Grenzwertige Grenzgänger

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Die wunderschöne Schweiz erinnert mich immer an das aus Asterix & Obelix wohl bekannte letzte gallische Dorf, das den Römern noch erfolgreich Widerstand leistet. Unser Nachbarland trotzt dabei nicht nur der allgewaltigen EU, auch die Schachuhren scheinen im Land der Uhrmacher langsamer zu laufen. Noch immer gelten in den letzten Jahrzehnten nur leicht modifizierte Ausländerbeschränkungen. So darf in einer Mannschaft nur ein, im Ausland wohnhafter, Nichtschweizer eingesetzt werden. Eine Sondersituation besteht für Spieler, die zwischen 1994 und 98 mindestens 20 Partien in schweizer Ligen absolvierten. Die sog. Schachschweizer sind Inländern gleichgestellt.
Aufgrund der Insellage limitierten diese strikten Regeln grenznahe Vereine ohne entsprechendes Hinterland. Um diesen den Betrieb zu erleichtern, schuf man den Spielertypus des sogenannten Grenzgängers. Spieler, die im benachbarten Ausland nicht weiter als 20km Luftlinie von der Landesgrenze ansässig waren, wurden ebenfalls Inländern gleichgestellt. Mit diesem Regelwerk konnte man lange Zeit gut leben, auch wenn es einige Blüten trug. Unter anderem wurden Grenzgänger der Nordschweiz zuweilen südlich der Alpen eingesetzt.
Der aufgrund des Ausländermangels stark begrenzte Spielermarkt beschränkte ambitionierte Newcomermannschaften erheblich. So auch Réti Zürich: Frisch aus der zweiten Liga aufgestiegen, hegte man umgehend Meisterschaftsambitionen und suchte krampfhaft nach Verstärkungen. Der Ausländerplatz war mit dem weltklassegroßmeister Alexey Dreev schnell besetzt, doch dies alleine reichte nicht - aber woher die Spieler nehmen? Hilfe versprach die Auslegung des Reglements nach eigenem Gusto: Man einigte sich mit den deutschen Spielern Tobias Hirneise und Sebastian Bogner (Mitglied der deutschen Nationalmannschaft auf der letzten Schacholympiade!), einen deutschen Zweitwohnsitz grenznah zu beantragen um so den  wichtigen Grenzgängerstatus zu erlangen.
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bannersr400anz Der Verdacht auf Briefkastenadressen lag hierbei natürlich nicht fern, und die Mitkonkurrenten legten Protest ein. Der Leiter der Nationalliga A, Markus Angst, entschied diplomatisch, es gäbe nichts zu entscheiden und so wanderte der Fall zur nächst höheren Instanz, dem Verbandsschiedsgericht. Dieses ordnete an, dass bis zum 12.04. Unterlagen einzureichen seien die belegen, dass Wohnsitz auch gleichbedeutend mit dem Lebensmittelpunkt sei. Zusätzlich ging es um Anmeldebescheinigungen und Informationen, wie oft und wie lange man am fraglichen Wohnsitz lebt, wo man arbeitet oder studiert usw.. Es erinnert etwas an den Fall Boris Becker, dem vor Jahren nachgewiesen wurde, dass er mehr als 185 Tage/Jahr in Deutschland verbrachte und somit hier steuerpflichtig wurde.
Der Verfügung wurde nicht oder nur unzureichend nachgekommen. Am Freitag sperrte der Verband die Spieler Bogner und Hirneise für weitere Einsätze in der schweizer Liga!
Réti Zürich gehört damit noch immer zu den Topmannschaften der Liga, muss aber die Poleposition aufgeben.

Ewas irritierend wirkt die Tatsache, dass Sponsor und Mannschaftsführer Réti Zürichs der voraussichtlich kommende Präsident des Schweizerischen Schachbundes, Prof. Dr. Adrian Siegel, ist.
Hopp Schwyz!
Jörg Hickl

Großmeister, Schachtrainer, Schachreisen- und -seminarveranstalter.
Weitere Informationen im Trainingsbereich dieser Website
oder unter Schachreisen

Webseite: www.schachreisen.eu

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