Ein Wiener Kaffeehaus in Athen

Ein Wiener Kaffeehaus in Athen LennieZ und Andreas Pöschek (Wikipedia)

Bei der Junioren-WM geht es richtig zur Sache. Wenn ich einen kompletten Turnierbericht schreiben würde dann bräuchte ich womöglich Stunden um die 20-30 besten, interessantesten oder auch kuriosesten Partien auszuwählen. So beschränke ich mich, stellvertretend für das gesamte Turnier, auf eine Partie die man mit Worten kaum beschreiben kann - ich versuche es trotzdem in ein paar Sprachen: Ein (Hoch)Deutscher nennt sie vielleicht total durchgeknallt (danke Tiger-Oli für das regelmässige Feedback!). Ein Niederländer sagt "knettergek" - bitte richtig aussprechen: knetterrcheck! Einem Amerikaner fällt nur "amazing" ein. Ein Franzose denkt "ils sont foux ces joueurs", und ein Österreicher "I werd narrisch!".

Ich wende mich vor allem an das deutsche und österreichische Publikum, denn daher kommen die beiden Spieler - die ich gerne vorstellen würde aber viel weiss ich nicht von ihnen. Der Schwarzspieler Andreas Heimann ist mir vom Namen her noch bekannt, wenn auch weniger bekannt als die beiden anderen Deutschen Niclas Huschenbeth und Matthias Prinz Bluebaum. Alle drei spielten meistens an den vorderen Brettern, jedenfalls innerhalb der Liveübertragung. Huschenbeth berichtet wacker über sein Turnier - an guten wie an schlechten Tagen, zuletzt hatte er zwei gute. Der österreichische FM Peter Schreiner ist mir gar kein Begriff - vielleicht kann ein (Wahl-)Österreicher per Kommentar mir helfen? Nach etwas holprigem Beginn ist er, 34. der Setzliste, aber auch weit vorne mit dabei.

Ich fange mal am Ende an, die Schlusstellung deutet nicht unbedingt auf eine spannende und kuriose Partie:

Schreiner-Heimann2
Beide hatten offenbar lang rochiert, dann wurden fleissig Figuren und Bauern getauscht und es wurde remis. War dem so? Mitnichten, siehe z.B. das nächste Diagramm, aber machen wir erst am Anfang weiter:

Schreiner-Heimann, U20 WM 11. Runde

1. e4 e5 2. Nc3 Nf6 3. f4 Ich weiss nicht mal ob der Schreiner Peter Wiener ist, jedenfalls hat er das Wiener Gambit ausgepackt. Damit ist der Ton bereits gesetzt. Nomen est omen - wo gehobelt wird da werden Späne fallen! d5 4. exd5 exf4 5. Bc4 Bd6 6. Qe2+ Be7 7. d4 O-O Schwarz rochiert also nicht lang, der König landet erst nach einigen Umwegen, Irrungen und Wirrungen auf d7.  8. Bxf4 Bb4 9. Qd3 Nxd5 10. Bd2 Bxc3 11. bxc3 Re8+ 12. Ne2 Nb6?!  Mit der Zeichensetzung bin ich sparsam und verlasse mich natürlich auf die gestrengen Engines. Schwarz willl den Lc4 loswerden, das schafft er: 13. Bxf7+ Kxf7 14. Qxh7 Rxe2+! Nur so! 15. Kxe2 Bg4+? Aber so nicht, hier war 15.-De7+ Pflicht. 16. Kd3! Wiederum nur so - hier steht der König sicher ohne seine eigenen Türme zu behindern. Kennt Schreiner eigentlich seinen Landsmann Steinitz, oder zumindest dessen (frühe) Partien?  16.-N8d7 17. Rhf1+ Nf6 18. Bh6 Laut Engines am zweitbesten (18.Lg5!), aber das konnte Schreiner ja nicht wissen. 18.- Qg8 19. Rxf6+ Kxf6 20. Bxg7+ Ke6? Kaum zu glauben aber wahr: Schwarz musste erst den weissen Turm aktivieren mit 20.-Kf7! 21.Tf1+ Ke6 22.Dg6+ Ke7. Nun scheitert 23.Dxg4 an 23.-Dc4+, vorläufig steht der weisse Turm auf f1 anfällig und in der Ecke auf a1 sicher. Auch das sehen Engines mühelos, Menschen nicht. 21. Qg6+ Kd5 Schreiner-Heimann1
Jetzt hat Schwarz den aktiveren König und muss nur noch ins Endspiel abwickeln. Das ist aber nicht so einfach - ein Ästhet würde vielleicht hier aufgeben. Aber dafür hatte Heimann keine Zeit - bereits ungefähr hier hatten beide Spieler kaum mehr als die 30 Bonussekunden pro Zug. Ausserdem kann Schwarz ja auf ein Wunder hoffen - vielleicht wiederholt Weiss aus Versehen mehr als einmal die Züge?  
22. Qxg4 Das geht! Qh7+ 23. Ke2 Rg8 24. c4+ Kxc4 25. d5+ Kc5 26. Qd4+ Kd6 27. Qe5+ Kc5 28. Qd4+ Kd6 29. Qf6+ Kc5 30. Qc3+ Nc4 31. Qd4+ Kd6 32. Qf6+ Kc5 Jetzt nicht etwa 33.Dd4+ sondern 33. Bf8+ Nd6? Dieses Fragezeichen verdient natürlich ein Fragezeichen - "besser" war 33.-Txf8 wonach sich der weisse Vorteil in unerträglichen Grenzen hält (+3). Aber dann hat Schwarz keinerlei Gegenspiel und muss spätestens nach der Zeitkontrolle aufgeben.  34. Qc3+? 34.Lxd6 (mit Schach) analysiert Houdini bis zum Matt. 34.-Kxd5 35. Rd1+ Ke6 36. Bxd6? Mit Schach hätte es gewonnen, ohne Schach vergibt es den ganzen Vorteil - denn jetzt ist Schwarz dran:  36.-Qe4+ 37. Kd2 Rxg2+ 38. Kc1 cxd6 39. h3 Kd7 40. Kb1 Qc6 Puh die Zeitkontrolle ist geschafft ... und die Stellung remis. Es folgte noch 41. Qxc6+ bxc6 siehe Diagramm oben 1/2-1/2

 

Kommentare   

#1 Tiger-Oli 2012-08-19 22:13
Jaja, unbeschwerte Jugend - da wird noch so richtig drauflosgespielt!

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