Dennis Calder

Dennis Calder

Engagierter Schach-Spüler mit Hang zu salopper und ironischer Ausdrucksweise. Außerdem noch Fide-lizenzierter Trainer (Fide Instructor) und Buch-Rezensent.

Donnerstag, 01 Januar 2015 05:14

Robert Hübner - 66 saftige Schnitzer

Muss man über Robert Hübner noch etwas sagen? Die ehemalige Nummer 3 der Welt ist vermutlich nicht nur in Deutschland für seinen exzentrischen und bestenfalls wortkargen Umgang mit Photographen und Fans bekannt. Musste ich selbst erleben. Er ist aber auch für seine akribischen Analysen (am Schachbrett und abseits des Brettes) und für seine Schonungslosigkeit im Umgang mit eigenen Fehlern bekannt, anerkannt und hoch geschätzt.

Das Buch

Hier kommen wir schon zum Buch selbst. Hübner macht hier, was er augenscheinlich ebenso gerne wie gut macht – er macht sich nieder, auf höchstem wissenschaftlichen Niveau. Doch der Reihe nach.

Zuerst ist mir die akademische Sprache aufgefallen, die zwar kein Studium voraussetzt, aber auch keine volksnahe Stimmung aufkommen lässt. Für mich als Freund des komplexen Satzbaus sorgt die teilweise ungewöhnliche Wortwahl für Erheiterung – im positivsten Sinne. Beispiele gefällig? „Es leidet keinen Zweifel, dass Weiß gewaltigen Vorteil hat.“ oder „Schwierig ist es jedoch, die verwirrende Fülle der Fehler in eine erkenntnisfördernde Ordnung zu überführen.“ und „Oft beruhen aber auch irrtümliche Einschätzungen auf dem Übersehen einer besonderen Wendung in der Stellung, die es abzuschätzen gilt.“ Ob das mehr an sprachlicher Präzision für den Leser ein Gewinn ist oder nur anstrengend, hängt von der sprachlichen Vorliebe des Lesers ab.

Das Layout

66ss400Uneingeschränkt positiv angetan bin ich vom Layout. Die Diagramme sind größer und wirken übersichtlicher als in anderen Büchern. Die Varianten sind mit eigenen Absätzen abgegrenzt, was ebenfalls erheblich angenehmer aussieht als in anderen Schachbüchern. Hier wirkt sich Hübners akademischer, um nicht wissenschaftlich-akribischer zu sagen, Hintergrund sehr positiv auf die Lesbarkeit aus. Die Gliederung der Aufgaben in 5 statt 3 Phasen des Spiels – das Mittelspiel wird in drei Teile geteilt – halte ich für unnötig, aber auch für unschädlich. Konsequent der Aufbau der Aufgaben: Zuerst das Diagramm mit der Stellung, dann eine kurze Erläuterung, worum es gerade geht, verbunden mit einer Frage. Die jeweilige Antwort beginnt immer erst auf der Folgeseite, so dass man die Antworten leicht abdecken kann.

Der Inhalt

Hübner liefert kurze und lange Analysen, der Schwierigkeit der jeweiligen Aufgabe durchaus angemessen; Untergliederungen bis zu 5 Subvarianten sind nicht selten. Leichte und schwere Aufgaben wechseln sich munter ab, taktische und positionelle Lösungen sind zur Förderung des objektiven Herangehens auch unsortiert. Sehr schön. Nicht so schön sind die häufiger auftauchenden langen (5 bis 9 Züge) unkommentierten Varianten. Es ist durchaus möglich, dass die Varianten für manche Spieler keiner näheren Erläuterung bedürfen. Für mich (DWZ 1950) waren manche Varianten aber zu hoch. Mehr Text wäre großartig gewesen. Zumal jede Erläuterung der Varianten absolut erstklassig ist. Punkt. Nein, Ausrufezeichen! Hübner bringt die entscheidende Komponente der jeweiligen Stellung mit wenigen Worten glasklar ins Leserhirn. Hier verzichtet er auf die an anderen Stellen verwendete komplexe Sprache. Dadurch wird dieses Buch für jeden etwas besseren Schachspieler ein Gewinn. Und Hübner hat auch Recht, wenn er (sinngemäß) schreibt, dass sein Buch sowohl für oberflächliche Lektüre als auch für intensives Studium geeignet und interessant ist. Das habe ich ihm im Vorwort noch nicht geglaubt. Man kann folglich guten Gewissens den ersten Durchgang locker angehen und danach mit Schachbrett die Varianten und / oder Erläuterungen noch einmal oder mehrfach intensiv durchgehen.

Fazit:

Ein gelungenes Trainingsbuch für den mindestens etwas fortgeschrittenen Schachspieler (frühestens ab DWZ 1500, besser wäre etwas stärker), mit dem man zahlreiche Trainingsstunden nutzbringend hinter sich bringen kann.

200 Seiten, Hardcover, erschienen im Schachreisen-Verlag, ISBN 978-3-9817134-1-1 Preis 24,90 €

Bezugsquelle und Leseprobe:

Direkt beim Verlag (kostenlose Lieferung innerhalb Deutschlands), http://www.schachreisen.eu/schachtraining/schachreisen-verlag oder im Buchhandel.

Leseprobe

Der umtriebige Schachversand Niggemann hat mir in letzter Zeit mehrere Bücher zukommen lassen, die insbesondere für stärkere Spieler beachtenswert sind.

The Secret Life of Bad Bishops – Silas Esben Lund

Esben Lund, der sich seit einigen Jahren Silas Lund nennt, ist ein dänischer IM. In diesem Buch beschäftigt er sich intensiv mit den Läufern: Sind Läufer wirklich immer gut oder schlecht? Muss man nicht viel vorsichtiger mit diesen Bewertungen sein? Wann ist ein Läufer überhaupt gut und schlecht? Stimmen die bisherigen gängigen Bewertungskriterien? Lund will hier mit diesem Buch über ein sehr enges Gebiet des Schachs den Geist des Schachspielers sensibilisieren und aktiv zur Entwicklung des Schachs beitragen. Ein hochgestecktes Ziel. Bücher über sehr spezielle Themen werden beim Schach üblicherweise entweder Pflichtlektüre oder Papierkorbfutter. Er selbst schätzt sein Buch derart ein, dass Spieler ab 1900er Rating bis zu IM Niveau am Meisten von der Lektüre profitieren, ernsthaft studierende Spieler darunter und interessierte GM dürften wohl auch etwas davon haben. Dieser Einschätzung stimme ich zu.

Im ersten Kapitel definiert er den sogenannten Double Edged Bishop und erläutert sehr ausführlich, warum landläufig als schlecht angesehene Läufer häufig gar nicht schlecht sind. Schon alleine diese Erläuterungen haben meinen Horizont als Schachspieler erweitert.

In den folgenden Kapiteln geht Lund – oft in ganzen kommentierten Partien - auf Qualitätsopfer, Übergänge von Eröffnung zu Mittelspiel und die verschiedenen Endspielmöglichkeiten ein, die mit einem Läufer zu tun haben. Dabei bleibt er auf die Wirkung der Läufer fokussiert und verläuft sich nicht in allgemeinen Kommentaren.

Er orientiert sich im Mittelspielkapitel zwar an einer konkreten Eröffnung (Französisch Vorstoßvariante), jedoch nur, um seine Bewertungen möglichst archetypisch veranschaulichen zu können.

Fazit: Pflichtlektüre für Schachspieler mit Ambitionen! Nach dem Durcharbeiten sieht man Läufer mit ganz anderen Augen.

 

Grandmaster Repertoire 1. e4 vs The French, Caro-Kann & Philidor von Parimarjan Negi

Der Inder Negi ist einer der jungen indischen Superstars im Schach. Er ist auch als Autor aktiv und legt hier ein Nachschlagewerk für Weißspieler vor. Dabei bewegt er sich im System der Grandmaster Repertoire Reihe: Wenige Erläuterungen, ausschließlich seriöse Varianten und gelegentlich selbst erarbeitete Neuerungsvorschläge. Dabei hat er umfassend die aktuellen Beiträge und Partien anderer Meister sorgfältig eingearbeitet, soweit ich es einschätzen kann. Ich konnte erwartungsgemäß nicht alle Varianten prüfen. Auf fast 600 Seiten liefert Negi gut gegliedert jede Menge Information, die für den ernsthaften Repertoire-Aufbau für längere Zeit bequem ausreichen sollte. Für meinen Geschmack verwendet Negi zwar ein paar Mal zu oft Ausrufezeichen bei seinen Zugbewertungen, positiv beachtenswert ist dafür definitiv, dass Negi in seinen Anmerkungen oft und dann eingängig die Pläne skizziert, die den Zügen zugrunde liegen. Es reicht zwar noch nicht als Lehrbuch über die behandelten Eröffnungen, für ein Nachschlagewerk ist das aber schon sehr gut und hilft oft bei vorhandenem Grundverständnis für die Pläne der betroffenen Eröffnungen schon weiter.

Fazit: Wieder ein Volltreffer aus der Grandmaster Repertoire-Reihe. Wer ein Nachschlagewerk sucht, braucht nicht weiter suchen.

 

Play unconventional Chess and win – Noam Manella & Zeev Zohar

Noam Manella ist Komponist von Schachstudien und arbeitet auf dem Gebiet des „Attention Management“ (Verarbeitung von Informationen im menschlichen Gehirn). Zeev Zohar hat eine Studienarbeit über die Einflüsse von Computern auf die Kreativität im Schachspiel geschrieben. Keine alltäglichen Schachbuchautoren. Bei der Fide sind sie nicht registriert, was nicht auf hochwertige Turniererfahrung schließen lässt. Wenn Vishy Anand und Boris Gelfand dieses Buch empfehlen und sich nicht auf pauschale und höfliche Worthülsen über die Qualität des Buches beschränken, muss man höllisch aufpassen, keine Vorurteile in die eine oder andere Richtung zu entwickeln.

Zum Buch:

In 137 Partien bzw. Partiefragmenten auf 380 Seiten werden Partien, überwiegend von Super-Großmeistern, und gelegentlich auch Kompositionen besprochen. Dabei ist die Auswahl das Besondere: In jedem Beispiel sind die kritischen (Gewinn bringenden) Züge außergewöhnlich unschematisch und weichen von der klassischen Lehre ab. Genau darauf wollen die Autoren hinaus: Man soll sich die Beispiele von den Ausnahmekönnern unter uns Schachspielern anschauen und dadurch lernen bzw. inspiriert werden, vom üblichen Schema abzuweichen. Und was für seltsame Züge da von Weltklassespielern gespielt werden! Ein Kuriositätenkabinett ohne Gleichen. Die Erläuterungen zu diesen Zügen sind gut und verständlich, gelegentlich kommen die Spieler selbst zu Wort.

Ist dieses Buch nun gut und wenn ja, für wen? Vorsicht! Für Spieler unter 2100 ist dieses Buch aus Lernaspekten kontraproduktiv, weil diese Spieler (ich zähle mich dazu) meines Erachtens kaum in der Lage sind, eine Partie konsequent nach der klassischen Lehre zu Ende zu bringen, was wiederum die Ursache für die meisten Niederlagen in dieser Spielklasse ist. Da ist der Ansporn, unorthodoxe Züge zu suchen und zu spielen, pädagogisch nicht wertvoll. Für Spieler ab 2100 bis hin zum GM Niveau, die sich wundern, warum sie gelegentlich von Spielern besiegt werden, die eigenwillige Züge gemacht haben, dürfte dieses Buch sehr hilfreich sein. Für alle Spieler über 2100, die besser werden wollen, ist dieses Buch sicher auch ein echtes Lernvergnügen.

Schließlich kann man dieses Buch auch noch nutzen, um sich wieder vor Augen zu führen, warum wir dieses Spiel so lieben, unabhängig von der Spielstärke….

 

Chess Progresss von Erik Czerwin

Erik Czerwin ist High School Lehrer und Schachtrainer in den USA. Er liefert hier ein Buch ab, mit dem man als absoluter Anfänger durch Selbststudium zu gesundem Schachverständnis gelangen soll. Gelingt ihm diese Aufgabe? Wir werden sehen. Zunächst sei erwähnt, dass der Name Czerwin bei der Fide nicht zu finden ist. Eine ruhmreiche Turnierspielergeschichte ist daher nicht zu vermuten. Doch nun zum Buch:

Czerwin schreibt anschaulich und verständlich. Sein englisch ist leicht nachvollziehbar, man braucht keine sprachlichen Spezialkenntnisse.

Er fängt mit den absoluten Basics an: Beschreibung des Bretts, Bezeichnung der Fachbegriffe, Besonderheiten; dann geht er zu immer schwierigeren Themen über. Vom Leichten zum Schweren, pädagogisch wertvoll! Das Konzept ist sehr gelungen. Es ist schwer genug, ein brauchbares Lehr-System aufzubauen. An der Gliederung kann man sich als Trainer oder als Selbstlerner gut entlanghangeln, wenn man möchte. Es gibt andere Systeme, die manchen interessierten Lesern besser gefallen dürften, aber lieber ein gutes System als ein schlechtes oder gar kein System.

Immer wieder streut Czerwin Übungen ein, die den gerade gelesenen Text verinnerlichen helfen sollen. Hier bilde ich mir ein, die Erfahrung als Schachtrainer und Lehrer zu spüren. Die Dosierung und Verteilung der Aufgaben ist hervorragend.

Inhaltlich tauchen leider immer wieder Fehler und vereinfachte Darstellungen auf. Flüchtigkeitsfehler wie „die Schlüsselfelder für einen weißen Bauern auf d2 sind c4, d4, e4“ (da der Bauer von seinem Ursprungsfeld bekanntlich 2 Felder nach vorne darf, sind c5, d5 und e5 auch Schlüsselfelder…) mögen verzeihlich sein. Weitere Beispiele:

Bei der Unterscheidung von guten und schlechten Läufern geht Czerwin praktisch nur darauf ein, ob die Bauern auf der Farbe des Läufers stehen oder nicht und empfiehlt beim Spiel gegen einen Läufer, die eigenen Bauern auf die Läufer-fremde Farbe zu stellen. Auch bei Materialvorteil empfiehlt Czerwin nur den Abtausch von Material und differenziert nicht nach Figuren und Bauern. Auch für ein Anfängerbuch ist mir das zu sehr vereinfacht dargestellt. Ohne zu diesem Zeitpunkt schon zu wissen, ob Czerwin ein guter Spieler ist oder nicht, fand ich dies schwach. Hieraus habe ich gefolgert, dass kein Titelträger inhaltlich Korrektur gelesen hat, was bedauerlich ist.

Fazit:

Die inhaltlichen Fehler/Ungenauigkeiten sind leider vermeidbar und machen das Buch nicht uneingeschränkt empfehlenswert.

Das Buch ist dennoch für blutige Anfänger gut geeignet, die eigenständig Schach lernen wollen. Wenn man dann etwas besser geworden ist, sollte man sich aber nicht an alles klammern, was in diesem Buch geschrieben steht. Gut ist das Buch auch für Schachtrainer, die zwar Einiges über Schach wissen und Anfängern oder leicht fortgeschrittenen Spielern etwas beibringen dürfen/sollen, aber (noch) kein eigenes System haben und / oder noch nicht wissen, wie – soll heißen, mit welchen Übungen – sie welches Wissen vermitteln wollen. Es hat durchaus auch seinen Reiz, Czerwin´s Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Das schult den Geist und das Schachverständnis.

Ich habe schon bessere, aber überwiegend schlechtere Lehrbücher für Anfänger gesehen.

3 Sterne (leider habe ich dafür keine passende Grafik)

Zum Abschluss noch ein Knaller:

Test Your Chess von Zenon Franco

Ein sehr gutes Buch – für die passende Zielgruppe.

GM Zenon Franco Ocampos ist vermutlich in unseren Breitengraden nicht sonderlich bekannt. Er kommt aus Paraguay und als Jahrgang 1956 ist er auch keiner der jungen Wilden. Er gewann jeweils Gold für die beste Performance am ersten (!) Brett bei Schacholympiaden 1982 und 1990 – sehr beeindruckend in den Zeiten sowjetischer Dominanz - und hat im Laufe der Jahre mehrere Bücher geschrieben.

Mit Test Your Chess hat er ein waschechtes Trainingsbuch geschrieben, vorgesehen zum Selbststudium. In 40 ganzen Partien wird man während jeder Partie immer wieder aufgefordert, den nächsten Zug zu finden. Dabei setzt Zenon Franco gerade keinen Schwerpunkt auf Eröffnungen, sondern auf Mittelspielentscheidungen, auch Endspiele kommen nicht zu kurz. Je nach Entscheidung gibt es dann unterschiedlich viele Punkte, bei ganz falschen Zügen werden Punkte abgezogen. Zenon Franco schätzt / schlägt vor, dass man 90 bis 120 Minuten pro Partie braucht. Erwartungsgemäß erklärt er nach jeder Aufgabe, warum welcher Zug gerade besser oder schlechter ist. Und das macht er gut, weil verständlich und nachvollziehbar.

Am Ende einer jeden Partie fasst er noch einmal die Kernpunkte, die hängen bleiben sollen, in einer Aufzählung zusammen. Sehr gut.

Die gestellten Aufgaben sind konsequent anspruchsvoll. Auch sehr gut. Das Buch ist somit nur für ernsthaft trainingswillige Spieler passend.

Es handelt sich somit nicht um ein typisches „Test“-Buch mit Aufgaben und kurzen oder längeren Lösungen am Ende des Buches. Das dürfte aber nicht der Grund sein, weshalb ich das Buch deutlich nützlicher finde als die anderen mir bekannten Testbücher.

Etwas lästig ist, dass die Lösung unmittelbar hinter der grau unterlegten Aufgabe steht: Wenn man beim Umblättern also nicht clever genug wegschaut oder beim Wegziehen der Seitenabdeckung etwas zu voreilig ist, sieht man schon vorab den nächsten Zug. Man muss also beim Abdecken der Seiten vorsichtig sein, sonst legt man sich selbst rein oder ruiniert sich eine Aufgabe.

Ich schätze, man müsste schon ein Niveau von mindestens 1700 haben, um von diesem Buch maximal zu profitieren. Für Spieler unter diesem Niveau sind nach meiner Einschätzung die Aufgaben fast immer zu schwer und die Erklärungen von Zenon Franco etwas zu komprimiert. Für diese Zielgruppe gibt es passendere, aber kaum bessere Bücher. Für Spieler ab 1800 bis mindestens 2300, die konzentriert trainieren wollen, ist dieses Buch ein Glücksgriff und sollte unbedingt in die Bibliothek aufgenommen werden, weil es wirklich zum Denken zwingt und offene Fragen klärt.

 

Dennis Calder

Fide Instructor

Sonntag, 17 August 2014 00:00

Getarnte Lehrbücher

Die hier besprochenen Bücher tarnen sich in der Öffentlichkeit als Eröffnungsbuch bzw. als Partiesammlung über einen Spieler. In Wahrheit hat mir Schachversand Niggemann Strategielehrbücher zur Bewertung geschickt. Beginnen möchte ich mit einer im wahrsten Sinne "ernsthaften" Empfehlung:

MM-PetrosianDer skeptische Blick ist nicht gerechtfertigt.

Petrosian move by move von Thomas Engqvist

Der schwedische IM Thomas Engqvist gehört als Spieler nicht zur Spitze unserer Zunft. Üblicherweise sind neue Erkenntnisse oder Neubewertungen von internationalen Meistern nicht zu erwarten. Warum wollte Everyman Chess dann eine Partiensammlung über den früheren Weltmeister Tigran Petrosian ausgerechnet von ihm? Er ist laut Vorwort seit über 30 Jahren Schachtrainer und Autor. Das merkt man mit der Zeit. Bei der lockeren Lektüre sind mir mehrere Dinge aufgefallen:

-          Engqvist schreibt in flüssigem Englisch. Nicht trocken, nicht besonders amüsant, in schönem, sachlichem Stil.

-          Der Leser wird immer wieder mit mehr oder weniger kleinen Übungen konfrontiert. Und die sind nicht ohne: Nebenbei löst man diese Aufgaben nicht. Der fortgeschrittene Spieler - soll in diesem Fall heißen ab einem Rating von ca. 1900 – hat daran tatsächlich richtig zu knabbern und kann das Buch also als Trainingsbuch für ernsthafte Stunden verwenden.

-          Die Kommentare helfen nur bedingt, Petrosians besonderen Stil zu verstehen oder zumindest nachzuverfolgen. Da hätte ich mehr erwartet als gelegentliche Hinweise auf Petrosians berühmten prophylaktischen Stil, der wohl auf Nimzowitschs Lehren und der Hand eines früheren Trainers beruht. So fühlt sich das Buch eher an wie eine Partiensammlung mit starken Partien als eine „Schachographie“ speziell über Petrosian. Das merkt man dafür daran, dass Engqvist zwischen den Partien über die jeweilige private und schachliche Entwicklung von Petrosian informiert.

-          Bei oberflächlichem Lesen ist das Buch nur mäßig interessant. Zwischenzeitlich wollte ich das Buch schon abhaken, zumal Engqvist meine Erfahrung bestätigte, dass IM´s das Schachspiel nur sehr selten weiterbringen. Doch dann fiel mir auf, dass

-          Engqvist jede Menge nützliche Lehrsätze liefert. Dabei merkt man, dass er wirklich viel gelesen hat. Er zitiert Philidor, Botvinnik, Nimzowitsch, Levenfish (auch Löwenfisch genannt) und noch jede Menge anderer großer Spieler, während die Partien am Leser vorüberziehen. Bei genauem Studium des Buches nimmt man also wirklich Einiges für die eigenen Partien mit. Hier bekommt man ein Gespür dafür, dass Engqvist schon lange als Trainer arbeitet.

Fazit: Als leichte Lektüre wird das Buch mit der Zeit langweilig und zum Verstehen der Magie Petrosian´s Spielanlage nicht erhellend genug. Als strategisches Lehrbuch wird dieses Buch für Schüler ab 1500 vermutlich in meine Sammlung aufgenommen werden. Zum Selbststudium sollte man nach meiner Einschätzung etwas stärker sein. Wer ernsthaft trainieren will, kauft hier ein gutes Buch. Jeder prüfe für sich, ob er der passende Leser / sie die passende Leserin ist.

Sterne4

Das zweite Buch ist noch besser getarnt, nämlich als Eröffnungsbuch:

The-Trompowsky-AttackThe Trompowsky Attack move by move von Cyrus Lakdawala

Cyrus Lakdawala ist ein sogenannter Vielschreiber - innerhalb kürzerer Zeit begegnete mir nach Slawisch und Aljechin schon sein drittes Eröffnungsbuch.

In der Einführung erläutert er sehr gut, für wen der "Tromp“ die passende Eröffnung ist. Die Kurzfassung: Für den kreativen Spieler, der gerne Abwechlsung hat und Eröffnungen lieber spielt und versteht als "lernt“. Der Tromp kann zu den verschiedensten Stellungsbildern führen, von unterschiedlichstem sizilianisch über französisch und Damengambit zu königsindisch, altindisch oder Aljechin und was sonst noch so an Eröffnungen gespielt wird.

Aus eigener Tromp-Erfahrung weiß ich gut, dass man meist asymmetrische Strukturen bekommt, die zwar anderen Eröffnungen ähnlich sehen, aber eben nur ähnlich und nicht gleich sind.

Aus diesem Grund ist es auch praktisch unmöglich, eine gute Gliederung und Übersicht für den Tromp in ein Eröffnungsbuch zu bekommen. das belegen die zahlreichen Tromp-Bücher, die ich bereits habe. Entweder lässt man einiges weg oder man bleibt oberflächlich bzw. beschränkt sich mehr oder weniger darauf, Nachschlagewerk zu sein. Lakdawala schafft leider die Kombination beider Schwächen. In zahlreichen Varianten liefert er nur die Züge und eine kurze Bewertung, erklärt jedoch nicht die den Zügen zugrunde liegenden Pläne, die gebraucht werden, um die Züge zu verstehen. Noch dazu nutzt er viele seiner eigenen Partien (was noch nicht schlimm sein muss) aus Blitz- oder Schnellturnieren gegen mitunter nicht hochklassige Gegner oder von anderen wie z. B. Simultanpartien von Kasparov, der beim Simultan immer ein Maximalrating von 2000 vorschreibt. Dadurch finden sich naturgemäß schon früh (soll heißen meist in den Zügen 6 bis 12) schlechte Züge in den Varianten, die den eröffnungstheoretischen Nutzen der weiteren Partie meist auf Null reduzieren. Dadurch bekommt man als Leser nur selten einen guten Eindruck von den hochwertigen Varianten beider Seiten.

Es ist als Nachschlagewerk daher nicht geeignet und auch als Grundlage für eine intensives Studium dieser Eröffnung ist es nur bedingt brauchbar. Als Eröffnungsbuch ist es daher nur sehr bedingt empfehlenswert.

Aber halt! Dieses Buch hat andere, sehr positive Vorteile!

- Lakdawala schreibt beinahe so unterhaltsam-amüsant wie immer - und das kann er gut - was dazu führt, dass man gerne weiterliest und damit die Lernzeit und den Wohlfühlfaktor dabei erhöht. Ein gerne unterschätzter Aspekt von Schachbüchern.

- Lakdawala nutzt die Frage-und-Antwort-Methode dieser Buchreihe dieses Mal exzellent. Dort, wo sich eine gute Frage oder Aufgabe anbietet, setzt er eine gute Frage oder Aufgabe hin. Damit kann man es durchaus als Trainingsbuch verwenden.

- Dieses Buch enthält zahlreiche Schach-“Prinzipien“ wie "Wenn Du Entwicklungsvorsprung hast, öffne die Stellung“. Dieses Beispiel ist zwar ein sehr bekanntes und eher "billig", das Buch hat aber einige "Prinzipien" und auch anspruchsvollere bzw. nicht ganz so bekannte. Auch, wenn man viele dieser Prinzipien schon mal gelesen, gehört, angewendet oder manche sogar in konkreten Partien widerlegt hat, so bietet es doch für unterschiedlichste Strukturen - siehe oben - leicht zu verstehende Vorschläge/abstrakte Ideen/Hinweise, wie man passende Pläne findet. Hierfür ist der Tromp als Eröffnung geradezu ideal, weil sich ja die unterschiedlichsten Strukturen ergeben können. Und Lakdawala hilft mit diesem Buch und seinen Prinzipien an der richtigen Stelle, die spielerischen Sinne zu schärfen, die richtige Frage zur richtigen Zeit zu stellen, unabhängig von der Eröffnung.

Als Eröffnungsbuch kann ich dieses Werk nicht empfehlen. Als Lehrbuch für den interessierten Amateur, der unterhaltsam überwiegend strategisches, aber auch taktisches Schachwissen vermittelt bekommen möchte und ein Rating bis ca. 1600, vielleicht auch 1800, hat, ist das Buch ein ordentlicher Griff.

Sterne2Wäre es nicht als Eröffnungsbuch getarnt, bekäme es von mir 3 Sterne.

Dennis Calder

Fide Instructor

Was blieb am Ende übrig?

Die Schweiz ist ebenso schön wie teuer, wobei sie ziemlich schön ist. Die Schokolade ist super und teuer, wenn man sie beim Chocolatier frisch einkauft. Die Spielbedingungen sind in Sachen Platz, Lärm und Preisgeld nah an perfekt, was für Amateure quasi perfekt ist.

Die Gegnerschaft ist beim Spiel um den Turniersieg ekelhaft stark. Warum? Beim Meisterturnier sind die Preisgelder so hoch, dass sich zahlreiche Super-GM´s einfinden. Im allgemeinen Turnier gilt: Wenn die Elo unter 2050, das Schweizer Rating aber höher ist, zählt die Elo. Dadurch tummeln sich vorne die Kids (und leider auch mindestens ein Senior, der sich seit Jahren einmal im Jahr in einem anderen Turnier um viele Punkte "runterspielt", um unter die Elo-Grenze für das allgemeiner Turnier zu kommen, damit er hier viel Preisgeld absahnen kann) und Spieler, die nicht oft Elo-Turniere spielen oder chronisch unterbewertet sind. Davon gibt es einige in der Schweiz.

Das war aber nicht ausschlaggebend für meine zwischenzeitlich mäßigen Ergebnisse, die waren hausgemacht. Wenn man gut drauf ist und kämpft, landet man hier vorne. Spielst Du schlampig, wird es nichts. Ein Turnier mit 150 Teilnehmern pflegt aber immer so zu sein.

Anish Giri hat nicht nur eine Freundin, die so schmal ist wie er (ich bin beeindruckt), sondern auch eine beeindruckende mentale Einstellung gezeigt: Nach zwei Auftaktniederlagen kommt er mit zwei Siegen zurück, nur um dann sofort noch eine Partie zu verlieren und trotzdem mit einem ordentlichen Ergebnis aus dem Turnier zu gehen. Respekt!

Ansonsten findet man in Biel und um Biel herum im Schweizer Jura ungefähr alles, was im Uhrenhandwerk Rang und Namen hat: Rolex, Omega, Tag Heuer, Vulcain, Longines, Swatch, JaegerLeCoultre (etwas weiter weg) und wer einem sonst noch so einfällt. Kaufen kann man die guten Stücke natürlich auch an vielen Orten, wobei sie in der Schweiz wohl billiger sind als in Deutschland (ich habe da mal recherchiert). Man muss nur aufpassen, dass man nicht von den Horden asiatischer, überwiegend wohl japanischer Touristen nicht über den Haufen gerannt wird, die in nahezu jedem Uhrenladen im Dutzend zu finden sind. In Luzern hat daher ein Juwelier reagiert und gleich 4 (in Worten: vier) asiatische Verkäuferinnen an einem sonnigen Wochentag beschäftigt.

Endergebnis: Biel gewinnt trotz teurer Begleitumstände, ich verliere zwar Punkte, dafür aber auch einen tiefen Einblick in das Wesen der Zeit

 

 Wem die Stunde schlägt: Weckerwand im wohl weltweit größten Uhrenmuseum in La-Chaux-de-Fonds, der Keimzelle aller berühmten Schweizer Uhren.

und erheblich an Erholung.

Hier kann man hinfahren wollen...

Eines Tages vor langer, langer Zeit, habe ich mir vorgenommen, alle Turniere zu spielen, die für mich entweder Tradition haben oder aus anderen Gründen für mich etwas Besonderes sind. Falls ich jemals genug Geld für die Reisen zusammenbekommen sollte…

2001 war es dann so weit. Nach mittlerweile acht besonderen Turnieren in verschiedenen Ländern ist aktuell Biel in der Schweiz dran.

Was fällt nach 3 Runden auf?

Das Bieler Schachfestival läuft in seiner 47. Auflage. Das nenne ich Tradition.

Daniel King kommentiert die GM-Partien und beeindruckt durch eine phänomenale Fönfrisur. Da wird jeder Otto-Normal-Frisurträger neidisch.

Mit 2,5 aus 3 Punkten liege ich in „meinem“ Turnier bisher gut im Rennen (dynamischer Stellungsvorteil).

Das Turnier ist trotz vielsprachiger Teilnehmer das leiseste, das ich bisher gespielt habe (noch ein dynamischer Vorteil, aber für Biel). Und das, obwohl über 230 Spieler im gut klimatisierten Saal rumsitzen… Ein echter Kontrast zu vielen anderen großen Turnieren, z. B. Wijk aan Zee.

Von wegen vielsprachig: In Biel kommt man mit Deutsch gut zurecht (hmm, ein dynamischer oder doch eher ein struktureller Stellungsvorteil von Biel?). Französisch reicht auch völlig, aber die Zahl der nur französisch sprechenden Leser dieses Beitrags dürfte überschaubar sein.

Die Schweiz im Allgemeinen und Biel im Besonderen sind ausgesucht schön. Bestes Wetter (zugegeben eine vermutlich nur kurzfristige dynamische Stärke des Schweizer Systems), schöne Stadtviertel, tolle Wanderwege und noch bessere Aussicht von oben auf die meisten Berge, die man sonst höchstens aus Bergsteiger- oder James Bond-Filmen kennt (strukturelle Bieler Stärken).

Zum Bild:

Die Schweizer können nicht nur Berge bauen: In der Mitte des Bildes sieht man in über 150 km Entfernung einen übergroßen Luxusfüllfederhalter der Marke Mont Blanc (Copyright Dennis Calder).

Ansonsten zahlt man für einen Dönerteller 16,50 Schweizer Franken, was bei Berücksichtigung der unverschämten Bankautomatengebühren abenteuerliche ca. 14 Euro sind (eine erhebliche strukturelle Schwäche). Man kommt aber auch günstiger an Essen in Restaurants oder besser gesagt: Man bekommt deutlich besseres Essen für verhältnismäßig wenig Aufpreis und am günstigsten ist das Essen immer noch im grenznahen deutschen Supermarkt (ein strukturelles Stellungsungleichgewicht).

Das Kongresshaus beinhaltet auch ein Schwimmbad mit Wasserrutsche, was in Anbetracht des Namens Kongresshalle irgendwie irritierend ist.

Die Partieergebnisse werden weder über den Durchschlag oder das Original des Partieformulars noch über einen separaten Ergebniszettel mitgeteilt. Es gibt nur die unbewachte Paarungsliste, in die man das Ergebnis einträgt. In Deutschland würde spätestens nach der Hälfte des Turniers ein Fälschungsversuch auftauchen, möchte ich wetten. Nicht so hier, im Land der aufrechten Eidgenossen!

Und abschließend eine Respektsbekundung für die Schiedsrichter und die Turnierleitung: Wenn hier das Partieergebnis nicht eingetragen wird, wird die Partie für beide genullt! Ich liebe es, wenn Schiedsrichter konsequent sind. Dann gibt es auch seltener Ärger als bei unsicheren Schiedsrichtern…

Zwischenfazit: Biel hat sich mehrere strukturelle und dynamische Stellungsvorteile erarbeitet/erspielt. Die einzige strukturelle Schwäche wirkt dagegen noch relativ harmlos. Und wie wir ja wissen, braucht es für einen Sieg meist zwei Schwächen beim Gegner.

Nach dem Turnier werde ich berichten, wie Biel gegen mich gespielt hat. Noch ist auch ein geteilter Sieg von Biel und mir möglich. Es bleibt spannend.

Donnerstag, 10 Juli 2014 00:00

Gute und schlechte Eröffnungsbücher

Seit einiger Zeit rezensiere ich Bücher für den Niggemann Schachversand. Schachfreund Rieger macht das auch. Er schreibt meines Erachtens diplomatischer als ich und kommt von Zeit zu Zeit zu anderen Bewertungen. Daher möchte ich hier gelegentlich überspitzter formulieren und dadurch einen anderen Blickwinkel anbieten.

Fast immer erhalte ich Eröffnungsbücher. Meine eigene Meinung dazu ist, dass Eröffnungsbücher meist zu schlecht sind, um eine Kaufempfehlung auszusprechen. Daher formuliere ich in den Rezensionen besonders achtsam.

Kürzlich bekam ich zwei Bücher zum Rezensieren. Eins davon ist außergewöhnlich schlecht, das andere ist außergewöhnlich gut. Ein hervorragender Einstieg für diese Beitragsreihe…

Mit größtem Respekt habe ich noch anzumerken, dass Niggemann konsequent ist und auch meine niederschmetternde Bewertung eisenhart veröffentlicht hat. Hier die Rezensionen:

The King´s Indian Attack move by move – Neil McDonald

kiaSeit Jahren lästere ich mehr oder weniger offen über die Mittelmäßigkeit von Eröffnungsbüchern: Meistens gibt es keine Beschreibung, für welche Sorte Spieler die jeweilige Eröffnung ideal ist, keine übersichtliche Einleitung mit Beschreibung der Bauernstrukturen, keine oder viel zu wenig Erläuterung der typischen Pläne, kaum mal ein paar grundsätzliche hilfreiche Schachprinzipien. Stattdessen Analysen bis ins Endspiel hinein, obwohl die Endspiele nicht mehr typisch für die Eröffnung sind, wenig Informationsgehalt und langweilig geschrieben ist es oft auch noch. Englischsprachige Autoren haben bisher einen sehr geteilten Eindruck bei mir hinterlassen – Rowson, Nunn und Watson waren super, Collins war langweilig, aber gut, der Rest war schachlich mehr oder weniger mäßig. Vom Vielschreiber GM Neil McDonald kannte ich bisher nichts. Das scheint eine Bildungslücke gewesen zu sein.

Um es auf den Punkt zu bringen: Dieses Buch ist mit wirklich weitem Abstand das beste Eröffnungs(lehr)buch, das ich bisher in den Händen hielt. Warum?

-          McDonald gliedert geschickt eine schwierige, weil weit verzweigte Eröffnungstheorie.

-          Er liefert in jedem Kapitel die Erläuterungen zu frühen prinzipiellen Entscheidungen / unterschiedlichen Zügen. Er kommt dabei nah an die Übersichtlichkeit und Klarheit von Collins in dessen Tarrasch-Buch heran – mein Referenzwerk in Sachen Einleitung und Strukturdarstellung –, dafür hatte Collins auch die deutlich überschaubarere Theorie zu schultern.

-          In jeder Partie beschreibt McDonald ausführlich, welchen Plan man bei welchem gegnerischen Aufbau wählen sollte und vor allen Dingen auch genauso ausführlich, warum. Damit bekommt man hervorragendes Rüstzeug, die Stellungen zu verstehen und gute Pläne zu finden, anstatt Züge auswendig lernen zu müssen. Diese Beschreibungen führen nebenbei auch dazu, dass man sein prinzipielles Verständnis für Planfindung in Eröffnungen verbessert. Damit gelingt die bis heute nur sehr selten gelungene Kombination der Vermittlung von Eröffnungswissen und prinzipiellem Schachwissen.

-          Der Informationsgehalt ist umwerfend groß.

-          Alles ist verständlich geschrieben. McDonald schreibt in sachlichem Stil. Nicht knochentrocken wie Collins und leider nicht so amüsant wie Lakdawala, aber wer schafft das schon?

Gleich am Anfang teilt McDonald dem Leser mit, für wen diese Eröffnung ideal ist: Für Spieler, die sich nicht vom ersten Zug an auf Komplikationen einlassen wollen, sondern sich erst in Ruhe entwickeln wollen. Es ist ein flexibles System – Verständnis geht folglich vor Lernen. Wer also Zeit hat, viel neueste Theorie zu büffeln, kann vielleicht mit aggressiveren Eröffnungen mehr Punkte durch Wissen einsammeln. Wer dafür nicht so viel Zeit oder Begabung hat und eher auf Schachverständnis setzt, ist mit dem königsindischen Angriff gut aufgestellt.

Die „move by move“ Struktur, in der ein imaginärer Schüler Fragen stellt, nutzt McDonald nicht so gut, wie andere seiner Autoren-Kollegen. Er braucht das aber auch nicht.

Wer meine Rezensionen zu Eröffnungsbüchern kennt und sorgfältig liest, weiß, dass ich einen hohen Anspruch an moderne Eröffnungsbücher habe und keineswegs dazu neige, Eröffnungsbücher zu loben. Dieses Buch ist wirklich großartig! Wer diese Eröffnung gut findet, sollte zuerst dieses Buch durcharbeiten und braucht danach wahrscheinlich nicht mehr viel Sekundärliteratur – im Gegensatz zu den meisten anderen Eröffnungsbüchern. Wer es noch nicht weiß, sollte mit diesem Buch anfangen. Falls die Eröffnung doch nichts für einen ist, lernt man immer noch mehr als in so manchen Lehrbüchern.

Es geht zwar noch besser. Viel besser geht es aber nicht.

Dennis Calder

Fide Instructor

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Damian Lemos – The Fianchetto System

fsZunächst fragte ich mich: “Damian … Wer?“. Die schnelle Recherche ergibt, dass es sich um einen jungen (Jahrgang 1990) argentinischen GM handelt, der schon vor 5 Jahren die 2500 Elo überschritten und seitdem gehalten hat. 2006 wurde er amerikanischer Junior-Meister. Er kann also offensichtlich Schach spielen.

Dann warf ich einen Blick ins Buch und stellte erfreut fest, dass Lemos genau solche Varianten behandelt, die mich aus verschiedenen Gründen seit einiger Zeit sehr interessieren, worüber es aber für den lernwilligen Amateur nichts Brauchbares zu lesen gibt. Leider halte ich dieses Buch ebenfalls nicht für brauchbar.

Auch nach längerem Überlegen war es für mich allerdings nicht einfach, die fehlende Qualität des Buches anschaulich darzustellen. Vielleicht geht es so: Fast alles, was in einem wirklich guten Eröffnungsbuch zu finden ist, fehlt hier:

Es gibt keine systematische Einleitung. Sam Collins liefert in seinem Buch zur Tarrasch Defence eine großartige Vorlage, in der die typischen Bauernstrukturen, Felder- und Figurenschwächen und langfristige Pläne erläutert werden. Lemos liefert nichts dergleichen.

Die Texte sind sachlich geschrieben – Entertainment ist hier nicht vorhanden.

Es gibt auch in den Partien keine ausführliche Beschreibung der typischen Pläne und Strukturen. In einem Eröffnungslehrbuch sollten vorrangig die Pläne in typischen Strukturen erläutert werden, sonst bleibt es bestenfalls ein Nachschlagewerk. Für ein Nachschlagewerk ist dieses Buch aber viel zu unvollständig. Es erinnerte mich sehr an die Eröffnungsbücher aus dem Berliner Sportverlag aus den 80er Jahren – damals gut, für heutige Maßstäbe zu schlecht. Warum? Sehr oft werden in der Phase zwischen dem zehnten und siebzehnten Zug drei bis fünf Züge ohne jeden Kommentar angegeben, um an deren Ende dann eine kurze Erklärung des Autors wie “Weiß steht besser wegen des Läuferpaares“ oder “Weiß steht besser, weil er mehr Platz hat“ oder weil “die schwarze Dame auf d4 zu exponiert steht“ zu finden. Die Zugfolgen wiederum sind dabei meist keineswegs forciert und Bewertungen wie die gerade dargestellten sind wirklich keine besondere schachliche Leistung. Wie eine solche entstandene Stellung prinzipiell zu spielen ist, wäre das interessante Thema! Und der Hinweis, dass man mit einem fianchettierten Läufer auf g2 als Weißer üblicherweise auf dem Damenflügel spielen sollte, reicht mir dafür nicht aus. Es fehlt folglich enorm an Informationsgehalt.

Lemos nimmt in seinen Varianten mehrere Züge auf, die spielbar sind. Er erklärt aber, genau wie auch in den “alten“ Eröffnungsbüchern, nicht, warum andere Züge eher nicht gespielt werden sollten oder mit welchem Zweck ein Zug gespielt wurde.

Man merkt aber irgendwie doch, dass Lemos was vom Spiel versteht. Er konnte mir sein schachliches Stellungsgefühl nur leider nicht vermitteln. Er scheut sich auch nicht, seine eigenen neuen Ideen einzuarbeiten. Das trauen sich nicht besonders viele aktive Spieler. Er macht aber eben nur Zugvorschläge und lässt den Leser dann, wie gesagt, nicht daran teilhaben, wie er die Stellungen denn planmäßig weiter angehen würde. Der Lernwillige wird mit seinen Fragen alleine gelassen. So bleibt das Buch eine nur lückenhaft und unvollständig kommentierte Sammlung von Partien zu einer bestimmten Eröffnungsstruktur (d4, c4, Sf3, g3, Lg2).

Für Amateure unter 2200 Elo gibt es viel zu wenig zu lernen, für Spieler mit höherer Spielstärke gibt es günstigere Methoden, sich weiterzubilden. Ein Titelträger auf der Suche nach einer Lösung für eine Lücke in seinem Eröffnungsrepertoire im zehnten bis fünfzehnten Zug bekommt hier eventuell die eine oder andere Inspiration, mehr aber auch nicht.

Dennis Calder, FIDE Instructor

Juni 2014