Während draußen ein weiterer Regenschauer behaglich vom Himmel fällt, bleibt uns ein wenig Zeit, auf den Turnierseiten der Welt herumzustöbern. Schachwelt, das Magazin für dicke Socken und vergeblich erhofftes Sommerwetter, wirft heute einen Blick auf die Meisterschaft der Britischen Inseln, die vor kurzem (wahrscheinlich bei heftigem Regen) im nordenglischen North Shields ausgerichtet wurde. In der 64-köpfigen Meistergruppe gab es ein klassisches Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Großmeistern Gawain Jones und Stephen Gordon – erst mit einem Sieg in der elften Runde konnte Jones noch zu dem bis dahin allein führenden Stephen Gordon aufschließen.
Punktgleichheit also – und was ist dann? Es gibt ja einige Möglichkeiten, eine Meisterschaft in so einem Fall zu entscheiden:
a) Buchholzwertung
b) Anzahl der Siege
c) Direkter Vergleich
d) Anzahl der Siege mit den schwarzen Steinen
e) Fortschrittswertung
f) Eloschnitt der Gegner
g) Stichkampf
h) Torwandschießen
Was ist die beste Alternative? Ich bin aufgewachsen mit Alternative a) Buchholzwertung und fand das auch immer ganz ok. Obwohl h) Torwandschießen eigentlich hübsch spektakulär gewesen wäre, sah der Modus in North Shields einen Stichkampf vor – gespielt wurde mit einer Bedenkzeit von zweimal 20 Minuten, dazu gab es je einen Aufschlag von 10 Sekunden pro Zug.
Die erste Schnellschachpartie nahm ihren Lauf, und nach einer verzwickten Eröffnung war so dies und das los auf dem Brett. Wir fragen die Leser: wie bewerten Sie diese Stellung?
Eine typische Königsindische Stellung, eigentlich. Der schwarze Läufer berserkiert auf der langen Diagonale herum, das Zentrum ist umkämpft, und Weiß droht beizeiten mit g3-g4, um die Mitte zu öffnen. Alles noch im Rahmen? Was fällt noch auf? Bitte nochmal hinschauen:
Ok, wir schauen genau hin, zählen noch mal nach und stellen fest: Weiß hat eine Dame mehr! Und das kam genau so, wie es im Schnellschach eben manchmal so kommt. Zwei Züge vorher:
Hier entschloss sich Jones zu 22…Sf6-e8. Ein schöner Zug, eigentlich.
Nachteilig in dieser konkreten Stellung war nur, dass Weiß nun mit 23.Le2-h5 verblüffenderweise die schwarze Dame fangen konnte! Viel Kompensation hat Schwarz dafür nicht.
Das war es also - Partie entschieden? Nein, sagte sich Gawain Jones, das muss ja alles noch gar nichts bedeuten. Manchmal fällt es ja nicht so auf, dass irgendeine Figur nicht mehr da ist - die anderen Figuren laufen einfach ein wenig mehr und ein wenig schneller, um die Lücken zu stopfen. Und überhaupt – es war ja immerhin der Stichkampf um die Britische Meisterschaft, und da gibt man nicht so einfach auf!
Wie sagte schon Churchill, zumindest sinngemäß? Es ist besser, zu kämpfen und zu verlieren, als nie gekämpft zu haben.
Und tatsächlich - eigenartigerweise fand Stephen Gordon nun nicht mehr ins Spiel. Lag es am Regen? Ein Zug hier, ein Zug dort, doch es ging nicht mehr voran. Hinzu kam vielleicht die knappe Bedenkzeit, und vielleicht auch der Druck, mit der Extra-Dame nun doch eigentlich ohne Mühe gewinnen zu müssen.
Sieht ein bisschen aus wie FM Julian Zimmermann aus Hamburg,
ist aber in Wirklichkeit der neue britische Vizemeister Stephen Gordon
(Bild von Stefan 64, Dank!)
Die Partie entwickelte sich nun wie folgt (in Bildern):
Dame mehr für Weiß ...
Doch man merkt es immer noch nicht ...
Schwarz simuliert einen Angriff auf der g-Linie ...
Das Feld lichtet sich - aber ist es schon entschieden?
Hier blöffte Schwarz schnellschachgemäß mit Le8-g6 und drohte mit dem Damenrückgewinn. Auch die weiße Dame hat kein Feld! Weiß verlor mit f6-f7 die Nerven.
Keine schöne Stellung, um sie im Schnellschach mit Weiß zu verteidigen.
Jones beendet das Spiel mit ...Txf3 - und Weiß gab sich geschlagen, denn ...Ld4+ wird furchtbar.
Bitter für Stephen Gordon – kein Punkt aus dieser Partie. Gawain Jones gewann dann auch die zweite Entscheidungspartie und sicherte sich die britische Meisterschaft. Vielleicht stimmt es doch, was man sich zu meiner Jugend in Schleswig-Holstein erzählte: Eröffnungen sind egal – am Ende gewinnt doch der bessere Spieler.
So wie der Regen zu diesem Sommer gehört, so gehört auch das Scheitern zum Sport. Schon viele Partien wurden verbaselt, trotz Mehrfigur, mehr Zeit, oder was auch immer. Immerhin beruhigend - es kann allen passieren, auch starken Großmeistern. Und wer viel spielt, macht auch viele Fehler –gerade beim Schnellschach. Bitter ist es dennoch. Vielleicht sind Buchholzpunkte doch die aussagekräftigere Feinwertung?
Kommentare
Aber abgesehen davon, die aufgeführte Partie, die ich vor Tagen schon mal nachspielte, finde ich begrenzt lustig.
Was soll man dazu sagen? Ich finde, Aufgeben zur rechten Zeit gehört auch zur Craftmansship.
Zum eigentlichen Thema zurück: Es gab und gibt auch eine Variante, daß man die beiden Spieler eine kleinen Wettkampf einen Monat später spielen lies und solange den Titel ruhen lies. Oder die Möglichkeit eines Doppeltitels.
"Jones blundered with 22...Ne8??, allowing Gordon to win his queen for a mere bishop by 23.Bh5. Demonstrating the fine sportsmanship that so exemplifies the ICC era, Jones played on. One of the things about being a part of the ICC era is that one must get used to this and learn to cope. If you get offended, or outraged that your opponent is such a donkey, or start taking victory laps in your mind, well, you know what will happen. If you can suck it up, stay focused and enjoy the chance to play chess with an extra queen, you'll be alright. Gordon failed to, or perhaps got into time trouble or his mind just wasn't working that day."
Alle Kommentare dieses Beitrages als RSS-Feed.