Der König ist tot, es lebe der König! Mit dieser Heroldsformel wurde in Frankreich der Tod des alten Königs bekannt gegeben und gleichzeitig der neue ausgerufen, um Kontinuität zu signalisieren – um den Erbanspruch darzustellen und auch um die Angst vor dem Neuen zu nehmen. Nach einigen Unklarheiten wer den rechtmäßiger Weltmeister sei in Anfängen der Nullerjahre des Jahrtausends brachte der Sieg von Anand 2007 mit seinen folgenden Titelverteidigungen Ruhe und Seriosität in die Titelfrage.
Der Titelgewinn von Carlsen war eigentlich eine logische Folge nachdem er 2010 die Führung in der FIDE-Weltrangliste übernahm und dann auch noch den Rekord von Kaparov überbot. Schon im Vorfeld wurde viel diskutiert, ob Anand nach nicht so tollen Turnierleistungen in der Lage wäre Carlsen Paroli bieten zu können. Andererseits zeigte auch Carlsen Nerven als er beim Kandidatenturnier in der letzten Runde gegen Peter Swidler verlor, und nur deshalb Herausforderer wurde, da der punktgleiche Wladimir Kramnik ebenfalls seine letzte Partie verlor und Carlsen wegen der mehr gewonnenen Partien das Turnier doch gewonnen hat.
Die Schachwelt war sich einig, dass die Eröffnungsvorbereitung nicht gerade zu den Stärken von Carlsen gehört und sahen da die größten Chancen für Anand im Wettkampf. Auch dass die Weltmeisterschaft in Indien gespielt wurde, sahen viele als Vorteil für Anand. Ich bin hier vollkommen anderer Meinung – ich denke der beste Ort für eine Titelverteidigung von Anand wäre Norwegen gewesen, nur so hätte man den Druck auf Carlsen maximieren können. Irgendwie hatte die Krennwurzn den Eindruck, dass Anand selbst im tiefsten Inneren nicht wirklich an eine erfolgreiche Titelverteidigung glaubte, aber sehen wir uns die Partien kurz an.
Die ersten beiden Partien endeten schnell durch Zugwiederholungen Remis, was einige als Vorteil Anand ansahen, da Carlsen solche bei der WM Anand - Gelfand heftig kritisiert hatte. Als er dann in der dritten Partie mit Weiß nichts aus der Eröffnung holen konnte und wie er in der Pressekonferenz sagte die Notbremse ziehen musste. Er musste seine Dame nach h1 überführen und kam in Zeitnot, konnte aber mit einem Bauernopfer seine Figuren wieder aktivieren und als Anand dann im 41. Zug Remis anbot, lehnte er dies ab und spielte dann die Partie aus. In der vierten Partie entstand aus der Berliner Verteidigung eine interessante Partie und Carlsen konnte den Bauer auf a2 gewinnen. Anand hatte Kompensation und nach der Abwehr von ein paar Mattdrohungen am Ende der Partie kam es wieder zum Remis. Aber psychologisch hatte sich das Match meiner Meinung nach gedreht – jetzt war Carlsen im Match angekommen und am Drücker.
Die fünfte Partie war dann ein offener Schlagabtausch und als die Kommentatoren und die Schachengines alle im dann entstandenen Turmendspiel das Remis schon kommen sahen und spekulierten wie lange die Anfangsremisserie noch anhalten würde, verschärfte Anand mit 39. ... a4 in Zeitnot von Carlsen die Stellung, statt mit 39. ... g4 den Remishafen anzusteuern.
In der Folge traf er dann mehrmals nicht die optimalen Züge und nach 51. ... Ke6 war dann die Partie endgültig verloren.
In der sechsten Partie fand Anand wieder in einem Turmendspiel, dass Carlsen aggressiv mit Bauernopfer anlegte, wieder nicht die rettende Fortsetzung und verlor die Partie und damit wohl schon das Match.
Hier hätte 60. b4 noch Remis gehalten, Anand spielte jedoch 60. Ta4 und nun stehen ihm seine eigenen Bauern im Wege.Die Wettqoute bei BWIN auf Matchsieg Carlsen wurde auf 1:1,01 gesenkt und dann sogar komplett aus dem Programm genommen.
Die siebte und achte Partie endeten schnell remis, wobei das Spannendste die Dopingkontrolle nach der achten Partie war. Irgendwie hatte man das Gefühl, dass die Weltmeisterschaft von Anand ohne Kampf und nur durch Eigenfehler verloren wurde und dafür wurde er teilweise heftig kritisiert.
Nach einem Ruhetag kam in der neunten Partie ein scharfer Nimzoinder aufs Brett und beide spielten scharfe und prinzipielle Züge. Carlsen sagte, dass er sich damit abfinden musste, dass er möglicherweise matt gesetzt wird und organisierte dann doch eine coole Verteidigungsstrategie.
Nach 22. ... b3 von Carlsen sank Anand in tiefes Nachdenken und musste viele Angriffsoptionen durchrechnen. In dieser Phase sah man im Video, dass Anand mehr und mehr resignativ aussah, denn was die Zuseher mit Computerhilfe schon wussten, wurde ihm nun auch immer klarer: es gibt kein Matt – Schwarz kann den Kopf immer wieder aus der Schlinge ziehen. Wahrscheinlich führte diese Hoffnungslosigkeit zu dem finalen Bock 28. Sf1?? anstatt mit 28. Lf1 in eine ausgeglichene Stellung zu kommen. Im Endeffekt war es egal und dieser Partieverlust stellt meiner Meinung nach keine Niederlage dar, auch wenn es die Weltmeisterschaft wohl endgültig gekostet hat, denn nun müsste Anand alle drei ausstehenden Partien gewinnen, um noch die Tiebreaks zu erreichen. Aber alle Schachwelt zollte dem „Tiger von Madras“ Respekt für seinen Kampfgeist und trauerte ein wenig nach, warum er dieses Spiel nicht von Anfang an aufgezogen hat. Vielleicht liegt die Antwort gerade in diesem traurigen Ende der Partie – den ungeheuren aggressiven Verteidigungsfähigkeiten des norwegischen Wunderkinds, den viele jetzt schon als „Mozart des Schachs“ bezeichnen.
In der zehnten Partie kam ein Sizilianer aufs Brett und Carlsen wich einer Stellungswiederholung, die im den Titel wohl gesichert hätte, falls Anand die Schaukel akzeptiert hätte, selbst mit 22. a4 aus dem Weg. Nun entwickelte sich spannendes Spiel und Anand spielte mit 28. ... Dg5 die erste Ungenauigkeit, doch Carlsen vergab mit 30. exd6 statt 30. Sc3 die Chance auf Vorteil und so entstand nach Generalabtausch ein remisliches Springerendspiel. Aber dieses wurde noch ultraspannend und vor allem wurde es total ausgekämpft!
Magnus Carlsen ist der 16. Weltmeister der Schachgeschichte!!
Nun wie ist dieser Wettkampf abschließend zu bewerten? Nun eine grundlegende Erkenntnis könnte sein, dass man mehr Augenmerk auf menschliches Schach legen muss, denn die Ära der menschlichen Überlegenheit den Maschinen gegenüber ist einer totalen Unterlegenheit gewichen. Menschen machen Fehler und wer weniger Fehler macht, der gewinnt langfristig!
Jedenfalls verursachte diese Weltmeisterschaft ein weltweites Medieninteresse und erzielte einige Rekorde, so kam der Twitter hashtag #AnandCarlsen in Indien als Nummer 1 in die Trendliste. Auch sonst wurde viel über diesen Wettkampf berichtet – in Deutschland hatte Spiegel Online beispielsweise einen eigenen Onlineticker im Programm und auf den klassischen Schachseiten wie beim Marktführer ChessBase wurden am Schachserver neue Zuseherrekorde erreicht. Zudem boten die Hamburger den Premiumuser Kommentierung in mehreren Sprachen an. Hervorheben möchte ich die schon als klassisch zu bezeichnende Kommentierung des aktuellen Deutschen Meisters GM Klaus Bischoff, der den Spagat souverän schafft und für alle Leistungsstärken interessante Erklärungen findet – vor allem zeigt er auf, welche Gefahren (Traumvarianten) in den Stellungen lauern, die im Endeffekt die Schönheit und die Faszination unseres schönen Spiels ausmachen.
Bleibt noch eine kleine nicht ganz ernstgemeinte Botschaft an den Nachwuchs übrig: werft die Eröffnungsbücher und die Computer aus dem Fenster – lernt Mittel- und Endspiele und versucht diese am Brett zu gewinnen! Und wie hieß es am Anfang des Artikels? Und da sind wir wieder am Anfang gelandet:
Danke Vishy !! – Gratulation Magnus !!
Kommentare
Was ich mit meinem limitierten Sachverstand nicht einschätzen kann: Ist Anand unter seinen Möglichkeiten geblieben oder ist Carlsen so stark, dass auch Weltklasseleute gegen ihn gelegentlich einfach wie Patzer aussehen?
Zuerst kritisierte der Ehrenpräsident R v Weizsäcker den Spielstil von Carlsen als
" nicht das beste Schach-Verständnis, sein Spiel ... sei "computerähnlich und blutlos"
http://www.spiegel.de/sport/sonst/schach-wm-magnus-carlsen-von-robert-von-weizsaecker-kritisiert-a-935423.html
dem widersprach der Ex Bundestrainer auf ntv
Carlsen spielt wie Roger Federer
http://www.n-tv.de/sport/Carlsen-spielt-wie-Roger-Federer-article11791256.html
und nun Carlsen selbst
http://www.spiegel.de/sport/sonst/schach-weltmeister-carlsen-verteidigt-seinen-spielstil-a-935932.html
u.a mit den Worten:
Zitat:
"Si tacuisses,...", Herr Professor!
naja, eine Meinung sollte man schon haben und diese auch kundtun.
Aber man sollte auch wissen, was man wie und wo sagt...
Und ist es nicht so, dass gerade im Fernschach nix ohne Computer geht? Manch einer der FS-GM wäre sicher froh, wenn er "wie ein Computer" spielen könnte.
Im Spitzenschach ging es doch zuletzt eher darum, möglichst viele Varianten mit am Computer ausgeheckten Stolpersteinen vorzubereiten in der Hoffnung, dass eine davon aufs Brett kommt. Dabei ging es nicht unbedingt darum, den jeweils objektiv stärksten Zug zu bringen, sondern Probleme zu stellen, die der andere am Brett lösen muss. Findet der die Lösung ist es Ausgleich und man vereinbart dann schnell remis.
Ich fand diese Entwicklung bedenklich. Carlsen verzichtet auf die Theorieschlacht, spielt eine unambitionierte Eröffnung und kämpft es aus. Ich finde diesen Stil schön, das mag aber Geschmackssache sein. Und seit Kasparov ist Carlsen wieder der erste Weltmeister, der nicht nur „Primus inter pares“ ist.
@MiBu: "Assoziationen zu FB und JK" - das hat von Weizsäcker sicher nicht gemeint. Und nur weil es solche Fälle auf niedrigerem Niveau gibt, sollte man das Wort "computerähnlich" (mit anderer Bedeutung!) nicht komplett verbieten?
@Schachorganisator: Natürlich spielen Computer im Fernschach eine Rolle, zumindest in Europa und weltweit (in den USA ist Computerhilfe offiziell verboten, ob sich alle dran halten kann man nicht überprüfen). Aber weil der Gegner ja auch einen Computer hat, ist die Kunst ihn jenseits des Computer-Horizontes langsam zu überspielen. Im Fernschach hätte Carlsen keine seiner drei WM-Partien gewonnen, stattdessen vielleicht die vierte und zehnte, und Anand die dritte.
@Darth Frank: Diese bedenkliche Entwicklung (Abgleich von Gedächtnis und Computeranalysen) gab es durchaus, aber nicht nur: z.B. versucht Kramnik - mitunter wenn auch nicht immer erfolgreich - aus einem Reti-Aufbau einen kleinen und ausbaufähigen Vorteil rauszukitzeln, also den Gegner zu überspielen statt ihn nur auszusitzen. Diese parallele/alternative Entwicklung gäbe es wohl auch wenn es Carlsen nicht gäbe?
Der Erfolg gibt Carlsen natürlich Recht - beim WM-Match und überhaupt. Mögen MUSS man das nicht unbedingt, es sei denn man mag vor allem den Erfolg an sich?!
Gemeint war sicher, dass Carlsen der beste Vertreter der Generation ist, die Stellungen nicht mit +=, sondern mit +0,4 bewerten, weil sie mit engine groß geworden sind. Das harte Training gegen die Maschine hat sich ausgezahlt, denn die taktische Fehlerquote von Carlsen tendiert gegen 0, und - genau so ist es - man muss es nicht mögen, aber man muss es akzeptieren, dass man damit Weltmeister werden kann.
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