Russische Schachschule lässt Frauen keine Chance

Michail Tchigorin, Entdecker der Russischen Schachschule Michail Tchigorin, Entdecker der Russischen Schachschule Wikicommons

Viszontlátásra – das war es für Judit Polgár beim Weltcup in Khanty-Mansiysk. Das Aus kam im Viertelfinale gegen Peter Svidler, der als russischer Meister und Mannschaftskollege von Jan Gustafsson zwei exzellente Referenzen vorweisen kann. Nachdem Polgár die erste Partie noch recht locker mit den schwarzen Steinen zum Remis abwickeln konnte, wurde ihr taktisches Spiel in der zweiten Partie von Svidler geduldig ausgebremst, so dass sie sich  von einem geopferten Bauern nicht mehr erholen konnte.
Früher Rückflug also für die Ungarin, die sich als Nr. 33 der Setzliste äußerst respektabel geschlagen hat und nun immerhin mit dem schönen Titel „Beste Frau der Welt“ nach Hause reist.

Neben Svidler haben sich Alexander Grischuk (nach Stechen gegen David Navara), Ruslan Ponomariov (1,5:0,5 gegen Vugar Gashimov schon in den regulären Partien) und Vassili Ivanchuk (im Tiebreak gegen Teimour Radjabov) für das Halbfinale qualifiziert. Die Paarungen dort lauten:

Svidler - Ponomariov

Ivanchuk - Grishuk

Gespielt wird schon ab morgen, und wiederum zwei Turnierpartien mit nachfolgenden Tiebreaks. Erst im Finale gibt es ein Mini-Match, für das vier Partien mit langer Bedenkzeit angesetzt sind. -

Einige längere Analysen zum Match Radjabov vs Ivanchuk findet man auf der sehr abwechslungsreichen Homepage des kanadischen Großmeisters Kevin Spraggett. Sehr gut gefallen hat mir die zweite Partie, in der Radjabov unbedingt gewinnen musste, um im Rennen zu bleiben. Kein leichtes Unterfangen gegen einen Riesen bzw. Bären wie Ivanchuk, doch Radjabov spielte einfach ein paar muntere Züge:

radjabov - ivanchuk

Nach sechs gespielten Zügen und einer relativ englisch aussehenden Eröffnung ist hier eigentlich noch nicht viel los. Umso schöner, dass Weiß hier in weniger Zügen eine Figur opfern wird!

7.h2-h4!

Radjabov schickt einen Außenstürmer auf dem rechten Flügel ins Rennen. Ähnliches probierte auch Levon Aronjan vor kurzem - Frank Zeller hat von dieser turbulenten Partie berichtet. Aber wie sieht es hier aus - die schwarze Verteidigung steht doch eigentlich. Was will der Bauer genau erreichen?

7..... h7-h6

Ivanchuk bleibt cool und stellt sich darauf ein, nach h4-h5 einfach mit g6-g5 zu antworten. Danach bleiben die Linien am Königsflügel weiterhin geschlossen. ( ... so könnte man zumindest meinen!) 

8. Lc1-d2, b7-b6

Spraggett kritisiert diesen Zug, weil das Feld d6 dadurch geschwächt wird. Er hat wohl Recht damit - aber es ist schwer, das an dieser Stelle schon zu ahnen.

Radjabov spielt nun munter weiter - und zwar mit den lustigen Zügen ...

9.h4-h5!

radjabov - ivanchuk1

Das kann man ja erstmal so spielen. Ivanchuk antwortete mit dem geplanten ... 

9.... g6-g5

und fiel nach der unbeschwerten Antwort

10.Sf3xg5!!

wahrscheinlich erst einmal vom Stuhl (Videobilder liegen der Redaktion leider nicht vor.).

radjabov - ivanchuk2

 

Hoppla!

Tatsächlich hat Radjabov einige Kompensation für seinen Läufer. Ein tolle Idee, die man wahrscheinlich ganz ohne die Hilfe von Fritz finden muss. Toll finde ich, dass Radjabov diesen Zug spielte, obwohl es für ihn um alles oder nichts ging und er unbedingt gewinnen musste. Aber so ist das manchmal - und der Druck lastet dann ja auch auf dem Gegner. -

Die stärkste Frau des Teilnehmerfeldes ist nicht mehr dabei, und nach dem Ausscheiden von Jörg Hickl stehen nun also je zwei Spieler aus der Ukraine und aus Russland in der Runde der letzten Vier. Somit sind die Vertreter der russischen Schachschule mal wieder ganz unter sich (auch wenn sich die Ukrainer streng genommen wahrscheinlich nicht dieser Schule zugehörig fühlen werden – ich bitte vorsorglich um Verzeihung). Interessant ist an dieser Stelle vielleicht, dass GM Alexander Yermolinski in seinem Buch "The Road to Chess Improvement" die Existenz einer russischen Schachschule ziemlich direkt in Frage stellt und sie als reinen Mythos beschreibt. Doch wie dem auch sei - die Besetzung des Halbfinales gibt der von Michail Tchigorin schon vor langer langer Zeit entdeckten russischen Schachschule wieder einmal Recht!

Mal schauen, wem wir von nun an die Daumen drücken. Das Spektakel geht weiter!

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

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