Messen mit zweierlei Maß – oder Der Grat zwischen Ermessen und Willkür

by Falko Bindrich on01. Juni 2011

Bevor ich mit der Schilderung der Ereignisse beginne, eines vorab. Ich möchte ausdrücklich nicht, dass eine mögliche entstehende Diskussion von der sachlich-objektiven auf eine persönliche Schiene entgleist. Ich achte Herrn Alt als Mensch, allerdings empfinde ich seine Entscheidung mir gegenüber in der Funktion als Hauptschiedsrichter bei der Deutschen Meisterschaft als absolut überzogen, unangemessen und ungerecht.

Der Struktur halber und um den bei den Geschehnissen nicht anwesenden Lesern die Möglichkeit zu geben einen umfassenderen Überblick zu erhalten, werde ich chronologisch vorgehen.

Vor der Freigabe der 1. Runde, nach der Eröffnungsrede des Bürgermeisters, wies Hauptschiedsrichter Ralph Alt auf die Null-Karenz-Regel hin. Die Formulierung ist mir im Gedächtnis geblieben, weil ich sie für sehr ungewöhnlich hielt. Er meinte, dass wir hier bei der Deutschen Meisterschaft mit der Null-Karenz-Regel spielen, jedoch nicht so wie bei der Olympiade (!). Es werde nicht so sein, dass wie bei der Olympiade jemand, der offensichtlich auf dem Weg zu Spielsaal oder auf Toilette ist, genullt wird. Wenn sich das im Rahmen von ein bis zwei Minuten bewege, hier brach er ab und meinte „aber strapazieren Sie meine Nerven bitte nicht“. Im Anschluss an diese Ansprache wurde die erste Runde freigegeben.

Zweite Runde. 14 Uhr. Alle Spieler, sowohl Herren als auch Damen, saßen an ihren Brettern, außer mein sächsischer Landsmann Christoph Natsidis. Verwundert blickten sich die Spieler an. Hauptschiedsrichter Alt ergriff eine Maßnahme. Aber nicht die offensichtliche, die er einen Tag vorher angekündigt hatte. Er rief Schachfreund Natsidis auf seinem Zimmer an (!). Dieser war zu diesem Zeitpunkt noch in der Horizontalen. Währenddessen warteten alle Spieler. Nach ca. 8-10 Minuten kam Christoph herunter, setzte sich ans Brett und die Runde begann. Es geschah nichts. Keine Strafe für Christoph Natsidis, nicht einmal eine Ermahnung, und erst recht keine Erklärung seitens des Hauptschiedsrichters Alt, dass das hier eine Ausnahme sei.

Dritte Runde. Diesmal saßen wirklich alle Spieler am Brett. Doch eine Minute vor Rundenbeginn entschloss sich Großmeisterkollege Igor Khenkin, am Buffet noch ein Getränk zu holen. Freundlich wurde er von Hauptschiedsrichter Alt gebeten, seinen Platz wieder einzunehmen, da er jetzt die Runde beginnen möchte. Bei einer Schacholympiade hätte Großmeister Igor Khenkin mit einer Null rechnen müssen.

Diese Vorgeschichte, beginnend mit der Ansprache des Hauptschiedsrichters vor der ersten Runde (Null-Karenz-Regel nicht wie bei Olympiade, offensichtliches Bewegen zum Spiellokal usw), weitergeführt durch den Höhepunkt vor Runde 2, vor der der Hauptschiedsrichter sogar den verspäteten Spieler anruft (!) bis hin zum freundlichen Auffordern in Runde 3 dem Schachfreund Khenkin gegenüber, zeigte allen Spielern der Deutschen Meisterschaft, dass die Null-Karenz-Regel von Herrn Alt nicht so ernst genommen wird.

Nun zur vierten Runde. Bei allen vorhergehenden Runden saß ich gewohnheitsmäßig 10-15 Minuten vor 14 Uhr an meinem Brett. An diesem Tag beging ich einen Fehler. Ich möchte mich nicht herausreden, es ist ganz klar, dass ich mich an diesem Tag unprofessionell verhalten habe, indem ich nicht sichergestellt habe, ausreichend vor Rundenbeginn an meinem Brett zu sitzen. Ich eilte fünf Minuten vor Rundenbeginn aus meinem Zimmer, zum Fahrstuhl, zum Spielsaal. Im Spielsaal angekommen, bemerkte ich, dass die Runde gerade begonnen hatte, eilte an Khenkin gegen Gustafsson vorbei, wo gerade die ersten Züge ausgeführt wurden, zu meinem Brett. Allerdings wurde ich vorher vom Hauptschiedsrichter Alt aufgehalten, der mir erklärte, dass ich verloren habe. Woraufhin mehrere Schachfreunde an den Topbrettern den Kopf schüttelten, Jan Gustafsson aufstand und kurz auf Herrn Alt einsprach. Dieser blieb bei seiner Entscheidung.
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bannersr400Ich legte schriftlichen Protest ein, welcher ca. zwei Stunden später schriftlich von Hauptschiedsrichter Alt abgewiesen wurde. Die Begründung war, dass Herr Alt die 2. Runde ja ca. 10 Minuten später freigegeben habe, und dass daher Herr Natsidis formell gesehen überhaupt nicht zu spät war. Des Weiteren folgte die verblüffende Erklärung: „Ich bin davon ausgegangen, dass die Spieler damit mitbekommen haben, dass es mit der Handhabung der Karenzzeit ernst ist.“

Dieser Logik konnte ich nicht folgen. Eine Regel, deren Nichtbeachtung offensichtlich keine Konsequenzen nach sich zieht, wird wegen der fehlenden Konsequenzen gerade ernster genommen? Da komme ich nicht mehr hinterher.

Um die Situation doch noch zu einem für alle Beteiligten positiven Ende zu bringen, hatte ich auf die Entscheidung eines Schiedsgerichts gehofft. Ein Schiedsgericht bestehend aus 3 oder 5 Personen hätte entweder die Entscheidung des Hauptschiedsrichters bestätigen oder aber zurücknehmen können. Im Falle der Zurücknahme der Entscheidung wäre mein Gegner, Dr. Oswald Gschnitzer, sogar bereit gewesen die Partie nachzuspielen, noch vor der nächsten, der 5. Runde. Ging es ihm doch um eine Großmeister-Norm. Meine Hoffnung wurde jedoch enttäuscht, da mir vom Hauptschiedsrichter bestätigt wurde, dass es a) kein Schiedsgericht gibt (!) und b) der Hauptschiedsrichter nach Beratung mit seinem Schiedsrichterkollegen auch kein Schieds-oder Hochschiedsgericht einberufen „will“ (!).

Auf meinen Einwand, dass es doch Gang und Gäbe sei, ein Schiedsgericht vor der 1. Runde einzuberufen, wurde mit „es hat sich ja niemand beschwert“ geantwortet.

Der einzige Weg, eine weitere Beschwerde an eine höhere Stelle zu richten, (wegen der Personengleichheit zwischen Schiedsrichter und Bundesturnierdirektor) wurde mir auf dem Ablehnungsbescheid meines Protestes gezeigt. Ich kann gegen eine Protestgebühr von 150 Euro beim Bundesturniergericht Protest einlegen. Wann dieses tagt oder entscheidet konnte mir Herr Alt nicht beantworten, aber sicherlich nicht während der Deutschen Meisterschaft. Auf die Frage, was denn der optimale Weg für mich wäre, selbst wenn ich noch einmal Protest einlegte und sogar Recht bekäme, immerhin ist bis dahin die Deutsche Meisterschaft schon Geschichte, erhielt ich nur ein Schulterzucken als Antwort.

Als Konsequenz und als einzigen wirklichen Weg meinen Protest weiterzuführen, sah ich den Rückzug vom Turnier. (Als ich den Rückzug vom Turnier bekannt gab, fragte mich Hauptschiedsrichter Alt, was denn der Grund für meinen Rückzug sei. „Spielen auf Risiko ist doch kein Grund“ - Einmal mehr fehlten mir an jenem Tag die Worte.)

Ein Weiterspielen „unter Protest“ ist in meinen Augen ein Eingeständnis, das ich nicht bringen konnte. Ich liebe Schach und ich habe mich sehr bemüht an der Deutschen Meisterschaft teilzunehmen. Doch die Art und Weise wie meine vierte Partie willkürlich entschieden wurde, machte es mir unmöglich weiterzuspielen, als wäre nichts gewesen.

Dank sagen möchte ich allen Schachfreunden und insbesondere Herrn Dr. Weyer, die mir vor Ort, telefonisch oder per Email Verständnis für meine Entscheidung entgegengebracht haben.

 

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