Neues für das Schach-Geschichtsbuch

Dubai 1986: Noch ahnte Nigel Short am Zug nicht, was ihn 2011 in London erwarten würde Dubai 1986: Noch ahnte Nigel Short am Zug nicht, was ihn 2011 in London erwarten würde GFHund/ Wikicommons - danke schön!

Eine Frage so alt wie die Menschheit: Warum nur spielen wir Schach?

Natürlich finden wir, wenn man uns nur lange genug nachdenken lässt, viele sinnvolle Antworten darauf.

Wir spielen Schach,  …

1) weil Frauen auf Schachspieler abfahren (hey hey)

2) weil wir auf dem Schachbrett die Sau rauslassen können (Keine Kompromisse!)

3) weil wir GEWINNEN wollen

4) weil wir dann bei Regenwetter drinnen sitzen können

5) weil wir dabei sein wollen, wenn Deutschland Europameister wird (hurra!)

6) weil wir beim Schach Menschen treffen, die ein ähnlich schräges Hobby haben wie wir

7) weil es Spaß macht: Schach rockt!

 


Man sieht, es gibt tausend gute Gründe (von denen wir uns hier auf die ersten sieben beschränkt haben).

Doch bei aller Euphorie wollen wir nicht vergessen, dass man auch dunkle Tage erleben kann als Schachspieler.
Nigel Short, früheres englisches Wunderkind und einstiger Anwärter auf den WM-Titel, erlebte solch einen mauen Tag zu seinem Unglück erst kürzlich bei den London Chess Classics.-
Vor heimischem Publikum spielte Short gegen Ex-Weltmeister Kramnik die Spanische Partie, zauberte schwungvoll den Tarrasch-Läufer nach b5 und erreichte alsbald die folgende Stellung:

short - kramnik 1

Alles sehr unklar – Short hatte gerade seinen Läufer nach e7 gespielt, woraufhin Kramnik mit 14… a7-a6 antwortete.
Wenn Weiß nun auf f8 nimmt, gewinnt Schwarz das Läuferpaar mit 15…..a6xb5. Darüber hinaus hat der Lf8 Probleme mit der Rückkehr zu seiner Mannschaft – nach 16.Lf8 –e7 kann Schwarz mit …. f7-f6 alle Fluchtwege blockieren. Unangenehm!

Nigel Short brachte darum seinen Läufer „in Sicherheit“ und zog ihn nach a4 zurück. Ein typisches spanisches Manöver eigentlich, doch Kramnik blieb am Ball und antwortete energisch mit dem ebenso spanisch-typischen 15…..b7-b5.

short - kramnik 2


Schon hier mag Short geahnt haben, dass etwas schiefgegangen war. Ein Vorteil für ihn war jedenfalls schon weit und breit nicht mehr zu sehen. Eher schien die Stellung zugunsten des gewaltigen Kramnik zu kippen. Doch was sollte er tun - weglaufen ging ja nicht, und so blieb er eben am Brett sitzen und hoffte auf das Beste.
Es folgte

16.b2-b4, Tf8-e8
17.Tf1-e1, Lc5-b6
18.La4-b3

 short - kramnik 3

Alles wieder ok? Weiß hält die Fahne hoch, und nun soll Kramnik doch erstmal zeigen, was er so hat!
Doch auf den zweiten Blick ist es alles schon ganz furchtbar für Weiß. Und besonders furchtbar wird es für den weißen Läufer …

18…..Lc8-b7 (mit Tempo. Weiß sollte nun wohl 19.c3-c4 spielen, entschied sich aber für ...)
19.Kg1-g2, d6-d5 (!)

short - kramnik 4

Das sieht nicht gut aus! Der weiße Läufer ist einbetoniert auf dem Feld b3, und wenn man genauer hinguckt, gibt es für ihn auch keinen vernünftigen Weg mehr hinaus.

Short hat hier die Rolle des weißfeldrigen Läufers in der Spanischen Eröffnung zwar mutig neu interpretiert - doch so richtig gefallen will es uns nicht.
Nach 20.Te1-e5, c7-c6

spielte Short als guter Sportsmann noch 20 Züge weiter – das Ergebnis wird ihm aber wohl die ganze Zeit klar gewesen sein.

short - kramnik 5

                  Genug des grausamen Spiels!

Tatsächlich gewann Kramnik im 43.Zug – und wir vermuten, Schach hat ihm an diesem Tag aus mehreren Gründen (siehe oben) Spaß gebracht:

- aus Grund 2 (die Sau rauslassen),

- aufgrund von Grund 3 (GEWINNEN!) und

- wegen Grund 7 (Schach rockt!).
Vielleicht sogar wegen Grund 4 (Schutz vor Regenwetter) und 1 (Frauen!).

Nigel Short dagegen hatte zwar schon seit seiner Kindheit viel Spaß am Schach – an diesem verregneten Londoner Montag mag ihn aber ein kleines Stimmungstief ereilt haben.
Doch schadenfroh wollen wir nicht sein – wir alle machen Fehler und bauen (zum Schrecken unserer Mannschaftsführer!) unsere Figuren immer wieder gerne auf die allerunglücklichsten Felder.

Immerhin ist der Läufer auf b3 eine Figur, die es in die Schach-Geschichtsbücher schaffen kann. (Oder zumindest in unseren kleinen Blog!)

Und weil sich Short wohl ebenso wie wir darüber freuen kann, bleibt ihm zumindest Grund Nr.6 ("Andere Menschen treffen mit einem ähnlich schrägen Hobby"), um weiter beim Schachspiel zu bleiben.

Und das ist ja auch ein ziemlich guter Grund, oder?

england 1986 dubai

Das englische Team auf der Olympiade in Dubai, 1986. Ein legendäres Photo - im Hintergrund schaut Tony Miles über die Bretter, dann verschmitzt lächelnd John Nunn und Nigel Short, und überall Capri Sonne auf den Tischen! Schön auch die alten Schachuhren - DAS waren noch Zeiten. (Leider weiß ich nicht, wer der vierte Spieler ist, den wir vorne links sehen - aber er scheint gerade auf Zeit verloren zu haben!? Bemerkt hat er es aber noch nicht.)

(Photo: GFHund/ Wikicommons)

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Kommentare   

+1 #1 Gereon 2011-12-08 20:57
bei dem vorderen spieler handelt es sich um Jonathan Speelmann, http://de.wikipedia.org/wiki/Nigel_Short und www.gidf.de haben mir geholfen ;-)
#2 Olaf Steffens 2011-12-08 21:43
Moin Gereon,

danke für die Recherche! Ich hatte Speelman oder Mestel in Verdacht, aber konnte es auf die Schnelle nicht mehr nachprüfen. Wer hätte gedacht, dass das Photo auch nochmal auf der Short-Wikipediaseite steht, MIT allen Namen. Super!
Speelman kenne ich nur als sehr, sehr bärtigen Spieler und mit dieser großen Brille. Das ging aber wohl erst später los - nach 1986. Auf

http://de.wikipedia.org/wiki/Nigel_Short

sieht man ein Bild von ihm. Mestel und er sehen sich da sehr ähnlich, ganz hübsch zu sehen. Lange her!
+1 #3 Gerald Braunberger 2011-12-08 21:53
Hallo,

für das Motiv des eingesperrten Läufers gibt es ein bekanntes Vorbild:

http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1130764

Gruß
gb.
#4 Gerhard 2011-12-08 22:55
Ich bin selber auch mal in die Falle getappt, habe allerdings auch einige Male selbst einen Läufer eingekastelt.
Tragische Geschichte für Short jedenfalls, denn so etwas aufs Brett zu bekommen, tut schon weh. Aber ich denke, im Laufe seiner Schachkarriere ist ihm sicherlich auch das eine oder andere Mißgeschick passiert, was das Ganze abmildern hilft.
Gegen Adams jedenfalls hat er sich wieder als der Alte erwiesen.
#5 Olaf Steffens 2011-12-14 11:33
London ist vorbei, und Kramnik hat gewonnen!

Danke für die vielen Rückmeldungen zur Partie von Nigel Short.
Auf dem Email-Weg kamen noch zwei Kommentare ins Haus - die Registrierungsfunktion verhinderte das Einstellen direkt hier im Blog.

Die Emails beantworten alle Fragen zum geheimnisvollen Dubai-Photo der englischen Nationalmannschaft. Danke für Eure Nachforschungen - wir werden sie bald hier veröffentlichen, wenn wir das "OK" von den Autoren bekommen haben.
#6 Olaf Steffens 2011-12-15 15:45
(Ich bin´s nochmal - hier ist ein Kommentar, den uns Reiner Röbig noch in der letzten Woche schickte)

*********************************

Hallo Olaf,

zu Deiner Frage unter dem letzten Foto kann ich Dir etwas weiterhelfen.

Ich besitze ein Buch über die Schacholympiade 1986 und darin sind die englischen Spieler aufgeführt:
Miles, Nunn, Short, Chandler, Speelman und Flear.

In der Besetzung auf dem Foto mit Miles, Nunn und Short kann nach der Tabelle der Einzelresultate in diesem Buch der vierte Spieler nur Chandler oder Speelman gewesen sein. Wäre der Gegner der Engländer bekannt, könnte man es genau sagen.

Schöne Grüße

Reiner Röbig

P.S.

1. Da ich mich nicht registrieren lassen kann (habe es versucht, bin aber gescheitert), sende ich die Info auf diesem Weg.

2. Ich denke, der vierte Spieler hat nicht verloren, sondern die Partie beginnt erst, so wie auf den anderen Brettern ersichtlich.
#7 Scissors 2011-12-16 09:20
Murray Chandler ist blond, klein und trägt eine dicke Brille. Der Mann auf dem Bild muss also - wenn die Info von Reiner Röbig korrekt ist - Jonathan Speelman sein.


http://www.perlukafarinn.is/skaksamband/erlendir_skakmenn/speelman_jonathan/Speelman2-1988.jpg

...das ist ein Bild von Speelman aus dem Jahr 1988. Bis auf die Brille, kommt das schon recht gut hin, oder?
#8 Jörg Hickl 2011-12-16 10:53
Es ist Jonathan Speelman, Schacholympiade Dubai 1986 - ich war dabei :-)
#9 Olaf Steffens 2011-12-16 16:41
Moinmoin,

yep, schon nicht schlecht, Eure Nachforschungen! Jonathan Speelman also, der alte Haudegen, ist es am vorderen Brett. Danke für die Recherche!

Darum gleich die nächste Frage an die Community:

Wer ist der Mann links im Bild, mit der Partienotation?

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