SchuhSchautSchach: The Complete Chess Swindler

Mit Grüßen von Down Under Mit Grüßen von Down Under Foto: Schach Niggemann

Eine Rezension von IM Dirk Schuh

Ich schreibe diese Rezension zu Zeiten der Coronakrise. Ich kann kaum noch arbeiten, das Verlassen der Wohnung macht mir auch nicht mehr soviel Spaß nach dem erlassenen Kontaktverbot, mein Geist schreit also nach Ablenkung. Was liegt da näher als ein unterhaltsames Schachbuch? Im Nachhinein bin ich sehr erfreut, dass kurz vor der Abschottung noch "The Complete Chess Swindler- How to save Points from lost Positions" vom australischen Großmeister David Smerdon bei mir vor der Haustür lag.

Mich erinnerte es an eines meiner ersten Schachbücher. Ich war gerade neu im Schachverein, da schenkte mir meine Mutter "Schach für Tiger" von IM Simon Webb. Sie hat gar keine Ahnung von Schach, aber dieses Geschenk war ein absoluter Glückgriff. Ich habe es so oft gelesen, dass es irgendwann ganz verschlissen war, aber habe es immer noch in meiner Sammlung. Dort lernte ich zum ersten Mal bewusst, dass der Kampf zwischen zwei Menschen am Schachbrett eben nicht nur durch die objektiv besten Züge entschieden wird, sondern auch viel Psychologie mit hineinspielt.
Für mich war das eine faszinierende Sache, die mir in vielen Partien weitergeholfen hat. GM Smerdon nimmt sich jetzt einen ganz bestimmten Aspekt daraus vor. Bei ihm ist schon klar, dass wir vom rechten Pfand abgekommen sind und auf Verlust stehen. Gegen eine Engine könnte man jetzt aufgeben, da sie keine Nervosität oder Ungeduld kennt. Sie ist frei von der Angst, es noch zu verhunzen, und lehnt sich auch nicht zu früh innerlich in dem Bewusstsein zurück, dass die Stellung sich jetzt schon von allein gewinnen wird und man sich schon einmal gedanklich mit dem Mittagessen oder der Einkaufsliste auseinandersetzen kann. Zu all dem kann der Mensch allerdings neigen und darum kann man auch verlorene Stellungen natürlich weiterspielen. Der Autor gibt dem Leser aber nun auch das Werkzeug an die Hand, mit dem er solche Schwächen nutzen kann.

Zeller Smerdon 2017
Brettkampfsportler und wundervolle Autoren: Frank Zeller (Schwäbisch Hall) und David Smerdon (Werder Bremen), 2017 im Weserstadion

Dafür zeigt er anhand zahlreicher Beispiele nach der Klärung des Begriffes "Schwindel" erst einmal die oben genannten Schwächen, damit man weiß, worauf man achten muss. Erst danach gibt es verschiedene Schwindeltechniken, die der Leser in verlorenen Stellungen anstreben kann. Natürlich sind gute Schwindel gar nicht so einfach, aber ich glaube, dass man durch Übung durchaus zu einem besseren Schwindler werden kann. Derzeit erprobe ich das mit den wenigen Schülern, die ich noch trainieren kann, und kann sagen, dass einige durchaus Talent dafür mitbringen.
Am besten gefiel mir in dem Buch aber der vierte Teil. Ich durfte mir schon von vielen Leuten anhören, dass Endspieltraining bei ihnen eh nichts brächte, weil sie entweder nie ins Endspiel kommen oder dann schon einen derart großen Materialvorteil haben, dass man das eh ganz locker gewinnt. Dass dieses Argument nicht gehalten werden kann, ist klar, aber hier kommt jetzt noch ein weiterer Aspekt dazu.
Als guter Schwindler sollte man zahlreiche Festungen im Endspiel kennen oder auch festungsähnliche Stellungen, die zwar für die stärkere Seite gewonnen sind, aber eben nur mit sehr viel Präzision. Auch hier glänzt das Buch mit vielen tollen Beispielen und Erklärungen, begonnen mit den Tücken des Endspiels Dame gegen Turm über andere Materialverteilungen gegen die Dame oder das Problem der Mehrqualität oder der nutzlosen Mehrfigur oder, oder, oder. In meinen Trainingseinheiten spiele ich oft verlorene Stellungen gegen meine Schüler aus und kann nur bestätigen, dass gute Endspielkenntnisse und findige Opferideen viele halbe oder gar ganze Punkte retten können. Abgerundet wird das Ganze dann mit ein paar Tests, in denen man selbst schwindeln soll.

Das Konzept des Buches gefällt mir sehr gut, aber hervorheben muss ich einfach die Art von GM Smerdon. Nicht nur, dass sich das Buch flüssig lesen lässt, abgesehen von ein paar Fremdworten, die ich kurz nachschlagen musste, er gibt auch immer wieder Zitate und Buchempfehlungen zu schachlichen, aber auch psychologischen Dingen, mit denen man einzelne Themen, die einen besonders fesseln, noch weiter vertiefen kann. So kann man schnell zum starken Schwindler werden.
Ich war auch überrascht, wieviele starke Spieler zugleich starke Schwindler sind. Bei Mihail Tal hatte ich es bereits gewusst, aber viele andere Experten waren mir neu und ich habe ihre Beispiele sehr genossen.

Complete Chess Swindler

Insgesamt ist das mit das beste Buch, das für mich seit langem im New in Chess Verlag erschienen ist. Das Thema ist sehr frisch und der Autor musste die Beispiele mit seinem Kopf und guter Recherche erstellen, da die Engines von Schwindeln keine Ahnung haben. Natürlich ist es nicht einfach, einen erfolgreichen Schwindel zu finden, aber mit diesem Buch wird ein guter Grundstock für solch eine Möglichkeit gelegt. Ich kann es nur jedem Schachfreund empfehlen, da die nächste verlorene Stellung vielleicht schneller kommt als man meint! [Anmerkung der Schachwelt-Redaktion: Wohl wahr, wohl wahr!]

IM Dirk Schuh, März 2020

David Smerdon: The Complete Chess Swindler- How to save Points from lost Positions" bei Schach Niggemann

(Das Buch erscheint in Kürze auch in deutscher Übersetzung)

Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

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