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Meine Olympia-Bilanz

Ich beschränke mich (weitgehend) auf das bzw. die deutsche(n) Team(s) - sonst wird der Bericht erst fertig wenn alle die Olympiade bereits vergessen haben. Vor dem Turnier (aber nach der EM) waren die Erwartungen einerseits recht hoch. Aber damals in Porto Carras hat eben alles gepasst: die eigene Form, die (schlechte) Form einiger Konkurrenten und auch der Überraschungseffekt - diesmal hat wohl niemand Deutschland unterschätzt. Im Fussball wurden Dänemark und Griechenland auch nur einmal Europameister. Andererseits herrschte im Tippspiel auch einige Skepsis: von Platz 1 bis 42 hatten unsere Experten alles prognostiziert - na gut, nicht alles, soviele Experten haben nicht mitgemacht.

Die nackte Plazierung ist beschränkt aussagekräftig, da zählen ja zunächst die Mannschaftspunkte und dann der Tiebreak, letzterer ist ein bisschen Lotterie. Im Schweizer System kann man aber auf verschiedenen Wegen dieselbe Punktzahl erreichen, sekundär ist gegen wen (und damit auch wann) man gepunktet hat. Am Ende lagen mit den Niederlanden, Vietnam und Rumänien gleich drei Teams vor Deutschland die kaum oder (Vietnam) gar nicht gegen Spitzenteams spielten. Wenn man sich die Ergebnisse der deutschen Männer anschaut:
- Mit Niederlagen gegen Armenien und Russland musste man rechnen (auch wenn die erste knapp und vielleicht vermeidbar war).
- Mit den Ergebnissen gegen Aserbaidschan (obwohl Rückschritt gegenüber Porto Carras), USA und Ungarn kann man sehr zufrieden sein.
- Negativ nur das Unentschieden gegen Montenegro (in Porto Carras noch ohne Chancen), aber wie sagt ein Vereinskollege: you can't win them all! Schönen Gruss an Jaap falls er das liest.
- Ansonsten kann man vielleicht noch meckern dass die Siege gegen etwas schwächere Gegner meistens knapp ausfielen (Ausnahme Iran). Aber erstens können die auch Schach spielen, zweitens kann man vielleicht nicht auf Knopfdruck umschalten von solide und schwer zu schlagen bei starken Gegnern zu volle Offensive gegen schwächere - da war Moldawien die Ausnahme.
Gesamturteil: acht von zehn möglichen Punkten.

Einzelkritik hatte ich bereits geliefert und will das nur ein klein bisschen ergänzen: Naiditschs 0.5/4 gegen Radjabov, Nakamura, Aronian und Kramnik zeigen dass zur absoluten Weltspitze meistens doch noch einiges fehlt - obwohl oder gerade weil er gegen Aronian "eigentlich" remis halten konnte? Das ist Tatsache und keine Kritik - irgendjemand muss eben an Brett 1 spielen, und wer sonst? Khenkin hat vielleicht doch ein oder zweimal zu oft zu früh remis gemacht - aber wie gross waren seine Gewinnchancen gegen einen insgesamt gut aufgelegten Grischuk, verglichen mit den Verlustchancen? Auf jeden Fall hat er ein Eloplus, und sein Sieg gegen Moldawien war wichtig. Meier ist inzwischen weltbekannt - kann passieren. Und Fridman holte am Ende doch keinen Brettpreis, zumindest nicht den ersten, er (wie das gesamte Team) hatte Pech dass sie am Ende noch Russland bekamen.

Wie anfangs bereits angedeutet ist es leicht vermessen Deutschland mit Armenien, Russland und Ukraine zu vergleichen - EM hin, EM her. Schauen wir stattdessen was die Teams machten die in der Setzliste knapp(er) vor Deutschland lagen:

Frankreich - die Nummer 8 landete auf dem 23. Platz. Gut gestartet, die Niederlage gegen Ukraine war OK, die Verluste gegen Kroatien und Rumänien schmerzhaft. An Vachier-Lagrave lag es nicht, an Tkachiev - der sich am Ende Fridmans Brettpreis schnappte - auch nicht. Die anderen drei schwächelten, Christian Bauer vielleicht aus plausiblem und sehr traurigem Grund.

Niederlande - Nummer 9 auf Platz 6, das einzige Team in meiner Liste das höher als erwartet endete. Aber was für ein Turnier und nicht nur weil Kevin Anish anfangs alleine zu Hause blieb. Giris Pass lag noch in der britischen Botschaft - als Russe (der er ausser im Schach noch ist) braucht er ein Visum für das Grand Prix Turnier in London. Jemand hatte sich nach Kasimdzhanov erkundet: gut möglich dass er (als Usbeke der meines Wissens in Deutschland lebt) dasselbe Problem hatte. Beide spielten erst ab Runde 5, wobei Usbekistan auch ohne das Spitzenbrett recht erfolgreich war. Die Niederlande dagegen: vier Brettpunkte gegen Malaysia und Venezuela - wie man es dreht, wendet und verteilt, das sind zwei Mannschaftspunkte zu wenig. Georgien war auch zu stark, und dann kamen erstmal einige Aufbaugegner: Sri Lanka, Monaco, Belgien, da und im weiteren Turnier gaben sie sich kaum eine Blösse - mal abgesehen davon dass Giri gegen den Ur-Monegassen Igor Efimov vorübergehend auf Verlust stand. Die Elobilanz war neutral für Giri, positiv für Smeets (dank fünf Siegen hintereinander) und etwas negativ für die anderen.

Bulgarien - Nummer 10 wurde 20. dank eines 4-0 gegen Venezuela in der letzten Runde. Davor haben sie nicht nur gegen gleichwertige Gegner verloren (Frankreich, England) sondern auch gegen die Philippinen und Usbekistan (Topalov in 23 Zügen gegen Kasimdzhanov). Tja ... [Olaf Steffens hätte vielleicht einen passenden Spruch auf Bulgarisch]. Wobei die Philippinen mit Jungstar Wesley So und Oldie Torre (seine 21. Olympiade, damit hat er Portisch überholt) auch einigen anderen Favoriten das Leben schwer machten.

England - nicht 11. sondern 17. . Sie spielten eine recht ordentliche Olympiade ohne Asien, verloren aber hintereinander gegen (schon wieder) die Philippinen und Vietnam. Dann war Uruguay chancenlos gegen sie, und immerhin stimmte die Schlussrunde gegen Tschechien.

Israel - an 12 gesetzt aber 2008 holten sie Silber und 2010 Bronze - beide Male dank eines starken Finish und überragender Leistungen von Gelfand (2008) bzw. Sutovsky (2010). Diesmal spielten beide im Rahmen der Erwartungen, jeder auf seine Weise (Gelfand +1=7, Sutovsky +5=1-3). Da Rodshtein und Avrukh enttäuschten reichte es nur für Platz 26.

Indien - auch ohne ihren stärksten Spieler 13. der Setzliste, raus kam Platz 35. Bis nach der 10. Runde ungeschlagen aber ab der 4. Runde sieglos - jawohl, sieben mal 2-2 wenn auch gegen recht starke Gegner. Wenn es dann in der Schlussrunde klappt ist alles einigermassen gut, aber da haben sie gegen Aserbaidschan (ohne Radjabov) verloren.

Schauen wir noch hinter Deutschland: die an 15 und 16 gesetzten Kubaner und Polen umarmten das deutsche Team am Ende, d.h. sie landeten nach Tiebreak-Wertung knapp vor bzw. hinter ihnen. Kuba spielte Schweizer Gambit (nach 4 Runden nur 4 Punkte), tat aber gegen relativ schwache Gegner viel fürs Brettpunktkonto. Polen spielte ein ähnliches Turnier wie die Deutschen, nur schwächer gegen starke und brettpunkt-effizienter gegen leichtere Gegner. Nummer 17 Tschechien und Nummer 18 Spanien (nun ohne Shirov) landeten nach Niederlagen in der letzten Runde auf dem 34. und 37. Platz.

 

bannerostsee300Die deutschen Damen will ich nicht ganz ignorieren, fasse mich aber kürzer. Wie die Männer hatten sie eine Reihe schwerer Gegner, zwischendurch beschwerten oder wunderten sie sich über die Auslosung: viermal hintereinander der stärkste mögliche Gegner und zwar Georgien (2-2, da war viel mehr drin), China (1-3, ging in Ordnung), Kuba (3.5-0.5, in der Höhe überraschend) und Indien (1-3, wiederum OK). Am Ende Spanien das man/frau erstmal schlagen muss (3-1) und die Ukraine die wegen eigener Medaillenchancen mit 3.5-0.5 gnadenlos zuschlugen. Am Ende Platz 11 für das an 9 gesetzte Team. Grösster Nutzniesser des Schweizer Systems war übrigens Rumänien (wie war das nochmal bei den Herren?).

 

Kommentare   

#1 Olaf Steffens 2012-09-12 15:46
Hi Thomas,

schönen Dank, interessante Informationen und Blicke auf das Turnier, die Du da zusammengetragen hast.

Besonders mochte ich den Satz über England: "... sie spielten eine recht ordentliche Olympiade ohne Asien".

So gesehen, hat auch Russland eine Spitzenolympiade gespielt, ohne Nord-Amerika. (Wobei ihr zweiter Platz ja eigentlich super ist - nur der Anspruch/ Wunsch war vermutlich der Erste, und das mindert dann die Freude.)

Grüße nach Holland!
#2 Gerhard 2012-09-13 10:28
Thomas, schöne Übersicht!

Das Video zu Meier's Einsteller fande ich absolut nicht witzig, aber nicht so sehr wegen des damit verbundenen Aus für die deutsche Mannschaft, sondern weil Meier ja ein formidabler Spieler ist und dies seine gute Arbeit vernichtet hat.
Es gab ja in der Schachgeschichte etliche solcher "ungerechter" Partieverläufe, oft auch in ganz entscheidenden Situationen,in Weltmeisterschaften, Kanditatenturnieren ect.
#3 Krennwurzn 2012-09-13 14:54
Das Video zu Meier's Einsteller ist sicherlich nicht witzig, aber sehr lehrreich! (und damit keine Mißverständisse aufkommen: UNABHÄNGIG VON DER PERSON!!)

Es zeigt eine menschliche Fehlerquelle in Hochkonzentration - sofort nach dem Spannungsabfall (Zug ausgeführt) erkennt Meier dann den Fehler. Keine Ahnung ob das in dieser Form jemals filmisch so gut festgehalten wurde, denn solche Fehler passieren uns allen und nicht nur im Schach!

Eine entscheidenede Frage ist, ob es Methoden gibt, solche Fehler zu minimieren oder gar zu verhindern? - oder ob dies unser menschliches Schicksal ist?
#4 Gerhard 2012-09-13 16:50
Das mit dem Spannungsabfall scheint mir gut analysiert zu sein, Krennwurzn.
Es gibt ja so ein Buch "Unsichtbare Züge", das könnte vielleicht auf solche Situationen vorbereiten.
#5 Thomas Richter 2012-09-13 21:40
Zum Meier-Video: Es war - wie er auf Chessvibes selbst schrieb - reiner Zufall dass Peter Doggers das filmte, Glück oder Pech dass er im richtigen oder falschen Moment da war. Natürlich (aus seiner Sicht) hat er dann draufgehalten und das hinterher veröffentlicht.

Immerhin erkannte Meier - im Gegensatz zu mir www.schach-welt.de/BLOG/Blog/Warumpatzenwir - sofort welchen Bock er geschossen hat. Das ist ein Unterschied zwischen Grossmeistern und Amateurpatzern :) . Der andere Unterschied ist dass Peter Doggers damals in Hoorn zwar zufällig auch vor Ort war aber nicht filmte - nicht nur weil er im Nachbarraum höherklassig gegen Rafael Fridman selbst spielte!

Krennwurzns These vom Spannungsabfall muss übrigens nicht stimmen: es kann auch sein dass Meier Dg4+ erst nach -exf3 sah weil der e-Bauer dann nicht mehr im Weg stand. In dem Sinne sind die beiden Patzer vergleichbar: der Verlierer hat nicht etwa eine simple Drohung übersehen sondern diese mit seinem Zug erst ermöglicht.
#6 MiBu 2012-09-14 09:19
Ich neige auch zu dieser Auffassung: M.E. fällt die (An-)Spannung nicht nach Ausführen eines Zuges ab, um nach der gegnerischen Antwort wieder anzusteigen, sondern bleibt auf einem kostant hohen Niveau.
Vielmehr dürfte GM G.M. Opfer des gut bekannten,aber dennoch schwer zu bekämpfenden Phänomens "Restbild" geworden sein: Der Zug Dg4+ ist vor seinem Einsteller mechanisch unmöglich. Beim Fixieren der Brettstellung hat sich das Hindernis Be4 so in die Stellung eingebrannt, dass die Veränderung durch Be4xf3 schlicht ignoriert wurde. Unmittelbar nach Ausführen des Zuges schaut er aufs Brett und sofort ist das Restbild weg.
(Wer von uns hat nicht schon mal eine Kombi gespielt, bei der leider die mattsetzende Figur schon vorher geopfert wurde..?)

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