Letzter sein

Hier will man vielleicht so wenig hin wie ans Tabellenende Hier will man vielleicht so wenig hin wie ans Tabellenende O.St.

Ist noch gar nicht lange her, da fuhr ich mal zu einem Turnier nach Wildeshausen. Die Sonne schien wie so oft im Norden, und der örtliche Schachklub richtete ein schönes Turnier aus. In einem großen Teilnehmerfeld trugen jeweils vier Spieler zusammen ein Rundenturnier aus. Ich bekam es dabei mit Heiko Warns vom schachverrückten SK Oldenburg zu tun, des weiteren mit Spartak Grigorian (niedersächsische Schachjugend!), einem aufstebenden Talent des SK Wildeshausen, und mit Enno Eschholz, der im selben Verein spielt und im Sommer mal so eben die B-Gruppe des Pardubice-Opens gewonnen hat – mit legendär starken 8,5 Punkten aus 9 Partien.

Eine schöne Vierergruppe also, man konnte gegen jeden Gegner gewinnen, und man konnte auch gegen jeden von ihnen verlieren. Ich freute mich auf spannende Partien. Tatsächlich wurden sie auch alle sehr spannend – und am Ende des Tages hatte ich alle drei Partien verloren und fuhr als Tabellenletzter wieder zurück nach Bremen. Der erste Platz ging an Enno, es folgten Heiko und Spartak, und dann kam ich – glatt mit null Punkten aus drei Partien.

Uah, das hatte ich so noch nicht erlebt. Lange Zeit hatte ich mich auf Turnieren immer gut vor dem Tabellenende drücken können, auch wenn sich in den letzten Jahren immer öfter mal verdächtig schlechte Ergebnisse einstellten. Doch nun war ich dort – am Ende des Feldes, um 38 DWZ-Punkte erleichtert, und jeder konnte es sehen. (Vor allem ein Leser dieses Blogs hatte es gesehen und noch schneller in den Kommentaren veröffentlicht, als man „rote Laterne“ sagen kann.)


Letzter sein

erste Runde
stellung gut
dann stellung kaputt
letzter sein

zweites Spiel
neuer Mut
bis König fiel
letzter sein

dritte Partie
Opfer versucht, doch
opfern klappt nie
och!

tag, rote Laterne

(angelehnt an Fünfter sein von Ernst Jandl)


Ganz unten

Nun ist es natürlich so, dass es bei jedem Wettbewerb jemanden geben muss, der edel und selbstlos die Rolle des Letzten einnimmt. Eddie the Eagle kommt uns in den Sinn, der Skispringer, der so dramatisch schlecht sprang, dass er schon wieder Fans unter den Zuschauern hatte. Tennis Borussia Berlin und bis vor kurzem auch der HSV waren bekannte Schlusslichter, und auch die No Angels schafften es dorthin beim Eurovision Song Contest 2008 in Belgrad – obwohl sie sich solche Mühe gegeben haben. Man sieht also – es kann jeden treffen (ja, auch Dich!), aber andere haben das auch schon überlebt. Wer weiß, vielleicht geht man sogar irgendwie gestärkt daraus hervor. Frei nach dem Motto „Jetzt weiß ich, wie es ist, und eigentlich war es gar nicht so schlimm wie befürchtet.“

Letzter sein ist also vielleicht keine ganz so große Schande. Selbst der großartige Ljubomir Ljubojevic hat diese Position mitunter eingenommen, um dann beim nächsten Turnier wieder ganz vorne zu landen.

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Der serbische Haudegen und Großmeister Ljubomir Ljubojevic (in Amsterdam 2010)
                                                                        (Quelle: Stefan64, Wikicommons)

Und hat es nicht irgendwie auch etwas Beruhigendes, dass jetzt sogar Judit Polgár, die beste Schachspielerin der Welt, einmal den letzten Platz einer Tabelle schmückte – in einem allerdings bärenstarken und von Wladimir Kramnik gewonnenen Viererturnier, das gerade in den Niederlanden zu Ende ging.

Dennoch scheint die Sorge um das Letzter sein weit verbreitet – wer möchte schon gerne seinen Namen exponiert am Ende der Tabelle wiederfinden? Vorletzter werden, Viertletzter sein, na gut, auch das ist nicht schön, doch immerhin steht der eigene Name dort ein wenig versteckter als ganz am Tabellenende. Letzter sein hat etwas Traumatisches, denn es gibt kein Fallnetz mehr nach unten, keinen Spielraum, keinen Trost. Der schlimmste Fall ist eingetreten.
Das Image des Letzten scheint verbessserungsbedürftig. Fast niemand traut sich an das Tabellenende. Dieses erschreckende Ergebnis ergab auch eine nicht ganz repräsentative Blitz-Recherche im Internet:

- „Dabei sein ist alles und nur nicht Letzter werden“ lautete beispielsweise die Devise der Cross-Läufer aus Bersenbrück bei der Deutschen Cross-Meisterschaft 2011 (was es nicht alles gibt!)

- Die österreichischen Footballer hatten bei der Football-WM 2011 im eigenen Land nach drei verlorenen Spielen nur noch eine Sorge: „Jetzt dürfen wir nur nicht Letzter werden.“

- Auch die sympathischen Kreisliga-Frauen des SV SW Suttrop („ … nicht Letzter werden. Wir werden uns im hinteren Mittelfeld einreihen.“) und selbst der niederbayerische FC Vorderfreundorf („Euer Saisonziel lautet?“ – „Wir wollen nicht mehr Letzter werden!“) blickten mit Sorge auf den Platz ganz am Ende.

Wie gesagt: Vorletzter werden –scheinbar kein Problem. Aber wirklich niemand will ganz nach unten.

Doch was spricht eigentlich dagegen, Letzter zu sein? Es ist zwar ein schmutziger Job, aber irgendjemand muss es ja schließlich tun. Man kann sogar ganz gut damit leben - denken wir nur an Eddie the Eagle. Und wenn man erstmal Letzter war, kann es eigentlich nur noch besser werden beim nächsten Mal. Darum auch freuen wir uns umso mehr über die erfrischende Perspektive von Achim Achilles vor einem Marathonlauf in Hamburg:

„"Ich will Letzter werden", verkündet der sympathisch-untersetzte Mittvierziger: "Schnell kann jeder. Aber sieben Stunden lang auf den Beinen, das stehen nicht mal die hoch gezüchteten Renner aus Afrika durch.""

Wohltuend! Und wenn dann noch jemand kommt und dem Letzten einen ausgibt, sieht die Welt doch schon wieder ganz anders aus.


Schlecht spielen kann ich gut

Es muss also auch beim Schach immer einen Letzten geben – doch so richtig freuen wird man sich als Betroffener darüber nicht. Der Zweifel nagte nach Wildeshausen auch bei mir, vor allem, weil ich bei dem Turnier alle drei Partien verloren hatte.
Aber wie das immer so ist – auch für solcherlei Fälle können wir hier wieder eine alte russische Praktikerregel zitieren:

???? ?? ??????? ??????, ?? ?????? ????!

(„Verlierst Du zweimal, so mache Remis!“)

Hintergrund für diesen gutgemeinten Ratschlag mag sein, dass der Schachsportler durch das Einstreuen eines Unentschiedens die Dramatik der Lage entschärfen kann. Auch verhindert er eine etwas peinliche „lange Rochade“, bei der sich gleich drei Nullen in der Turniertabelle aneinanderreihen würden.
Nun erzählt man von Weltmeister Aljechin, der ja ebenfalls Russe war, er habe sich nicht an diese Regel gehalten, sondern nach jeder Niederlage umso mehr versucht, die nächste Partie für sich zu entscheiden. Gerade nach einer Null richtete er oft seine gesamte Schachwut auf den Gegner der nächsten Runde und gewann. Ein schönes Vorbild! Doch Aljechin war ja auch der Weltmeister – da mag so etwas schon einmal gut gelingen. Wie er allerdings mit einer zweiten Null in Folge umging, ist nicht genau bekannt.

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                   Der Meister bei einem Simultanspiel in Berlin, 1930 (Quelle: Bundesarchiv)


Auch ich kannte die russische Praktiker-Regel, doch merkte ich schnell, dass sie schwer einzuhalten ist. Denn nach schon zwei Niederlagen an einem Tag wollte ich zumindest noch die dritte Partie gewinnen und so jedenfalls noch ein bisschen die Fahne hochhalten und meine DWZ retten. Hat aber nicht geklappt. Es folgte die dritte Null in Wildeshausen, und der Abwärtstrend meiner Rating setzte sich fort wie bei einer Aktie auf Talfahrt.

Vielleicht haben die Russen mit ihrer Regel also doch Recht. Denn es wird schon seinen Grund haben, warum man zweimal nacheinander verloren hat, und das sollte man anerkennen. Vielleicht war meine sportliche Form an diesem Tag nicht gut, vielleicht hatte ich Varianten wenn überhaupt, dann furchtbar schlecht oder viel zu optimistisch durchgerechnet. Ich hätte wahrscheinlich gut daran getan, das endlich einzusehen und durch ein Remis in der letzten Partie den Schaden zu begrenzen. Zumindest hätte ich es meinem Gegner Enno mal anbieten können - doch wer weiß schon, ob er angenommen hätte.

So blieb mir nur die Leere nach der dritten Niederlage in Folge, jedenfalls für eine kurze Zeit. Das schachliche Streben kam mir wieder sinnlos vor, ich meinte zu spüren, wie das Alter herannaht, und so wie jedes Mal ließen die verlorenen Partien die alte Frage wieder aufkommen: „Ist es das alles wert?“

Dass man durchaus auch anders und einen Hauch offensiver mit schachlichen Enttäuschungen umgehen kann, zeigt ein kleiner Ausschnitt aus dem Film „Knight Moves“. Wir empfehlen aber dringend, es nach Niederlagen nicht so zu halten wie in diesem Beispiel. (Und Vorsicht – es geht zwar nur um Schach, aber dieser Ausschnitt ist unheimlich.)

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                 Noch wird nur gespielt ....

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           Doch was braut sich da zusammen?


Nun weiß ich zum Glück, dass Schach nicht alles ist im Leben. Doch manchmal finde ich es schwer, mich direkt nach einer heftig verlorenen Turnierpartie daran zu erinnern. Oft hilft erst die Analyse mit dem Gegner oder mit einem Freund, um die erste Enttäuschung zu überstehen. Immerhin kann ich in der gemeinsamen Analyse lamentieren, kann mich über meine Fehler wundern und dabei Abstand gewinnen. Es hilft auch, ab und an die Züge und guten Ideen des Gegners anzuerkennen, denn immerhin hat er ja gewonnen. Und das wird schon seinen Grund gehabt haben.

Letztlich können verlorene Partien und der (wenn auch irgendwie traurige) Sprung ans Tabellenende sogar ganz heilsam sein. Endlich kann man seine Fehler nicht mehr schönreden, endlich weiß man, dass man Zugfolgen nur sehr lückenhaft berechnet, unkonzentriert war und dass man seine Eröffnungen (und alles andere auch) überarbeiten muss. In der Niederlage zeigt sich die wahre Größe der DWZ. Keine Ausreden mehr – jede verlorene Partie gibt endlich auch Anlass und Motivation zum ernsthafteren Training. (Ob man dann aber auch wirklich trainiert, ist leider eine ganz andere Frage.)

schachsanierung

                    Die Beier Schachsanierung hilft gerne, wenn man selber nicht mehr weiter weiß

Man warte also noch ein wenig ab, und irgendwann dann, mit Glück, kommen auch Neugier, Optimismus und Spiellaune zurück. „Nächstes Mal wird´s besser!“ ist ein alter Spruch, mit dem Peter Husfeld schon vor vielen Jahren im Schleswiger Schachverein immer wieder diesen Optimismus unterstrich. Und tatsächlich, dann geht es eben wieder los: man setzt sich ans Brett, frisch gestärkt, ordnet seine Figuren, beginnt eine neue Partie und riskiert die nächste Null. Manchmal kann das nächste Turnier auch schon wieder viel besser laufen. Es wird gespielt, und keine Angst – das Verlieren gehört zum Spiel dazu.
Oder, wie der Spieler TigerWoods im Internet Chess Club in seinem Profil formuliert:

Win some, draw some, lose some. Live with it.

Und nochmal auf Russisch (mit Dank ans Übersetzungsprogramm!):

????????? ?????????, ?????? ?????????, ??????? ?????????. ????? ? ????.


In Rätseln aus der Partie

steffens - grigorian

                    Olaf Steffens – Spartak Grigorian, Wildeshausen 2011


In dieser für mich unheilvollen Begegnung mit der Niedersächsischen Schachjugend entschied sich Spartak dazu, mit 20….Txc3 Material zu geben, um im Spiel zu bleiben. Mich erwischte der Zug irgendwie kalt und vor allem in ziemlicher Zeitnot (selbst schuld!). Es folgte 21.dxc3, Ld6-f4 +.

Nun hat Weiß zwei Optionen: a) 22.Dxf4 und b) 22.Kc1-b1.

Hopp oder Topp-Quiz: Welcher dieser Züge gewinnt, und welcher dieser Züge verliert und wurde von mir gespielt? (Bitte unter Angabe von Varianten, sonst gibt´s keine Punkte!)

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Leser-Umfrage

Schach-Welt.de, der Internet-Blog mit menschlichem Antlitz, richtet auch heute wieder eine Frage an seine Leserinnen und Leser. Erzählt doch vielleicht mal aus dem Nähkästchen:

Wart Ihr mal irgendwo Letzter? Wie ist es Euch damit ergangen? Und was hat Euer Mannschaftsführer dazu gesagt?

Und was haltet Ihr von dieser ominösen russischen Regel „Verlierst Du zweimal, so mache Remis!“ –ist sie sinnvoll oder nicht?

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

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