Der Richter, der Schneider, sein Handy und das Nokia-Gambit

Meister Schneider aus Berlin - hier ein Archivbild Meister Schneider aus Berlin - hier ein Archivbild OSteffens

Das kann doch einen Meister nicht erschüttern! Gleichauf eilten David Höffer, Ilja Schneider und Christian Richter von Sieg zu Sieg bei den Bremer Blitzmeisterschaften, doch nicht allein die besten Schachzüge sollten an diesem Tag das knappe Turnierrennen entscheiden.

15 schwere Runden traditionell sind an der Weser zu spielen, ein veritabler hansestädtischer Halbmarathon, und nicht sehr lange dauerte es, da hatten sich SF Richter (Werder Bremen), SF Höffer (SK Delmenhorst) und der amtierende Deutsche Blitzmeister SF Schneider (Chessfriends Berlin!) vom Rest des gut fünfzigköpfigen Feldes abgesetzt.

Hier mal ein Matt, dort mal ein Figurengewinn, man kennt das ja, und immer die schnelle Zughand, hopphopp, da blieb den allermeisten Bremern am Ende meist nur die Aufgabe, gefolgt von einem schnellen Gang zur ausgezeichneten Kaffeetheke des SK Bremen-West, der heuer die Ausrichtung der Veranstaltung übernahm und einmal mehr liebevoll und souverän durchführte.

blitzschach
     Bernd Feustel: Was Sie schon immer über das Bremer Blitzschach wissen wollten

Im Gleichschritt bogen SchneiderRichterHöffer dann auch auf die Zielgerade ein, und hätte nicht ein wenig Technologie Einzug gehalten in das Regelwerk unseres schönen Sports, wer weiß, wie es ausgegangen wäre. So aber, vierzehnte Runde, die ersten Züge waren gerade gespielt, da hallte schallend ein frohes Lied durch den Saal - fünf Sekunden nur, dann war es schon vorbei, doch auch das war lang genug, um zu wissen: da hatte ein Handy geklingelt! Oder zumindest ein Geräusch von sich gegeben, und das soll ja nicht sein. Regelwerk eben.

Schach ruft mich an ... und ich muss gehen

Es folgte der bekannte Dreisprung "Partiebeginn - Handyklingeln - Partieverlust": auch wenn es Peter Jürgens von den SF Lilienthal wohl nicht ganz angenehm war, so ging der Punkt aus dieser Partie dann doch an ihn. Und wer war sein Gegner? An Brett 1 hatte Peter dem nicht nur in Bremen bekannten, beliebten und vor allem hochgeschätzten Ilja Schneider gegenübergesessen, bis, ja bis die Partie krude von modernster Smartphone-Technik erst unterbrochen und dann beendet wurde.
Das gefürchtete "Nokia-Gambit" - wer kennt es nicht, das Unbehagen, welches das Handy in Schachspielerhand als auch in Schachspielertaschen auslöst? Selig die Zeiten, wo wir alle nur am Festnetz sprechen konnten, oder maximal in Telefonzellen. Fern waren alle Sorgen!

Dabei war es noch nicht einmal ein ehrlicher Klingelton, der zum Partieverlust führte, denn selbstverständlich hatte Ilja vor Turnierbeginn alle erforderlichen Einstellungen an seinem Gerät vorgenommen. Oder - fast alle, denn ihm war der Wecker entgangen, der vom Vortag offenbar noch für den Nachmittag eingestellt war, und nun an der Weser einfach nochmal ein temperamentvolles Klingeln von sich gab.

Das war nicht gut, und es kostete einen wichtigen Punkt - doch Ilja war souverän, nahm es mit viel Humor und machte sich auf den Weg in den Vorraum, denn dort warteten ja wie gesagt Ingo Veit und Joachim Kropp von den SF Bremen-West mit Kuchen, Kaffee, Kaltgetränk.

Besonders schön: diese memorable Partie bestritt Peter Jürgens in einem Schach-Pullover mit dem nicht ganz unpassenden oder für diesen Anlass sogar visionären Aufdruck: "Schach ruft mich an ... und ich muss gehen". Hätte Ilja diese subtile Warnung doch bloß ernster genommen!

Schach ruft mich an
            Schach ruft mich an - Aufgeben - und ich muss (ans Büffet) gehen!  (Foto: Ilja Schneider)

Der Turniersieg war damit durchaus unglücklich vergeben, doch Ilja brachte das Turnier mit zwei weiteren Siegen gekonnt zu Ende, wurde mit 12 Punkten Dritter und damit bester Nicht-Bremer. Knapp vor ihm FM David Höffer (DEL!) mit 12,5 Punkten, und der neue Bremer Meister, IM Christian Richter, der seine stattlichen 13 Punkte nach einem etwas unrunden Start in beeindruckender Manier einfuhr. Glückwunsch an alle drei! Die Ergebnisse des Wettbewerbs findet man hier auf der Seite des Bremer Landesschachbundes.

Auch sonst hatten einige der neueren Blitzregeln hier und da im Wettbewerb gewissen Einfluss. Immer mal rutschte den 50 Apologeten des königlichen Spiels ein falscher Zug aufs Brett - zweihändige Rochade, stehengelassener König, Orang-Utan-Eröffnung - was konsequent zu einer kleinen Zeitstrafe führte und dem Gegner eine einminütige Gutschrift einbrachte, mit Fachwissen von den Schiedsrichtern fix auf den elektronischen Uhren eingestellt.

Neu ja auch die strenge Vorschrift, dass beidseitig gefallene Plättchen keineswegs mehr als Remis gewertet werden. Das Fähnchen bringt es an den Tag - nun unterliegt derjenige, dessen Zeit zuerst abgelaufen ist. In der Partie Olaf Steffens - Peter Jürgens führte dies zu einer Entscheidung, und somit wurde es hier ein Punkt für mich, den ich wenn auch mit etwas Unbehagen einbuchen konnte.
Mit einigem Turnierglück und unerwartet vielen Punkte in den letzten Runden vermochte ich mich dann sogar noch bis auf Platz vier vorzurobben, direkt hinter RichterHöfferSchneider, den großen Drei des bremischen Schachs. Hurra!

Als Beleg für besagtes Turnierglück möge die folgende hanebüchene Stellung aus der Partie Stefan Schwenke - Steffens dienen:

 Stefan Schwenke Steffens
                         Allgemeine Verunsicherung bei den schwarzen Steinen

In Wirklichkeit war meine Stellung noch ein wenig schlechter als abgebildet, das Diagramm ist lediglich eine Erinnerung aus Zeit- und allgemeiner Schachnot. Hier versuchte ich den Trick 1....De6-d6? und drohe so etwas wie ein Grundreihenmatt. Stefan parierte das aber locker mit 2.Dg2-a8+, Kc8-c7 3.Sb4xa6+. Nun geht nur 3... Kc7-b6, und meine Dame geht mit Schach verloren nach 4.Td1xd6+. Feierabend für Schwarz ..., eigentlich!

Doch erstmal schnell wiedernehmen: 4.... Sf7xd6 - und Überraschung, nun droht auf e1 immerhin ein Grundreihenmatt (!), und der weiße Springer hängt.

Bei nur noch wenigen Sekunden auf der Uhr warf Stefan mit 5.a2-a4 den Bauern für ein schnelles Luftloch nach vorne (5.Da8-h1 war möglich, oder 5.Da8xe8), doch nun zeigte sich, dass nach 5.....Te8xa8 auch noch seine Dame hing. Wir hackten noch ein paar Züge aufs Brett, bevor er aufgab - kein schönes Ende einer von ihm toll gespielten Partie. Manchmal hat man Glück.

Und hier, für alle Freunde des Meisters und ehemaligen Zoodirektors:

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Kommentare   

#1 Krennwurzn 2019-01-14 10:46
Daher versuche ich beim Schach immer das Handy nicht am Körper zu haben - im Auto oder in der Jacke (trotz Diebstahlgefahr).

ABER dann war das Handy wohl eingeschalten und das ist sowieso illegal - obwohl es sollte Apps und Handys geben, die die Weckfunktion auch aktivieren, wenn das Handy ausgeschaltet sein sollte.
#2 Olaf Steffens 2019-01-14 17:40
Hi Krennwurzn,
das ist die beste Variante und am meisten beruhigend natürlich. Wie ich nun von Ilja hörte, hatte er mit dem Schiedsrichter abgesprochen, dass sein Handy aus privaten Gründen während des Turniers angeschaltet sein durfte, weil ein Anruf in der Luft lag.
Handy durfte also an sein, und war auch auf Vibration gestellt, aber leider nicht der Wecker ...
#3 Ventospezial 2019-01-16 14:15
Hallo Leute, ihr könnt mir glauben, so wollte ich nicht gegen den sympatischen Ilja gewinnen. Ich hätte mich gerne mit ihm auf Remis geeinigt, aber das hätte wohl andererseits Proteste ergeben. Wenn ich an meine Partie gegen Olaf denke, da waren die Spieler ja auch sofort zur Stelle zu erklären, dass bei beiderseitiger Zeitüberschreitung das Fähnchen anzeigt, wer verloren hat. Dies war Olaf sichtlich ebenso unangenehm, aber auch hier hätten wir uns nicht auf Remis einigen können. Im Übrigen, Olaf, danke für die faire Berichterstattung ! Peter Jürgens

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