Diese Seite drucken

Carlsen vs Die Englische Eröffnung

Carlsens Eröffnung: Ein Fall für die Schachpolizei? Carlsens Eröffnung: Ein Fall für die Schachpolizei? O.St.

In vielen Schachpartien können sich die Beteiligten nicht einigen, wie das Spiel denn nun ausgehen soll: Mit einem Sieg für Weiß? Oder lieber mit einem Sieg für Schwarz? Und weil sie einfach keine Lösung finden, bleiben die Spieler unentschieden - und so endet dann auch die Partie.

Nun ist ein Remis als solches ja noch kein ganz und gar verwerfliches Ergebnis. In vielen Mannschaftskämpfen sichert ein halber Punkt zur rechten Zeit den knappen 4,5: 3,5- Erfolg. Und auch die letzte Europameisterschaftspartie von Jan Gustafsson gegen Gabriel Sargissian endete mit einem Remis - und trotzdem haben wir uns gefreut!

Unheimlich allerdings: immer und immer wieder ist es besonders die Englische Eröffnung 1.c2-c4 (in Bremen und der Welt auch bekannt als Bremer Partie), die notorisch zu einem unentschiedenen Partieausgang führt. 

Wir wollen ja nichts beschreien, doch zeigt eine gefühlte Statistik auf, dass mehr als die Hälfte der Englisch-Partien mit einer freudlosen Punkteteilung endet. Und es wird sogar noch schlimmer: in mehr als der Hälfte dieser Remis-Partien passiert auch nicht sehr viel - außer Symmetrie, Symmetrie, Symmetrie, und dem berüchtigten weißen Bauernaufzug b2-b4-b5 "mit Damenflügelangriff".

Was soll man da noch sagen? Capablanca hat schon gewusst, wovon er sprach, als er dereinst das Ende des Schachspiels herannahen sah. Spielt Englisch - und der Vereinsabend geht früh zu Ende.

Das war in kurzen Worten der aktuelle Stand der Vorurteile gegenüber der Bremer Partie, und ja, das alles musste hier nochmal gesagt werden.  .... Doch halt - schon müssen wir unser Urteil korrigieren! Denn Schach-Welt.de wäre nicht Schach-Welt.de, hätten wir nicht unsere Ohren überall und auch in Moskau, wo in diesen Tagen einige der besten Schachspieler des Planeten zusammenkommen, um den 75.Geburtstag Mikhail Tals durch ein Turnier zu würdigen.

tal-fischer

Tal gegen Fischer auf der Schach-Olympiade in Leipzig, 1960

               (Photo: Ulrich Kohls, Deutsches Bundesarchiv, mange tak!)

Und wie es der Zufall so will, saßen sich in der dritten Runde dieses Wettbewerbs zwei Helden des Schachsports gegenüber - Vladimir Kramnik, der vor kurzem durch Tal-haftes Spiel das starke Open in Dortmund gewann, und Magnus Carlsen, von dem man vieles behaupten kann, aber nicht, dass er langweiliges Schach spielen würde. Und was sollen wir sagen - beide trafen an diesem Freitag aufeinander, und sie spielten eine ... Englische Partie!

Es wird kaum jemanden überraschen, dass es Kramnik war, der in dieser Partie 1.c4 eröffnete. Und es wird auch niemanden überraschen, dass diese englische Partie so wie fast alle englischen Partien der Weltgeschichte mit einem Remis endete. Doch die Art und Weise, wie dieses Unentschieden zustande kam, war eine Hommage an das unternehmungslustige, mit viel Energie und Freude gespielte Schach von Mikhail Tal. So macht sogar 1.c2-c4 Spaß! (Vielleicht muss ich es mir doch nochmal ansehen, bei Gelegenheit.)

 Kramnik,Vladimir (2800) - Carlsen,Magnus (2826)
6th Tal Memorial 2011 (3.1), 18.11.2011

1.c4!?

Vor der Entdeckung Englands war 1.c2-c4 eher bekannt als Bremer Partie. Der Bankier Carl Carls (1880 - 1958) hatte viel für die Verbreitung dieses Zug getan und ihn jahrelang überall so hartnäckig aufs Brett gezaubert, bis ihm ein Vereinskollege bei der Bremer SG den c-Bauern einfach mal festleimte. Die Zeiten waren rauh damals.

1. ....e5

2.g3 Sf6

3.Lg2 h6

kramnik- carlsen1

Huch! Wenn ICH sowas beim Mannschaftskampf spielen würde ...  Als ich noch jung war und in Schleswig-Holstein wohnte, waren solche Züge nicht ohne Weiteres erlaubt. Auch der Niedersächsischen Schachjugend, die gerade in Xanten Deutscher Meister wurde, wollen wir diesen Zug lieber nicht zeigen. Aber Carlsen ist eben Carlsen, und was tut man nicht alles, um gegen die Langeweile der Englischen Eröffnung anzukämpfen. Man muss dafür Verständnis haben.

4.Sc3 Lb4

5.e4 Sc6

6.Sge2 Lc5

kramnik- carlsen2

Nanu, schon wieder so ein Carlsen-Zug: erst mit dem Läufer nach b4, und dann zwei Züge später nach c5. Da wird sich der Ex-Weltmeister Kramnik gewundert haben! Konkret aber lässt sich der schwarze Aufbau schwer widerlegen.

7.d3 d6

8.h3 Sh7!

Wo bin ich hier gelandet? Ist das wirklich die Übertragung von Kramnik gegen Carlsen?

9.a3 a6

10.0-0 Sg5

**************************************

Spenden für unseren Blog? Wir freuen uns darüber.

        (Am linken Rand ist ein kleiner Button "Schach-Welt unterstützen". Danke!)

**************************************

 kramnik- carlsen3

Frechheit siegt? Dennoch ist Carlsens Spiel, wie soll man sagen, irgendwie eigenartig. Andererseits belegt es, dass man gegen Englisch vieles spielen kann. Manche versuchten es mit 1.... g7-g5, doch sah man auch schon 1..... Sb8-a6. Mir persönlich gefällt 1....b7-b6 2.Sb1-c3, Lc8-a6.

11.Kh2 Se6

Jetzt wissen wir, wo der Springer wirklich hinwollte. Das Feld d4 wird unter Kontrolle genommen. Alles für das positionelle Ziel!

12.f4 Ld7

13.b4 La7

14.Sd5 Sed4

kramnik- carlsen4

Sehr hübsch - das Ende einer langen Reise.

15.Sec3 Le6

16.f5 Ld7

17.Tb1...

Und was spielt Schwarz nun .... ?

17......Sb8

Natürlich spricht nichts gegen diesen Zug. Und eigentlich hatten wir so etwas schon erwartet.

18.c5 dxc5

19.bxc5

Wieder bitten wir um einen Tipp: was wird Schwarz nun spielen?

19 .....Lc8!

kramnik- carlsen5

Nur so geht es! Selbstverständlich schaut auch der Läufer noch mal in seiner alten Heimat c8 vorbei. Nach fast 20 Zügen ist bei Schwarz eigentlich nur eine Figur entwickelt - der Wanderspringer auf d4.

Sehen wir in dieser Partie die Widerlegung von 1.c2-c4?

20.Dh5 Sd7

21.Sa4 c6

22.Sdb6 Sxc5

kramnik- carlsen6

Die Eröffnung ist überstanden - und Carlsens Figuren federn mit Macht ins Spiel zurück. Ab nun wird es bunt, und taktische Motive mischen sich in die bisher streng positionell gespielte Partie. Es steigt die Spannung!

Doch wie gesagt - wir können beruhigt davon ausgehen, dass es aller Wahrscheinlichkeit Remis ausgehen wird. 1.c2-c4 lässt einfach zu wenig Spielraum für andere Ergebnisse. -

Die weiteren Züge bringen wir fast ohne weitere Kommentare, da sie mit unserer Tiefen-Analyse der Englischen Eröffnung/ der Bremer Partie nicht mehr viel zu tun haben.

23.f6 g5

24.Lxg5 Sxa4

25.Sxa8 b5

kramnik- carlsen7

Tja, was ist HIER los?

26.Le3 Lb8

27.g4 Tg8

28.Dxh6 Le6

29.Tbc1...

kramnik- carlsen8

Sehr, sehr hübsch - mit dem Zug Tc1 richtet Kramnik seinen Blick auf den rückständigen Bauern c6. Der Ex-Weltmeister kehrt zu seinen Wurzeln zurück und sucht sein Glück im Positionsspiel.

29.....  Kd7

Wenn man so will, ist das die logische Erwiderung.

30.Lxd4 exd4+

31.e5 ...

Öffnet den Weg des Läufers nach c6 ...

31...... Sc3

.. und blockiert die Zufahrt des Turmes nach c6

32.Txc3 Lxe5+

33.Kh1 dxc3

kramnik- carlsen9

Das Gewusel geht weiter. Carlsen hat gerade auf e5 das erste Schach gegeben, und wir fragen: Wie kann Weiß nun eigentlich seine Figuren koordinieren?

34.De3!

Mit Tempo zurück in die Mitte - und von dort schon bald zum anderen Flügel. Schön gespielt!

34.......Db8

35.Dc5 Dd6

36.Da7+ Kd8

37.Dxa6 Ld4

38.Da5+ Kc8

39.Da6+

kramnik- carlsen10

Wirklich keine ganz typische englische Symmetriestellung - doch ahnt man schon, dass hier das typische englische Remis schon wieder in der Luft liegen muss ...

39.....Kd8

40.Da5+ Kc8

41.Da6+ ½-½

 Mit Unentschieden, wie so oft! Eine großartige Partie, von beiden Spielern mit Verve und wohl auch viel Spaß gespielt.

Vielleicht liegt es am Turnieralltag und den vielen Partien, die auf Ergebnis zum Sieg geknetet werden müssen - wir haben hier zumindest eine Partie gesehen, in der sich Magnus Carlsen von diesen (gefühlten) Zwängen frei machte und einfach Schach gespielt hat. Sehr inspirierend - und vermutlich das beste Mittel gegen die Monotonie des Turnieralltags! 


Olaf Steffens

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen.

Seit 2012 Manager des Schachbundesliga-Teams des SV Werder Bremen.

Größte Erfolge:
Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 5.Platz beim letztenTravemünder Open 2013, und Sieger des Bremer Hans-Wild-Turniers 2018.

Größte Misserfolge:
Werd´ ich hier lieber nicht sagen!

Größte Leidenschaften:
früh in der Partie irgendetwas mit Randbauern und/ oder g-Bauern auszuprobieren und die Partie trotzdem nicht zu verlieren – klappt aber nicht immer.

Die Teilnahme an unserer Kommentarfunktion ist nur registrierten Mitgliedern möglich.
Login und Registrierung finden Sie in der rechten Spalte.