Eröffnungen sind schön, machen aber viel Arbeit

Ungarischer Schachmeister bei der Arbeit! Ungarischer Schachmeister bei der Arbeit! O.Steffens

Da sich der Schwerpunkt dieses Blogs zur Zeit mächtig in Richtung Eröffnungsvorbereitung bewegt (hier bei Ilja Schneider und bei Jens-Erik Rudolph), möchte auch ich auf bescheidene Weise dazu meinen Beitrag leisten. Karl Valentin hat mit seinem Statement „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ vor vielen Jahren schon das Wesentliche dazu gesagt. Hier nun kommt die schachliche Ergänzung dazu.-
Ungarn ist ja bekannt als das Land der schönsten Frauen und der märchenhaftesten Salamis, und so fiel es mir nicht weiter schwer, mich für Budapest als Ziel einer Schachreise zu entscheiden. Im Jahre des Herrn 2010 reiste ich daher mit dem Nachtzug durch die Welt, um im März beim Budapester Frühlingsfestival die Bremer Fahne hochzuhalten.
Zentral und unweit der Donau spielten wir in den altehrwürdigen Räumen des ungarischen Schachverbandes nun das charmante neunrundige Tavaszi Fesztival, in dem neben einigen etablierten ungarischen IMs auch viele aufstrebende Nachwuchsspieler Furcht und Schrecken zu verbreiten suchten.
Es ließ sich aber dennoch alles gut an für mich. Mit Glück fielen mir einige Punkte ins Netz, und im Gefolge einiger IMs tummelte ich mich in der erweiterten Spitzengruppe. Dann kam die siebte Runde, und das Drama nahm seinen Lauf.

Mein Gegner sollte ab 16 Uhr der Franzose FM Louis Sanchez sein (ELO 2234, der spätere Dritte des Turniers hinter IM Emil Szalanczy und IM Dr Evarth Kahn). Ich wusste zu meinem Unglück, dass er gerne die Philidor-Eröffnung spielt als Antwort auf 1.e4, und zu meinem noch größeren Unglück hatte ich genau dazu gerade etwas Schönes in einem „SOS–Schach“-Buch von Jeroen Bosch gesehen. Es ging dort um eine mörderscharfe, schon etwas ältere Idee des mutmaßlich gedankenlesenden Großmeisters Alexei Shirov, bei der im 5.Zug schon der Bauer g2 nach g4 gespielt und dort geopfert wird. Hurra!, solche Züge machen immer Spaß. -
Leider aber führte diese Idee g2-g4 auch dazu, dass ich meinen freien Vormittag, die Mittagsstunde und die ersten Nachmittagsstunde damit verbrachte, die Variante mit Hilfe des SOS- Buches zu studieren. Hätte ich das mal lieber gelassen! Eine viel attraktivere Alternative wäre gewesen (ganz im Sinne von Ilja Schneider), den Gegner für drei Minuten zu durchleuchten, dann den Laptop wieder zuzuklappen und den Tag mit touristischen Erkundungen und ungarischer Salami zu verbringen. Um 16 Uhr hätte ich die Partie frisch und gelassen mit irgendeinem ersten Zug (b2-b4!) beginnen können, und – wir hätten dann eben Schach gespielt. (Franz Beckenbauer: „Gehts ´naus und spuits Schoach!“) Aber hinterher ist man immer klüger, und – es kann ja ganz unbestritten auch helfen, sich mit Eröffnungen zu befassen.p1010190
Auf der anderen Seite liegt es leider (oder zum Glück?) nicht immer an der Eröffnung, wenn man verliert oder gewinnt. Die meisten Partien entscheiden sich erst „hinterher“, denn da bleibt immer noch genug Zeit und Gelegenheit für abgründiges Patzen. „Auf Dauer setzt sich doch der stärkere Spieler durch.“, sagt schon der Volksmund. Sei es durch das feinere Stellungsgefühl, die tiefere Konzentration oder auch und vor allem durch das bessere Rechnen der Varianten. Eröffnungen sind schön und eine gute Unterstützung, aber alleine entscheidend sind sie nicht. Gerade im handelsüblichen Bereich von unter 2200 ELO gilt das wohl noch ein bisschen mehr als für Super-Großmeister, bei denen Feinheiten in der Eröffnung dann doch schon den Punktgewinn vorbereiten können. –

Nichts dergleichen dachte ich aber in Budapest. Stattdessen übte ich drauf los und studierte eine Fülle von Varianten, die überhaupt nicht zu meinem normalen Eröffnungsrepertoire (wenn man es denn so nennen mag) passten. Und das allein nur, um einen Gegner zu überraschen, der sich in der Philidor-Verteidigung deutlich besser und im Zweifel wohl auch besser in der Shirov-Variante auskennen wird. Welcher Turnierteufel mag mich da nur geritten haben? Jedenfalls war es kein wohlwollender! Goldene Regel: Wenn man den Gegner schon überraschen will, sollte man das wohl mit Eröffnungen versuchen, die einem nicht vollständig fremd sind, von den ersten Zügen bis hin zu Mittelspielstrukturen und anderen typischen Ideen drumherum. Alles andere ist (leider) grober Unfug – siehe Partie!
Aber nun denn. Die Wahrheit ist wie so oft unangenehm, aber man muss sie ans Licht bringen - bevor es Wikileaks tut.

Am Bildschirm nachspielen:

 

 

Warum in der Ferne schweigen? -  Kleines Ungarisch-Lexikon für Niederlagen
                                                                                (mit Dank an Emese Kazár!)

Moinmoin!                                                       Szervusz!

Meine Stellung ist schrecklich.                         Borzalmasan állok.

Ich gebe auf.                                                   Feladom!

Sie haben aber sehr viel Glück gehabt.              Magának igen sok szerencséje volt!

Normalerweise hätte ich Sie geschlagen.           Elvileg nekem kellett volna nyernem.

Ich brauche einen Pfirsichschnaps.                    Szügségem van Barackospálinkátra.

Haben Sie auch Bier?                                       Sör is van?

Wo gibt es hier Salami?                                    Hol lehet itt téliszalámit kapni?

Ich hätte gerne noch zwei Schnaps.                    Még két barackospálinkát kérek!                                    

Bitte bringen Sie mich nach Hause!                     Legyen szíves hazavinni!
                                              

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

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