SchuhSchautSchach: ""Kandidatenzüge" von Christian Bauer

Spiele lieber ungewöhnlich: GM Christian Bauer Spiele lieber ungewöhnlich: GM Christian Bauer Foto: Schach NIggemann

Von IM Dirk Schuh!

Rezension der englischen Ausgabe

Der französische Großmeister Christian Bauer hat nicht nur eine stattliche Elo von 2644, er ist mir auch schon vor Jahren durch seinen interessanten Eröffnungsstil aufgefallen. Wo andere Profis die Hauptvarianten auf das Brett knallen, versucht er, eigene Wege zu gehen und den Gegner wie sich selbst schnell zum eigenen Denken zu zwingen. Dass er aber voll und ganz an seine Eröffnungen glaubt, hat er schon mit dem Mut bewiesen, eher belächelte Varianten wie die Skandinavische Verteidigung nach 1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 oder 1. ...b6 gegen alles anhand von Schachbüchern in die Öffentlichkeit zu bringen. Mir persönlich gefiel auch sein Beitrag in "Experts on the Anti-Sicilian" aus dem Hause Quality Chess sehr gut, in dem er nach 1.e4 c5 2.Sf3 d6 sowohl 3.Lc4 als auch 3.c3 Sf6 4.h3 beleuchtet.

Nun hat er mit "Candidate Moves" für Thinkers Publishing sein erstes Nicht-Eröffnungsschachbuch veröffentlicht.

Den Titel plus den Klappentext finde ich dabei allerdings sehr irreführend. Ich hielt das Buch darum zuerst für ein Lehrbuch zur Variantenberechnung, aber in Wirklichkeit trifft der Ausdruck Partiensammlung wohl eher die Thematik. Auf 405 Seiten analysiert GM Bauer 41 seiner Partien und beleuchtet dabei verschiedenste Aspekte des Schachspiels. Dazu gehört auch die Variantenberechnung, aber eben auch interessante Eröffnungsvarianten, Schachpsychologie, positionelle Aspekte, kurzum alles, was bei einer gut analysierten Partie so anfällt.

Den kreativen Stil des Autoren findet man dabei überall im Buch wieder. So gibt es zu den oben genannten Eröffnungen natürlich einige nette Partien. Es beginnt gleich wunderbar abwegig mit einer Partie gegen den Haudegen GM Davit Shengelia, mit dem ich vor Jahren beim SK Werther zusammengespielt habe. Christian Bauer beginnt mit 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.c3 Sf6 4.h3, Schwarz kontert mit Sc6 5.Ld3 g5 und das Chaos ist angerichtet. Solche Eskalationen gibt es in dem Buch zuhauf und das unterhält ungemein. Mich juckte es jedenfalls bei der Lektüre mehrfach in den Fingern, die neu gelernten Ideen gleich mal in der Praxis auszuprobieren.


Partiedarstellung - mit Dank an Chessbase!

Kreativ ist allerdings auch der Aufbau des Buches. Auf der einen Seite gibt es eine klassische Ordnung der Partien nach Qualitätsopfern, taktischen Chaosstellungen, Königen in der Mitte und ruhigeren Stellungen, über deren Ruhe man sich allerdings auch streiten darf. Das wirkt noch relativ normal. Auch die Einleitung eines jeden Kapitels, wo alle beinhalteten Partien kurz angeschnitten werden, damit der Leser weiß, was ihn so erwartet, ist begrüßenswert, aber wurde auch schon hundertfach gesehen.
Neu für mich war allerdings, dass jede Partie in dem Buch doppelt analysiert wird. Der Autor beleuchtet erst alle Aspekte der jeweiligen Partie aus weißer Sicht und sieht sich das Ganze danach dann noch aus der Sicht des Nachziehenden an. Das frisst zwar einiges an Platz und wirkt auch erst einmal gewöhnungsbedürftig, wenn ein merkwürdiger Zug gar nicht kommentiert wird, weil er von der Seite kommt, die gerade nicht behandelt wird, ist aber auf seine eigene Art auch sehr übersichtlich und erlaubt es dem Autor, insgesamt mehr Kommentare und Analysen zu den Partien anzugeben, ohne dass es zu voll wird.

Der Autor gibt dabei in den Partien oft noch sehr viele Fragmente zu ähnlichen Partien an, die auf den ersten Blick gar nichts mit den Hauptpartien zu tun haben, aber sehr schön die Welt der Nebenvarianten erläutern. Zum Beispiel träumt Weiß in der Variante, die gegen Davit Shengelia gespielt wurde, davon, Schwarz in Strukturen der Spanischen Eröffnung zu lotsen, in denen oft später im Mittelspiel das Bauerndreieck e5-d6-c5 aufgebaut wird, um im Zentrum Gegenspiel zu erlangen. Spielt Schwarz also in dem Sizilianischen Pendant später notgedrungen e5, um eine weiße Bauernexpansion auf dieses Feld mit e4-e5 zu verhindern, ist Weiß mit seinem Spanischwissen klar im Vorteil, sofern der Gegner nicht 1. ...e5 in seinem Eröffnungsrepertoire hat.

Ein anderer zuletzt häufig zu sehender Trick der Nebenvariantenelite ist das Spielen von Schwarzeröffnungen mit Weiß. Hier liefert der Autor ein hochinteresantes Beispiel zum symmetrischen Englisch nach 1.c4 c5, das oft sehr langweilig wirkt, da Schwarz häufig die weißen Züge spiegelt. Wie man dort allerdings mit Weiß und mit Schwarz auf Gewinn spielen kann, zeigt Christian Bauer sehr gut. Die gängigeren Beispiele zu diesen Thema wie das derzeit moderne Londoner System, das nichts anderes als Slawisch im Anzug ist oder auch der Torreangriff nach 1.d4 Sf6 2.Sf3 g6 3.Lg5, der als Schwarzeröffnung nach 1.Sf3 d5 2.g3 Lg4 oder auch erst c6 und dann Lg4 lange Zeit sehr viel populärer war, werden natürlich auch behandelt und ergeben einen großen Fundus an seltenen Eröffnungen.

Kandidatenzüge Bauer

Insgesamt bietet das Buch tolle Partien , in denen oft schon frühzeitig die Fetzen fliegen und gezeigt wird, wieviel Spaß das Spiel abseits der Mode der Hauptvarianten bereiten kann. Das Titelthema ist zwar klar verfehlt worden, aber dennoch kann ich es jedem Schachfreund ans Herz legen.

IM Dirk Schuh, Schachtrainer

Mai 2018

Kandidatenzüge von Christian Bauer bei Schach Niggemann

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

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