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Na Cisha, Alter

Europameister Jan Gustafsson ist mit von der Partie Europameister Jan Gustafsson ist mit von der Partie OSt

Seit ich ein Kind war, habe ich gewartet. Als ich vor zwei Jahren erfuhr, dass Jan Gustafsson auch mit dabei ist, wurde ich noch neugieriger. Seit dieser Woche ist es nun soweit – Cisha ist online gegangen!

Cisha ist eine Softwareschmiede, ein Systemhaus (oder so), aus der Hansestadt Hamburg. Mit Chess24 haben sie nun ein neues Schachportal in die Welt gebracht, dem Vernehmen nach von langer, längster Hand geplant, und was man so hörte, soll es „big“ werden. GM Jan, der alte Hamburger Jung´, hat irgendwann sogar das Bloggen eingestellt, um an diesem nach seinen Worten „streng geheimen Geheimprojekt“ mitzuwirken. Durch Gustafssons Rückzug aus der Bloggerszene hat die Schachgemeinde bereits einen hohen Preis gezahlt – und wir fragen natürlich: war es das wert? Hält Cisha, was es verspricht? Und was verspricht Cisha eigentlich?

Investigativ, wie Schachwelt.de nun einmal ist, schauten wir heute abend gleich mal vorbei, um unser Glück bei einer Online-Partie zu versuchen. Meinen Namen indes verschwieg ich beim ersten Besuch auf chess24.com – your playground – so der offizielle Titel. Auch meldete ich mich nicht an, sondern wurde als Gast gleich mit einem internationalen Gegner aus Spanien an einen Tisch gesetzt. Wer das wohl war? Illescas? Shirov? Jörg Hickl? Vermutlich wird es sich nie aufklären, doch deutet der Verlauf der Partie auf eine kaum großmeisterliche Spielstärke hin –bei meinem Gegner ebensowenig wie bei mir.

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Es sieht nicht gut aus für Guest140466 - ist Schach bei Cisha doch nicht das Richtige für ihn? Jcdelarco drückt jedenfalls massiv auf die weiße Stellung. 

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Ein kleines Mirakel - Guest140466 hat irgendwie Material gewonnen, und schon gleich gefällt ihm der neue Server viel besser

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Die erste Partie geht an den begeisterten Gast140466 - hurra! Und auch die Rating ist schon gestiegen.

Ein Wort zur Webseite: sieht alles hübsch aus! Ein bisschen aufgeräumt vielleicht, in der Farbgebung etwas nordisch kühl (die Software kommt ja aus Hamburg), ansonsten aber klar und übersichtlich strukturiert. Überraschend eigentlich, dass auf der Startseite keine Schachmotive zu sehen sind – weder ein König noch das berühmte Pferd, und auch kein Schachmuster. Allerdings taucht rechts am Bildrand bei „Jetzt registrieren“ ein sympathischer, wenn auch etwas zerknautscher Turm auf, der ein wenig an Bernd das Brot erinnert. Man kann also doch merken, wo man da gelandet ist, und wer die Adresse chess24.com eingetippt hat, weiß ja sowieso, dass es nun irgendwie um Schach gehen wird.

Das Portal scheint auf den ersten Blick nicht nur die internationalen Spitzenspieler, sondern auch die etwas größere Schachgemeinde im Blick zu haben. Man kann beispielsweise gegen Kevin, Claudia oder Don Hugo spielen (möglicherweise in Anlehnung an Hugo Schulz, den Internationalen Schiedsrichter aus …. Hamburg, der hiermit herzlich gegrüßt sei) – und alle drei sind Computerprogramme unterschiedlicher Spielstärke. Kevin etwa „ist nicht besonders stark und verschenkt gerne Figuren“ – eher etwas für Einsteiger also, und das ist doch sehr angenehm. Offenbar wendet sich Chess24 an alle, Hobbyspieler, Neuschachspieler, aber dann eben auch an die härteren Kaliber, die mit Don Hugo zocken („Nur Hartgesottene sollten gegen ihn antreten“) oder nach der Registrierung mit anderen Menschen (echten Menschen!) im Netz spielen möchten.

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Das alles geht ganz reibungslos, selbst ohne das Herunterladen von Software kommt man aus, und es kostet offenbar auch nichts, noch jedenfalls, und man setzt sich einfach ganz unkompliziert ans Brett.
In den Kategorien „Spielen“, „Lernen“ (Kurse, Videos, Taktiktrainer), „Lesen“ (Neuigkeiten, Wer ist wer in der Schachwelt) und „Sehen“ (Live-Übertragungen von Top-Veranstaltungen) kann man sich vielseitig durch die Welt des königlichen Spiels bewegen.
Das genaue Geschäftsmodell hat Cisha unserer Redaktion natürlich nicht unterbreitet – wird sich Chess24 über Werbung finanzieren wollen, oder auch durch Schachtraining, online erteilt an interessierte Gäste? Nach Angaben auf der Firmen-Webseite soll mit dem Portal "die vielseitigste und fortschrittlichste Schachplattform der Welt" entwickelt werden. Das klingt beeindruckend, und es lässt aufhorchen - nach hanseatischem Understatement klingt es ja eher nicht.  Da sich das Entwickeln der Seite mit sicher über zwei Jahren auch eine ganze Weile hingezogen hat, bauten einige bereits mit den Buchstaben des Firmennamens das originelle Certainly it goes more slowly than they have anticipated ("sicherlich hat es länger gedauert, als sie erwartet haben"). Doch g
ut Ding will Weile haben, und die Hamburger haben offenbar solide und umsichtig geplant, bevor sie starteten.

Und nun ist es soweit, sie sind online, alle können kommen, und was sollen solche Gedanken auch beim ersten Besuch, am ersten Abend! Es ist zumindest ein Portal für alle Gelegenheiten, zeitlos und schlicht, doch mit einem dezent ansprechenden Flair. Gerne schaue ich mal wieder vorbei, um zu spielen. Obwohl, eigentlich finde ich das Schachspielen zusammen mit echten Menschen ja viel schöner. Lang lebe der Vereinsabend.

Alles Gute also, Cisha, Du neues Internet-Projekt, lange haben wir auf Dich gewartet. Wir wünschen viel Glück, und lass Dich nicht von Facebook aufkaufen!

PS: Und falls Großmeister Jan mal im Hause ist -  wird er nun wieder bloggen, jetzt, wo beim streng geheimen Geheimprojekt alles fertig ist!?

 

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Kommentare   

#1 joerg005 2014-02-27 16:18
Bei der Überschrift interpretierte ich zuerst: Hey man, lass uns einen durchziehen.
#2 alexm 2014-02-27 21:06
Naja, es dauert erstmal recht lange, bis man einen Gegner findet, man kann nicht chatten, man sieht nicht, wieviele Leute online sind. Die Züge fühlen sich recht langsam an. Kann noch was werden, aber momentan ist es nicht so spannend. Da bleibe ich lieber bei ChessCube.
#3 Schmidt 2014-02-28 00:03
Niclas Huschenbeth hat auf seiner Seite etwas zu dem Projekt geschrieben - offensichtlich kommt da noch einiges mehr auf die Seite. http://niclas-huschenbeth.de/en/news/11-beitraege/176-chess-24
Es wird schon einiges geben, wofür es sich für Interessierte lohnt, Geld auszugeben (Lehrvideos, Übertragungen etc). Würde mich freuen, wenn es ein Erfolg wird, allerdings sitzt ein harter Konkurrent ja gleich nebenan in Hamburg. Jedenfalls finde ich erstaunlich, wie viel Geld bereits in das Projekt investiert worden sein muss, wenn man sich die Liste der Leute anschaut, die da Content bereitstellen - abgesehen davon, dass da ja ein ganzes Team schon eine Weile dran full-time rumwerkelt, ohne dass von irgendwo Einnahmen reinkämen. Würde mich interessieren, wer das finanziert.
Witzig finde ich, dass Vishy Anand auf der Seite den "First Steps"-Kurs moderiert. Für so etwas wurde das Wort "überqualifiziert" erfunden... ;)
#4 lvapatzer 2014-02-28 08:09
Schaut euch mal das Swidler-Video über seine Grünfeld-Hölle in 1999 an.Erstklassig.
-1 #5 Thomas Richter 2014-02-28 09:23
Disclaimer vorab: Ich hatte diesen Artikel redaktionsintern angeregt, wollte ihn aber nicht selbst schreiben - ich bin vielleicht nicht 100% neutral sondern ein kleines bisschen positiv-voreingenommen. Gründe nenne ich hier nicht, damit keine Missverständnisse entstehen: ich gehöre in keinster Weise zum Team und habe also kein eigenes kommerzielles Interesse.

Blitzen im Internet kann man natürlich auch auf diversen anderen (etablierten) Seiten. Da kann chess24 kaum besser oder attraktiver werden - es sei denn, ihre GMs tummeln sich da regelmässig und spielen auch gegen Amateure? Aber das wäre wohl, sicher von den Freelancern, zuviel verlangt.

Wie Schmidt und Ivapatzer erwähnten: die Seite hat noch viel mehr zu bieten - mehr als man an einem Abend anschauen kann, und Olaf blieb eben weitgehend in der Spielzone. Das genannte Svidler-Video und das von Huschenbeth auf seiner Homepage gebrachte Najdorf-Video sind jeweils Teil einer Serie. Daher wäre "wieviele sind online" wohl auch begrenzt aussagekräftig - daraus wird nicht klar, ob sie spielen, lernen, lesen oder gucken wollen.

Gewisse Einnahmen hatten sie übrigens wohl bereits: das System zur Liveübertragung (Weiterentwicklung von Pascal Huschenbeths Bundesliga-Liveportal) wurde schon bei diversen Turnieren verwendet.
#6 Krennwurzn 2014-02-28 10:43
zitiere Thomas Richter:
Gewisse Einnahmen hatten sie übrigens wohl bereits: das System zur Liveübertragung (Weiterentwicklung von Pascal Huschenbeths Bundesliga-Liveportal) wurde schon bei diversen Turnieren verwendet.

Es ist wohl Pascal Pflaum gemeint und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein paar Turnierübertragungen auch nur einen kleinen Teil von Personalkosten für zwei Jahre hereinspielen.

Mein erster Eindruck: Etwas DÜNN und wenig Innovatives für eine so lange Vorlaufzeit - anderseits imponiert wie viele und welche Leute "eingekauft" wurden. Mal sehen wie sich das entwickelt!

zitiere Thomas Richter:
Disclaimer vorab: Ich hatte diesen Artikel redaktionsintern angeregt, wollte ihn aber nicht selbst schreiben.

Von dem abgesehen, dass es hier keine Redaktion im engeren Sinne gibt, sollte doch eine nicht nur journalistische Grundregel gelten: Internas sollen das bleiben was sie sind: INTERNAS!!
#7 Losso 2015-10-14 10:36
Inzwischen ist das Portal zu einem bedeutenden Spieler auf dem Schachmarkt geworden und auch die entwickelte App ist sehr schön geworden. Leider taugt sie nicht zum Schachspielen, da in der mobilen App Latenzen entstehen, die komplett dem Nutzer angelastet werden. Sprich: Im Durchschnitt werden mir bei Nutzung der App, nahezu egal, wie sich mein mobiles Device mit dem Internet verbunden hat, ca. 2 Sekunden pro Zug abgezogen. Die Partien gleichen dann einem Fußballspiel, bei dem eine Mannschaft bergauf spielen muss, während die andere bergab spielen darf. Ist fürchterlich frustig und sehr schade. Abhilfe könnte ein gesonderter Bereich in der App schaffen, wo weniger strikt mit auftretenden Latenzen umgegangen wird.

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