Grünfeld ist wieder da

Glaubte nicht an seine Eröffnung: Ernst Grünfeld (1890-1962) Glaubte nicht an seine Eröffnung: Ernst Grünfeld (1890-1962) Wikimedia

Gelfands Schwarzwahl Grünfeldindisch ist das bemerkenswerteste, was diese WM bisher gebracht hat. Viele haben in den letzten Tagen daran erinnert, dass ihr Erfinder, der Wiener Ernst Grünfeld, selbst erwartete, dass seine Idee binnen einiger Jahre widerlegt würde. Diese Eröffnung hat der israelische Großmeister mit Schwarz bisher nie gespielt. Im Gegenteil hat er früher als Weißspieler dafür gesorgt, sie (mit der 8.Tb1-Variante) zeitweise stark unter Druck zu bringen. Er traute sich diese Eröffnung gegen Anand, der sie selber spielt. Und Gelfand tat es trotz der miserablen Bilanz, die Grünfeldindisch zuletzt in WM-Kämpfen hat.

Grünfeldindisch war Kasparows vorbereitete Überraschung für sein WM-Match 1986 gegen Karpow, und die Eröffnung hätte ihn fast den Titel gekostet. Gleich drei Partien verlor er damit. 1987 spielte er es trotzdem wieder, verlor nur einmal und gewann sogar eine, als Karpow einer Zugwiederholung auswich. 1990 spielte Kasparow viermal Grünfeld und verlor wieder eine damit. 2000 in London gegen Kramnik brachte er Grünfeld in seiner ersten Schwarzpartie, verlor und machte den Rückstand nie mehr wett. Danach traute er sich Grünfeld in diesem Match nicht mehr, obwohl er damit die meiste Zeit in seiner Vorbereitung verbracht habe. Sich auf diese Eröffnung eingelassen zu haben, bezeichnete er hinterher als entscheidenden Fehler. Es gäbe einfach zu viele Risiken. Danach war auf WM-Niveau ein Jahrzehnt Ruhe mit Grünfeldindisch, bis es Anand 2010 in der ersten WM-Partie gegen Topalow auspackte. Und gleich voll einfuhr (Topalow landete einen Vorbereitungssieg) und anschließend zum Damengambit wechselte.

Anands bisherige Weißpartien gegen Grünfeld machten nicht unbedingt Angst, zumal der Inder mit dem Db3-System, 5. Ld2 und im Abtauschsystem mit Le3 mit und ohne Sf3 zuletzt fast immer variiert hat. Nun hat Gelfand mit Rodshtein und Huzman zwei Sekundanten, die eingefleischte Grünfeld-Experten sind. Das gilt auch für ihren Landsmann und Freund Boris Avrukh, der angeblich bei der Vorbereitung eingebunden war.

Anands Überraschung (O-Ton: "man erwartet eine Überraschung") hielt sich denn auch in Grenzen. Und er hatte eine Nebenvariante parat, die wohl giftiger ist als ihr Ruf. Sein Baden-Badener Mannschaftskamerad Jan Gustafsson hatte das chancenreiche Qualitätsopfer 8. Lb5 Sc6 9. d5 a6 10. Le2 Lxc3+ 11. Ld2 Lxa1 12. Dxa1 Sd4 13. Sxd4 cxd4 14. Dxd4 in die Praxis eingeführt. Anand hätte hier wahrscheinlich noch eine Reihe Züge runterrattern können, wäre Gelfand nicht (vermutlich schlauerweise) mit 9. ... Da5 ausgewichen. Vermutlich hatte der Inder das nicht so gut analysiert, verpasste im 13. und 15. Zug chancenreichere Fortsetzungen und musste Gelfand sogar etwas Vorteil einräumen. Die Stellungsbilder lagen jedenfalls etwas abseits vom Üblichen, und das sieht man immer gern. 

Auf Slawisch-Neuerungen mit absehbarem Remis (wie in der zweiten Partie) kann ich verzichten. Aber gerne mehr solche Grünfeldinder.  

 

Kommentare   

#1 Gerhard 2012-05-14 21:30
Icke ....mal....wieder.
Ja, ich finde interessant, daß viele Eröffnungssysteme, obwohl jeweils schon gut einige Jahrzehnte auf dem Buckel habend und heftig ausanalysiert, immer noch lebensfähig sind. War Grünfeld da zu skeptisch? Man hörte ja auch, daß Sweschnikov "sein" System nicht mehr spielt, aus ähnlich geäusserten Gründen wie einst Grünfeld.
Es wäre interessant, eine Entwicklungsgeschichte bestimmter Eröffnungssysteme zu verfassen: Ausgehend von der jeweiligen Grundidee, die vermutlich jetzt jeweils eine andere ist. Ein solches Buch würde zeigen, wieso Ideen überleben können...indem man sie motifiziert, wohl schlußendlich, so vermute ich, bis zur "Unkenntlichkeit".
In der Kunst ist es m.E. dasselbe: Ein Portrait etwa, so wie im 19. Jahrhundert verstanden, hat soviele Spielarten und "Weiterentwicklungen" erfahren, daß Portraitkunst immer noch etwas ist, das seine berechtigung in der Kunst hat- nur sind die modernen Spielarten des Portraits sehr weit entfernt von der Ursprungsidee. Aber es sind Portraits in dem Sinne, daß sie enthüllend sind.

So ein Buch über Eröffnungssysteme und ihre Geschichte wäre nicht unbedingt ein Lehrbuch, sondern eine Studie über die Wandlung von Ideen - zu lesen vermutlich fast ohne Schachbrett.
+1 #2 Thomas Richter 2012-05-15 17:39
Da ich selbst seit Jahrzehnten Grünfeld spiele (ursprünglich von Kasparov inspiriert) hatte ich einen ähnlichen Beitrag angedacht - dann aber keine Zeit bzw. ich wollte abwarten wie sich das Match weiter entwickelt, und nun ist Stefan Löffler mir zuvorgekommen.

Ich "muss" Grünfeld verteidigen: in jeder Eröffnung kann man mit Schwarz mal eine Partie verlieren, demnach war die Bilanz nur 1986 miserabel. Kasparovs Bemerkung war eher die eines schlechten Verlierers - zumal seine andere Niederlage in einem Nimzo-Inder viel drastischer war. Wenn trotzdem ein WM-Fluch auf Grünfeld ruht dann nur im Finale: davor machten Shirov gegen Kramnik und zweimal Kamsky gegen Topalov damit eher gute Erfahrungen!

Wie chancenreich Gustis Qualitätsopfer ist, wer weiss ... : die Stammpartie gegen Vachier-Lagrave in der Bundesliga liess diese Frage offen da beide bereits nach 19 Zügen kalte Füsse bekamen und gemeinsam die Remisbremse zogen. In den 3 1/2 Jahren danach hat es offenbar kein Grossmeister wiederholt, auch nicht Gustafsson selbst - muss nichts heissen kann aber!?

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