Schachbund weiter abwärts

Passend zu unserer Diskussion über den Zustand der Schachvereine ist die vor kurzem erschiene Bestandserhebung 2010 des DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund), einzusehen unter http://www.dosb.de/de/service/statistiken)

Wie im Vorjahr reduzierte sich die Mitgliederzahl des Deutschen Schachbundes um gut 1200 - die Gesamtmitgliederzahl aller Sportarten hat hingegen erneut zugelegt.

An dieser Stelle mache ich es mir einfach und verweise auf meinen Artikel, der in der Ausgabe 02/2010 des Schachwelt-Magazins erschien. Kaum etwas hat sich geändert - der Moderne Fünfkampf überholte uns mit weiterhin rasanten Zuwachsraten. Es wäre schön, eine offizielle Stellungnahme und Analyse des Schachbundes zu diesem Thema zu bekommen (oder habe ich die verpasst?)

Quo Vadis deutsches Schach?

 

Anfang November 2009 publizierte der Deutsche Olympische Sportbund seine jährliche Bestandserhebung. Wie in den meisten Jahren zuvor, konnte über den Deutschen Schachbund nichts Gutes berichtet werden. Die Mitgliederzahl sank um 1.237 (1,31%) auf 94.149. Damit lagen wir in der Gesamtheit der Verbände unter Schnitt. Die olympischen Sportarten erzielten ein Wachstum von 2,87%, die nichtolympischen immerhin auch noch 2,39%. Eigentlich hätte das Jahr 2009 bei den großen Events des Vorjahrs, der Weltmeisterschaft in Bonn und der Schacholympiade in Dresden, einen Trendumkehr verzeichnen sollen. Solche Veranstaltungen im eigenen Land bringen der Bevölkerung die Sportart positiv ins Gedächtnis und ein Interesse am Abschneiden der eigenen Teilnehmer wird geweckt. Doch anscheinend ist die Botschaft bei den Menschen nicht angekommen – Schach konnte nicht punkten.
Doch blicken wir in die Zukunft: Wie kann Schach populärer werden? Was bringt Menschen dazu, sich mit Schach zu beschäftigen?

Folgende Themen fallen mir dazu spontan ein:

  •  Identifikation mit Persönlichkeiten
  •  Image
  •  Medienpräsenz und Öffentlichkeitsarbeit
  •  Schach in der Jugend
Beim ersten und dritten Punkt müssen wir passen! Seit Dr. Robert Hübner, der es in den 70-er Jahren sogar in die Tagesschau schaffte, wurde kein Deutscher im Spitzenschach auffällig. Von Medienpräsenz war in der letzten Zeit kaum etwas zu spüren. Die Schachspieler werden nicht wahrgenommen. Der breiten Bevölkerung fällt Schach nicht durch eine Olympiade sondern vielleicht durch eine Toilettenaffäre wie in Kramnik – Topalov, Elista 2006, oder einem Vladislav Tkachiev, der am Brett einschläft, auf.
Unser Image ist seit jeher ein Plus, doch muss es entsprechend eingesetzt werden. Viele renommierte Firmen nutzen Schach für Werbezweck. Allerdings besteht auch das Risiko, aufgrund der komplexen Regeln, in eine elitäre oder auch exotische Ecke gedrängt zu werden.
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Einzig der vierte Punkt gibt derzeit Anlass zur Hoffnung: Möglicherweise bringt Schulschach Besserung?! Spätestens seit verschiedene Pilotversuche bestätigen, dass schachspielende Kinder bessere Schulnoten erzielen, bewegt sich auf diesem Sektor vieles. Doch auch hier klagte vor wenigen Tagen der rührige Vorstand eines Schachvereins, dass er zwar die Jugendlichen habe, aber nicht die Infrastruktur (Trainer, Lehrer etc.) um diese auszubilden und auch später bei der Stange zu halten.
Vielen anderen Sportarten geht es nicht besser. Allerdings erwachten Tennis und Golf aus einem Dornröschenschlaf mit der Medienpräsenz eigener deutscher Stars. Boris Becker, Steffi Graf, Bernhard Langer und Co. ermöglichten eine Identifikation mit Personen und damit der Sportart – die Mitgliederzahlen stiegen sprunghaft. Und das würde im Schach genauso funktionieren. Sicher sagen sich im Moment viele Norweger „Magnus Carlsen ist cool – ich spiele jetzt Schach.“ (– mein Kind muss Schach lernen!“) Oder „Schach? Das kannte ich bisher nicht, das ist in den Medien. Wo kann ich es lernen?“ Auch Firmen würden eventuell nicht nur ein Schachbrett für Werbezwecke nutzen, sondern gleich mit einem erfolgreichen Großmeister werben.
 
Ein Spitzenspieler in der Weltelite könnte auch dem deutschen Schach weiterhelfen. Mit Georg Meier haben wir, fast vier Jahrzehnte nach Robert Hübner, wieder ein Talent, das sich auf dem Sprung in die Weltspitze befindet. Wie er in unserem Interview betont, ist seine Spielstärke einzig auf die 2004 eingeleitete (und inzwischen beendete) Sonderförderung der Jugendolympiamannschaft zurückzuführen. Die derzeit vorhandenen Mittel scheinen jedoch nicht annähernd ausreichend, um ihm auf seinem Weg nach oben günstige Voraussetzungen zu bieten. Doch wer steckt Sponsorengelder ein eine Sportart, die nicht medientauglich ist? Hier sind neue Ideen gefragt. Wie soll es weitergehen? Vielleicht haben Sie sich auch schon einmal Gedanken zu diesem Thema gemacht.
Jörg Hickl

Großmeister, Schachtrainer, Schachreisen- und -seminarveranstalter.
Weitere Informationen im Trainingsbereich dieser Website
oder unter Schachreisen

Webseite: www.schachreisen.eu

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