der andere eine ländliche Umgebung für Spaziergänge und Ausgleichssport. Dann gibt es noch Spezialfälle: Nicht alle mögen interkontinentale Turniere mit mittendrin langer Reise und Jetlag oder auch nur kürzere Reisen - wie bei Norway Chess und, seit 2014, Tata Steel. Nicht alle spielen gerne in einem Glaskäfig. Zu beidem stellt sich die Frage: was 'darf' der Sponsor den Spielern 'zumuten'? Wobei jeder selbst entscheiden kann und muss, ob er die Einladung zu einem Turnier annimmt.

2) Was wird Zuschauern vor Ort geboten? Für wie viele ist Platz, wie viele können kommen? Sinn und Zweck von "Spitzenschach in einer Metropole" ist aus meiner Sicht, dass 'die Metropole' (natürlich nicht Millionen Menschen, aber doch ein paar hundert bis über tausend Zuschauer) tatsächlich zuschauen kann, aber dazu komme ich noch bei Punkt fünf. Subkriterien sind für mich: relative Nähe zu den Spielern (natürlich ohne sie zu stören), Rahmenprogramm d.h. auch Schach auf Amateurniveau, Livekommentar, andere Räume um sich mit Schachfreunden nicht flüsternd zu unterhalten und zwischendurch was zu essen oder zu trinken.

Eigene Eindrücke aus Wijk aan Zee: Zuschauer stehen (sitzen geht nicht) ein paar Meter von den Schachbrettern entfernt und können damit Körpersprache der Spieler und Zeitnotdramen direkt verfolgen - aus meiner Sicht 'besser' als selbst die allerbeste Videoübertragung. Nach den Partien müssen die Spieler durch den "öffentlichen" Bereich - Chance für Autogrammjäger oder vielleicht auch für ein kurzes Gespräch. Dazu eine kleine Anekdote aus Wijk aan Zee 2014: Ein Amateur (Name beim Autor bekannt) ist grosser Nakamura-Fan und war, wohl wie Nakamura selbst, mit dessen Turnier gar nicht zufrieden. Dann begegnete er ihm draussen vor dem Eingang und sagte "Was ist los mit Dir? Du spielst wie Elo 1800!". Nakamuras weibliche Begleitung (selbst Schachspielerin mit etwas höherer Elo) musste herzlich lachen, aber der (Gross)Meister war stinksauer ... . Dieses Gespräch kam nicht zustande. Rahmenprogramm gibt es auch, ebenfalls Nebenräume mit Bewirtung. Livekommentar seit diesem Jahr (Sparmassnahmen) nur noch am Wochenende. Wann Livekommentar gelungen ist - welches Niveau, welche Mischung aus Anekdoten und tiefgreifenden Analysen laufender Partien - ist sowohl Geschmackssache als auch ausreichend Stoff für einen eigenen Artikel. Bekommt Wijk aan Zee Bestnoten? Das hängt davon ab, wie man Punkt 5) gewichtet.

Ansonsten war ich nur einmal, vor vielen Jahren, in Dortmund vor Ort. Dort sassen die Zuschauer im Theater und die Spieler, relativ weit entfernt, auf der Bühne. Livekommentar gab es über Kopfhörer, Rahmenprogramm (kleines Open) war irgendwo anders in Dortmund, Nebenräume soweit ich mich erinnere Fehlanzeige.

Noch ein Punkt: Wo ist der richtige Ort für ein Turnier? Nie kann man es allen recht machen, aber ich hätte (mit entsprechend Zeit und Geld bzw. wenn mir das jemand bezahlt) die Chance, neben Wijk aan Zee auch zumindest Dortmund, Paris und London vor Ort zu besuchen. Zum Beispiel Usbeken müssen warten, bis Taschkent mal wieder ein GP-Turnier ausrichtet. Auch Moskau ist ja ziemlich weit weg ... .

3) Was wird Zuschauern im Internet geboten? Dann ist es (bis auf die Zeitzonen) egal, wo ein Turnier stattfindet. Liveübertragung sollte funktionieren, Livekommentar ist auch nett. Früher bekamen Turniere Pluspunkte für Livekommentar, nun bekam der Taschkent GP Minuspunkte weil es diesen die ersten zwei Tage nicht gab - so sind heutzutage die Ansprüche des nicht zahlenden Publikums (P.S. zu Punkt 2: wieviel Eintritt für Zuschauer vor Ort ist angemessen, angebracht oder vertretbar?). Journalisten und wohl auch Leser freuen sich über Fotos auf der Turnierseite, "faule" oder unter Zeitnot leidende Journalisten freuen sich auch über Presseberichte, die sie dann mehr oder weniger kopieren können.

kf2105220p4) Was wird VIPs und Journalisten vor Ort geboten? Sind Journalisten VIPs? Ich muss da nicht verwöhnt werden mit Getränken, Snacks usw. - für manche Kollegen beeinflusst es vielleicht, ob sie anreisen und wie (positiv) sie über das Turnier berichten. Ausreichend sind gute Arbeitsbedingungen: Presseraum, Stuhl, Tisch, Platz für den Laptop und Internet-Verbindung. Das stimmte in Wijk aan Zee, bei der Runde im Reichsmuseum Amsterdam nur zum Teil: der Presseraum war etwas klein und beengt (auch weil diverse Pressevertreter speziell für diese Runde anreisten), und meinen Laptop liess ich vorsorglich zu Hause - man musste ihn offenbar am Abend zuvor abgeben und von der Museums-Security kontrollieren lassen. Dafür gab es an diesem Tag Getränke und eine Privatführung durch das Museum.

Das Limburg-Open in Maastricht war übrigens eine andere journalistische Erfahrung: Es gab keinen Presseraum, zunächst sass ich mit Laptop in der Kantine der Sporthalle - bis die ersten Partien beendet waren, Spieler erschienen und es da zu voll und zu laut wurde. Aber das war ja kein Superturnier, und meines Wissens war ich vor Ort der einzige Schreiberling.

5) Wie wichtig ist das Ambiente, und wie es präsentiert wird? Das steht für mich an fünfter Stelle, für Schachfreund Woltmann offenbar weiter oben. Einige Beispiele aus der GP-Serie: Simpson's in the Strand war eine inspirierende Umgebung voller (Schach)Geschichte mitten in London, allerdings war kein Platz für Zuschauer. Auch das Turnier in Paris wurde an einem ungewöhnlichen Ort ausgetragen - eine Kirche in Elancourt, ein ziemlich abgelegener Vorort. Das Zuschauerinteresse war daher auch begrenzt, sicher im Vergleich zum Aljechin-Memorial im Louvre mitten in Paris. Dieses Jahr stimmt(e) auch das Ambiente in Baku und Taschkent, soweit ich es von Fotos beurteilen kann - vor Ort zuschauen war ohnehin nicht drin.

Tata Steel im Reichsmuseum war eine Mischung: Fototermin vor Rembrandts Nachtwache brachte viel Medienresonanz, die Partien selbst wurden dann in einem ziemlich neutralen Auditorium gespielt. Tata Steel in Wijk aan Zee ist eher bodenständig, der Turniersaal (für Amateure und Profis) ist normalerweise eine Sporthalle. "Feine" Turnierorte sind meistens eher klein, vielleicht findet man auch mal einen feinen, ausreichend grossen (und erschwinglichen) Turnierort, aber das ist wohl dann die Ausnahme zur Regel.

So, ich habe fünf Fragen gestellt, ohne sie definitiv zu beantworten. Wenn es Schlussfolgerungen gibt, dann diese: den perfekten Turniersaal gibt es nicht. Sowie - quer durch den ganzen Superturnier-Kalender: die Mischung macht es. Das gilt natürlich erst recht für den viel grösseren offenen Turnierkalender.

 

Kommentare   

#1 MWoltmann 2014-10-26 11:15
Lieber Herr Richter, vielen Dank für diesen Beitrag. Im Kern geht es mir darum (und das bezieht sich nicht nur auf Spitzenschach sondern gilt regional genau so), dass oft die Macht der Bilder unterschätzt wird. Was auf dem Brett geschieht, verstehen nur wenige. Auch Zuschauer werden nur kommen, wenn sie ohnehin schon einen engen Bezug zum Schach haben.
Man kann mit Bildern Interesse wecken, auch wenn der Betrachter wenig vom Schach versteht. Dafür muss aber alles stimmen. Neben einer interessanten (oder interessant gemachten) Person braucht man eine passende Kulisse und einen Fotografen, der in der Lage ist, das alles auf einem Bild inkl. Emotionen zu transportieren. Das Grand Prix Turnier im Simpsons hatte all das. Die Kulisse war super, weil sie auch kulturelle/geschichtliche Aspekte hatte. Die Tische an denen gespielt wurde, wurden eigens für die Turnierserie gebaut (man kann die Bilder problemlos über gängige Internet-Suchmaschinen finden). Das Angebot im Internet war super. Einige Zeit später in Zug/Schweiz gab es ein eher einfaches "Büroambiente", weil mangels Sponsoren plötzlich nur noch wichtig war, dass das Turnier überhaupt stattfindet und nicht mehr wie es inszeniert wird.
Bilder, Kulisse oder Ambiente sehe ich also (auch) vor dem Hintergrund, nicht nur vorhandene Interessen (von Spielern und schachaffinen Zuschauern) zu bedienen, sondern neues Interesse zu wecken. Bei regionalen Turnieren wird oft erst im Moment der Siegerehrung überlegt, ob überhaupt jemand einen Fotoapparat dabei hat. Dann wird schnell das Handy gezückt, die Sieger werden mit ihrem Umschlag mit Preisgeld schnell nebeneinander gestellt, es wird geknippst und ab nach Hause. Wir brauchen aber Bilder, in denen strahlende Sieger umringt von ein paar Fans ihren Pokal stolz in die Höhe recken und die Faust ballen.
Natürlich kann man bei einer Kreismeisterschaft nicht Bühnenbauer und Designer (im Fall der vergangenen Grand Prix Serie die Firma Pentagram, die auch das Brett der letzten und der kommenden WM designte) engagieren. Aber bei allen Turnieren, egal welcher Leistungsebene, gibt es noch viel Entwicklungspotential in Sachen Inszenierung und Außendarstellung.
#2 easyrider 2014-10-26 13:02
Aus meiner Sicht als Spieler, der sich während des Turniers weitgehend in einem "Tunnel" befindet, möchte ich anmerken, was mir wichtig ist:

- Gibt es einen Parkplatz in der Nähe, wo ich mein Fahrzeug (Transporter) parken kann, ohne ein Knöllchen zu riskieren? Parkhäuser sind zu niedrig.
- Sind die Toiletten über alle Turniertage sauber?
- Gibt es Bananen (meine Lieblings-Zwischenmahlzei t während der Partie), und wenn nicht,
- Darf ich mit gebrachte Speisen (Bananen) im Turniersaal verspeisen?
- Ist es wirklich ruhig (keine knallenden Türen etc.)
- Ist genügend Platz zwischen den Spielern?
- Ist die Essensausgabe so organisiert, dass es keine Warteschlangen gibt?

Habe bezüglich dieser Punkte schon manche Gegenbeispiele erlebt.
Ambiente, Historie, Livekommentare, das alles ist für mich schmückendes Beiwerk. Nett, wenn es das gibt, aber nicht essentiell. Wenn das Turnier gut lief, war alles prima, wenn nicht ...

LG Till
#3 wmlasker 2014-10-26 15:09
@easyrider: Deine Betrachtung ist verständlich aber hat wenig Blick auf das Ganze!
#4 easyrider 2014-10-26 21:05
@wmlasker: Klar, bin ja wie gesagt beim Turnier im Tunnel .... :-*
#5 StefanM 2014-10-28 23:29
Ich möchte einen Faktor ergänzen, der aus Zuschauersicht nicht uninteressant ist: Die "richtige" Teilnehmerzahl. Bei Eliteturnieren mit wenigen Spielern kann man Pech haben, sieht nur langweilige Partien und fährt enttäuscht wieder nach Hause. Daher schätze ich Wijk aan Zee sehr: Selbst wenn im A-Turnier mal nicht viel los ist, gibt es noch das B- und C-Turnier, mit aufstrebenden Talenten und "local heroes". Die Wahrscheinlichkeit, in einer Runde überhaupt nichts geboten zu bekommen, ist daher fast gleich Null. An dieser Stelle möchte ich auch mal eine Lanze für die viel gescholtene Bundesliga brechen. Es ist zwar richtig, dass sich an den Spitzenbrettern die Elo-Schwergewichte oft auf unspektakuläre Weise neutralisieren, aber einige interessante Partien sieht man meiner Erfahrung nach eigentlich immer, wenn man als Zuschauer vor Ort ist. Mehr als 16 Partien gleichzeitig sind meines Erachtens ohnehin zu viel des Guten, will man nicht nur sehr oberflächlich dem Geschehen folgen. Das ist auch das Problem mit Liveübertragungen von Turnieren wie der Olympiade oder der Europameisterschaft, die man sich am heimischen PC anschaut. Da erliegt man meist der Versuchung, sich einfach nur durch die Partien zu zappen.
#6 MWoltmann 2014-10-29 10:32
Seit kurzem ist übrigens die Homepage der kommenden WM online ( http://www.sochi2014.fide.com/ ) . Man erhält Einblicke, wie sich die Designfirma Pentagram die Location für einen solchen 2-Kampf vorstellt.
Beeindruckend, finde ich.
#7 MWoltmann 2014-10-29 10:36
@StefanM: Ein interessanter Satz: "...wenn man als Zuschauer vor Ort ist." Wir haben mit der SBL ein tolles Produkt. Die Anfahrtswege sind zwar nicht immer gering aber dennoch durch die Verteilung an den Spieltagen durchaus erreichbar. Und das Flair vor Ort ist meistens hervorragend. Alle Vereine versuchen sich von Ihrer besten Seite zu zeigen. Und hautnah dabei zu sein ist gegenüber der reinen Bildschirmperspektive ein echter Mehrwert!
#8 Tiger-Oli 2014-10-29 14:51
Bundesliga-Spiele sind unbedingt spannend zu verfolgen vor Ort, und über 30 starke Spieler aus oft der ganzen Welt zu sehen, das finde ich auch ein tolles Erlebnis. In den Spielsälen sind aber oft gar nicht so viele Zuschauer. Ich glaube, die großzügige Live-Übertragung macht einem das Aufbrechen von zu Hause schwer, denn man kann ja auch alles locker von dort aus verfolgen, so quasi nebenbei, und es kostet noch nicht einmal was. Eigentlich schräg, dass die höchste Spielklasse alles was sie bietet, umsonst anbietet. Aber das ist vielleicht auch ein langfristiges Konzept, um erstmal noch bekannter zu werden? Dennoch, schade irgendwie. Vielleicht sollten die Partien alle mit einer Zeitverzögerung von 90 Minuten übertragen werden - dann wäre es attraktiver, live am Brett zu gucken als zu Hause zu bleiben.

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