Falscher Läufer - kein Problem

Daniel Fridman (bei der EM 2013 in Warschau) Daniel Fridman (bei der EM 2013 in Warschau) Deutscher Schachbund

Berichte zur Mannschafts-EM in Reykjavik gibt es anderswo noch nicht - es ist ja auch erst eine Runde gespielt, und parallel läuft ein Schaukampf in St. Louis. Auch der Schachbund (Titelseite, wird da wohl irgendwann verschwinden) äussert sich nur knapp und bezeichnet das 2,5-1,5 gegen die Schweiz zum Auftakt als "glücklich" - eventuell könnte man es auch als grossartige kämpferische Leistung verkaufen, die Anlass zu Hoffnungen für das weitere Turnier bietet. Jedenfalls bekommt Daniel Fridman das Titelbild, da er aus deutscher Sicht der Held war. Aus schweizerischer Sicht war Gegner Sebastian Bogner vielleicht der Depp, aber in diesem Artikel mit Motiv Triplizität der Ereignisse wird es erst das dritte und komplizierteste Beispiel. Jeweils geht es um Endspiele mit Mehrfigur und Mehrbauer, die manchmal dennoch Remis sind - es gibt nämlich den Begriff falscher Läufer oder alternativ falscher Randbauer. In den ersten beiden Fällen werde ich auch andeuten, wie dieses Endspiel entstand - und einmal gibt es als Vorspeise ein ungewöhnliches Mittelspiel-Motiv.

Ich beginne bei den Damen, mit einem Match das vielleicht vor allem Schachfreunde und -freundinnen in den Niederlanden (ich fühle mich angesprochen) oder auch Litauen interessierte. Bei Litauen fehlt Viktorija Cmilyte - komplett, sie ist wohl anderweitig beschäftigt: sie hat mal wieder geheiratet, diesmal Peter Heine Nielsen, wurde zum dritten Mal Mutter (zweimal war der Vater Alexei Shirov) und ist seit April 2015 Mitglied des litauischen Parlaments. Fairerweise verzichteten die Niederlande in Runde 1 auf Spitzenbrett Zhaoqin Peng, und so ergab sich an Brett 2 die Paarung Salomeja Zaksaite (2196) - Bianca De Jong-Muhren (2312). Salomeja hat also Weiss, Bianca ist nominell besser. Nach 19.La7 Tb7 stand es so:

Zaksaite De Jong move 19

 

 

 

 

 

 

 

Das ist natürlich noch kein Endspiel, sondern die versprochene Vorspeise - Weiss am Zug gewinnt bzw. erreicht jedenfalls klaren Vorteil. Das dürfen die Leser selbst finden, ich gebe nur drei Tips: 1) Zuvor war 18.-Dxd5 ungenau (besser 18.-exd5). 2) Die ersten beiden Züge der Kombination kann man/frau in beliebiger Reihenfolge spielen. 3) Am Ende ist in einer Variante Df5+ wichtig, und in einer anderen De4+ [hmm, der Hinweis dass das jeweils ein Schach ist sollte reichen]. Stattdessen kam in der Partie 20.Le4 - verlockend, aber Schwarz hat die Ausrede 20.-Dd2 und nun wurde aufgeräumt: 21.Dxd2 Lxd2 22.Txc8 Txc8 23.Lxb7 Tc7 24.Td1 Lg5 25.Lxa6 Txa7 26.Td6 - wir haben ein asymmetrisch-ausgeglichenes Endspiel. Das behandelte Weiss insgesamt besser, nach 40 Zügen stand es so:

Zaksaite De Jong move 40

 

 

 

 

 

 

 

Immer noch kein Grund zu Panik aus schwarzer Sicht, aber sie muss eher aufpassen. Weitere Bauern verschwanden vom Brett und im 81. Zug auch die Türme, Stand nach 82.-Ke5:

Zaksaite De Jong move 82

 

 

 

 

 

 

 

Und nun? Schwarz hofft noch auf ungleichfarbige Läufer und/oder darauf, dass Weiss am Ende nur den falschen Randbauern behält. Kleiner Let's Check - Ausflug: Beim Durchklicken von Partien sieht man so am schnellsten, welche Engines wann durchblicken - vor allem in Endspielen gibt es da Unterschiede, aber dieses Thema will ich nicht untersuchen und vertiefen. Komodo zeigt Sinn für "Ästhetik" und empfiehlt 83.La8 +250 - aber nahezu jeder Läuferzug sollte für Weiss gewinnen, nur nicht unbedingt das gespielte 83.Lc6? - was dieses Feld in einigen Varianten für den weissen König blockiert. Schwarz spielte nicht das beste (egal, ob es Remis hält oder letztendlich doch nicht) 83.-Ld6+ sondern 83.-Kf4? und fünf Züge später:

Zaksaite De Jong move 87

 

 

 

 

 

 

 

Touchdown! Schwarz muss sich natürlich von ihrem Läufer verabschieden, konnte dann die e- und g-Bauern gegeneinander abtauschen, es half nichts:

Zaksaite De Jong move 94

 

 

 

 

 

 

 

Stellung nach 94.Lg4 - das ist hoffnungslos für Schwarz, da der König nie und nimmer das rettende Feld h8 erreicht. Wohl eher Enttäuschung/Frustration, dass sie erst nach 102 Zügen die Uhr abstellte. Endstand im Match 2-2 - die Niederländerinnen konnten zwar an Brett 3 und 4 (jeweils auch klare Elo-Vorteile für sie) gewinnen, aber verloren auch an Brett 1 auf Elo-Augenhöhe (Haast, 2365 - Deimante, 2369 0-1).

Das nächste Match war aus internationaler und Ausrichter-Sicht interessant - mit Armenien spielte einer der Favoriten gegen Gastgeber Island. Armenien gewann glatt 4-0, aber nur 3-1 war durchaus möglich. An Brett 2 gab es ein Duell der S-Klasse wobei Schwarz den kräftigeren Elo-Motor hatte, aber das muss (jedenfalls in einzelnen Partien) nichts heissen: Steingrimsson (2566) - Sargissian (2689). Lange wurde geschlossen-spanisch manövriert, dann stand Weiss "eigentlich" klar besser:

Steingrimsson Sargissian move 47

 

 

 

 

 

 

 

Man sollte meinen, dass die drei (na gut, zweieinhalb) weissen Freibauern im Zentrum viel gefährlicher sind als der einzelne und doppelt entfernte (auch weit weg vom Umwandlungsfeld) schwarze a-Bauer. Engines sehen das auch so, aber nur wenn Weiss 48.Dd4! findet um das schwarze Gegenspiel mit -e3 zumindest zu erschweren, wenn nicht zu verhindern. Stattdessen kam 48.Sg1? e3! 49.Dxe3 Dxe3 50.fxe3 Kf7

Steingrimsson Sargissian move 50

 

 

 

 

 

 

 

Nur drei Züge weiter, aber eine total andere Stellung - ohne Damen auf dem Brett kann der schwarze König ins Geschehen eingreifen, im Gegensatz zum weissen auf h1. Man kann sich zumindest vorstellen, dass Weiss diese Stellung gar verliert - obwohl er nach der Erbsenzähl-Methode momentan zwei Mehrbauern hat. Ob Weiss noch remis halten kann, will ich in der Kürze der Zeit nicht untersuchen (bzw. bin mit dieser Aufgabe überfordert). Im weiteren Verlauf verschwanden jedenfalls reihenweise Bauern vom Brett, wobei der schwarze a-Bauer sich teuer verkaufte - Stellung nach 65.-a1D:

Steingrimsson Sargissian move 65

 

 

 

 

 

 

 

Wiederum fünf Züge später - der weisse König rannte so schnell er konnte zurück zum Königsflügel aber ein Tempo fehlte:

Steingrimsson Sargissian move 70

 

 

 

 

 

 

 

70.-Kh2! - nur so, aber das finden wohl auch Spieler mit Elo unter 2000. Sechs Züge später gab Weiss auf.

In diesen beiden Fällen war das Endspiel von Anfang an (d.h. ab 87.b8D bzw. 65.-a1D) und immer für die materiell stärkere Seite gewonnen, im dritten Fall stolperten beide Spieler auch nach Erreichen der Tablebase-Zone. Bevor ich die Schlussphase von Sebastian Bogner (2550) - Daniel Fridman (2627) bespreche, ein paar Bemerkungen zum gesamten Match Deutschland-Schweiz aus deutscher Sicht: An Brett 1 stand Georg Meier mit Weiss gegen Pelletier zwischenzeitlich schlecht, wenn nicht verloren - es wurde remis (damit ist Meier besser als Nakamura, der allerdings beim Europacup Schwarz gegen Pelletier hatte). An Brett 3 erreichte Buhmann gegen Jungstar Georgiadis nichts, jedenfalls nicht genug - remis. An Brett 4 stand der deutsche Jungstar Dennis Wagner gegen Richard Forster in einer wilden Partie zwischendurch total verloren (Computerurteil bis +10) und es wurde remis. Fridman spielte eine seiner Spezialvarianten - zur Stellung nach 12.-d4 hat die nach Schwarzelo sortierte Datenbank Lautier-Ivanchuk, Olympiade Moskau 1994 und dann siebenmal Fridman. Er stand wohl etwas schlechter, das muss man mit Schwarz akzeptieren, aber womöglich nie gefährdet. Dass und wie er dann gewann kommt nun - Stellung nach 47.-fxe3:

Bogner Fridman move 47

 

 

 

 

 

 

 

Bogner spielte 48.Lf3?! - noch kein Verlustzug, aber warum kümmert sich nicht der König um den Freibauern? Nach 48.Kg3 hat Schwarz den Trick 48.-Lg4!? und Weiss darauf den Gegentrick 49.Lf3 e2 50.Ld5+ nebst 51.Kf2 (50.Lxe2 Lxe2 ist hier auch Remis, aber das muss Weiss nicht "riskieren"). Nach weiteren schwarzen Ungenauigkeiten stand es so:

Bogner Fridman move 54

 

 

 

 

 

 

 

Nun ist 55.Lxe2 Lxe2 natürlich Pflicht, und ab hier kann ich durchgehend das Tablebase-Orakel befragen (die Spieler während der Partie natürlich nicht): 56.a4 (lose in 57, immerhin am zähesten) 56.-Ld1 (wir wollen mal nicht meckern, dass andere Züge schneller gewinnen) 57.a5 (wieder die bei weitem beste Chance)

Bogner Fridman move 57

 

 

 

 

 

 

 

Was nun? Weiss droht offensichtlich b4-b5-b6, Schwarz muss das verhindern - da er sonst nicht mehr gewinnen, höchstens noch verlieren kann. Fridman spielte 57.-a6? - falsch laut Tablebases, nur 57.-La4 oder 57.-Le2 gewinnt. Warum dem so ist, darf der Leser mich aber nicht fragen. Allerdings war es nur einen Zug lang remis, es folgte 58.Kf5 (hier verliert nur 58.b5??) 58.-Lc2+

Bogner Fridman move 58

 

 

 

 

 

 

 

Wohin mit dem König? a1 ist das Traumfeld, das geht natürlich nicht sofort - aber warum Bogner mit 59.Ke6?? in die andere Richtung ging, weiss allenfalls er selbst - hier vergebe ich streng zwei Fragezeichen, da es auch prinzipiell-intuitiv nicht gut sein kann (59.Kf6 verliert auch, drei andere Königszüge halten remis). 59.-Kc4 60.Ke5 Kxb4 61.Kd4 Lg6! (des Pudels Kern, verhindert 62.Kd3 und nun muss der weisse König sich entfernen) 62.Ke3 Kxa5 0-1 - z.B. 63.Kd2 Kb4 64.Kc1 Kb3 und da nun 65.Kb1 illegal ist, kommt langsam aber unvermeidlich a6-a5-a4-a3-a2-a1D. Hatte ich das Ergebnis des Matches bereits erwähnt? 2,5-1,5 für Deutschland. Bogner hatte sich sein Debüt für die Schweizer Nationalmannschaft, ausgerechnet gegen Deutschland, wohl anders vorgestellt. Die deutsche Truppe muss sich aber vermutlich im Turnierverlauf steigern, um auch mal gegen z.B. Team Naiditsch zu spielen.

[P.S.: Während ich an diesem Artikel schrieb, war Kollege Colin McGourty offenbar auch nicht faul. Zwischenzeitlich hat chess24 einen Bericht, in dem der deutsche Sieg gegen die Schweiz als "unglaublich" (defied belief) bezeichnet wird.]

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