Dieser Artikel war bereits einige Zeit geplant. Ich werde nur ein bisschen auf diesen Weltcup eingehen, es sind vor allem allgemeine Überlegungen. Auslöser waren generell Kommentare auf Chessvibes: einige nannten das Format eine (reine) Lotterie bzw. schrieben schlichtweg "it sucks", für andere ist oder war dieses Turnier das Aufregendste aller Zeiten - wobei da vielleicht immer das jeweils letzte aufregende Turnier das Aufregendste der gesamten Schachgeschichte ist? Speziell werde ich auch noch auf zwei Artikel von Bartek Macieja eingehen (Part I und Part II), und dann kam noch Stefan Löfflers letzter Schachwelt-Beitrag. An sich wollte ich meinen bereits Freitag (also davor) schreiben oder veröffentlichen, aber dann nutzte ich diesen Tag u.a. für ein (letztes anno 2013?) Bad in der Nordsee und blieb auch hängen bei der Liveübertragung aus Tromsö.
"Vergessen" wir zunächst einmal, dass der Weltcup Teil des WM-Zyklus ist, was wäre dann der Reiz dieses Turniers? Wo sonst haben relativ unbekannte Spieler die Chance, sich mit der absoluten Weltspitze zu messen und vielleicht sogar den einen oder anderen Favoriten zu stürzen? Sowohl junge Spieler (Wei Yi war einer, aber nicht der Einzige) als auch Oldies wie Granda Zuniga als auch Spieler die Einladungen zu Superturnieren verdient hätten aber noch keine bekommen (Korobov). Schön und gut, mag man einwenden, aber das ginge doch auch wenn der Weltcup keine WM-Quali wäre? Dann wäre es wohl schwieriger, soviel Preisgeld aufzutreiben und - mit oder vor allem ohne derlei Anreize - fast alle Weltklassespieler zur Teilnahme zu motivieren. Ich nehme dafür auch den Kollateralschaden in Kauf, dass nun "ein Andreikin" im Kandidatenturnier dabei ist - zumal es in dieser Form (Elo-Aussenseiter und nur aufgrund seiner Schnellschachkünste) selten bis einmalig ist. Es ist ja nur eine von mehreren Möglichkeiten, um sich für das Kandidatenturnier zu qualifizieren - Andreikin ist nicht etwa bereits (Vize-)Weltmeister. Wenn wir schon beim Preisgeld sind: Alle bzw. fast alle "Profis der zweiten Reihe" (Ausnahme nur die Ausrichter-Freiplätze) mussten sich für den Weltcup qualifizieren bzw. (presidential nominees) schachlich etwas vorweisen. Ganz einfach war das wohl nicht, zumindest schaffte es diesmal kein einziger deutscher Spieler. Dafür gab es dann netto 4,800$ Antrittsgeld.
Macieja zitiert zunächst Titelverteidiger Peter Svidler: "der Weltcup-Sieger braucht jede Menge Glück, gute Nerven und noch ein bisschen Glück". Da war Svidler vielleicht doch zu witzig oder zu bescheiden: ganz ohne gutes Schach geht es wohl nicht? Auch in Tiebreaks braucht man eine gewisse Spielstärke UND muss diese umsetzen oder beweisen. Dann berechnet Macieja, dass der an eins gesetzte Aronian je nach Rechenmodell nur 11 bzw. 14% Chancen hatte, das Turnier zu gewinnen, seiner Meinung nach viel zu wenig. Selbst wenn man Elo für das Mass aller Dinge hält, sollten doch Caruana und Kramnik (fast) dieselbe Chance haben, 5-10 andere Spieler realistische Chancen und mehr als 100 andere theoretische Chancen (eben mehr als 0%)? Insofern sind diese Zahlen nicht überraschend, in einem Turnier nach Schweizer System oder einem furchtbar langen Rundenturnier mit 128 Teilnehmern wären Aronians Chancen, statistisch gesehen, wohl nicht viel besser? Am Ende des zweiten Artikels steht "to be continued", darauf (bessere Ideen?) warte ich über zwei Wochen später immer noch voller Spannung. Immerhin erwähnte Macieja, dass "demonstrating your highest chess skills" auch eine Rolle spielt (und daran scheiterte Aronian?). Einzelne Tiebreak-Matches waren vielleicht eine Lotterie - der Verlierer war nicht schlechter, aber auch nicht besser als der Sieger - aber das heisst doch nicht dass das gesamte Turnier reine Glücks- und etwas Nervensache ist.
Wenn man am Weltcup-System etwas kritisieren kann, dann die fehlenden Ruhetage - es sei denn, man vermeidet Tiebreaks. So nimmt die Müdigkeit und damit die Fehlerquote stets zu, und manche Spieler gönnen sich mit Kurzremisen in den klassischen Partien extra Ruhetage. Aber wer will schon mehr als drei Wochen in Tromsö oder wo auch immer verbringen? Ausserdem ist der Weltcup zwar vielleicht für einige Spieler das wichtigste, aber bei weitem nicht das einzige Turnier im zweiten Halbjahr 2013. Der Weltcup endet (für die Finalisten) am 3. September, kurz danach beginnt der letzte FIDE Grand Prix (18.9.-2.10., allen Unkenrufen zum Trotz tatsächlich in bzw. nahe Paris). Dann z.B. die russische Meisterschaft (4.-15.10.), European Club Cup (19.-27.10.), Europa-Mannschafsmeisterschaft (6.-26.11.) und Mannschafts-WM (1.-11.12.). Karjakin und Svidler wollten vielleicht ursprünglich alle sechs Turniere spielen; inzwischen haben sie (wie auch mal wieder Radjabov) für den FIDE Grand Prix abgesagt.
Zur schachlichen Ausbeute des Weltcups: Da wäre zumindest (Weltcup-spezifisch) Nepomniachtchi - Wei Yi, Wei Yi - Shirov und Korobov - Nakamura. Das eine oder andere Favoritenduell, nicht nur Kamsky - Mamedyarov, war sicher auch hochinteressant. Und wenn man sich die Mühe macht, alle 256 klassischen Partien zu betrachten (zwei werden noch gespielt), findet sich wohl auch noch das eine oder andere - mal abgesehen davon, dass auch Schnellschach nicht immer grottenschlecht ist.
Tromsö als grosser Verlierer des Weltcups? Es lässt sich sicher nicht auf Euro, Dollar oder norwegische Krone genau ausrechnen, aber das Turnier war wohl auch touristische Reklame. Chessbase und Chessvibes machten brav mit und zeigten (wie bereits für die Region Stavanger) jede Menge hübsche bunte Bilder von Tromsö und Umgebung.
Und dann noch zum Livekommentar: Zu Susan Polgar "kein Kommentar", da habe ich zu wenig mitbekommen. Short ist sicher unterhaltsam und versteht vom Schach jede Menge, einiges hätte er sich meiner Meinung nach sparen können. Da wäre das Gustafsson-Zitat zum deutschen Team bei der Mannschafts-EM ("all players hated each other"), ob er das - abends beim Bier erwähnt (?) - so zur Veröffentlichung freigegeben hat? Ja, Gusti hat seinen eigenen Humor, aber das wissen nicht alle internationalen Zuhörer. Ebenso aus meiner Sicht unnötig, dass Short nach der Marathonpartie Kramnik - Vachier-Lagrave seine Alternative zu Kramniks 40.h5 ausführlich analysieren liess: die Spieler waren müde, ten Geuzendam und Short hatten gar nicht damit gerechnet, dass sie noch vorbeischauen würden. Dann muss Short doch nicht versuchen zu beweisen, dass er besser gespielt hätte als Big Vlad - zumal in dem Rahmen nicht mehr herauskommen konnte als "Weiss steht (hier wie da) besser und hat praktische Chancen, objektiv ist es wohl remis". Zwei Tage später kam Kramniks "Rache": Short war sich sicher, dass das Endspiel gegen Andreikin (2 Türme gegen Dame mit jeweils drei Bauern) glatt remis ist, Kramnik bewies das Gegenteil. Kein Vorwurf an Short, dass er sich irrte, aber vielleicht sollte man etwas vorsichtiger formulieren? Insgesamt kleine Kritikpunkte: Schachspieler machen Fehler, Kommentatoren auch. Den besten Livekommentar aller Zeiten gab es meiner Meinung nach übrigens im ansonsten schlecht geredeten WM-Match Anand-Gelfand: neben Short auch noch Timman, Leko, Lautier, Svidler und Kramnik. Die beiden letzten sind für mich Kommentar-Weltmeister, und auch Leko hat bei der Gelegenheit einige Sympathien gewonnen - auch von Leuten die ihn sonst nicht mögen. Svidler, Kramnik sowie Grischuk und noch einige andere kommentierten an anderen Tagen auch auf Russisch. Das ging vergleichbar beim Weltcup natürlich nicht, da einige selbst spielten, und ganz billig war dieses Expertenteam vermutlich nicht.
Kommentare
Natürlich, das wäre ' korrekter ' gewesen.
Nur, der gemeine - sic! - Hobbyschachspieler möchte auch gut - sprich manchmal auch very naughty - unterhalten werden. Da geht eigentlich nichts über Nigel, maybe noch Garry, der aber unbezahlbar ist.
Verbesserungswürdig ist vielleicht noch der sidekick. Der Pastor, der gestern neben ihm sass, gereichte noch nicht einmal Sancho Panza.
Es kam die Frage über Twitter, ob eine Heirat einen Spieler positiv oder negativ beeinflussen würde.
Short antwortete lang und breit, dass er nach seiner Heirat 1987, sowie nach der Geburt seiner Tochter und auch seines Sohnes tolle Erfolge feiern konnte. Er kam zu dem Schluss, dass er noch mehr Frauen hätte heiraten und mehr Kinder hätte haben sollen.
Daraufhin erinnerte sich ten Geuzendam daran, dass Radjabov in London ein Tief hatte und viele das damit erklärten, der "Arme" werde ja gerade Vater.
Short lachte und antwortete: "We like gossip!"
Tolle Unterhaltung, wenn man bedenkt dass sie natürlich ausreichend auf das schachliche Geschehen eingehen. Man kann doch schliesslich nicht 4-6 Stunden lang nur über Varianten reden, vor allem wenn gegen Ende des Turniers nur noch eine Partie läuft.
Da konnten Trent und Polgar noch aus dem Vollen schöpfen. Trent für mich übrigens Note 1. Schachlich fundiert und bringt die Emotionen voll rüber. Polgar wäre alleine hilflos, war aber im Duo mit Trent völlig ok.
Unterschreib ich sofort.
Polgar sehr ermüdend, Trent erfrischend, doch anscheinend von ihr auch irgendwie gehemmt. Hab ihn sonst noch wesentlich lebhafter in Erinnerung.
Neben Nigel der Topkommentator.
Knapp dahinter King und dann die Deutschen.
Insgesamt gesehen überraschend erfreuliche Entwicklung.
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