Großmeister in knapp zehn Tagen (1)

Variantenbaum in der Bremer Innenstadt Variantenbaum in der Bremer Innenstadt O.St.

Meine letzte Liga-Partie war nicht so dolle. Ich verlor, und entfernte mich damit wieder ein bisschen weiter von Magnus Carlsen in der Weltrangliste. Schade! 

Nun werde ich einige Großmeister in knapp zehn Tagen in Travemünde sehen, und auch viele andere Spieler, wenn an der Ostsee wieder das Open stattfindet. Wahrscheinlich sollte ich vorher aber noch dringend trainieren und das Berechnen von Varianten üben. Sonst wiederholt sich die Geschichte – und die begann am vergangenen Sonntag morgen in Bremen.

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Von außen eher unscheinbar – doch im Inneren ein starker Schachverein und eine prima Caféteria!


Wir Bremer spielten in der Zweiten Bundesliga Nord und waren zum Hamburger SK gereist, Heimat so legendärer Schachspieler wie Niklas Gustafsson, Jan Huschenbeth, Karsten Müller, Dirk Sebastian, Uwe Seeler und Paul Doberitz. Aber Moment – Paul Doberitz?
Es mag wohl sein, dass ihn abseits von Elbe und Alster noch nicht so viele kennen. Doch obwohl er einige Male gähnen musste ob der frühen Uhrzeit (Spielbeginn war ja schon um 11 Uhr), hat der junge Hamburger mich locker geschlagen am letzten Sonntag. Vielleicht hören wir also noch von ihm.
Falls er es einmal wie Magnus Carlsen in die Top Ten der Live-Weltrangliste schafft, würde es mir helfen, meine unschöne Niederlage vom letzten Sonntag besser zu verkraften. Ich drücke ihm die Daumen!

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Stefan Sievers – noch lächelt der Hamburger IM, aber gleich ist seine Partie schon Remis (am ersten Brett gegen Gennadiy Fish)

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Merijn van Delft – gutes Karma, und ein sorgenfreies Remis gegen Gerlef Meins


Hamburg ist ja immer wieder eine Reise wert. Dennoch hätte ich wohl besser zu Hause bleiben sollen, denn böse Vorzeichen hatten schon früh die Niederlage angekündigt. Hätte ich sie nur weiser zu deuten gewusst!
Erst überraschte mich die Bio-Milch mit einer leicht unangenehmen Geschmacksnote, so dass ich mich zu einem zehnminütigen Spaziergang zur nächsten Tankstelle gezwungen sah. Auf dem Rückweg bemerkte ich, dass der Bäcker nebenan auch schon auf gehabt hätte – es war ja schon nach acht. Ich war wohl noch nicht ganz auf der Höhe, und das bestätigte sich auch, als ich nach dem Frühstück dann ohne Schlüssel aus dem Haus ging. Zum Glück war meine Frau noch in der Wohnung - da freut man sich!

Um die Nerven meiner Mannschaftskollegen zu schonen, sagte ich ihnen von alledem natürlich nichts – sollte ich verlieren, könnte ich zu meiner Verteidigung immer noch hinterher davon erzählen.
Nach prophylaktischem Lamentieren aber stand mir nicht der Sinn, ich wahrte mein Pokerface und begann meine Partie im Herzen der Hamburger Talentschmiede mit einigen halbwegs soliden Zügen:

Doberitz,Paul - Steffens,Olaf [B06]
Hamburger SK II - Werder Bremen II, 11.12.2011

1.e4

Ein gelungener Auftaktzug.

1...g6

Ebenfalls sehr schön!

2.d4 Lg7 3.Sc3 d6 4.Le3 a6 5.f4 b5

doberitz - steffens 1

Der Patent-Aufbau von Tiger Hillarp Persson, dem schwedischen Großmeister, der darüber sogar ein inspirierendes Buch geschrieben hat („Tiger´s Modern“).

6.a3

Subtil. Wenn Weiß so etwas spielt, kann man nie genau sagen, ob er diesen Zug aus Verlegenheit oder aus tiefer Kenntnis spielt. Man ahnt es schon - bei Paul war es tiefe Kenntnis!

6...Lb7 7.Sf3 Sd7 8.Le2

Ich hatte diesen Aufbau im Buch schon gesehen, konnte mich aber nicht mehr genau erinnern und durfte aus Gründen der Mannschaftsdienlichkeit auch nicht im Buch nachschlagen. Die bösen morgendlichen Omen schienen sich zu bewahrheiten. -
Schwarz würde hier gerne 8… c7-c5 spielen, doch nach 9.dxc5, Sxc5, 10.Le3-d4 kam mir meine Stellung irgendwie weich vor (nicht zuletzt wegen 10…..Sg8-f6, 11.e4-e5!).

Das Buch, in das ich nicht schauen durfte, empfiehlt das geduldige 8…..Tc8, und danach eben wieder 9….c7-c5. In der Ld4-Variante ginge dann einfach die Antwort Sg8-f6.

8...Sgf6?

Goldene Regel in dieser Eröffnung: Spiele nicht Sg8-f6, wenn der Springer mit e4-e5 einen Schubs bekommen kann. („Spel inte Sg8-f6, om Springer med e4-e5 göra en mjuk knuff få.“). Ich kannte diese Regel, aber alle anderen Züge gefielen mir noch viel weniger.

9.e5 Sd5

[9...Sg4 10.Lg1 c5 11.e6 fxe6 12.Sg5 machte mir Angst.]

10.Sxd5 Lxd5 11.0-0 0-0

doberitz - steffens 2

Alles gut? Nein, im Gegenteil: eine prima Stellung, um sich Sorgen zu machen! Eine schöne Sorge dreht sich beispielsweise um einen weißen Angriff mit b2-b3 und c2-c4. Paul wählt einen anderen Plan und fasst meinen König ins Visier.

12.De1

Auf nach h4, und dann f4-f5 und Lh6 und Sg5. Matt in sechs Zügen, wenn man sich nicht wehrt! Schwarz hält deshalb im Zentrum dagegen und öffnet schnell ein paar Linien. Besser wird es dadurch aber nicht.

12...c5 13.Td1!

doberitz - steffens 3

Zeigt sowohl die Nachteile des Zuges c7-c5 als auch der Läuferstellung auf d5 auf. Weiß droht mit d4xc5. Unangenehm!

13...e6

Weil mir c5-c4 nicht sinnvoll erschien, deckte ich den Läufer auf d5. Allerdings – auch dieser Zug passt wiederum nicht ins Konzept, denn nun werden die schwarzen Felder/ Bauern weich.

14.exd6 c4

doberitz - steffens 4

Macht nun doch erstmal alle Linien zu und plant, den Bauern auf d6 nun nach und nach zu umzingeln. Dennoch, die schwarze Stellung wirkt irgendwie schon verdächtig.

15.Ld2!

Wow - ein hübscher Zug von Paul, den ich gar nicht gesehen hatte. Der Läufer kommt seinem Bauer d6 vom Feld b4 aus zu Hilfe - und nimmt von dort gleichzeitig auch den Turm f8 ins Visier.
Zwar geht nun 15….Lxf3 16.Lxf3, Lxd4+ mit dem Rückgewinn des Bauern, doch den weißen Figuren öffnen sich dabei alle Linien.
Auch 15….a5 überlegte ich, um den weißen Läufer außer Spiel zu halten. Leider kann ich dann aber nicht mehr den Bauern d6 schnappen, ohne selbst meinen Bauern auf a5 zu verlieren. Schade! Möglich scheint allerdings 16.Sf3-e5, Sd7-b8!? nebst f7-f6, Sb8-c6 und erst dann Dxd6. Leider sehe ich solche Varianten nicht während der Partie!
Immerhin tauchte noch eine dritte Idee auf – verbunden mit einem „verwegenen“ Qualitätsopfer. Dieses Opfer ergab sich aber nur aus reiner Not – denn alle anderen Züge erschienen mir noch schrecklicher.

15...Sf6!? 16.La5 Dxd6 17.Lb4 Dxf4 18.Lxf8

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Und nun? Hier überlegte ich leider nur ziemlich kurz und entschied mich dann auch ziemlich falsch.
Wie schon gesagt: die nächsten Trainingseinheiten sollten sich wohl um das sorgfältige Variantenrechnen drehen.

Rätsel: Schwarz kann     

a) den Läufer f8 mit dem Turm a8 schlagen und sich über das Läuferpaar freuen oder

b) den Zwischenzug Sg4 einflechten und die gewaltigen Drohungen Lxf3 nebst Dxh2 matt aufstellen.

Was empfehlen die geneigten (und für den Kommentarbereich schon registrierten) Leser?

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Peter Lichman hat keine Lust auf Remis – irgendwie haut der junge Bremer in der Liga einfach alle um.
(... und nun sogar auch den ungarischen Großmeister Richard Rapport in einem Schaukampf!)

emanuel lasker und sein bruder bertold

Überraschender Besuch im Analyseraum des HSK: Emanuel Lasker und sein Bruder Bertold
                                                                                     Foto: Frank Eugene (Wikicommons)

(Teil 2 des Artikels folgt demnächst.)


Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Kommentare   

#1 Holger Hebbinghaus 2011-12-18 22:59
Ein geneigter und registrierter Leser empfiehlt, dass du Peter Lichman nach seiner Trainingsmethode befragst. Vor drei Monaten hat Peter noch beim Jute-Cup gegen mich verloren, jetzt hat er 3,5/4 in der zweiten Liga und in einem Schaukampf gegen einen GM gewonnen (ok, gegen einen GM hat er auch schon beim Jute-Cup gewonnen) - da muss die Trainingsmethode wirklich gut sein.
Außerdem möchte ich anmerken, dass a) Stefan Sievers aus mir unbekannten Gründen noch kein IM ist und man sich b) immer über das Läuferpaar freuen sollte, besonders wenn man der Versuchung widerstehen konnte, einen Zug auszuführen, der besser aussieht als er ist. :lol:
#2 Olaf Steffens 2011-12-19 19:47
Hallo Holger,

jau, vielen Dank für Deine Rückmeldung. Vielleicht ist der Trick, dass man gegen Dich verlieren muss, um dann in der Liga 3,5 aus 4 zu machen. Sollten wir mal ausprobieren.
Ansonsten hast Du Recht, alter Stratege: das Läuferpaar wäre eine schöne Sache gewesen. (aber Dein Rat kam zu spät!)

Und was ist das mit Stefan Sievers? Er ist zumindest gefühlter IM, würde ich sagen. Der offizielle Titel wird schon irgendwann noch kommen.

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