Die Notebookbande

Zwischen 1984 bis 1993 holte ich mir halbjährlich, später alle vier Monate den jugoslawischen Schachinformator. An die 700 überwiegend von den Siegern in einer merkwürdigen Kürzelsprache (in der aber eh nur das "N" Bedeutung hatte) kommentierte Partien standen drin. Die Publikation gibt es trotz der längst online laufenden Informationsflut noch immer, wie ich beim Bücherstand während des österreichischen Ligafinals einmal mehr mit Erstaunen registrierte. Noch mehr erstaunt mich allerdings, dass sie nun Konkurrenz erhält. Als hätte die Datenrevolution nie stattgefunden heißt das Projekt "Chess Evolution" und ist das Geisteskind von Etienne Bacrot. Alle zwei Monate will der französische Großmeister zusammen mit drei Kollegen rund 200 mit massiver Computerhilfe kommentierte Partien, gespickt mit Neuerungen und Neuerungsvorschlägen vorlegen. Das nur aus der Druckerpresse, nicht elektronisch, und schlappe 36 Euro soll so ein Band kosten.

Dafür wird Praxisrelevanz versprochen. Als Leseprobe gibt es vorab eine spanische Partie aus Spanien, deren Gehalt und Verwicklungen den meisten Freunden des Spiels auch eher spanisch vorkommen dürften. Es gibt nur Varianten, keine Erklärungen, und die vorgeschlagene Neuerung im 19.Zug ist zwar spektakulär und gewinnträchtig, wird aber wohlmöglich nie in einer Partie zur Anwendung kommen, weil alle Profis mit Schwarz vorher anders spielen, und alle Hobbyspieler mit beiden Farben nie so weit kommen.   

Bacrots Team umfasst Arkadi Naiditsch, Sebastien Feller (genau den), Sebastien Maze, Rybka, Houdini, Fritz, Ippolit und wie sie alle heißen. Um den ersten Band zu schaffen, war in den letzten Wochen harte, nervige Analysefron nötig (was Naiditsch wohl in jene aggressive Grundstimmung versetzt haben dürfte, die zum Ausbruch kam, als er kürzlich auf den Deutschen Schachbund angesprochen wurde), deren Ergebnisse ab 15.März zur Beurteilung stehen.

Ihre Geschäftsadresse haben Bacrot, Naiditsch, Feller und Maze kurioserweise genau wie der Schachinformator in Belgrad, wenn auch weniger aus historischen denn finanziellen Gründen. Ihre Website bewerben sie damit, dass "einer der weltweit besten Turnier-Kalender" dazu gehört. Dort findet man ein traditionelles niederländisches Wochenendturnier unter dem Namen, Freud lässt grüßen, "Notebooktoernooi".  

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