Fernschach als Trendsport

Mars Mars NASA, Public Domain

Angefeuert durch immer neue und erstaunliche Entdeckungen der modernen Wissenschaft und früher nicht für möglich gehaltene Bilder ist unser Nachbarplanet Mars wieder zum Renner unserer Fantasie geworden. Spekulationen über die Möglichkeit einer Besiedlung durch den Menschen sind heute handfesten Plänen gewichen. Um den realisierbaren Zeitpunkt ist geradezu ein Wettrennen unter den mehr oder weniger Gelehrten und Interessierten entstanden. Jüngst war zu lesen, dass schon 2018 eine erste bemannte Expedition starten könnte.

Aber hat sich überhaupt mal jemand überlegt, was die Neuzeit-Siedler da oben überhaupt machten könnten außer arbeiten? Was ist mit der Möglichkeit zum sportlichen Wettstreit? Fußball? Unsinn, wegen der geringen Schwerkraft fliegt der Ball Richtung Polkappe! Handball, andere Ballsportarten? Dito! Laufen, Leichtathletik? Wie denn, im Raumanzug?

Ideal ist … Fernschach! Die Vorzüge liegen auf der Hand! Es gehen nie die Gegner aus, denn diese finden sich auch weiter auf der Erde. Die Bedenkzeit wird in Tagen bemessen, so spielt die Übertragungszeit für die Züge von Minimum rund 11 Minuten keine Rolle – zu Postkutschenzeit war auf der Erde nicht einmal der Zeitraum eines Monats ein Problem. Sportkleidung braucht man nicht, eine besondere Sportstätte ebenfalls nicht.

Fernschach wird als Trendsport auf dem Mars nicht zu schlagen sein! Warten wir es ab! Und wer sich heute schon mal warm machen möchte für den zukünftigen Sonnensystem-Cup, der kann die irdischen Angebote des Deutschen Fernschachbundes e.V. nutzen.

Vielleicht also wird die Geschichte des Fernschachs irgendwann um einen neuen Meilen(mars)stein bereichert. Ich werde sie dann unter Schach/Fernschach bei Schachwelt fortschreiben (wenn ich bis dahin nicht selbst Geschichte bin …).

(Bildnachweis: Foto NASA, Public Domain)

Kommentare   

#1 Darth Frank 2013-06-09 23:21
Mars hin oder her, Fernschach ist tot. Totgemacht von starken Engines, Tablebases, Datenbankscores und Computereröffnungen.

Früher haben auch einige Nahschach-Großmeister Fernschach gespielt. Heute entblödet sich kaum ein wirklich starker Nahschachspieler, sich mit teilweise DWZ 1600 Fernschachgroßmeistern zu messen. Wahrscheinlich hätte der „richtige“ GM dank seines Stellungsgefühls noch einen kleinen Vorteil bei gleicher Rechenkraft, das lohnt aber den Aufwand bei weiten nicht mehr.

RIP, Fernschach. (Ich habe es sogar mal selbst gespielt.)
+1 #2 Uwe Bekemann 2013-06-10 20:31
Das Vorurteil, dass man im Fernschach nur seinen Computer anwerfen muss, um Erfolg zu haben, wird sich wohl nie ausräumen lassen. In den untersten Klassen wird es wohl auch kein Vorurteil sein, mit dem Aufstieg aber wird es um so mehr dazu. Leider sind es oft auch mehr oder weniger kompetente Schachfreunde, die in dieses Horn blasen. Und eine DWZ von 1600 bei einem starken Fernschachspieler ist so aussagekräftig wie eine Lattenhöhe von 1.45 Meter im Hochsprung bei einem Stabhochspringer. Meine eigene DWZ liegt dauerhaft knapp über 1600, meine FS-ELO bei rund 2300. Gerne spiele ich eine Fernschachpartie ohne Engine gegen einen Nahschachspieler mit hoher DWZ. Er müsste ja leicht gewinnen, ohne Engines. Soll er kommen! Es gibt heute recht viele Veröffentlichungen zu den Unterschieden von Fernschach und Nahschach. Man muss sich offen und neutral mit ihnen auseinandersetzen, um zu verstehen.
#3 Darth Frank 2013-06-11 10:14
Ich bestreite nicht, dass Fernschach mehr ist als die Engine länger laufen zu lassen als der Gegner. Ich glaube aber, je stärker die Computer werden (Stichwort Chessbase Let‘s check, Cloud-Computing), desto weniger wird dieses „mehr“ eine Rolle spielen. Und da nun mal Computerunterstützung im Fernschach ausdrücklich erlaubt ist, wird sich auch (oder gerade?) auf höherem Fernschachniveau ein gewisses Wettrüsten nicht vermeiden lassen.

Ich schließe jetzt von Post-Mortem-Analysen nach einer Nahschach-Turnierpartie auf Fernschach ohne Engine. Wenn ich (DWZ 2000) mal mit einem 2400er IM analysiert habe, habe ich schnell gemerkt, dass ich keine Ahnung habe. Wenn ich mit einem 1600er analysiere merke ich dagegen meistens, dass der von vielen Sachen keine Ahnung hat. Von daher vermute ich stark, dass ein 2400 DWZ-Nahschachspieler im Fernschach ohne Engine einen 2300 FS-ELO DWZ 1600 mit hoher Wahrscheinlichkeit besiegen wird. Es käme freilich auf einen Versuch an.

Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass es wie Hochsprung und Stabhochsprung verschiedene Disziplinen sind. Fernschach war schon früher eine kleine Nische in einer Randsportart. Von meinen Bekannten, die früher Fernschach gespielt haben, macht es aber mittlerweile niemand mehr (verschiedene Gründe). Wer Spass am Fernschach hat soll Fernschach spielen. Ich will hier auf keinen Fall eine Wertung vornehmen, es gibt aber Gründe dafür, dass die Bedeutung von Fernschach immer mehr schwindet.
+1 #4 Jörg Hickl 2013-06-11 11:11
Mich würde interessieren, wie sich Interessen und Zielsetzungen der Fernschachspieler geändert haben.

Früher war ein Beweggrund wohl der Mangel an Spielpartnern.

Und als weitere Frage: Welchen Einfluss hat Fernschach auf die Nahschachspielstärke? Ich kenne Fernschachspieler, die erheblich mehr Zeit in ihr Hobby investieren als mancher GM und doch die 1700 nicht überschreiten.
Durch das Nischendasein, ist kaum etwas bekannt.

Wie wäre es mit einem Beitrag: Das Leben und Schaffen eines Fernschachspielers?
+1 #5 Thomas Richter 2013-06-11 17:55
Zu meiner und Olaf Steffens Kieler Zeit (ich als Vereinsmitglied, er als regelmässiger Gast) hatten wir mit Joachim Neumann, Ingo Firnhaber und Hans Ziewitz gleich drei sehr starke Fernschachspieler im Verein - Neumann Weltklasse, die beiden anderen waren oder wurden immerhin GMs - die im Nahschach nur Elo 2000-2200 hatten. [Sie sind wohl noch immer in Kiel, wir sind umgezogen].

Es mag viele Gründe geben warum sie im Nahschach vergleichsweise "schlecht" sind, ich spekuliere mal drauf los wobei Computer keine Rolle spielen:
- Nerven am Brett
- nicht in der Lage sich stundenlang _pausenlos_ voll zu konzentrieren
- gewöhnt alle Varianten doppelt und dreifach zu überprüfen, was im Nahschach zu verheerender Zeitnot führt
- nicht in der Lage Varianten fehlerfrei zu visualisieren ohne die Figuren zu bewegen
- und im Fernschach kann man auch Ueberraschungen in der Eröffnung eher abfedern.
Wenn Joachim Neumann laufende Fernpartien gezeigt hat hatte ich jedenfalls den Eindruck, dass er viel mehr vom Schach versteht als man bei seiner Nahschach-Elo vermuten würde.

Man kann das ja auch umdrehen: Warum hat nicht jeder Nahschachspieler, selbst wenn er es versucht und will, im Fernschach dasselbe Niveau?
- keine Zeit oder Geduld um alle Stellungen tiefgreifend zu analysieren
- zu spekulativer Schachstil, was im Fernschach nicht funktioniert.

Es sind eben verschiedene Disziplinen, hinkender Vergleich: ein guter Sprinter ist auch kein guter Marathonläufer und umgekehrt!
#6 Uwe Bekemann 2013-06-11 20:05
Es ist wirklich prima, dass wir diesmal mit ein paar Kommentaren zusammenkommen!

An Darth Frank: Ich denke, dass du mit dem Wettrüsten in den obersten Regionen richtig liegst!
Deine Annahme zum Sieger in der Partie "hohe DWZ gegen hohe FWZ bei niedriger DWZ" halte ich für falsch. Ich selbst spiele seit 1975 organisiert Schach, seit Jahren aber so gut wie nur noch Fernschach. Bis zum zweifachen Stadtmeister in meiner Heimat habe ich es im Nahschach gebracht, in der Liga in NRW bis zur Verbandsliga. Nichts Tolles also, aber auch mehr als Anfängerschach. Meine DWZ (angefangen habe ich noch mit INGO), habe ich mir unter verschiedenen privaten/gesundheitlichen Umständen verdorben und nie das Interesse gehabt, dies wieder umzukehren. Fernschach sagt mir einfach mehr zu.
Ich denke, dass du auch richtig liegst, wenn du die Bedeutung des Fernschachs immer weiter schwinden siehst. Aber ist dies beim Schach nicht generell so?

An Jörg Hickl: Ich höre viele unterschiedliche Gründe. Es können solche persönlicher Art sein, z.B. berufliche und/oder familiäre Bindung, fehlende Mobilität wegen Alters oder körperlicher Umstände etc. Dann können es auch Fähigkeiten sein, die im Fernschach eine Rolle spielen und im Nahschach weniger. Mir selbst gefällt es, der Wahrheit im Schach immer näher zu kommen, also immer näher an den tatsächlich besten Zug heranzukommen. Und dann werden Schwächen im Nahschach im Fernschach unbedeutend, z.B. Lärmanfälligkeit, Anfälligkeit für Aufregung, mangelndes visuelles Vorstellungsvermögen und mehr.
Fernschach kann die Spielstärke im Nahschach heben, aber nicht in allen Facetten. Im Fernschach lernt man beispielsweise die Theorie "spielend".
Ein Beitrag zum Schaffen des Fernschachspielers wäre mal interessant, bedarf aber einer Vorbereitung.

An Thomas Richter: Ich bin in allen Punkten der gleichen Meinung.
#7 Losso 2013-06-11 22:47
Der wichtigste Grund, dass Fernschachspieler nicht zwingend gute Nahschachspieler sind, ist wohl die Tatsache, dass das Gros der Amateurpartien durch Kombinationsgeschick oder grobe Fehler entschieden wird. Das passiert einem mit Rechner nicht.

Die Remisquote im Fernschach ist nicht so hoch, wie man denkt: Mit Remis gewinnt man keine Turniere. Dadurch ist man durchaus geneigt, Risiken einzugehen.
Auf der einen Seite ist Fernschach eine ziemlich wissenschaftliche Beschäftigung mit unserem Sport. Auf der anderen Seite sind nach meinen Betrachtungen die Fähigkeiten, die man zum Erfolg benötigt, inzwischen auf drei wichtige Aspekte zusammengeschmolzen:
1. Eröffnungswahl
2. Erkennen von Situationen, in denen man ein Remis sicher hat, aber auf mehr spielen kann, die der Recher aber noch als remis einschätzt.
(siehe hierzu:
http://losso.blogger.de/stories/1648622/
und
http://losso.blogger.de/stories/1654756/ )
3. Wahl der richtigen Abwicklung in das Endspiel: Bisweilen hat man zwei oder drei Endspiele, die der Rechner mit += einschätzt, wobei eines gewonnen und die anderen beiden remis sind.

Alles andere macht mE der Rechner.
Ich weiß nicht, ob mich das auf Dauer motivieren würde, meinen Beitrag nur in diesen drei Aspekten zu leisten, zumal alles andere ja auch viel Zeit und Kapazitäten bindet, aber wer es nett findet, soll das gerne machen.
#8 Darth Frank 2013-06-12 09:30
Ich habe in meiner Jugend einmal die Vorrunde zur DDR-Jugendmeisterschaft mitgespielt. Mich hat damals die Suche nach dem „objektiv besten Zug“ ohne Zeitdruck fasziniert. Computer gab es noch nicht (bzw. waren exotische Tischgeräte und lachhaft schwach). Ernsthafte Gegenwehr habe ich nur in 2 Partien bekommen. Eigentlich hatte ich mich für die Endrunde qualifiziert, die wurde mangels DDR dann aber abgeblasen mit dem Angebot, zur Deutschen Meisterschaft wieder ganz vorn einzusteigen. Die Quali war völlig für die Katz, das hatte mich ziemlich geärgert. Der DDR habe ich nicht nachgetrauert, ich hätte es aber schon cool gefunden, die DDR-Meisterschaft noch nach dem Ableben des Staates weiterzuspielen.

Auch in der Vorcomputerzeit war das eine erstaunlich zeitintensive Beschäftigung, zumindest wenn man etwas Ehrgeiz hatte. Das war der Hauptgrund, weswegen ich dann auch aufgehört habe. Auch war der Adrenalinkick am Nahschach-Brett irgendwie besser.
#9 Michael Schwerteck 2013-06-12 13:16
Meiner Meinung nach ist das Endspiel der entscheidende Punkt, weshalb Fernschach immer noch nicht tot ist und man auch technisch hochgerüstete Gegner bezwingen kann. Viele Endspieltypen werden auch von den stärksten Engines bis heute falsch eingeschätzt. Dies führt auch dazu, dass etliche Stellungen aus dem Mittelspiel heraus ungünstig abgewickelt werden. Ich habe dies zum Glück schnell verstanden und konnte viele Fernschachsiege genau aus diesem Grund erringen. Auch in der Weltspitze kann man erkennen, dass viele Partien durch Differenzen in der Endspielkompetenz entschieden werden. Mehr dazu in Bälde in einem eigenen Beitrag.
#10 Thomas Richter 2013-06-13 19:13
Dass Fernpartien oft im Endspiel entschieden werden war schon im letzten Jahrtausend der Fall (zumindest bei Joachim Neumann). Um doch im Mittelspiel zu gewinnen [Kommentar von losso] muss man wohl Computer "sinnvoll" einsetzen, d.h. sie gegebenenfalls mit einigen Zügen füttern, um etwas zu finden das zunächst hinter deren Horizont ist. Genauso läuft wohl Eröffnungvorbereitung im Nahschach auf höchstem Niveau - nur so kann man den Gegner (der ja auch eine Engine hat) eventuell überraschen.

Zu Fernschach und Computerhilfe hatte ich übrigens mal eine Diskussion mit Dennis Monokroussos der mich zunächst nicht bzw. falsch verstanden hatte. In den USA ist das nämlich, offenbar anders als in Europa und weltweit, ausdrücklich verboten. Das sind wohl verschiedene Philosophien: die einen denken, dass ein Verbot das sich nicht überprüfen lässt sinnlos ist. Die anderen glauben, dass sich alle (oder zumindest fast alle) an einen Ehrenkodex halten.

Zu "Was bringt Fernschach für die Spielstärke im Nahschach?": Ich schweife mal ab zum anderen Extrem: Was bringt blitzen im Internet? Das mache ich seit kurzem (Neben- oder Nachwirkungen meines Beitrags "Frankreich nach der Wahl"), derzeitiger Score +246=34-236 bei 312 verschiedenen Gegnern mit Eloschnitt 2069. Dafür spricht: man bekommt viele verschiedene Eröffnungen vorgesetzt und kann selber auch schnell(!) einiges ausprobieren. Ausserdem habe ich, da ich nun mal in der Provinz wohne, im Nahschach kaum Gegner der Kategorie 2000+ (schon gar nicht 2200+). Alejandro Ramirez sagte mal, dass er dank ICC erster und einziger GM aus Costa Rica wurde.

Dagegen spricht: man kann die Zeit die man dafür verwendet vielleicht anders sinnvoller verwenden? Denn es ist zwangsläufig oberflächig. Und Fernschach ist da das andere Extrem wo man einige ganz wenige Stellungen sehr tiefgreifend analysieren kann und muss.

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