FIDE-freie Hansestadt Bremen

Der Bremer Roland, Wahrzeichen der Hansestadt Der Bremer Roland, Wahrzeichen der Hansestadt Gibe/ Wikicommons

Die Osterwoche ist seit jeher berühmt dafür, viel Schach an vielerlei Orten zu bieten. Große Open in Norderstedt (bei Hamburg), Oberhausen (im Pott!) und Deizisau (irgendwo im Süden) öffneten gestern ihre Pforten, und am letzten Sonntag gingen – wenn auch noch ganz unösterlich – die Europameisterschaften in Bulgarien zu Ende.

Auch für ganz offizielle Turniere scheint die Osterwoche ein idealer Zeitpunkt zu sein. Seit die ersten Menschen mit ihren Schachbrettern aus dem Urschlamm krochen und sich an festen Orten niederließen, spielt man in Schleswig-Holstein und ebenso in der Freien Hansestadt Bremen in diesen Tagen die Landesmeisterschaften aus. Das ist gute Tradition und lockt jeweils viele Schachbegeisterte an. In Bremen sind ungefähr zehn Prozent der Vereinsspieler am Start – eine gute Quote.

Ich nehme in diesem Jahr das erste Mal seit mehreren Jahren wieder teil und bin sehr angetan von dem Rhythmus des Bremer Turniers. Die Bremer Schachgesellschaft, oft und zu Recht als altehrwürdig gepriesen, richtet die Meisterschaften zusammen mit den Schachfreunden Bremer Osten im Bürgerhaus Mahndorf aus. Woran denkt man, wenn man „Mahndorf“ hört? Ich weiß es nicht, aber es liegt im äußersten Südosten Bremens, die Stadtgrenze ist schon fühlbar, und Züge und Straßenbahnen fahren fast direkt dorthin. Mahndorf, ein idealer Ort für Schachturniere!

schach-badenbaden12

Der nächste Zug nach Mahndorf kommt bestimmt

Gespielt werden satte neun Runden an acht Tagen. Am Anfang gibt es eine flotte Doppelrunde, ansonsten aber ist jeweils  nur eine Partie am Tag angesetzt. Sie beginnt um 17 Uhr und kann maximal 6 Stunden dauern (schöne alte Bedenkzeit-Regelung!). Danach fährt man mit der Straßenbahn aus dem Vorort wieder nach Hause, schläft ein bisschen, und der nächste Tag ist schachfrei, wenn man es denn will. Aber die Schachfreiheit währt täglich nur bis 16:07 Uhr, denn dann fährt die Straßenbahn ab Kurfürstenallee wieder los nach Bremen-Mahndorf, und der nächste Gegner lauert schon am Brett.

Vom Turnier kann man mehr erfahren auf der Seite www.bremereinzel.de. Heute um 10 Uhr beginnt die vorletzte Runde, und absolut live und mit echten Zügen wird die Partie am Spitzenbrett ins Netz übertragen. Eine schöne Idee! Wer gucken möchte, findet dort heute die Begegnung von Tobias Jugelt, dem starken IM aus Delmenhorst und nach DWZ Turnierfavorit. Er tritt an gegen Timur Elmali vom SV Werder Bremen. Timur ist zurück auf der Schachbühne nach ungefähr fünf Jahren Pause .  Das hat seinem Schach aber nicht geschadet – die letzten beiden Runden gewann er mit Schwarz in beeindruckender Manier gegen Rolf Hundack und Peter Issing, die beide gestandene Oberliga-Spieler der Bremer SG sind.

(Ob auch unserem Schach eine mehrjährige Pause  gut tun würde? Vielleicht ist es so, aber – was machen wir dann bloß mit der ganzen freien Zeit? )

Mir gefällt das Turnier! Und nur ganz am Rande – die FIDE-Regeln sind noch nicht ganz bis Bremen vor- bzw. eingedrungen, und das gefällt mir umso mehr. Die neuen Turnierregelungen, die Stefan Löffler hier erst vor kurzem und ganz zu Recht monierte, greifen hier noch nicht. Und trotzdem geht alles gut:

-     - man spielt mit fester Bedenkzeit – zwei Stunden für vierzig Züge. Einen Aufschlag gibt es nicht, keine 30 Sekunden extra für niemanden. Mir sagt das mehr zu – irgendwie kommt mir mein Zeitkonto überschaubarer vor, und ich verstehe viel besser, wieviel Zeit mir nun eigentlich noch bleibt.

schachuhr

Z   Zwei Stunden, vierzig Züge - was mehr kann man sich wünschen?

-     - nach vierzig Zügen gibt es eine Stunde extra für jeden Spieler – dann muss die Partie beendet sein, denn irgendwann wollen die Schiedsrichter ja auch mal nach Hause kommen. Aber eine Stunde extra – wo gibt es sowas noch? Es ist wunderbar. In vielen Ligapartien ist man oft gerade durch die erste Zeitnot geeilt, steht zitternd vor der Tür und erholt sich von den letzten ungenauen Zügen – und schon tickt die Uhr wieder und steht schon bei 19 Minuten Restbedenkzeit. Das ist massiv wenig – auch wenn die Minuten hier weniger schnell nach unten zählen aufgrund des dann üblichen Zeitaufschlags von 30 Sekunden. Und dennoch – es ist ein tolles Gefühl, nach der Zeitnot wieder 60 neue Minuten auf der Uhr zu finden. Was für ein Luxus!

-     - Wer zu spät kommt, der verliert dann eben – so ähnlich formulierte es nicht nur schon Michail Gorbatschow, sondern neuerdings auch die FIDE und das Reglement der Deutschen Meisterschaften. Die bedenkliche Bedenkzeitregelung bestraft auch ein um zehn Sekunden verspätetes Erscheinen mit sofortigem Partieverlust, Führerscheinentzug und  Sportschauverbot. Kein Komfort mehr und kein fliegender Start in die Partie! Das führt dazu, dass alle wie festgeklammert an ihren Tischen sitzen, wenn die Rundeneröffnung droht. Doch nicht so auf den Bremer (und wohl auch nicht den schleswig-holsteinischen) Meisterschaften. Der Zug aus der Innenstadt kommt erst um drei nach fünf? Kein Problem! Dann fängt der eine Spieler eben etwas später an. Wen soll das auch groß stören? Gens una sumus. Danke an den Bremer Landesschachbund!

flop 1000

D   Die FIDE - manchmal meint sie es einfach zu gut mit uns

-     - Wer will, darf auch Remis machen. So einfach kann das sein. Sofia-Regel – wer ist diese Sofia? Und warum kann sie entscheiden, wann man Remis machen darf? Nett auch, dass die Schiedsrichter in Bremen uns Spieler nicht nullen, wenn wir a) zu früh Remis machen (vor dem 40.Zug), oder wenn wir b) Remis machen, ohne dass ein Schiedsrichter in der Nähe war. Wie von Thomas Richter sehr schön beschrieben, sahen wir das alles schon ganz anders auf den letzten Europameisterschaften!  So gesehen bin ich im Nachhinein doch ganz froh, dass ich nicht für Bulgarien nominiert wurde – auch wenn ich schon gerne mal mit Arkadij Naiditsch und Richard Meyes in einer Mannschaft gespielt hätte.

Also: Bremer Meisterschaften. Die nächste coole Sache. Es geht auch ohne FIDE-Hardcore – schön, dass es (noch) so ist.

PS: Viele Grüße auch nach Deizisau, was natürlich ein schönes Städtchen ganz in der Nähe von Stuttgart ist!

**********************************************

Nachtrag am 10.April 2012:

Neuer Bremer Meister wurde Tobias Jugelt vom Delmenhorster SK mit 8 Punkten aus 9 Partien, vor Stephan Buchal (Werder) und Rolf Hundack (Bremer SG). Bremer Damenmeisterin wurde Maike Janiesch (Werder). Herzlichen Glückwunsch!

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Die Teilnahme an unserer Kommentarfunktion ist nur registrierten Mitgliedern möglich.
Login und Registrierung finden Sie in der rechten Spalte.