Eröffnungen, Mittel- und Endspiele in Maastricht

FM Hing Ting Lai - GM Bauer FM Hing Ting Lai - GM Bauer Turnierseite

Bei der traditionellen Limburg Open Nachlese (sieben Höhe- oder auch Tiefpunkte aus sieben Runden) wähle ich diesmal einen sehr allgemeinen Titel; die Teilnehmer haben mir und anderen zwar alles mögliche geboten aber dieses Jahr keinen "roten Faden". Deutsche Spieler sind mitunter beteiligt, und fast alle der insgesamt nicht ganz vierzehn (einige erscheinen mehrfach) spielen auch für irgendeinen deutschen Verein. Das Titelbild gebe ich Hing Ting Lai und Christian Bauer, da sie bereits in Runde eins und danach beide nochmals eine Rolle spielten. Hing Ting hat seinen Vornamen zwar noch nicht assimiliert (Henk Theo ist in den Niederlanden gängiger), aber wurde kurz vor dem Turnier zum zweiten Mal NL-Meister der Altersklasse U20. Offiziell hatte er beim Limburg-Open Elo 2332, in der Juni-Liste kommen 49 Punkte die er bei der Jugendmeisterschaft gewann dazu (und auch einige vom Limburg Open, wo er am Ende 5/7, TPR 2524 erzielte). In der NL-Liga (für Zukertort Amstelveen bei Amsterdam) ist er offenbar nicht ausgelastet, daher spielt er auch in Belgien sowie in Deutschland Oberliga NRW für Wattenscheid. Betrifft Christian Bauer: In Bundesliga-Matches des Hamburger SK gab es, wenn auch sporadisch, Partien an denen anfangs siebzehn Bauern beteiligt waren. Bauer kannte seine Elozahl von 2634 und hatte zum Schluss 5,5/7, TPR 2638.

FM Hing Ting Lai - GM Bauer in Runde eins begann mit 1.c4 b6 2.Sc3 Lb7 3.e4 e6 4.g3 f5 - das hatte Bauer bereits 1999 und 2008, das nächste Mal also ca. 2023. Schwarz opferte (oder verlor?) später eine Qualität, hatte dafür aber genug Druck am Königsflügel, und irgendwann vor dem Diagramm ging es beiderseits nicht mehr richtig weiter.

Hing Ting Lai Bauer move 30

 

 

 

 

 

 

 

Zuvor geschah 25.h4 Kh6 26.Lh1 Kh7 27.Lg2 Tf7 28.Lh3 Tf8 29.Lg2 Tf6, bzw. aus weisser Sicht Lg2-h1-g2-h3-g2 und von Schwarz Kh7-h6-h7 und Tf6-f7-f8-f6. Nun war 30.Lh3 richtig, aber es kam 30.Lh1? Dg4 (richtig) 31.Lg2 Tg6? - falsch, nach dem forcierten 31.-Td6 32.Df3 Sxg3 33.Sxg3 Dxh4+ 34.Lh3 Dxh3+! (deshalb musste die weisse Dame erst nach f3 gelockt werden) 35.Kxh3 Sg5+ nebst Sxf3 hat Schwarz drei Bauern für die Qualle, und die Partie hätte wohl das zur Elo-Hackordnung passende Ergebnis. Weiss spielte wieder 32.Lh3:

Hing Ting Lai Bauer move 32

 

 

 

 

 

 

 

Oops - die Dame sitzt in der Falle! Das kenne ich aus leidiger eigener Erfahrung - ich war mal in einem Mannschaftskampf durchgehend am Drücker, und dann spielte Weiss irgendwann h2-h3 und gewann angesichts der tödlich-unparierbaren Drohung hxDg4. Ganz so schlimm war es hier nicht: 32.-Dxe2 33.Dxe2 Lxg3+ 34.Kg1 Lf2+ 35.Kh2 Lg3+ 36.Kg1 1/2 (der Leser darf selbst untersuchen, warum 34./36. Kg2 oder Kh1 nicht ging).

Da beschleunigt gepaart wurde, gab es bereits in Runde 2 GM-Duelle, u.a. das bulgarisch-niederländisch-Aachener Lokalderby GM Chatalbashev - GM Dambacher. Chatalbashev spielt für Zweitliga-Aufsteiger SV Würselen (quasi Vorort von Aachen), Dambachers Verein DJK Aufwärts Aachen ist mal wieder in die erste Bundesliga aufgestiegen und macht es nächste Saison auch. Dambacher spielte patriotisch Holländisch und dann Stonewall, die Stellung wurde ziemlich verrammelt. All das geduldige Manövrieren lasse ich unkommentiert, nach 79.Sg6 stand es so:

Chatalbashev Dambacher move 79

 

 

 

 

 

 

 

Ein doppelter Stonewall mit nicht allzu tollem weissem Mehrbauern auf f3, aber nun: 79.-Sd6? (79.-Sb6 oder 79.-Kd7) 80.Sf8 Sb7+ 81.Kb5 Kd6 (ob 81.-Sd6+ 82.Kb4 Kc6 83.Sxe6 Sc4 84.e4 Se3 85.e5 Sg2 86.Sg7 Sxh4 87.Sxh5 Sxf3 für Weiss gewinnträchtig ist, müsste man näher untersuchen) 82.Ka6! Sd8 83.Kb6 - Schwarz muss immer mehr Raum preisgeben: 83.-Sf7 84.Sg6 Sh6 85.Kb7 Kd7 86.Se5+ Kd6 87.Kc8 Ke7 88.Kc7 Sg8 89.Sc6+ Kf7 90.Kd6 Kf6 91.Kd7 Kf7, und nun konnte Weiss ernten:

Chatalbashev Dambacher move 92

 

 

 

 

 

 

 

92.Sd8+ usw., 1-0 nach 102 Zügen.

Nach dieser Seeschlang eine etwas kürzere Partie aus Runde 3: Bei Watzlawek (2106) - GM Bauer erwähne ich alle achtzehn Züge. Watzlawek spielt für Eichlinghofen, ein Vorort von Dortmund. Es begann mit 1.d4 d6 2.c4 e5 3.g3 (selten) 3.-exd4 4.Dxd4 Sc6 5.Dd2 Le6 6.e4 Sf6 7.Sc3 a5!? 8.b3?!

Watzlawek Bauer move 8

 

 

 

 

 

 

 

Schon ist es Zeit für ein Diagramm. Diese Stellung gab es zuvor 13-mal im Zeitraum 1983-2009 und auf Eloniveau ca. 2200-2600. Achtmal spielte Schwarz das bereits angedeutete 8.-a4, fünfmal einen besseren Zug - zuletzt 2003 und alle Partien in eher unbedeutenden Turnieren. Was machte Bauer? Er spielte 8.-Sxe4! 9.Sxe4 d5 10.cxd5 (10.Sc3 d4) 10.-Lb4 11.Sc3 Lxd5 12.f3 Df6 13.Lb2 0-0-0 14.Le2 The8 15.0-0-0 Lxf3 16.Sxf3 Txd2 17.Kxd2 Dh6+ 18.Ke1 De3

Watzlawek Bauer move 18

 

 

 

 

 

 

 

0-1. Ob Bauer das kannte oder am Brett fand, ist (sieben Minuten Bedenkzeit für 8.-Sxe4) nicht ganz klar.

Aus Runde 4 GM Fridman - FM Hing Ting Lai. Den Weisspieler muss ich nicht vorstellen, den Schwarzspieler habe ich bereits vorgestellt. Sie spielten einen theoretisch bekannten Katalanen, und nach zuletzt 20.e3 Ke7 stand es so:

Fridman Hing Ting Lai move 20

 

 

 

 

 

 

 

Und hier investierte Fridman knapp 22 Minuten für 21.Txc6 - Moment mal, ist der Bauer nicht vergiftet? 21.-Sb4 22.Txc7+ Kd8 23.Txf7 Sxa2 24.Sc5! Ke8 24.Txg7 Sb4 25.Sxe6

Fridman Hing Ting Lai move 26

 

 

 

 

 

 

 

Anfänger lernen, dass ein Turm fünf Bauern wert ist - hier waren die fünf Bauern besser, 1-0 nach 39 Zügen. Das war wohl Fridmans beste Partie im Turnier - weniger gelungen Runde 3 mit Schwarz gegen Sarah Hoolt (wo er nach 17 Zügen in schlechter Stellung erfolgreich die Notbremse Remisangebot einsetzte) und Runde 6 mit Weiss gegen Jorden Van Foreest, wo er ab dem 14. Zug Schiffbruch erlitt. Am Ende 5/7, dafür gab es 22,50 Euro Preisgeld (aber vermutlich auch Antrittsgeld) und es kostete bei nicht allzu starken Gegnern (Van Foreest war der einzige Grossmeister) ein paar Elopunkte.

War Fridman - Hing Ting Lai eröffnungstheoretisch relevant? Vielleicht, auf jeden Fall war es Neuland - im Gegensatz zum Höhe- oder Tiefpunkt aus Runde 5: GM Chatalbashev - Beeke (2244) stand wieder unter dem Motto "Amateur tappt in eine Eröffnungsfalle, Grossmeister kennt diese oder findet die richtige Fortsetzung am Brett" - anhand der verwendeten Bedenkzeit (5 1/2 und 7 Minuten für den 12. und 13. Zug) nicht ganz klar. Vielleicht will man das am Brett ja nochmal überprüfen, oder betrachtet es als unnötig arrogant, derlei Züge im Blitztempo zu spielen. Auch diese Partie von Anfang an: 1.c4 c6 2.Sf3 d5 3.g3 Sf6 4.Lg2 dxc4 5.0-0 Sbd7 6.Dc2 Sb6 7.Sa3 Le6 8.Sg5 Lg4 9.Sxc4 Lxe2 10.Se5 Lh5 11.Te1 e6? (besser u.a. 11.-h6)

Chatalbashev Beeke move 11

 

 

 

 

 

 

 

Und nun? 12.Lf3! Lg6 13.Lxc6+! bxc6 14.Dxc6+ Sfd7 15.Sexf7 Lxf7 16.Sxf7 Df6 17.Sxh8

Chatalbashev Beeke move 17

 

 

 

 

 

 

 

Das Massaker ging noch bis zum 32. Zug weiter, aber das zeige ich mit Rücksicht auf Schachfreund Beeke nicht. 11.-e6? 12.Lf3 Lg6 13.Lxc6+ wurde im Zeitraum 2011-2016 zuvor immerhin sechsmal gespielt, darunter auch von deutschen Schachfreunden (Mons-Kramer, DEM U18 2012 und Huschenbeth-Oparin, WM U20 2012). Bob Beeke spielt für Arnhem bei Deutschland, aber - als einziger der hier und heute ausgewählten Sieger und Verlierer - für keinen deutschen Verein, das rächte sich vielleicht. Spass beiseite, alles muss ein Amateur nicht unbedingt kennen, aber dann verliert er eben mal derlei Partien. In Runde 1 hatte Bob Beeke übrigens GM Wirig besiegt - Brett 12 ausserhalb der Liveübertragung, daher nicht verfügbar.

Ob das Duell aus Runde 6 eröffnungstheoretisch relevant ist, sei dahingestellt - immerhin kopierten FM Van Dooren - GM Socko bis zum 8. Zug zwei Weisspartien von Shirov und Huschenbeth, auch diese Herren entkorkten mal 1.e4 e5 2.f4!?. Dirk Van Dooren aus der Provinz Zeeland spielt für die zweite Mannschaft von DJK Aufwärts Aachen, der Pole Bartosz Socko hat eine vergleichbare Anreise zu Bundesliga-Heimspielen von USV TU Dresden (er spielte letzte Saison alle fünfzehn Partien, d.h. auch Auswärtsspiele). Nach 11.-Sc6 stand es so:

Van Dooren Socko move 11

 

 

 

 

 

 

 

Nach später 19.Dd3 Dxd3+ Kxd3 0-0-0 hatten sie diese Stellung:

Van Dooren Socko move 20

 

 

 

 

 

 

 

Hier geben Engines Weiss volle Kompensation für zwei Minusbauern - auch ohne Damen bleibt es turbulent. Im weiteren Verlauf bekam der Grossmeister doch Oberwasser - die Silikonhirne kritisierten u.a. Van Doorens zögerliches 26.Ke2 (26.Kc4!), aber auch Socko behandelte die Stellung nicht engine-perfekt und so stand es nach 46.-Lf3:

Van Dooren Socko move 46

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz bastelt an einem Mattnetz, der König hilft dabei. Aber Weiss hat einen einzugsbereiten Freibauern. Wer steht besser? Ein Mattnetz ist gewinnbringend, wenn man tatsächlich mattsetzen kann. Ein Freibauer ist selbiges, wenn man ihn ungestraft umwandeln kann - aber hier scheitert 47.c8D? an 47.-Kd3+ nebst Matt. Weiss fand das einzig richtige 47.Tfb8, und Schwarz hatte danach nicht mehr und nicht weniger als Dauerschach (47.-Lf4+ 48.Kg1 Le3+ usw.).

In Runde 7 gab es unter anderem das GM-Duell Schroeder-Gharamian. Beide hatten zuvor 4,5/6 und brauchten den vollen Punkt, um noch attraktives Preisgeld zu erhalten. Die Vorgeschichte: Jan-Christian Schroeder (Hofheim) hatte, soweit bekannt (mitunter spielte er knapp unterhalb der Liveübertragung), alle Partien ausgekämpft, der Franzose Tigran Gharamian (u.a. Schwäbisch-Hall) eher nicht: in Runde 4-6 drei Remisen gegen Fier, Bauer und Chatalbashev in 11, 12 und 17 Zügen - so sind Doppelrunden wie in Maastricht (und bei anderen Wochenendturnieren) erträglich? Klar wurde es nun kein Kurzremis. Auch hier verzichte ich darauf, die lange Manövrierphase, in der Gharamian zwischenzeitlich klar besser bis gewonnen stand, zu untersuchen. Später entstand ein Remisendspiel mit ungleichfarbigen Läufern:

Schroeder Gharamian move 119

 

 

 

 

 

 

 

Und nun nicht etwa 119.Kc2 =, sondern 119.Le8?? a3 0-1.

Dumm gelaufen für den hessischen Nachwuchsspieler. Nicht unbedingt Thema dieses Beitrags ist der Endstand des Turniers. Gharamian hatte demnach 5,5/7 - was oft für den Turniersieg beim Limburg-Open reichte, und er war Wertungsbester von fünf punktgleichen Spielern. Aber einer war besser: Axel Bachmann aus Paraguay, der ab der zweiten Runde an Brett eins spielte (der Leser weiss bereits, warum der leicht elobessere Christian Bauer nur in Runde eins da spielte) und nach anfangs 5/5 am Ende 6/7 auf seinem Konto hatte. Dass sein gegnerischer Eloschnitt relativ niedrig ausfiel, lag auch daran, dass er in einer Runde gegen Tom Bus (Elo 2178) spielte - neben Hing Ting Lai und Van Dooren eine der positiven Turnierüberraschungen (4,5/7, TPR 2467), am Ende landete er punktgleich mit und nach Wertung direkt vor Jan-Christian Schroeder. Bus spielt für Voerendaal aus der Provinz Limburg und die zweite Mannschaft von Mülheim aus NRW.

In Runde 3 hatte Bus gegen IM Aljoscha Feuerstack durchaus etwas Glück, dass sein nominell überlegener Gegner ein Remisendspiel unbedingt gewinnen wollte und dadurch verlor. Feuerstack hat - wenn man so will - Glück, dass ich aus dieser Runde Watzlawek-Bauer auswählte. Vielleicht hatte er nach dieser Partie dennoch einen Kater wie sonst (er spielt für St. Pauli) nach einem Besuch auf der Reeperbahn. Auf der Habenseite für Feuerstack in Runde 2 ein Remis gegen Fridman (der zwar Dame gegen Turm und Läufer gewann, aber nicht die Partie) und in Runde 7 ein Endspielsieg gegen GM Sipke Ernst. Das Limburg Open bot also noch mehr, als ich im Rahmen dieses Beitrags beleuchten kann oder will - sicher auch in Partien der A-Gruppe ausserhalb der Liveübertragung sowie in der B- und den beiden C-Gruppen.

 

 

 

 

 

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