Martin Rieger

Martin Rieger

Donnerstag, 20 Februar 2014 10:16

The Modern Anti-Sicilian

Was tut man als Autor und/oder Verleger, wenn die offizielle Eröffnungstheorie schon mehr als reichlich durch Bücher und DVD´s abgedeckt ist?

Wenn ich jetzt ganz gemein wäre, würde ich sagen, man erfindet sich seine eigene Theorie!

So ähnlich empfinde ich es bei dem vorliegenden Werk, The Modern Anti-Sicilian. Das Anti im Buchtitel suggeriert etwas Gegenteiliges, Erfolgversprechendes gegen 1.e4 c5. Modern ist es auch noch, na dann kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen! Oder?

Sergei Soloviov

The Modern Anti-Sicilian
1.e4 c5 2.a3
534 Seiten, kartoniert, 1.
Auflage 2014.

Erhältlich bei Schach Niggemann

Was tut man als Autor und/oder Verleger, wenn die offizielle Eröffnungstheorie schon mehr als reichlich durch Bücher und DVD´s abgedeckt ist?

Wenn ich jetzt ganz gemein wäre, würde ich sagen, man erfindet sich seine eigene Theorie!

So ähnlich empfinde ich es bei dem vorliegenden Werk, The Modern Anti-Sicilian. Das Anti im Buchtitel suggeriert etwas Gegenteiliges, Erfolgversprechendes gegen 1.e4 c5. Modern ist es auch noch, na dann kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen! Oder?

Wobei ich zugeben muss, dass die Idee 1.e4 c5 2.a3 sicher ganz interessant und betrachtungswürdig ist. Ob es dafür aber ein über 550 Seiten starkes Manifest sein muss?

IM Sergei Soloviov ist Chef Editor des bulgarischen ChessStars Verlag, in der Vergangenheit hat er bereits einige Bücher auch selbst verfasst. Für dieses monumentale Werk hat er sich 10 Jahre Zeit genommen und in diesem Zeitraum nach eigner Auskunft ca. 4000 Partien zu dem Thema ausgewertet. Die Partien wurden größtenteils im Blitz/Schnellschachmodus absolviert. Das Urteil darüber, wie aussagekräftig das im Einzelnen wirklich ist, will ich jedem selbst überlassen. Ich persönlich würde mich auf alle Fälle nicht auf Blitz- oder Schnellpartien verlassen wollen.

Da die Theorie zu diesem Gebiet bisher nicht existent oder bestenfalls kümmerlich war, leuchtet das vorgehen des Autors, selbst für genügend Partiematerial zu sorgen, natürlich ein. Soloviovs Analysen scheinen sehr sorgfältig angefertigt worden zu sein, teilweise gehen die Untersuchungen sehr tief ins späte Mittelspiel hinein. Insgesamt 46 (!!) Kapitel gliedern das Material auf, auch hier ließ sich der Autor wahrlich nicht lumpen!

Das Buch dürfte mit Sicherheit für lange Zeit so etwas wie ein Referenzwerk für 2.a3 gegen Sizilianisch sein, etwas anderes ist aber für mich noch wichtiger:

Wer braucht solch ein Buch?

Meine ehrliche Antwort:

Keiner.

Sicher, die Idee ein verzögertes Flügelgambit (übrigens entstehen dabei auch Stellungen, die nach 1.e4 e6 2.Sf3 d5 3.e5 c5 4.b4 aufs Brett kommen) gegen Sizilianisch zu spielen ist funny. Aber die über 550 Seiten erschlagen einen, die Analysen (so gut sie auch sein mögen) gründen sich größtenteils auf Schnellpartien, man verliert einfach sehr schnell den Überblick.

Dazu kommt auch, dass man vor einigen Jahren die seltenen Varianten zum Überraschungszwecke gespielt hat und weil man vielleicht auch nicht so viel Zeit dafür investieren wollte. Soloviov kehrt diesen Umstand völlig um, nun muss man mehr lernen und wissen bei den Überraschungseröffnungen! Ich kann den Autor nur loben für seinen Fleiß, den er in dieses Monumentalwerk gesteckt hat. Trotzdem bleibt das Buch für mich nur ein theoretisches Gebilde ohne ein praxiserprobtes Fundament.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen. 

Sonntag, 16 Februar 2014 13:11

Ein praktisches Repertoire?

Gibt es eine Zauberformel für gelungene Repertoirebücher?

Offiziell lautet die Antwort: Nein! Inoffiziell sollten zukünftige Autoren mal bei
John Watson vorbeischauen….

Alexei Kornev
The King´s Fianchetto Defences
White Repertoire with 1.d4 and 2.c4 - Vol 2
288 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Erhältlich bei Schach Niggemann

Dieses Buch ist der 2.Teil einer, auf drei Bände ausgelegten, Reihe. Teil 1 behandelte hauptsächlich das Damengambit, Teil 2 die königs- und grünfeldindischen Systeme und Teil 3 wird sich in der Hauptsache mit Nimzoindisch befassen.

Da ich in Teil 1 im Abschnitt über das Tschigorinsystem ein dickes Loch in der Kornevschen Analyse fand, ging ich an dieses Werk nicht ganz unvoreingenommen heran.

Zum theoretischen Teil:

Gegen Grünfeldindisch empfiehlt der Autor das Abtauschsystem mit Sf3 und Le3. Der Vorteil dieses Abspiels liegt sicher darin begründet, dass man mit Weiß, vorausgesetzt man stellt sich nicht ganz dämlich an, nur sehr schwer verlieren kann. Ob man damit aber gegen einen gut vorbereiteten Grünfeldjünger einen greifbaren Vorteil herausholen kann mag auch hinsichtlich der außerordentlichen Komplexität der entstehenden Stellungen mehr als fraglich erscheinen. Für einen Einsatz beim Fernschach ist dieser Ansatz sicherlich gerechtfertigt aber ich habe doch starke Zweifel, dass sich der Durchschnittsschächer (also wir alle, bis auf ein paar Ausnahmen ;-) ) sich diese Variantenanhäufungen überhaupt merken, bzw. verstehen kann!

Gegen Königsindisch bleibt der Autor seiner Linie treu und macht den Leser auf die Variante 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.Le2 0-0 6.Lg5 aufmerksam. Auch hier ist die Kenntnis konkreter Varianten wichtiger als das Verstehen von typischen Mittelspielideen. Ich kann mich auch täuschen und vielleicht tue ich dem Autor Unrecht, aber ich behaupte, kein normaler Vereinsspieler kann sich das alles merken! Zu komplex und zu anspruchsvoll erscheinen diese Abspiele.

Einzig gegen Pirc/Modern empfiehlt er ein einfaches, leicht verständliches Abspiel: 1.d4 d6 2.e4 Sf6 3.Sc3 g6 4.Le3. Folgerichtig ist dieses Kapitel auch das stärkste im Buch! Ein gutes, starkes System bei dem es mehr um Ideen/Pläne geht als um 35zügige Varianten. Wobei ich hier anmerken muss, dass es mir nicht ganz einleuchtet, wieso der Autor plötzlich auf eine 1.e4 Variante umschwenkt anstatt in gewohnten 1.d4 Gefilden zu bleiben.

Für mich macht dieser Teil des weißen Repertoires keinen runden Eindruck. Es schwankt zwischen theoretischer Korrektheit und einer Unverträglichkeit bezüglich der praktischen Anwendung. Es will alles perfekt machen und schießt dabei über das Ziel hinaus. Ähnlich wie bei Avrukh wird hier mit Atomraketen auf Spatzen geschossen.

Fernschachspieler, Spitzenspieler, Sekundanten von Carlsens nächstem Herausforderer oder einfach begeisterte Analytiker können mit diesem Buch sicher sehr gut arbeiten. Für den einfachen Vereinsspieler meiner Meinung nach zu komplex und auch nicht wirklich stimmig. 

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen.

Sonntag, 16 Februar 2014 11:22

Caro-Kann unter Beschuss

Eines der schwierigsten Unterfangen im Schachspiel dürfte es sein, einen eingefleischten Caro-Kann Anhänger aus der Reserve zu locken. Egal ob man nun eine positionelle oder eine eher taktische Herangehensweise dagegen wählt, der betuchte 1. ...c6 Spieler baut sich seelenruhig gemäß der Caro-Kann-Schemata auf und der Weißspieler kann sich dann sämtliche Zähne an dieser Verteidigung ausbeißen.

Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass es auf dem Schachbuchmarkt deutlich mehr pro Caro-Kann Bücher gibt als dagegen, bzw. fällt mir auf Anhieb keines ein, dass ein probates Mittel gegen Caro-Kann aufzeigt.

Einen ernsthaften und auch sehr seriösen Versuch macht jetzt der ukrainische GM Alexey Bezgodov (ELO 2494):

Alexei Bezgodov

The Extreme Caro-Kann
Attacking Black with 3.f3
272 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2014.

Erhältlich bei Schach Niggemann 

Im Zentrum des Geschehens steht die Fantasy-Variante 1.e4 c6 2.d4 d5 3.f3.

Dieser Zug beinhaltet ein Gambit und steht in deutlicher Verwandtschaft mit dem Diemer-Duhm-Gambit.

Der Autor hat das vorhandene Material in 8 Kapiteln unterteilt: Seltene Erwiderungen, die Fianchetto Variante 3. …g6, Semi-Französisch mittels 3. …e6, 3. …Db6, das Abspiel 3. …e5, die Hauptvariante 3. …dxe4, wichtige Partien und Übungsaufgaben. Insgesamt analysiert der Autor 68 Partien, bindet diese in seinen theoretischen Überblick mit ein und in den abschließenden Übungsaufgaben (51) werden typische Mittelsspielstellungen aufs Korn genommen.

Sehr gut gefallen haben mir die zahlreichen verbalen Erklärungen und auch die Querverweise auf vergleichbare Literatur, bzw. die vorhandene, offizielle Theorie. Außerdem ist mir positiv aufgefallen, dass Bezgodov nicht nur das Material gesammelt und bewertet hat, sondern dass er auch sehr viele eigene Ideen und Vorschläge in das Buch mit aufgenommen hat. Ich habe natürlich viele Varianten genauer unter die Lupe genommen und versucht, irgendwo Fehler oder Unzulänglichkeiten auszumachen, vergebens. Zum Beispiel verbessert der Autor eine wichtige Hauptvariante aus Lars Schandorffs Caro-Kann (Grandmaster Preparation):

1.e4 c6 2.d4 d5 3.f3 dxe4 4.fxe4 e5 5.Sf3 Lg4 und nun nicht 6.Lc4 wie bei Schandorff sondern der neue Zug 6.c3 Sd7 7.Ld3! Ld6 (auch Jovanka Houska bricht hier in ihrem „Play the Caro-Kann“ mit der Bemerkung ab, Schwarz könne hier um das Feld e5 kämpfen?! ) 8.0-0 Sgf6 9.Sbd2 0-0 10.Sc4 Lc7 11.Lg5 Te8 12.Dc2! Lxf3 13.Txf3 b5 14.Se3 Lb6 15.Sg4 exd4 16.c4 mit mehr als einiger Kompensation für den Bauern.

Auch in den anderen Abspielen hat Bezgodov gut recherchiert und die kritischen Abspiele sehr genau analysiert. Zumindest ist mir mit meinen vorhandenen Mitteln (Engines, Datenbanken, Bücher) nichts Gegenteiliges aufgefallen.

Zu den entstehenden Stellungen kann ich nur sagen: Nichts für schwache Nerven! Hochtaktisch, kompliziert und fern jeder Schablone. Also alles Sachen, die ein Caro-Kann Spieler hasst!

Zusammenfassend ein sehr gutes und ehrliches Eröffnungsbuch mit seriösen, tiefgreifenden Analysen. Dazu gesellen sich viele ungespielte Neuerungen und Ideen die aus diesem System eine nicht zu unterschätzende Waffe gegen Caro-Kann darstellen.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen.

Vor ein paar Tagen begann in Zürich das Chess Challenge Turnier mit der bisher noch nie erreichten Kategorie 22 (ELO-Schnitt 2800). Zum Auftakt gab es ein Blitzturnier mit einigen sehenswerten Partien. Besonders stach dabei die originelle Eröffnungsbehandlung des frischgebackenen Weltmeisters Magnus Carlsen hervor. Gegen Levon Aronjan beantwortete Carlsen als Nachziehender zum Beispiel 1.d4 Sf6 2.Sf3 mit 2. …b5 und konnte die Partie, obwohl er immer unter Druck stand, Remis halten.

Gegen Vishy Anand packte Carlsen dann mit Weiß eine Kuriosität aus, das Rieger/Simon Gambit:

Carlsen,Magnus (2872) - Anand,Viswanathan (2773) [A06]

Zurich CC Blitz, 29.01.2014

1.Sf3 d5 2.b3 c5 3.e4

rsgambit

Budapester Gambit im Anzug!

Dieses Gambit hatte ich vor 20 Jahren mit einem Vereinskollegen analysiert und im Chessbase-Magazin 38 unter dem Namen Rieger/Simon Gambit vorgestellt!

In der Blitzpartie ging es weiter mit 3. …dxe4 und nun Carlsens Neuerung 4.Sg5!?

(wir analysierten damals nur 4.Se5 mit der Damenfangidee 4. …Dd4? 5.Lb2! nebst Sc3/Sc4)

4. …Sf6 5.Sc3 Sc6 6.Lc4 e6 7.Lb2 Le7 8.0-0 0-0 9.Scxe4 Sxe4 10.Sxe4 e5 11.f4 exf4 12.Dh5 Sd4 (12. …Le6 sollte ausgleichen) 13.Txf4 g6 14.De5 b6 15.Taf1 Lf5 16.g4 Le6 17.Lxe6 fxe6 18.Txf8+ Lxf8 19.Sf6+ Kh8

caan2

Hier zog Carlsen 20.c3 Sc6 21.Se8+ und 1-0.

Finden Sie das Matt in 3 Zügen statt 20.c3?

Donnerstag, 26 Dezember 2013 12:18

Tarrasch vs Französisch

Die letzten beiden Buchbesprechungen in diesem Jahr widme ich The Tarrasch Defence, von IM Sam Collins und Playing the French von GM Aagaard/Ntirlis.
Vorsorglich wünsche ich allen Lesern (weil ich es zum Schluss bestimmt wieder vergesse) noch angenehme Feiertage und ein glückliches und gesundes 2014. 

Sam Collins
The Tarrasch Defence: Move by Move
254 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Erhältlich bei Schach Niggemann

Die Tarrasch-Verteidigung entsteht nach der Zugfolge 1. d4 d5 2. c4 e6 3. Sc3 c5 und jetzt führt die Hauptvariante 4. cxd exd 5. Sf3 Sc6 6. g3 Sf6 7. Lg2 Le7 8. 0-0 0-0 9. Lg5 zu einem schwarzen Isolani und einer Schwächung der schwarzen Bauernstellung. Als Gegenwert erhält der Nachziehende ein freies, aktives Figurenspiel (siehe zum Beispiel die Partie Rotlewi-Rubinstein, Lodz 1907. Dort folgte Weiß nach 1. d4 d5 2. Nf3 e6 3. e3 c5 4. c4 Nc6 5. Nc3 Nf6 der von Tarrasch empfohlenen Fortsetzung 6. dxc5. Nach 6. … Bxc5 entwickelte sich eine der schönsten Partien der Schachgeschichte, es folgte 7. a3 a6 8. b4 Bd6 9. Bb2 O-O 10. Qd2 Qe7 11. Bd3 dxc4 12. Bxc4 b5 13. Bd3 Rd8 14. Qe2 Bb7 15.O-O Ne5 16. Nxe5 Bxe5 17. f4 Bc7 18. e4 Rac8 19. e5 Bb6+ 20. Kh1 Ng4 21. Be4 Qh4 22. g3 Rxc3!! 23. gxh4 Rd2!! 24. Qxd2 Bxe4+ 25. Qg2 Rh3 0-1).

Bekannteste Vertreter dieser Spielweise sind, bzw. waren Kasparov, Spassky, Gligoric und Grischuk.

Der Autor des vorliegenden Buches, IM Sam Collins, ist ein erfahrener Schachbuchautor und ausgewiesener Eröffnungsexperte. In seiner bisherigen literarischen Arbeit finden sich mehrheitlich Werke weniger über künstliche Theoriegebilde jenseits des 30.Zuges sondern über Strukturen, Zentrumsformationen und Schachstrategie im Allgemeinen. Bei seinen Eröffnungsbüchern (z.B. French Advance, The c3-Sicilian) war es ihm immer ein Anliegen, das der Leser das geschriebene Wort nachvollziehen, verstehen, anwenden kann. Keine computergenerierten Zugfolgen die kein Mensch versteht sondern Ideen, Pläne, Strategien waren und sind die Hauptbausteine seiner Bücher.

In diesem Werk hat er das Thema in 9 Kapiteln aufgeteilt bezüglich der verschiedenen Zugfolgen bzw. weißen Aufbauten (symmetrische Tarraschvariante, Reti-Aufbau). In den 25 vorhandenen Musterpartien sollen alle relevanten Pläne und Ideen dargestellt werden, Collins erklärt sehr viel und geht dabei auch viele strategische Besonderheiten dieser Eröffnung ein. Garniert wird das Ganze noch durch ein dazwischen geworfenes Frage- und Antwortspiel. Hier ist der Leser aufgefordert, sich aktiv zu beteiligen!

Sehr gut gefallen haben mir auch die zahlreichen Querverweise auf vergleichbare Literatur (Avrukh, Aagaard/Ntirlis, Kaufmann, Carlstedt). Collins zeigt dort recht gute Antworten und Wege gegen die dort teilweise vertretenen Meinungen und gibt dem Leser somit ein vergleichsweise stabiles Grundgerüst mit auf den Weg.

Fazit: Ein Buch das mehr auf Verstehen Wert legt als auf die akribische Darstellung sämtlicher Theoriezüge. Sam Collins bezieht den Leser sehr gut mit ein durch immer wieder dazwischen geworfene Fragen und widerlegt nebenbei auch angenehm unaufgeregt die These, irgendwelche Eröffnungen seien unspielbar oder zumindest sehr schwer zu handhaben geworden nach der Veröffentlichung hochtrabender Repertoirebücher. Empfehlenswert für Neu- und Quereinsteiger in dieses interessante Eröffnungskonzept. Erfahrene Tarraschspieler könnten durchaus noch so manche Anregung aus dem Buch mitnehmen, ob es aber in diesem Fall letztendlich einen Kauf rechtfertigt, muss jedem selbst überlassen sein. 

Jacob Aagaard, Nikolaos Ntirlis
Playing the French
464 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Erhältlich bei Schach Niggemann

Nach gefühlten 35 Französischpublikationen in den letzten 2 Jahren erscheint nun im Quality-Chess Verlag ein weiteres Mosaikstein in dieser Reihe, bzw. Tradition. Erstaunlicherweise macht der Verlag sich selbst, bzw. GM Emanuel Berg Konkurrenz. Jener veröffentlichte er vor kurzer Zeit die ersten beiden Teile seiner geplanten Französisch-Trilogie im gleichen Verlag. Nun also legen Aaagard/Ntirlis nach, wobei Letzterem die Aufgabe des Computeranalysen-Spezialist (was für ein hässliches Wort) zukommt. Aagaard hat hier eher die Rolle des Kommentators übernommen. Er war hauptsächlich für den Text, Ntirlis für die Analysen verantwortlich, wobei diese sicher auch noch von Aagaard begutachtet wurden.

Das Buch will dem Leser ein möglichst stabiles Französischrepertoire aus schwarzer Sicht bieten. Die Auswahl der Varianten begrenzte sich bei den Hauptabspielen auf die McCutcheon-Variante gegen 3.Sc3 (1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 Lb4, 4. …Le7 wird ebenfalls behandelt) und gegen die Tarrasch-Variante 3.Sd2 auf 3. …c5. Bei der Vorstoßvariante 1. e4 e6 2. d4 d5 3. e5 c5 4. c3 Sc6 5. Sf3 wird der Zug 5. …Ld7 bevorzugt und gegen die anderen restlichen Systeme (Königsindischer Angriff, Flügelgambit und ähnliches) werden ebenfalls bewährte Systeme empfohlen. Insgesamt 65 relevante Partien werden eröffnungstheoretisch auseinander genommen und mit eigenen Analysen ausführlich kommentiert.

GM Aagaard stellt dabei viele wertvolle Anschauungen und Gedanken zu dieser Eröffnung in den Raum, seien sie nun von taktischer/strategischer Natur als auch von schachhistorischem Interesse. Die Analysen scheinen nach einigen Überprüfungen/Stichproben ziemlich genau und verlässlich. Nicht umsonst genießt jemand wie der griechische Computerspezialist und GM-Sekundant Ntirlis einen sehr guten Ruf in der Branche!

Vorbei die Zeiten, als Analysen noch dem menschlichen Geist entsprangen, zwar fehlerbehaftet aber doch dem Kerngedanken folgend, das Wesen der Stellung zu entblößen. Heutzutage haben viele Eröffnungsanalysen etwas Endgültiges, Destruktives. Gebündelt wird dieses „abholzen“ jeglicher menschlicher Intuition in solchen furchtbaren Gebilden wie „LetsCheck“. Irgendwann zwar fast fehlerfrei und gottgleich in vielen Stellungen aber doch kalt, emotionslos, hässlich, vernichtend.

Doch das soll nicht dem Autorenduo angelastet werden.

Gehetzt von einer ganzen Meute enginebestückter Houdinijünger und kritischen Rezensenten mit Computerunterstützung gehorchen sie nur dem Lauf der Dinge. Sie orientieren sich am Erfolg, gehorchen dem Gesetz der vermeintlich absoluten Wahrheit. Vielleicht sind wir selbst schuld an dieser Entwicklung, der menschliche Drang immer alles schneller, besser, genauer und weiter zu machen führt letztendlich doch wieder nur in eine Sackgasse. Vielleicht sollten wir endlich damit aufhören alles, aber auch wirklich alles bis ins kleinste Detail zu erforschen, zu analysieren. Vielleicht sollten wir einfach nur mit dem Erreichten zufrieden sein und uns der Schönheit des Augenblicks gewahr werden?

Playing the French ist ein sehr gutes Eröffnungswerk das den derzeitigen Stand der Dinge widerspiegelt. Sehr weitgreifende Analysen und tiefsinnige Anmerkungen lassen den Leser tief eintauchen in die Geheimnisse dieser Eröffnung.

Ob man das Buch aber unbedingt braucht steht auf einem anderen Blatt. Zu viele gute bis sehr gute vergleichbare Werke sind in letzter Zeit auf den Markt gedrängt. Diese Entscheidung muss in letzter Konsequenz der Leser dieser Zeilen treffen.

Ich persönlich habe bei mir Zuhause noch den guten alten Watson (Play the French, 1988) herumliegen und bin damit immer noch gut gefahren…

Die Rezensionsexemplare wurden freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen

Mittwoch, 25 Dezember 2013 11:04

Attack & Defence

Jacob Aagaard
Attack & Defence

304 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2014.

Erhältlich bei Schach Niggemann

Aus der bereits etablierten Reihe Grandmaster Preparation möchte ich heute einmal das neue Attack & Defence von Jacob Aagaard herausgreifen.

Worum geht es im Buch?

Hauptthema ist das Dilemma, an dem 99% aller Schachspieler Zeit ihres Lebens zu knabbern haben: sie werden einfach nicht besser, stagnieren und fallen irgendwann sogar zurück, obwohl der eine oder andere sicher fleißig trainiert.

Aagaard stellt die These auf, jeder Schachspieler besitzt eine Art Schach-Landkarte und diese Karte ist irgendwann voll und es geht nicht mehr weiter. Dieses Buch soll diese Karte verändern, optimieren, effizienter gestalten und letztendlich erfolgreicher machen. Dazu gibt es 14 Kapitel unterschiedlichster Couleur, angefangen von Include all the Pieces in the Attack über Quantity beats Quality bis hin zu einem Trainingskapitel mit 54 sehr, sehr schweren Aufgaben.

Jedes einzelne Kapitel im Buch wird durch gut erklärende Beispiele eingeläutet, Aagaard bietet wieder einmal sehr viel Text (erfreulich!) und bringt anschauliche Muster und Schemata zum Thema.

Kann das Buch halten, was es verspricht?

Objektiv gesehen kann diese Frage mit einem lauten und deutlichen JEIN! beantwortet werden. Die Intention jeglicher Schachtrainingsliteratur, bzw. dessen Erfolg, hängt nicht zuletzt vom Leser selbst ab. Begreift er überhaupt, was er da liest? Wie intensiv studiert er das Buch? Kann sich das Gelesene in seiner Gedankenwelt festsetzen oder ist alles verlorene Mühe? Nicht zuletzt stellt sich die Frage: Wie gut oder schlecht vermittelt der Autor sein Wissen, seine Ideen, seine Gedanken?

GM Jacob Aagaard macht in dieser Hinsicht eine gute Figur, er schreibt in seinem lockeren, unkomplizierten Stil und macht sich alle Mühe, sich auch in seine Leserschaft hineinzudenken. Nichtsdestotrotz drängt sich bei mir die Frage auf, ob der ohnehin gesättigte Schachbuchmarkt ein weiteres Trainingsbuch braucht, dass dem verdutzten Leser erklärt: Alles was du bisher im Schach gelernt hast war falsch, dumm und uneffizient. Deine gesamte Denkweise ist veraltet und verstaubt! Aber keine Bange, wir holen dich da raus! Vorausgesetzt natürlich, du studierst unser Buch bis in alle Einzelheiten. Sollte sich danach kein Erfolg einstellen bist du einfach ein ganz hoffnungsloser Fall…

Okay, ein wenig überspitzt aber wenn man sich etwas umsieht, gibt es gerade in diesem Bereich eine ganze Menge an vergleichbarer Literatur (Perfect your Chess, Schach für Zebras, Der Weg zur Verbesserung des Schach).

Die Frage also: Was bietet das Buch Neues und Innovatives, was andere Werke nicht können?

Mir bleibt da nur ein Schulterzucken.

Selbstverständlich aber reiht es sich ein in die Liste der sehr guten Trainingsbücher. Und der sehr schwierigen! Die Aufgaben und Übungsbeispiele erfordern höchste Konzentration und Ausdauer. Die Frustrationsgrenze sollte beim Leser auf das höchstmögliche Maximum eingestellt sein, andernfalls landet das Buch womöglich mit einem weiten Wurf aus dem offenen (oder auch geschlossenen) Fenster!

Hier ein Beispiel aus dem Buch:

AttackDefense2

 

Weiß ist am Zug.

Der Lösungszug ist identisch mit dem 34.Zug von Weiß aus der Partie Karpov-Kasparov, Schach-WM 1984, 9.Partie! ?

 

Fazit:

Höchst anspruchvolles Trainingsbuch für den Fortgeschrittenen Spieler.

Wer sich damit ausgiebig auseinandersetzt und nicht gleich nach 5 Minuten nach der Lösung blättert, wird sicherlich seinen Nutzen daraus ziehen.

Ob es aber seine Versprechungen zur Gänze erfüllen kann, wage ich aber doch zu bezweifeln. Schach ist komplexer und schwerer zu erlernen, als es uns Autoren und Verlage einreden wollen.

Ein Patentrezept für Spielstärkesteigerung bleibt vorerst noch ein ungelüftetes Geheimnis. 

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen.

Dienstag, 24 Dezember 2013 10:15

Schachtheorie für Nerds

Bryan Paulsen
Chess Developments: Semi-Slav 5 Bg5

192 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Erhältlich bei Schach Niggemann

Eine der faszinierendsten Variantenkomplexe der gesamten Schachtheorie findet man in der Semi-Slawischen Verteidigung 1. d4 d5 2. c4 c6 3. Sc3 Sf6 4. Sf3 e6 und nun 5.Lg5 was den Eintritt gewährt in das Reich der Botwinnik-Variante und der Moskauer Variante, daneben sind auch noch andere Übergänge möglich.

Der Autor des vorliegenden Buches, Bryan Paulsen, ist ein nationaler Meister und ausgewiesener Eröffnungsexperte. Da lag die Idee nicht fern, ein Buch über dieses komplizierte Abspiel zu verfassen.

Anhand von 50 ausgewählten Meisterpartien unternimmt Paulsen einen unterhaltsamen Streifzug durch das Variantengeflecht und stellt nebenbei auch noch den aktuellen Stand der Theorie dem geneigten Leser in angenehm lesbarer Form vor. Dabei bezieht er sich auch auf vergleichbare Literatur (Dreev), schreckt aber auch nicht vor eigenen Urteilen zurück, wohl wissend, dass schon nächste Woche alles wieder Makulatur sein kann.

An dieser Stelle kommen wir wieder einmal auf den Schwachpunkt sämtlicher Eröffnungstheorie:

Alles ist vergänglich! …und deshalb leidvoll, würde Buddha (560 – 480 v.Chr.) ergänzen, wohingegen Goethe noch einwerfen würde: sind wir ja eben deshalb da, um das Vergängliche unvergänglich zu machen; das kann ja nur dadurch geschehen, dass man beides zu schätzen weiß.

Man sollte sich im Klaren darüber sein, dass ein solches Buch niemals endgültige Wahrheiten enthält. Eher gleicht es einem Ratgeber, einem flüchtigen Fingerzeig, einer Idee.

Als Beispiel eine der kontroversesten Stellungen der Schachgeschichte:

20Dg4

Diese Stellung entstammt der Zugfolge 1. d4 d5 2. c4 c6 3. Nc3 Nf6 4. Nf3 e6 5. Bg5 dxc4 6. e4 b5 7. e5 h6 8. Bh4 g5 9. Nxg5 hxg5 10. Bxg5 Nbd7 11. exf6 Bb7 12. g3 c5 13. d5 Qb6 14. Bg2 O-O-O 15.O-O b4 16. Na4 Qb5 17. a3 exd5 18. axb4 cxb4 19. Be3 Nc5 20. Qg4+ …

Wer nun glaubt, ab hier endet die häusliche Vorbereitung und es beginnt der echte Kampf der Ideen…sieht sich getäuscht. Es ist eigentlich die Grundstellung dieses Systems.

Die Züge bisher wurden im Laufe der Jahre durch etliche Partien, Analysen und in neuerer Zeit auch durch den intensiven Einsatz von Computern generiert zu einer möglichst genauen, perfekten Zugfolge die von der absoluten schachlichen Wahrheit aber immer noch so weit entfernt scheint wie die Erde vom Planeten OGLE-2005-BLG-390Lb (ca.25000-28000 Lichtjahre von der Erde entfernt, 2006 von einer internationalen Forschergruppe entdeckt.)

Die vorhandenen Analysen dieses Systems reichen bis ins Endspiel hinein und sind wahrlich nur für Fernschächer, Schachcomputerfreaks und sonstigen vergleichbaren Nerds geeignet.

Aber dies nur zur Warnung!

Wer sich von solcherlei Dingen nicht abschrecken lässt und dieses System besser verstehen oder gar erlernen will, kann bei diesem Buch eigentlich nicht viel verkehrt machen. Tolle Analysen, viel erklärender Text und gut kommentierte Meisterpartien machen aus dem Buch für mich ein Referenzwerk.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen.

Donnerstag, 24 Oktober 2013 17:48

Bücherrundschau Teil 2

Den Anfang macht diesmal ein Buch aus dem Hause Quality Chess.

Titel des Buches: The French Defence, Volume One von GM Emanuel Berg (ELO 2627).

Es stammt aus der Reihe Grandmaster Repertoire und ist auf drei Teile ausgelegt, Teil 2 behandelt die Systeme nach 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 c5 5.a3 Lxc3 6.bxc3 Se7 7.Dg4, Teil 3 behandelt die Vorstoßvariante, Tarrasch, Systeme nach 3.Sc3 ohne 3…Lb4 und den Rest.

Dieser erste Band analysiert die Systeme nach 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 c5 5.a3 Lxc3 6.bxc3 Se7 und danach alles außer 7.Dg4. Auf den ersten Blick macht diese Einteilung einen etwas seltsamen Eindruck auf mich, vor allem wenn man bedenkt, dass alleine für die Winawer-Variante ohne 3…Sf6 zwei Bände beansprucht werden. Dieser Umstand würde sich aber nur dann relativieren, wenn Band 3 extrem voluminös erscheinen würde. Warten wir es ab!

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The French Defence, Vol. 1 Grandmaster Repertoire 14 324 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013. https://www.schachversand.de/DBBilder/leseprob/LOBERTFD1.pdf

In diesem Buch geht es also um die Systeme nach 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 und nun als Hauptfortsetzung 4.e5 c5 5.a3 Lxc3 6.bxc3 Se7 7.a4 bzw. 7.Ld3/7.h4/7.Sf3. Daneben galt die Aufmerksamkeit des Autors selteneren Systemen wie Abweichungen im 4. bzw.5.Zug von Weiß. Der Titel Grandmaster Repertoire deutet es ja schon an, hier handelt es sich um ein Arbeitsbuch. GM Berg hat die vorhandenen Systeme gut gegliedert dargestellt und dazu sehr viele eigene Analysen plus dazugehöriger Neuerungen beigesteuert.

Beim Durchblättern des Buches fiel mir auf, dass zum Beispiel das Gambit 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.a3 Lxc3 5.bxc3 fxe4 6.f3 mit gerade einmal 10 Zügen abgehandelt wird. GM Berg beleuchtet hier die Variante 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.a3 Lxc3 5.bxc3 fxe4 6.f3 c5 7.Sh3 Da5 8.Ld2 Sf6 9.De2 exf3 10.Df3 Sc6N. Ein Blick in einschlägige Literatur, bzw. Interforen enthüllt aber noch viel mehr Varianten für Weiß, zum Beispiel die Züge 7.Dd2/7.Tb1/7.Lb5 oder auch Varianten mit früherem Dd2 nebst De3. Das hat mich 5 Minuten meiner Zeit gekostet um festzustellen, dass es sehr wohl noch ein paar mehr Varianten dazu gibt.

Klar, man muss und kann auch nicht alles kennen und wissen, aber die paar Züge im Buch waren mir etwas zu wenig. Hier hätte man für meinen Geschmack ruhig etwas mehr in die Breite gehen sollen/dürfen. Das ist aber Kritik auf sehr hohem Niveau. Ansonsten habe ich bei mehreren zufällig ausgewählten Varianten keine Fehler entdecken können soweit es mir möglich war.

Ich sehe das Buch als eine Art Anleitung, einen Ideenlieferant und einen Kompass um in dieser Eröffnung nicht vorzeitig Schiffbruch zu erleiden und um selbst eigene Ideen und Pläne zu erschaffen. Deswegen ist es auch nötig, mit dem Buch zu arbeiten, es zu erforschen und seine eigenen Schlüsse daraus zu ziehen. Wer das beherzigt wird mit Sicherheit einen großen Gewinn daraus erzielen können.

 

Das zweite Buch das ich Ihnen heute vorstelle stammt aus dem bulgarischen Verlag Chess Stars. Autor ist GM Dmitry Svetushkin und dieser stellt dem Leser ein Sämisch-Repertoire gegen Grünfeldindisch vor (1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.f3 – White kills three birds with one shot, D.Svetushkin).

Der Titel des Buches ist ein wenig irreführend, hier wird ein Repertoire gegen Grünfeld-, Königsindisch und gegen Benoni/Wolga geboten.

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The Ultimate Anti-Grünfeld A Sämisch Repertoire 232 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

http://www.chess-stars.com/resources/Contents_Ultimate.pdf

Jedes der insgesamt 9 Kapitel beginnt mit einem Abschnitt in dem die wichtigsten Ideen und Pläne erörtert werden. Danach folgt der theoretische Teil und im Abschluss folgen mehrere kommentierte Partien. Erfreulicherweise hat der Autor, wenn möglich, immer das aktuellste Partiematerial verwendet:

Svidler,P (2747) - Grischuk,A (2764) [E81] FIDE Candidates London ENG (9.2), 25.03.2013

1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3 0-0 6.Le3 c5 7.Sge2 Sc6 8.d5 Se5 9.Sg3 h5 10.Le2 h4 11.Sf1 e6 12.Sd2 Svetushkin schlägt diesen Weg für Weiß vor, in Anbetracht ausanalysierter Opfervarianten auf c4 a´la Kasparov sicherlich nicht die schlechteste Wahl.

[ in der Partie brachte Alexander Grischuk nach 12.f4 das vorbereitete Springeropfer 12. ... Sxc4!!

Sc4KI

Stellung nach 12...Sxc4!!

13.Lxc4 b5! Garri Kasparov hatte diese Variante bereits vor einigen Jahren selbst analysiert. Weiter ging es mit 14.Lxb5 exd5 15.e5 dxe5 16.fxe5 Lg4 17.exf6 Lxd1 18.fxg7 Kxg7 19.Lxc5 h3 (19... Lh5 Kasparov) 20.Txd1 hxg2 21.Tg1 gxf1D+ 22.Kxf1 Dh4 23.Tg2 Tfd8 24.Td4 Dh5 25.Tf4 d4 26.Lxd4+ Txd4 27.Txd4 Tb8 28.a4 a6 29.Lxa6 Df3+ 30.Tf2 Dh1+ 31.Ke2 Txb2+ 32.Td2 Dc1 33.Kd3 Tb6 34.Lc4 Td6+ 35.Ld5 Td7 36.Tf4 f5 37.Td4 Kh6 38.h4 Tc7 39.Lc4 Df1+ 40.Te2 f4 41.Kc2 f3 und Remis.]

12...exd5 13.cxd5 a6 14.0-0 b5 Hier schlägt der Autor nun die Neuerung 15.h3 vor.

Nach 15... c4 16.Lg5 Db6+ 17.Kh2 Sh5 18.f4 Sd3 19.Lxh5 gxh5 20.Dxh5 f6 21.Lxh4 De3 22.Dd1 Sxb2 23.Dc2 Sd3 24.Tf3 Dd4 25.Tb1 f5 26.Se2 Da7 27.Tg3 Kh8 28.Txd3 cxd3 29.Dxd3 steht Weiß besser.

Überhaupt hat der Autor sehr viele Neuerungen in sein Buch einfließen lassen! Auch die Art der Kommentierung hat mir sehr gut gefallen. Lebendig, unterhaltsam und immer mit einer Prise Humor präsentiert Svetushkin tiefschürfende Analysen die er offensichtlich sehr gewissenhaft mit diversen Engines noch einmal gegen geprüft hat! Das ist anscheinend keine Selbstverständlichkeit wie ich unlängst erfahren musste.

Alles in allem ein absolut zufrieden stellendes Eröffnungswerk mit tollen Analysen und einer Menge Anregungen für das eigene Spiel.

 

Das letzte zu besprechende Werk handelt von GM Sergey Kasparov und behandelt ebenfalls ein frühes f3, diesmal aber nicht gegen Grünfeldindisch sondern gegen Sizilianisch.

Titel des Buches: Steamrolling the Sicilian, Play for a Win with 5.f3!

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Steamrolling the Sicilian Play for a Win with 5.f3! 240 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Die Idee dahinter: Theoriegefechte vermeiden und den Gegner überraschen. Außerdem ist es fast unmöglich, mit 5.f3 keine solide Stellung zu erreichen. Ob es aber tatsächlich, so wie es der Titel äußerst feinfühlig suggeriert (der c5 Bauer wird platt gewalzt), für ein Spiel auf Gewinn reicht, darf angezweifelt werden. Es ist eine genauso gute oder schlechte Methode zur Bekämpfung von 1.e4 c5 wie 5.Sc3 oder etwas anderes (Bent Larsen z.B. hielt ja den Tausch des d gegen den c-Bauern im Sizilianer für positionell fragwürdig).

Der Vorteil ist aber tatsächlich, dass der Bauernzug relativ unbekannt ist und/oder unterschätzt wird.

Hier eine Partie aus dem Buch:

Short,Nigel D (2660) - Lutz,Christopher (2595) [B55] Bundesliga 9899 Germany (1.1), 17.10.1998

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.f3 e5 6.Sb3 Le6 7.c4 a5 8.Le3 a4 9.S3d2 Le7 10.Sc3 Da5 11.Le2 0-0 12.0-0 Tc8 13.Sd5 Ld8 14.b4 axb3 15.axb3 Dxa1 16.Dxa1 Txa1 17.Txa1 Weiß steht besser

Ta1Dia

Stellung nach 17.Ta1

17...Sc6 18.Kf1 h6 19.Sc3 La5 20.Sb5 Lb4 21.Sb1 Lc5 22.Ld2 [besser war 22.Lf2] 22...Sd4 23.Sxd4 Lxd4 24.Lc3 Lc5 25.Sd2 Le3 26.Ke1 b5 27.Lb4 Lxd2+ 28.Kxd2 bxc4 29.bxc4 Tc6 30.Ta8+ Kh7 31.Td8 Lxc4 32.Txd6 Txd6+ 33.Lxd6 Lxe2 34.Kxe2 Sd7 35.Kd3 Kg6 36.Kc4 Kf6 37.Kd5 Sb6+ 38.Kc6 Sc4 39.Lc5 Ke6 40.Kb5 Sb2 41.Lf8 ½-½

Insgesamt bietet das Buch 167 kommentierte Partien, einen ausführlichen Theorieteil und einen Test am Ende des Buches in dem der Leser sein (hoffentlich!) frisch erworbenes Wissen umfangreich testen kann.

 

Alle vorgestellten Bücher sind erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/). Die Rezensionsexemplare wurden freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen.

Dienstag, 22 Oktober 2013 13:33

Bücherrundschau Teil 1

Bücherrundschau 2013 Teil 1

 

Heute lade ich sie zu einer kleinen Rundreise durch aktuelle Neuerscheinungen am Schachbuchmarkt ein. Beginnen will ich mit einem Buch das in erster Linie für Kinder gedacht und auch konzipiert ist.

Die Rede ist von Power Chess for Kids Volume 2 von Charles Hertan.

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Power Chess for Kids - Volume 2 Learn how to think ahead ... 160 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Teil 1 hatte ich vor 2 Jahren besprochen und war sehr angetan von der kindgerechten Aufarbeitung und der Vermittlung von schachlichen Inhalten.

Noch kurz zum Autor: FM Charles Hertan lebt in Massachusetts, hat schon mehrere Bücher verfasst und gibt seit über 30 Jahren Kinderschachtraining, er weiß also, wovon er spricht und schreibt.

Dieser nachfolgende Titel fängt da an, wo Teil 1 aufgehört hat, bei der Taktik. Dabei geht es abr nicht um das stumpfe Lösen von Aufgaben sondern es wird der Weg dorthin aufgezeigt, sprich, wie erreiche ich überhaupt eine gute Stellung?

Dort angekommen geht es aber dann richtig zur Sache: überlastete Figuren, Angriffsmethoden, verlockende Kombinationen, Verteidiger entfernen und vieles mehr gilt es zu entdecken! Immer dabei: die ständigen Begleiter Zort (der Computer), der Professor, Power Chess Kid, der Dinosaurier und Knelly. Diese Figuren kommentieren das Geschehen, geben Ratschläge und warnen vor Fehltritten.

Die gesamte Aufmachung ist wie bei Teil 1 absolut kindgerecht und auch hier können Trainer, Eltern und nicht zuletzt die Kinder selbst viel aus diesem Buch lernen und nebenbei auch noch prima unterhalten werden!

 

Das nächste Buch handelt von einem jungen Mann der das Kunststück fertig brachte, seine Wertungszahl innerhalb von 2 Jahren um 400 Punkte zu steigern, genauer gesagt von ELO 2093 auf ELO 2458 und nebenbei auch noch den IM-Titel zu ergattern.

Wie er das geschafft hat?

Nachzulesen in: Pump up your rating

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Unlock your chess potential 376 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

In diesem Werk erläutert IM Axel Smith wie er es geschafft hat, seine Zahl um 400 Punkte zu steigern und stellt dabei seinen persönlichen Trainingsplan dem Leser vor.

Gewöhnlicherweise bin ich bei solchen Titeln immer vorsichtig: Winning with xy, Beating this oder eben Pump up your rating. Was kommt als Nächstes? Pimp your Openings? Aber der Erfolg gibt Axel Recht.

In dem Buch erläutert er viele psychologische Aspekte und Überlegungen. Was können wir erreichen und was liegt hinter unserem Horizont? Was ist realistisch und was nicht?

Ist unsere Art, wie wir Schach studieren, effektiv? Wie „denken“ wir Schach und kennen wir wirklich unsere Grenzen oder glauben wir nur zu wissen?

Doch nicht nur psychologische Dinge spielen bei der Findung eines optimalen Trainingsplan eine wichtige Rolle. Axel Smith beleuchtet auch eingehend die wichtige Rolle von Bauernstrukturen, das objektive Analysieren von eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten und weitere Aspekte des königlichen Spiels. Interessanterweise arbeitet Smith mit so genannten Model Players, also Spielern, die als Vorbild für bestimmte Teilbereiche des Schachspiels für ihn gelten. Einer von ihnen, der schwedische Großmeister Ulf Andersson, steuerte für das Buch eigene Analysen und Kommentare bei.

Daneben werden auch das Endspiel und natürlich auch die Eröffnungsvorbereitung, das Erstellen eines Repertoires usw. ausführlich behandelt. Für mich sehr lesenswert und interessant. Ehrlicherweise muss man aber auch zugeben, dass die Lektüre des Buches nicht zwangsläufig zu einer Steigerung der eigenen Wertungszahl führt. Das Buch regt zum Nachdenken an und gibt viele wertvolle Hinweise für das eigene Trainingsprogramm.

 

Das letzte Buch, das ich heute vorstellen will, lautet The Nimzo-Larsen-Attack von Cyrus Lakdawala. Es stammt aus dem Hause Everyman und ist, wie seine Vorgängerbände der Reihe Move by Move, nach dem gleichen Prinzip aufgebaut: Ca. 60 ausgewählte Partien, passend zu dem vorgegebenen Thema (bestimmte Eröffnung, bestimmter Spieler) werden ausführlich kommentiert und dabei wird auch auf scheinbar einfache Dinge hingewiesen.

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The Nimzo-Larsen attack

400 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Eine Leseprobe findet man hier:

https://www.schachversand.de/DBBilder/leseprob/LOLAKTNLA.pdf

Bei dem vorliegenden Buch behandelt der Autor die Eröffnung 1.b3. Dazu werden 60 ausgewählte Partien näher betrachtet und es finden sich darin zahlreiche Übungsaufgaben in Form eines Frage und Antwortspiels. So lernt der Leser diese Eröffnung besser kennen und erfährt auch sehr viel Wissenswertes darüber.

Zum Erlernen einer Eröffnung ist diese Reihe meiner Meinung nach sehr gut geeignet durch die vielen Hinweise und Tipps. Bis zu einer Spielstärke von ca. 2000 sehr gut geeignet.

 

 

 

 

Alle vorgestellten Bücher sind erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/).

Die Rezensionsexemplare wurden freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen.

Montag, 21 Oktober 2013 16:48

NIC Yearbook 108

Jeder, der das New in Chess Yearbook kennt, braucht hier eigentlich gar nicht weiter lesen.

Sie sind immer noch hier?

Also gut: Es erscheint 4mal im Jahr, enthält zahlreiche eröffnungstheoretische Aufsätze und gibt so einen relativ umfassenden Überblick über den Stand der Eröffnungstheorie.

Oder anders gesagt: Bei regelmäßiger Sichtung dieser Lektüre steigen Ihre Chancen, zu einem echten Theoriemonster zu mutieren.

New in Chess Yearbook 108

CB04879-2 

 256 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/)

Wer jetzt aber annimmt, die verschiedenen Artikel sind wild zusammengestellt worden ohne System und einen Funken Ordnung der täuscht sich! Das Redaktionsteam Sosonko, Boel und Olthof fungiert als Oberaufsicht um die vielen Beiträge von Groß-, Mittel- und Kleinmeistern zu sichten, zu bewerten und zu katalogisieren.

Aus diesen geistigen Ergüssen ergibt es alle 3 Monate eine gekonnte Zusammenstellung in Form des New in Chess Yearbook, kurz NIC genannt. Die Beiträge stammen z.B. von internationalen Titelträgern (Giri, Tiviakov, Palliser, Kuzmin, van der Wiel) als auch von weniger bekannten Schachspielern wie Ihrem Rezensenten.

Mein Beitrag war übrigens verbunden mit einer anderen Buchbesprechung und einer dort gefundenen Verbesserung in einer Nebenvariante:

Im Zuge meiner Rezension über ein neues Eröffnungsbuch habe ich (bzw. Houdini 3) anscheinend eine sehr starke Neuerung im Tschigorin (1.d4 d5 2.c4 Sc6) gefunden. In dem Buch (A Practical Repertoire with 1.d4 and 2.c4 von GM Alexei Kornev), das ansonsten wirklich sehr gut ist, empfiehlt der Autor gegen Tschigorin folgendes System:

McShane,L (2614) - Jones,G (2416) [D07] EU Union-ch Liverpool (1), 06.09.2006 1.d4 d5 2.c4 Nc6 3.Nc3 dxc4 4.d5 Ne5 5.f4 Ng4 6.e4 e5 7.f5 h5 8.Nf3 Bc5 9.Bxc4 Nf2 10.Qb3 Nf6 11.Qb5+ Nd7 12.Rf1 Ng4 13.Bg5 Be7 14.Bd2 0-0 15.Bb3 Nc5 16.Qe2 Nxb3 17.axb3 c6 18.0-0-0 Qc7 19.Kb1 Rd8 20.h3 Nf6 21.Bg5 Weiß steht klar besser.

Es folgte noch 21...Nh7 22.Bxe7 Qxe7 23.g4 hxg4 24.hxg4 g5 25.Rh1 f6 26.Rh6 Rf8 27.d6 Qd7 28.Qh2 Rf7 29.Rh1 b5 30.Rg6+ Kf8 31.Nxe5 fxe5 32.Qxe5 Rg7 33.Rxh7 1-0

Geht man aber nun zu dem 16.Zug zurück (16.De2) ...

dia1tschigorin

(siehe Diagramm)

hat Schwarz einen viel besseren Zug als 16...Sxb3.

Auf den ersten Blick scheint es, als würde Weiß einfach besser stehen. Er hat mehr Raum und der Springer kann mit h3 vertrieben werden, danach hängt es auf e5. Schwarz hingegen ist noch etwas unterentwickelt und es fehlt ihm ein konkreter Plan. Doch Houdini 3 sprengt hier die Grundsätze des Schachs mit einem wirklich erstaunlichen Zug der die gesamte Stellung radikal verändert zu seinen Gunsten! Dieser Zug stellt eine Neuerung dar und danach sieht Houdini 3 Schwarz in jeder Variante in Vorteil!

Wer erstmal selber etwas an der Stellung tüfteln will, sollte nun nicht weiter lesen!

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Houdinis erstaunliche Entdeckung in dieser Stellung ist ein Zug, der gleich einem Entfesselungskünstler, alle Fesseln mühelos abstreift und hinter sich wirft:

16…b5!!

dia2tschigorin

Dieser starke Zug beinhaltet auch noch ein fantastisches Damenopfer!

17. h3 (Nach zum Beispiel 17. Nxb5 c6 18. Nc3 Nxb3 19. axb3 a5 oder auch 17. Qxb5 Ba6 18. Qa5 Rb8 steht Schwarz einfach besser.)

17... Nf6 18. Nxe5 b4 19. Nc6 bxc3!! 20. Nxd8 cxd2+ 21. Qxd2

(auch nach 21. Kxd2 Nfxe4+ 22. Kc2 Rxd8 Schwarz steht besser.)

21... Nfxe4 22. Qc2 Rxd8 Auch hier steht Schwarz besser.

Was gibt es sonst noch im neuen NIC außer diesem fantastischen Beitrag über diese sensationelle Neuerung? ;-))

Ein gewisser Magnus Carlsen (muss man den kennen?) und ein Russe namens Schwindler, Swidler oder Svidler oder so ähnlich streiten sich darum, wer der bessere d2-d3 Spieler im Spanier ist. Ein anderer Russe, Grischuk, krempelt wieder einmal die Königsindische Verteidigung um und sorgt für reichlich Chaos mit Zügen wie 8…Se5 mit nachfolgendem Springeropfer auf c4. Topalov haut Morozevich aus den Socken mit einer interessanten Englischvariante und gibt wertvolle Hinweise und Einblicke in die Vorbereitung. So könnte es (fast) endlos weitergehen.

Man sieht: Das neue NIC ist wieder unterhaltsam, spannend, lehrreich und es gibt an jeder Ecke etwas zu entdecken!

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Schach Niggemann überlassen.

Sonntag, 01 September 2013 11:51

Taktik gegen Strategie

Heute möchte ich zwei Bücher näher betrachten. Das eine befasst sich mit Taktik und das andere mit Strategie. Den Anfang macht der bosnische Großmeister Ivan Sokolov:

Ivan Sokolov

Sacrifice and Initiative in Chess

Seize the Moment to Get the Advantage

256 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Das Buch ist erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/

Der Titel des Buches ist hier Programm: Opfern und Angreifen! Unter diesem Gesichtspunkt hat der bosnische Großmeister Ivan Sokolov 92 schneidige Angriffspartien ausgewählt und ausführlich kommentiert. Dass dabei das vorhandene Material in 16 Kapiteln vorsortiert wurde (König im Zentrum, das intuitive Opfer, Kampf um die Initiative, usw.) spielt eigentlich gar keine so große Rolle, Hauptsache es knallt!

Jedes Kapitel wird mit allgemeinen Erläuterungen und Hinweisen zu dem behandelten Thema eröffnet. Anschließend folgen einige Partien und am Ende gibt es die wichtigsten Erkenntnisse in komprimierter Form.

Viele Partien im Buch sind sehr bekannt und wurden bei verschiedenen Gelegenheiten immer wieder an die Oberfläche gezerrt (Kasparov-Topalov 1999, Karpov-Kasparov 1985 16.Matchpartie, Ivanchuk-Jusupov 1991 und „natürlich“ diverse Tal-Gemetzel). GM Sokolov weißt im Vorwort extra darauf hin, dass er bei der Zusammenstellung der Partien sehr viel Zeit und Mühe darauf verwendet hat.

Trotzdem glaube ich, dass dem Buch einige weniger bekannte Partien ganz gut getan hätten.

Gut hingegen fand ich, dass GM Sokolov die entscheidenden Momente der einzelnen Partien anschaulich herausgearbeitet hat. Gerade diese Schlüsselmomente sind im Prinzip die Grundessenz des Ganzen. Wie kam zum Beispiel ein Tal überhaupt erst in „seine“ Stellungen und wie schaffte es ein Spasski, selbst solchen Defensivkünstlern wie Petrosjan in weniger als 25 Zügen das Fell über die Ohren zu ziehen? Den richtigen Moment nutzen um die Initiative zu ergreifen, den richtigen Zeitpunkt um loszuschlagen. All dies geschieht nicht durch einen glücklichen Zufall oder ein Wunder sondern ergibt sich aus dem Gespür für die Initiative. Und gerade dieses Gespür entwickelt sich erst durch das Studium solcher Meisterpartien.

Nachfolgend ein Beispiel aus dem Buch:

Spassky,B - Petrosian,T [B94] World Championship Moscow (19), 04.06.1969 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lg5 Sbd7 7.Lc4 Da5 8.Dd2 h6 9.Lxf6 Sxf6 10.0-0-0 e6 11.The1 Le7 12.f4 0-0 13.Lb3 Te8 14.Kb1 Lf8 15.g4 Sxg4 16.Dg2 Sf6 17.Tg1 Ld7 18.f5 Kh8 19.Tdf1 Dd8 20.fxe6 fxe6 21.e5 dxe5 22.Se4 Sh5 23.Dg6 exd4 24.Sg5! 1-0

Spasski-Petrosjan

 

 

In einem anderen Beispiel sehen wir das Spiel gegen den König in der Mitte. Wenn der Angreifer dann auch noch Michail Tal heißt…kann es sehr schnell ungemütlich werden:

Tal,M - Portisch,L [B10] Candidates qf1 Bled (2), 1965

1.e4 c6 2.Sc3 d5 3.Sf3 dxe4 4.Sxe4 Lg4 5.h3 Lxf3 6.Dxf3 Sd7 7.d4 Sgf6 8.Ld3 Sxe4 9.Dxe4 e6 10.0-0 Le7 11.c3 Sf6 12.Dh4 Sd5 13.Dg4 Lf6 14.Te1 Db6 15.c4 Sb4 16.Txe6+

Tal-Portisch

 

16. …fxe6 17.Dxe6+ Kf8 18.Lf4 Td8 19.c5 Sxd3 20.cxb6 Sxf4 21.Dg4 Sd5 22.bxa7 Ke7 23.b4 Ta8 24.Te1+ Kd6 25.b5 Txa7 26.Te6+ Kc7 27.Txf6 1-0

Wobei man aber gerade bei diesem Beispiel ehrlich zugeben muss, dass Tals 15.c4 nebst 16.Txe6 eigentlich nur zu Remis reicht (nach 17. …Kd8!). Es war ein Schwindel, bei einer Turnierpartie aber unter praktischen und psychologischen Gesichtspunkten durchaus vertretbar. Nun könnte man sich auch fragen, ob hier die Engines mit ihrer Einschätzung (15.a4 nebst Dh5 und Weiß steht besser) Recht haben oder ob das der Blasphemie gleich kommt.

Sokolov hat diese Partie unter dem Gesichtspunkt „König in der Mitte“ ausgewählt und hat dafür ein anschauliches Beispiel gefunden. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, er hätte auch den eigentlich korrekten Weg aufgezeigt und erläutert, weshalb man solch ein Risiko (was wäre eigentlich passiert, wenn man nach dem Turmopfer den Faden verloren hätte?) eingehen soll.

Vielleicht würde diese Diskussion auch zu weit führen und jeder sollte so spielen wie es ihm gefällt. Doch es könnte der Eindruck entstehen, so wie Fischer über Tal urteilte: Die Figuren irgendwo in die Mitte postieren und dann opfern. Doch so einfach ist es leider (oder Gott sei Dank!) noch nicht!

Das Buch bietet aber gute Ansätze, zeigt herrliche Angriffspartien und motiviert zu kreativem Spiel. Die Ausführungen des erfahrenen Großmeisters sind lehrreich und informativ, gute Englischkenntnisse vorausgesetzt.

Doch großartige, neue oder gar revolutionäre Angriffskonzepte kann auch dieses Werk nicht bieten. Altbekanntes wird hier wieder einmal aufgeführt, zwar hübsch verpackt aber doch einem getünchtem Grab gleichend.

Vergleichbare (oder bessere) Werke wären zum Beispiel Richtig opfern von Rudolf Spielmann, 101 Angriffsideen im Schach von Joe Gallagher, Der Weg zum Erfolg von Alexander Koblenz oder auch Das Buch vom Opfer von Vladimir Vukovic.

 

 

Das zweite Buch lautet:

Valeri Bronznik, Anatoli Terekhin

Techniques of Positional Play

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45 Practical Methods ...

Englisch, 256 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Das Buch ist erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/

Dieses Buch ist die englische Ausgabe des deutschen Titels „Techniken des Positionsspiels im Schach“, erschienen 2005 im Kania Verlag.

Im Grunde geht es, wie es der Titel schon verrät, um 45 positionelle Methoden um die Oberhand zu gewinnen. Diese Techniken decken das gesamte Spektrum der positionellen Waffenkammer eines Meisterspielers ab. Angefangen von der Einschränkung gegnerischen Figuren über bestimmte Bauernformationen bis hin zur Besetzung offener Linien, Bronznik und Terekhin präsentieren das vorhandene Material in einer sehr ansprechenden Form.

Ich bin kein Freund von trockenen Lehrbüchern und dogmatischen Lehrsätzen, umso mehr hat mich aber dieses wunderbare Buch sofort in seinen Bann gezogen! Die Beispiele sind sehr gut gewählt, immer klar und auf das Wesentliche bezogen. Durch die Aufteilung in 45 Techniken kann das Buch sehr gut auch einfach mal zwischendurch bearbeitet werden und ein einigermaßen geübter Spieler braucht dafür nicht einmal unbedingt ein Schachbrett. Also auch ideal für ein Schachtraining to go, zum Beispiel wenn es mal wieder länger dauert beim Arzt oder der Bahn.

Aber zurück zum Buch:

Eine phantastische Aufarbeitung dieses schwierigen und manchmal auch trockenen Stoffes ist den beiden Autoren mit diesem Werk gelungen! Durch die gelungene Präsentation und Aufmachung macht die Beschäftigung mit dem Buch wirklich Spaß und man hat nicht nur das Gefühl hier eine Menge gelernt zu haben sondern es ist auch so! Am Ende des Buches gibt es noch einige Übungsaufgaben um das Erlernte nochmals einer Prüfung zu unterziehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder, wirklich jeder Schachspieler aus diesem Buch sehr viel lernen kann.

Für mich persönlich eines der besten Schachbücher, das derzeit auf dem Markt erhältlich ist! Uneingeschränkt zu empfehlen.

 

Die Rezensionsexemplare wurden freundlicherweise von der Firma Schach Niggemann überreicht.

Donnerstag, 29 August 2013 05:27

Mastering Endgame Strategy

Hassen Sie Endspiele? Gut!

Lieben Sie Endspiele? Auch gut!

Denn in beiden Fällen werden sie nicht umhin kommen sich damit zu beschäftigen.

Sind Ihnen Endspiele eigentlich völlig egal? Gar nicht gut.

Aber in diesem Fall brauchen Sie auch nicht weiter lesen. 

Johan Hellsten

Mastering Endgame Strategy

544 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013. 

Das Buch ist erhältlich bei Schach Niggemann

Sie sind immer noch hier?

Okay, Sie haben es so gewollt.

Aber zuerst mal ein kleiner Test:

1beispiel

Weiß am Zug.

Hand aufs Herz und ehrlich sein. Würden Sie den richtigen (und einzigen Zug finden?).

Noch eine Stellung:

2beispiel

Schwarz am Zug.

Es gibt nur einen Zug der für Schwarz das Remis sichert. Wissen Sie ihn oder haben Sie mal wieder geraten? ;-) Die Auflösung folgt am Schluss!

Wenn schon scheinbar einfache Endspiele auf einmal gar nicht sooo einfach sind und selbst die Besten auf der Welt im Endspiel daneben greifen können…aber was rede ich, sehen Sie selbst:

3beispiel

 Kramnik mit Weiß verpasst beim FIDE Worldcup in Tromso gegen Vachier-Lagrave den Gewinn mittels 1.Sd7! und patzt mit 1.Ke4 zum Remis. Okay, es ist natürlich nicht fair hier Kramnik zu kritisieren. Es war menschlich und selbst hätte man auch nicht gewonnen, höchstwahrscheinlich.

 Aber warum schreibe ich das alles?

Nun, der Grund ist einfach: Vor mir liegt das Buch von GM Johann Hellsten, Mastering the Endgame Strategy. In dem gut 500 Seiten dicken Wälzer unternimmt der Autor den Versuch, dem geneigten Leser das Endspiel näher zu bringen.

Dass ihm dabei seine langjährige Trainertätigkeit zu Gute kommt…das wird schon auf den ersten Seiten ersichtlich. Ein flüssiger Schreibstil, die Ausrichtung auf mehr erklärende Texte als auf Variantenberge und die richtige Auswahl von Stellungen (von Einfachen zum Schwierigen), das alles bürgt für ein sehr gutes Endspielwerk. Behandelt wird dabei, angefangen von den einfachsten Bauernendspielen, gemischte Figurenendspiele, Turm- und Damenendspiele und sonstige Endspiele.

Am Ende des Buches gibt es 240 Übungsstellungen samt Lösungsbesprechung.

Kritik:

Das Buch bietet einen sehr guten Überblick über alle praxisrelevanten Endspiele samt richtiger Handhabung inklusive Übungsaufgaben. Der Autor erklärt sehr viel mit Worten anstatt mit Varianten und setzt diese nur ein, wo unbedingt nötig.

Vielleicht wäre es noch hilfreich gewesen, wenn man die wichtigsten Endspielregeln fett hervorgehoben hätte und auch bei den Diagrammen gerade bei den Bauern- und Turmendspielen, gewisse Regeln (Stichwort Quadrat, Opposition, korrelierende Felder) graphisch eingearbeitet hätte.

Ein Beispiel anhand von korrelierender Felder soll zeigen, wie ich es mir vorstellen würde:

beispiel5

(Auf jedes Feld, das der weiße König betritt (gelb markiert), darf der schwarze nur jeweils ein anderes (blau markiert) betreten. Man nennt diese Felder also Gegenfelder. So sind hier zum Beispiel e1 und f3, d1 und e3, c1 und d4, b1 und c5, a2 und b4 sowie a1 und b5 Gegenfelder)

Das Buch bietet gute Ansätze, die Erklärungen des Autors und die Beispielstellungen sowie die Übungsaufgaben tragen bei einem ernsthaften Studium sicher zu einem messbaren Erfolg bei. Nichtsdestotrotz gibt es gerade in der Endspielliteratur genügend bessere Werke (zum Beispiel Dworetskis Endspieluniversität, Schachendspiele in der Praxis von Karsten Müller und Wolfgang Pajeken oder Bernd Rosens Fit im Endspiel).

Auflösung:

Diagramm 1: 1.Kh1! =

Diagramm 2: 1. … Ke5! = 

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach Niggemann überreicht.

Mittwoch, 28 August 2013 07:38

Botvinnik - move by move

In dem vorliegendem Werk „Botvinnik, move by move“ werden 60 ausgewählte Partien Michail Botvinniks ausführlich kommentiert und analysiert. Dies geschieht unter dem Gesichtspunkt sehen, lernen, üben.

Cyrus Lakdawala

Botvinnik: Move by Move

320 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013

Das Buch ist erhältlich bei Schach Niggemann  http://www.schachversand.de/

Autor Cyrus Lakdawala hat in jeder Partie zahlreiche Übungsaufgaben in Form eines Frage- und Antwortspiels eingearbeitet. Der Schwierigkeitsgrad reicht vom Anfänger- bis hin zum gehobenen Vereinsspielerlevel. Dabei werden Eröffnungsfragen genauso gestreift wie allgemeine Ansichten über das Schach (zum Beispiel ob der Drache im Anzug -„Reversed Dragon“ – für Schwarz zu gefährlich wäre) oder auch Mittel- und Endspielthemen. Dabei wird eine große Bandbreite erreicht, sowohl im Zielpublikum als auch bei den zu behandelten Themen.

Eine Besonderheit ist dabei auch, dass fast jeder Zug kommentiert wird. Das mag für weit fortgeschrittene Spieler vielleicht uninteressant sein, weniger versierte Spieler werden dafür aber dankbar sein, einigermaßen gute Englischkenntnisse vorausgesetzt.

Als kleine Anregung folgt noch eine berühmte Partie Botvinniks aus dem Buch:

Botvinnik,M - Portisch,L

[A29]

Monte Carlo (7), 1968

1.c4 e5 2.Sc3 Sf6 3.g3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.Lg2 Le6 6.Sf3 Sc6 7.0-0 Sb6 8.d3 Le7 9.a3 a5 10.Le3 0-0 11.Sa4 Sxa4 12.Dxa4 Ld5 13.Tfc1 Te8 14.Tc2 Lf8 15.Tac1 Sb8 16.Txc7 Lc6 17.T1xc6! bxc6

 bot-port

 Weiß ist am Zug.

18.Txf7!! h6 19.Tb7 Dc8 20.Dc4+ Kh8 21.Sh4 [21.Tf7! Ld6 22.Lxh6 De6 (22...gxh6 23.De4+-) 23.Lxg7+ Kg8 24.Dh4 Kxf7 25.Dh7 Ke7 26.Sg5 Dg8 27.Lf6+ Kxf6 28.Se4+ Ke6 29.Lh3+ Kd5 30.Db7+-] 21...Dxb7 22.Sg6+ Kh7 23.Le4 Ld6 24.Sxe5+ g6 25.Lxg6+ Kg7 26.Lxh6+

[26.Lxh6+ Kxh6 27.Dh4+ Kg7 28.Dh7+ Kf8 29.Dxb7+-]

1-0

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach Niggemann überreicht.

Montag, 26 August 2013 12:52

Gut ausgerüstet! Teil 2

Hier noch ein kleiner Nachtrag zu meiner Rezension über das Buch "Kotronias on the Kingsindian ".

Ich erhielt heute eine Mail vom Autor des Buches, GM Vassilios Kotronias. Darin schreibt er, dass er in dem Buch einen kleinen Fehler entdeckte, was er aber sogleich durch eine neue (und stärkere) Zugfolge entschärft hat. Er bat mich darum, diese Korrektur den Lesern darzulegen. Dieser Aufforderung komme ich natürlich gerne nach:

 

Dear mr Rieger

I want to thank you for your kind words on my work. To be honest, once I got a copy of my book I started reading it in search for mistakes. After turning the pages for several days, I noticed an error of analysis in Chapter 30, page 513, line B221) 15.Be3 ( Arising after the moves 1.d4 Nf6 2.c4 g6 3.g3 Bg7 4.Bg2 0-0 5.Nf3 d6 6.Nc3 Nbd7 7.0-0 e5 8.e4 c6 9.Qc2 exd4 10.Nxd4 Re8 11.Rd1 Qc7 12.Bf4!? Ne5 13.b3 a614.b3 Bd7 ) In spite of the fact that the continuation 11…Qc7 is not highly critical, but is rather included in the book for instructional reasons, I want to bring to the attention of the readers of this blog the right continuation: After 15. Be3 c5 16. Nde2 the right move is 16…Rad8! [ and not the suggested 16... b5? due to 17. cxb5! (I had only analysed 17.f4) Bxb5 (17... axb5 18. f4! is now bad for Black) 18. Nxb5 axb5 19. Nc3 planning a4 with a large plus for White due to the weakness of the b5 square] Play may proceed as follows: 17. Bg5 (17. f4 Nc6 is just unclear;17. Nf4 Bc6 18. a4 b6 is also ok for Black) 17… Bc6 18. Nf4 (18. Qd2 b5! 19. f4 Ned7 20. Qxd6 Qc8!21. Qd3 bxc4 is fine for Black who has ideas to press with …Qb7) 18… Qb8! 19. Nfd5 Bxd5 20. exd5 h6 21. Bd2 Nh7! (21…b5 22. cxb5 axb5 23. a4! is better for White) 22. Kh1 (22. a4 Ng5!?; 22. Re1 b5 is now unclear) 22… b5 This position is quite acceptable for the second player. Please, notify the readers of your blog for this correction, if possible. If I discover another error, which is not quite unlikely in such a large book, I will bring it to your attention.

Sincerely

Vassilios Kotronias

Dienstag, 13 August 2013 13:47

Schach für Musketiere

Das altehrwürdige Königsgambit wurde totgesagt, reanimiert und anschließend wieder begraben. Es ist sozusagen das Stehaufmännchen der Schachtheorie. Fischer meinte, es sei inkorrekt und Rybka-Erfinder Vasik Rajlich fand letztes Jahr die endgültige Wahrheit über das Königsgambit heraus. Er hat ein Projekt durchgeführt, wie man es nicht für möglich gehalten hätte: mit 3000 zusammengeschalteten Prozessoren, die über 4 Monate liefen, hat er das Königsgambit analysiert und vollständig gelöst. Sein verblüffendes Ergebnis: sowohl Königsspringergambit (3.Sf3) als auch Königsläufergambit (3.Lc4) verlieren forciert für Weiß, nur mit 3.Le2! kann Weiß Remis halten.

...

Das war ein etwas verspäteter Aprilscherz der aber letztes Jahr auch schon vortrefflich funktionierte! ;-))

Kein Aprilscherz hingegen ist das neue Buch von GM Shaw über diese Eröffnung.

 

 

John Shaw The King’s Gambit 680 Seiten, 1. Auflage 2013. Das Buch ist erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/)

Ein Buch über Königsgambit schreiben?

Das ist ungefähr eine genauso undankbare Aufgabe wie „Schatz, bring doch bitte noch nach der Arbeit ein paar Tomaten und Zwiebel mit“. Nach dem Feierabend noch hektisch in den nächsten Supermarkt gestürzt (nach einer Viertelstunde Parkplatzsuche), das Gemüse gepackt und sich schnurstracks Richtung Kasse bewegt. Halben Weges erkennt man schon aus einiger Entfernung zu seinem Entsetzen eine riesige Menschenschlange vor der einzig geöffneten Kasse. Zähneknirschend stellt man sich ans Ende der Schlange und darf nun für die nächsten 15 Minuten aufdringliches Kindergeschrei, billiges Parfum und belangloses Geschwätz ertragen. Zuhause angekommen ertönt nur ein vorwurfsvolles „Warum hast du so lange gebraucht für die 2 Sachen?“.

Dass durfte sich wohl auch der Autor des Buches, GM John Shaw, anhören.

Warum dauert die Veröffentlichung solange? Warum wurde es schon wieder verschoben?

Der Grund war einfach: Ursprünglich sollte das Buch IM Jan Pinski schreiben. Der konnte nicht mehr wegen anderer Verpflichtungen und so sprang Shaw ein. Dieser wiederum wollte ein vernünftiges Buch abliefern und nahm sich dafür auch die Zeit. Richtig so!

Was ist dabei herausgekommen?

Gleiche vorneweg: Ein Monster! Aber Ungeheuer müssen ja nicht immer mit einem negativen Touch behaftet sein. King Kong war ja auch nicht richtig böse. Eher unverstanden und zur falschen Zeit am falschen Ort. Vielleicht, aber nur vielleicht, ereilt dieses Schicksal auch dieses Buch: Unverstanden und zur falschen Zeit am falschen Ort.

Was GM Shaw gemacht hat: Das Königsgambit in seiner Gesamtheit einer gründlichen Überprüfung unterzogen. Er listete dabei sämtliche Abspiele auf die im Königsgambit vorkommen, analysierte sie sehr ausgiebig und glossierte das Ganze mit seinen eigenen Schlussfolgerungen. Dass er dabei oft an die Grenzen des Machbaren stößt und einzelne Abspiele wie zum Beispiel die Nordwalder-Variante (1.e4 e5 2.f4 Df6) nur sehr kurz abhandelt, mag vielleicht zu verschmerzen sein, eine Lücke bleibt trotzdem. Vielleicht ist es auch einfach schier unmöglich, ein komplettes Buch über Königsgambit zu schreiben, zu vielfältig und zu komplex erstrecken sich die bereits ausgetrampelten Variantenpfade die im Laufe der Jahre immer breiter wurden. Vielleicht ahnte Shaw was da auf in zukommen würde und vielleicht dämmerte ihm, dass es auf keinen Fall ein vollständiges Werk sein könnte. Zu umfangreich würde das Ganze werden, in keiner Weise den selbst auferlegten Qualitätsanspruch genügend und ein Eingeständnis.

Ein Repertoirebuch? Schwierig. Ich persönlich würde es so nicht sehen. Eher ein Ratgeber, ein Leitfaden, ein Überblick. Shaw´s Analysen sind fundiert, sorgfältig und tiefgründig. Seine Bewertungen haben Hand und Fuß, an vielen Stellen hat er wertvolle Neuerungen parat. Insgesamt 73 ausführlich kommentierte Partien stellt der Autor seiner Leserschaft vor (neben den Analysen).

GM John Shaw hat mit diesem Buch ein sehr umfangreiches Werk über Königsgambit verfasst. Für einen kompletten Überblick reicht es aber trotz der gut 700 Seiten nicht ganz: Einige Abspiele wurden leider nur kurz behandelt oder angesprochen. So tut sich das Buch schwer, seinen Platz zu finden: Repertoirebuch oder Nachschlagewerk? So stellt sich auch die Frage, für wen das Buch gedacht ist. Auch hier kann ich keine eindeutige Antwort geben.

Wer bereits Königsgambit spielt, wird daraus sicher die eine oder andere Anregung gewinnen können. Ob es aber dafür das gut 700 Seiten starke Werk unbedingt sein muss wage ich zu bezweifeln. Für Neueinsteiger wäre eine weniger fulminante Aufmachung wahrscheinlich besser geeignet.

Und hier sind wir wieder bei dem Punkt, den ich vorhin angesprochen habe: Das Buch ist ein Monster.

Ein Monster, das einen erschlägt wenn man nicht aufpasst! Weiß man es aber zu bändigen, frisst es einem aus der Hand. Soll heißen, jeder, der das Buch kauft, muss seinen eigenen Weg damit gehen. Im positiven wie im negativen Sinne.

The Kings Gambit ist trotz der angesprochenen Punkte eine Meisterleistung und verdient eine besondere Würdigung. Selten gab es eine solche gewaltige Zusammenstellung.

Den besten Nutzen zieht man aus dem Buch indem man sich davon inspirieren lässt, damit arbeitet und selbst forscht! Es ist meilenweit davon entfernt, dem Leser vorgekaute Wohlfühlrezepte anzubieten. Es lädt dazu ein, selbst nachzudenken, irgendwo etwas Neues zu entdecken und letztendlich diese Eröffnung als das zu sehen, was sie eigentlich ist: Ein einziges großes Abenteuer!

Genau wie der Kauf von Tomaten und Zwiebeln kurz vor Ladenschluss!!

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach Niggemann überreicht.

Vor einigen Tagen schrieb ich eine Rezension zu dem Buch „Playing the Trompowsky“ von IM Richard Pert. Ich habe dort anhand einiger exemplarischer Varianten aus dem Buch gezeigt, dass meiner Meinung nach dem Autor dort einige Fehler unterlaufen sind. Also habe ich das Buch negativ bewertet weil ich glaube, dass gerade bei einem Eröffnungsbuch der Schwerpunkt auf die Korrektheit einzelner Varianten liegt. Was taugt ein Eröffnungsbuch wenn ich den Analysen nicht trauen kann, beziehungsweise wenn ich im schlimmsten Fall vielleicht sogar in einer schlechten Stellung lande? Mein Anliegen war niemals ein persönlicher Angriff auf den Autor oder eine Herabwürdigung seiner Arbeit. Sollte dies den Eindruck erweckt haben, möchte ich mich natürlich dafür entschuldigen! Mir ist selbstverständlich klar, dass man gekränkt und/oder sauer ist wenn man negative Kritik zu lesen bekommt über das eigene Werk. Aber…meine Aufgabe als Rezensent ist das gerechte, objektive ausgewogene Bewerten. Ich bewerte Bücher immer aus der Sicht des zahlenden Kunden, nicht aus der Sichtweise des Autors oder des Verlages. Als ich zum Beispiel damals das neue Chessbase 10 negativ bewertete…war ich bei Chessbase ab sofort eine „Persona non grata“. Darauf kann und darf ich aber keine Rücksicht nehmen, alles andere wäre unglaubwürdig. Wie sagte doch ein kluger Kopf: Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemanden den Bart zu versengen… Auf der anderen Seite wurde mir bisweilen vorgeworfen, ich sei bei meinen Beurteilungen zu „weich“, lobe zu viel und gebe zu wenig Kritik. Wie man sieht, eigentlich kann man es niemanden recht machen! Im Übrigen schreibe ich die Rezensionen in meiner knappen Freizeit (ich bin berufstätig und nebenbei habe ich auch noch 3 Kinder), es ist also ein Hobby von mir, ich habe davon keinerlei finanziellen Gewinn. Aber zurück zu dem Buch: Als meine Besprechung veröffentlicht wurde, musste ich mich persönlichen Anfeindungen, Lügen und einer Herabwürdigung meiner Person ausgerechnet im Blog des Quality Chess Verlages erwehren. Es wurde zum Beispiel behauptet, ich sei vom Herausgeber der Europa Rochade „rausgeschmissen“ worden! In Wahrheit schickte ich keine Rezensionen mehr an diese Zeitung weil der Herausgeber ohne meine Erlaubnis unter meinen Rezensionen nicht Schach Niggemann als Bezugsquelle angab sondern einfach einen anderen Schachhändler! Andere anonyme User stellten meine Kompetenz in Frage und machten sich über mich lustig. Ich bin kein Titelträger, das ist klar, aber wie man bei uns in Bayern so schön sagt „auf der Brennsuppen“ bin ich deshalb auch nicht daher geschwommen. Ich selbst bezeichne mich als Hobbyschachspieler mit jetzt beinahe 30 Jahren Turnierschacherfahrung .Meine ELO beträgt aktuell 2147 und meine DWZ 2010, das bedeutet, ich bin mit meiner Zahl besser als 95% aller organisierten Vereinsspieler in Deutschland. Außerdem schreibe ich jetzt seit gut 7 Jahren Rezensionen und glaube schon behaupten zu können, mich in Sachen Schachbücher ein wenig auszukennen. Sollte dies nicht reichen als Qualifikation zum Besprechen von Schachbüchern? Auf mein Bestreben hin wurden von GM John Shaw und GM Jacob Aagaard diese beleidigenden und herabwürdigenden Kommentare im Quality Chess Blog größtenteils gelöscht. Dafür noch einmal mein Dank an dieser Stelle! Der Autor des Buches, IM Richard Pert antwortete öffentlich auf meine Kritik und griff 2 Varianten auf, die ich unter anderem kritisierte. Auf die anderen Abspiele, die ich auch in meiner Kritik erwähnte, ging der Autor leider nicht ein. Mittlerweile habe ich in verschiedenen in- und ausländischen Schachforen noch mehr Varianten aus dem Buch gesehen die einfach so wie im Buch definitiv nicht funktionieren. Wie gesagt, das ist kein Angriff auf den Autor sondern nur eine Klarstellung, was ich (und auch andere) in dem Buch gesehen habe. Für meinen Geschmack sind die Varianten und Abspiele ganz einfach nicht gründlich recherchiert. Wir sprechen hier auch nicht von 1-2 Varianten sondern einer ganzen Handvoll. Als Gegenzug dazu habe ich in dem Buch von Kotronias (Königsindisch) auch nach tagelangem Stöbern mit diversen Engines keinen Fehler entdeckt! Soviel zu dem Vorwurf des Autors dazu, ich „kritisere wohl sehr gerne“. Ja was denn jetzt? Sanfter Weichspülkritiker oder bissiger Haudraufkritiker? Ich entschuldige mich dafür, wenn ich mit meiner Kritik einigen Leuten auf die Füße getreten bin. Trotzdem werde ich auch zukünftig meine Rezensionen so schreiben, wie ich sie vor mir selbst verantworten kann ohne Rücksicht auf Interessen jeglicher Art Anderer. Ich hoffe, ich konnte meinen Standpunkt noch einmal klarstellen und bitte darum, bei zukünftigen Rezensionen auf das Buch, bzw. die dazugehörige Kritik Stellung zu nehmen und nicht auf meine Person. Martin Rieger, 10.August 2013
Freitag, 09 August 2013 13:09

Das Monster mit den 27 Augen

"Ich hatte gedacht, ich würde gegen den Weltmeister spielen und nicht gegen ein Monster mit 27 Augen, dem nichts, aber auch gar nichts entgeht“ so der englische Großmeister Tony Miles nach seinem verlorenen Trainingsmatch (0,5-5,5) mit Garry Kasparov im Jahre 1986. Andere Gegner Kasparovs wiederum sahen „Energiewellen über das Brett hinweg gegen sich heranbranden“.

In dem nun erschienenen Band 2 der dreiteiligen autobiographischen Reihe Kasparovs werden die Jahre 1985 bis 1993 behandelt.

Garri Kasparow Garry Kasparov on Garry Kasparov, Part II 1985 - 1993 496 Seiten, gebunden, 1. Auflage 2013. Das Buch ist erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/)

„Das Genie ist wie das Donnerwetter: es schreitet gegen den Wind, erschreckt die Menschen und reinigt die Luft. Das Bestehende hat dagegen allerlei Blitzableiter erfunden.“ (Soeren Kierkegaard (1813-55), dän. Theologe u. Philosoph)

Dieses „Donnerwetter“ wütete gut 20 Jahre in der Schachwelt in Gestalt von Garry Kasparov, dem 13.Weltmeister der Schachgeschichte. Er, dessen ungezügelte Energie den Gegner wie ein gebündelter Laserstrahl traf, dessen brillantes Spiel Gegner wie Fans verblüffte und verzauberte, verstand es wie kein Zweiter, dem Schach seinen Stempel aufzudrücken. Nicht umsonst gilt Garri Kasparov als der vielleicht beste Schachspieler aller Zeiten. Die Jahre 1985 bis 1993 boten der Schachwelt insgesamt 6 Weltmeisterschaftskämpfe, 4 davon zwischen den ewigen Rivalen Karpov und Kasparov. Davon abgesehen gab es zahlreiche andere Veranstaltungen mit Kasparov, hochkarätige Superturniere, spektakuläre Simultanveranstaltungen gegen Nationalmannschaften oder auch atemberaubende Zweikämpfe gegen starke Großmeister. Die Schachwelt hielt den Atmen an, das war man nach den ruhigeren Jahren unter Karpovs Regentschaft nicht mehr gewohnt. Spektakuläre Opferpartien wechselten sich mit phantastischen Eröffnungsneuerungen oder auch ruhigen Positionspartien ab, immer war Kasparov im Mittelpunkt des Geschehens, immer genoss er auch den Ruhm und die Ehre die ihm Zuteil wurde. Sein Verdienst um das Schach kann auch nach einigen Jahren des Rückblicks nicht hoch genug eingeschätzt werden. In dem vorliegenden Buch werden diese aufregenden Jahre wieder lebendig, so greifbar nah als wäre es erst passiert. Der Wert der Erzählungen und Rückblicke wird aufgewertet durch neuere Analysen Kasparovs. Er untersucht aufs Neue, forscht und verbessert oder ergänzt dabei sogar seine alten Analysen. Zu erzählen gibt es viel: Vom gewonnen Titelkampf 1985, über die Worldcupserie, diversen Matchbegegnungen und sonstigen Superturnieren. Immer folgt man Kasparov, sieht seine Partien mit Erstaunen und erfährt aus erster Hand Insiderwissen. Kasparov erzählt viel über seine Gedanken, seine Ideen und seine Visionen. Es ist eine Zeitreise in eben diese Jahre, streift durch die Turniersäle dieser Welt und erlebt an der Seite von Kasparov so manches Abenteuer.

Fazit: Lesevergnügen pur! An der Seite von Garri Kasparov erlebt man noch einmal diese aufregende Zeit. Die Schilderungen der damaligen Ereignisse und die Partiekommentare machen aus dem Werk ein wichtiges schachhistorisches Dokument.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach Niggemann überreicht

Samstag, 03 August 2013 11:54

Gut ausgerüstet!

Ein Schachspieler gleicht einem Ritter. Seine Waffenrüstung muss komplett und funktionsfähig sein. Sein Schwert muss scharf sein und sein Schutzschild muss wuchtige Schläge aushalten können. Genau wie der Ritter, so muss auch der Schachspieler ständig seine Ausrüstung in Schuss halten, sie pflegen und vervollständigen. Im Gegensatz zum armen Ritter hat der Schächer heutiger Zeit dabei aber großmeisterliche Hilfe in Form des zu besprechenden Buches:

 

 

Vassilios Kotronias, Kotronias on the King´s Indian, Vol. 1 Fianchetto Systems 720 Seiten, gebunden, 1. Auflage 2013.

Das Buch ist erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/)

Manchmal ist das Besprechen von neuen Schachbüchern wirklich ein einfacher Job. Taugt das Buch wenig oder nichts sollte man schon gut begründen, wie man zu diesem Entschluss gekommen ist. Ist es Durchschnitt, fällt es schwer, Worte darüber zu verlieren. Was aber, wenn es sehr gut, ja schon fast herausragend ist? Die Zehn Gebote begnügen sich mit 297 Worten, die Bill of Rights mit 463 und das Vaterunser mit 67. Ich fasse mich deshalb kurz: Kotronias on the Kings Indian wurde von dem griechischen GM Vassilios Kotronias geschrieben. Er fasst in diesem imposanten Werk (720 Seiten!) ein Lebenslangwohlfühlrepertoire mit Königsindisch gegen g3 Systeme (z.B. 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.g3 Lg7 4.Lg2 0-0 5.Sf3 d6 6.Sc3 Sbd7 7.0-0 e5) zusammen. Zu diesem Zweck hat er alles was es zu diesem Thema gibt, gesichtet, geprüft, bewertet und in ein stimmiges Schwarzrepertoire eingegliedert. Zu Beginn des Buches setzt Kotronias dem Leser 120 Übungsaufgaben (die Stellungen stammen alle aus dem Buch, sie beinhalten alle einen besonderen Moment) vor.

Kritik:

GM Kotronias hat hier ein phantastisches Werk geschaffen! Ich habe tagelang versucht, bewaffnet mit den stärksten Engines, einigen Referenzwerken und aktuellen Datenbanken in einer der unzähligen Varianten irgendwo einen Fehler zu entdecken. Ergebnis: Selbst Untervarianten a´la B222 wurden anscheinend sehr sorgfältig und sehr gewissenhaft mit Computerprogrammen geprüft (Kotronias geht darauf auch kurz in seinem Vorwort ein. Aber wer glaubt so etwas schon ungesehen?). Davon abgesehen liefert er für meinen Geschmack ganz starke Analysen und ausgezeichnete Kommentare! Eröffnungsvarianten in solch einer Tiefe habe ich bisher selten gesehen. Ein, für mich, außergewöhnliches Eröffnungsbuch das jeden (davon bin ich fest überzeugt) positiv überrascht!

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach Niggemann überreicht.

Sonntag, 28 Juli 2013 10:11

Grimms Märchenstunde

Grimms Märchenstunde

oder

Playing the Trompowsky, An Attacking Repertoire von IM Richard Pert. Quality Chess Verlag.

Unsere heutige Märchenstunde dreht sich um eine recht seltene Eröffnung, verwünschten Varianten, einen alten Sonderling und losen Radmuttern.

Doch immer der Reihe nach!

 

 

 

Playing the Trompowsky An Attacking Repertoire

264 Seiten, kartoniert, 1. Auflage 2013.

Das Buch ist erhältlich bei Schach Niggemann (http://www.schachversand.de/)

 

Es war einmal in einer weit, weit entfernten Galaxis.

Moment, wir sind bei den Gebrüdern Grimm und nicht bei Georg Lucas.

Also noch mal von vorne: Es war einmal ein böser Rezensent. Dieser üble Genosse hatte die seltsame Angewohnheit, Schachbücher zu lesen und anschließend zu vertilgen wenn sie ihm nicht gefielen. Im ganzen Königreich war er gefürchtet und gehasst, ja nicht einmal die Wölfe in der Nacht trauten sich vor sein Haus. Eines Tages kam jemand auf eine Idee, wie man diesen griesgrämigen Kauz ein für alle Mal den Garaus machen könnte!

Man bräuchte nur ein besonders unbekömmliches Schachbuch vor seine Türe legen und der Alte würde zum letzten Mal seinen Schrecken verbreiten!

Gesagt, getan. Nach der Lektüre fiel der alte Eigenbrötler für mehrere Tage in einen tiefen, dunklen Schlaf. Das gesamte Königreich feierte 3 Tage lang den vermeintlichen Tod des alten Miesepeters.

Doch noch schlummerte etwas Leben in seinen klapprigen Knochen! In einer überdimensionalen Arena verfolgten ihn riesige Schachfiguren während tausende von Buchstaben fröhlich auf der Tribüne umher hüpften. Solch wirre Träume und die Bettwanzen sorgten schließlich dafür, dass er schweißgebadet erwachte.

Von da an schwor er sich, nie wieder ein Schachbuch in die Hand zu nehmen, das mit „Playing the“ beginnt!

Nach seinem Tod fand man nicht unweit seiner Behausung in einem hohlen Stamm eine Schriftrolle. In diesem Schriftstück, das auch als Warnung für nachfolgende Generationen gelten sollte, berichtet der Kauz über dieses ominöse Buch:

Titel: Playing the Trompowsky.

Autor: Ein gewisser Richard Pert. Ein englischer IM mit einer GM-Norm. Spielt diese Eröffnung seit ca. 15 Jahren.

Inhalt: Durch manuelle Auswahl des  Schreiberlings zusammengestellte Zugfolgen die als Eröffnungsrepertoire aus weißer Sicht dem geneigten Leser dienen mögen. Der dazugehörige Untertitel „An Attacking Repertoire“ soll eine gesunde aber doch aggressive Zusammenstellung suggerieren. Ausgangslage des gesamten Unternehmens ist die Zugfolge 1.d4 Sf6 2.Lg5 und 1.d4 d5 2.Lg5. Es werden auch noch Zugfolgen wie zum Beispiel 1.d4 f5 2.Lg5 näher besprochen und vorgestellt. Durch Analysen und Kommentare versucht der Autor seine These von „Attacking“ und „Repertoire“ zu untermauern.

Kritik: Als erstes möchte ich auf eine Variante gegen Holländisch näher eingehen:

1.d4 f5 2.Lg5 h6 3.Lh4 g5 4.e4 Sf6 5.e5 e6 6.Lg3 f4 7.Ld3 d5 8.exf6 (der Autor weist hier noch auf den „interessanten“ Zug 8.Lg6+ hin. Danach geht es weiter mit 8… Kd7 9.Lxf4 gxf4 10.Sh3 und Weiß hat Angriff nach Meinung des Autors. Wie es aber nach zum Beispiel 10… c5 11.Sxf4 cxd4 12.c3 dxc3 13.Sxc3 Sc6 14.Lf7 Sxe5 15.Lxe6+ Kc7 16.0-0 Sc6 17.Sfxd5+ Sxd5 18.Sxd5+ Kb8 19.Lxc8 Dxc8 und unklarer Stellung weitergehen soll, darüber schweigt er sich aus.) 8...Dxf6 9.Dh5+ Kd8 10.Sf3 Sc6 11.c3 hier geht die Variante im Buch mit 11…Ld7 weiter und nach ein paar weiteren Zügen steht Weiß klar besser. Hier kann Schwarz meiner bescheidenen Meinung nach mit 11…e5 12.dxe5 Sxe5 13.Sxe5 Dxe5+ 14.Kd1 c6 15.Sd2 Ld6 16.Kc2 Lf5 problemlos ausgleichen.

Ein anderes Beispiel:

In einer der Hauptvarianten 1.d4 Sf6 2.Lg5 e6 3.Sd2 h6 4.Lh4 c5 5.e4 cxd4 6.e5 g5 7.Lg3 Sd5 8.h4 gxh4 9.Txh4 Sc6 10.Sgf3 bezeichnet der Autor den Zug 10…Tg8 als interessant und gibt darauf 11.Th3 Le7 N an und Weiß besitzt nach einigen weiteren Zügen die Initiative. Dass aber 11…Da5 12.a3 Se3! völlig ausgleicht, wird ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass nach 1.d4 Sf6 2.Lg5 e6 3.e4 h6 4.Lxf6 Dxf6 5.c3 d5 6.Sd2 c5 7.Sgf3 cxd4 8.Sxd4 Lc5 9.S2b3 Lxd4 10.Sxd4 dxe4 11.Sb5 De5 12.Sd6+ Ke7 13.Sc4 Dd5 14.Dc2 Sc6 15.Td1 Df5 16.Da4 Dc5 17.b4 b5! (im Buch wird nur 17...Dg5? 18.b5 Se5 19.Db4++- betrachtet) 18.Dc2 Df5 ebenso ausgleicht.

Was soll ich sagen?

Ich glaube nicht, dass es sich hierbei um ein Versehen handelt. Wäre dem so, würde es sich hierbei vielleicht um 1-2 Varianten handeln. Hat das Ganze aber System und werden dabei mit grausamer Regelmäßigkeit kritische Abspiel „geschönt“, kommen beim Betrachter doch Zweifel auf.

Doch Grimms Märchenstunde ist noch nicht vorbei!

Zum Abschluss noch ein paar „märchenhafte“ Abspiele, die mir persönlich den Rest gegeben haben:

1.d4 Sf6 2.Lg5 d5 3.e3 c5 4.Lxf6 exf6

(diesen Zug nennt der Autor einen Fehler. Nach 4...gxf6 5.dxc5 e6 6.Sc3 Lxc5 7.Dh5 Sc6 8.Lb5 Ld7 9.Sge2 a6 10.La4 De7 11.0-0-0 b5 12.Lb3 b4 bringt der Autor das Turmopfer 13.Txd5, vergibt dafür ein Ausrufezeichen und ist der Meinung, Weiß stehe hier besser. Nimmt man aber nun den Turm einfach weg mittels 13…exd5 ergibt sich eine erzwungene Zugfolge die da lautet: 14.Sxd5 De5 15.Sc7+ Kd8 16.Dxe5 Sxe5 17.Sxa8 Lc6 18.Td1+ Kc8 19.Ld5 Kb7 20.Lxc6+ Kxc6 21.Sd4+ Lxd4 22.Txd4 a5 23.Tf4 Txa8 24.Txf6+ Kd5 mit Ausgleich)

5.Sc3 Le6 6.dxc5 Lxc5 7.Dh5 Lb4 8.Lb5+ Sc6 9.Sge2 0-0 10.0-0-0 Se5 11.h3 Db6 12.La4 im Buch wird nun wieder einmal geträumt: 12...Tfd8 13.Lb3 und Weiß steht besser.

Stimmt.

Aber wenn Schwarz hier den viel besseren Zug 12…Da5! aufs Brett setzt, bleibt Weiß nur noch 13.Kb1 (aber bitte nicht 13.Lb3?? d4!! 14.Txd4 Sd3+-+) 13… Lxc3 14.Sxc3 Tac8 15.Lb3 Txc3 16.bxc3 Dxc3 mit Ausgleich.

Fazit: Ich weiß nicht, was den Quality Chess Verlag geritten hat ohne vernünftige Abschlussprüfung solch ein Buch vorzulegen. Das Buch gleicht einem Auto, bei dem in der Werkstatt vergessen wurde, die Radmuttern fest zu ziehen. Der ahnungslose Käufer/Kunde wird grob fahrlässig auf die Reise geschickt. Schon an der nächsten Kurve können sich die Räder lösen und einen schweren Unfall verursachen. Ebenso kann man, nein eigentlich ist es erzwungen, mit diesem Buch schweren Schiffbruch erleiden. Halbgare Analysen und Wunschvarianten machen aus einer Randeröffnung noch lange kein Angriffsrepertoire!

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von der Firma Schach Niggemann überreicht.