Paul Morphy – Sein Leben und Schaffen
Überarbeitete Neuausgabe des Originals von 1894, Autor: Dr. Max Lange, Sprache: Deutsch, Verlag: Jens-Erik Rudolph Verlag, Seiten: 324, Preis: 32,90 €, Hardcover (22,90, Paperback)
Was gibt dem Schachliebhaber die Beschäftigung mit Klassikern? „Leben können wir nur nach vorn, doch verstehen können wir nur rückwärts“, resümierte der dänische Philosoph Søren Kierkegaard. Mehr verstehen wollte auch einst Bobby Fischer. So begab er sich in den frühen Sechzigern in die Bibliothek von Larry Evans’ Vater und studierte Partien, die schon zu seiner Zeit um die hundert Jahre alt waren. Zu seinem Gewinn, wie er berichtete. Garri Kasparow zitiert ihn in den „Vorkämpfern“ mit einem Brief an Evans von 1963: „Ich beschäftige mich gerade hauptsächlich mit dem Studium alter Eröffnungsbücher und glaube es oder nicht: ich lerne eine Menge! Sie verschwendeten damals keinen Platz mit Katalanisch, Réti, Königsindisch im Anzug und anderen verrotteten Eröffnungen.“ An anderer Stelle heißt es, er beschäftige sich noch immer mit einer Partie von Keres gegen Reshevsky und er würde sich nun gern Von Gottschalls Anderssen-Monographie vornehmen.
Max Lange hatte im 19. Jahrhundert einem anderen Kometen am Schachhimmel ein Buch gewidmet. Paul Morphy ist jedem Spieler ein Begriff, seine Partien aber bis auf wenige bunte Hunde womöglich nicht. Max Lange, damals war man mit Titeln serviler als heute, also Dr. Max Lange, der Schöpfer des Doktor-Max-Lange-Angriffs, hatte der neugierigen europäischen Leserschaft in einem Buch umfassend dargelegt, wer dieses Genie eigentlich war, und ein Blick in dieses Werk ist mehr als erstaunlich.
Wir reden von einer Zeit, als es ebenfalls gründliche theoretische Untersuchungen gab. Anderssen spielte dreimal Sizilianisch gegen Morphy, der eigens nach Europa kam, um mit den Stärksten der alten Welt zu spielen, und das Buch macht die Welt von gestern wieder lebendig. Manche Eröffnungen würde ein heutiger Großmeister gern sofort aufgeben, doch es geht beim Lesen um mehr als Theorie. Morphys Gefühl für Initiative, die Klarheit von Abwicklungen, besondere Endspielwendungen und selbst dessen Fehler lohnen, heute wiederentdeckt zu werden. Erst kürzlich stolperte ich bei Michail Marins Eröffnungsbuch für 1.e4-e5-Spieler über eine lesenswerte Erörterung der Frage, warum das Königsgambit heute nicht so populär geworden ist wie das Damengambit, und Matthew Sadler zeigte sich andernorts verblüfft, als er Zeitschriften aus dem 19. Jahrhundert zu lesen bekam und sah, dass auch damals die Modeeröffnungen bis ins Kleinste ausgearbeitet wurden – fast so wie heute.
Die vorliegende Neuausgabe von Doktor Max Lange ist schön gebunden, sie enthält aber keine Ergänzungen, was indessen zu verschmerzen ist – dazu gibt es Kasparows „Vorkämpfer“-Reihe. Sie ist dazu gedacht, sich an ein Brett zu begeben, ein bisschen Zeit mitzubringen und zu sehen, was damals für Abenteuer ausgetragen wurden. Langweilig ist das sicher nicht. Und Doktor Lange hatte damals schon in seinen Berichten die Bedeutung vom Schaffen Morphys erkannt, welche wohl erst von der Nachwelt ausreichend gewürdigt werden kann. Heutige Leser können sich also durchaus noch angesprochen fühlen.
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