Thomas Richter

Thomas Richter

Freitag, 19 Februar 2016 21:45

Paprika und Gurken in Wijk aan Zee

Was Fiona Steil-Antoni kann, das kann ich auch: einige Wochen nach Wijk aan Zee nochmals ein bunt gemischter Bericht. Allerdings gibt es gewisse Unterschiede: sie hat relativ viel Text und Fotos und nur ein Diagramm (das allerdings quasi dreifach), ich habe später siebzehn Diagramme und daher relativ wenig Text. Thema ist etwas, das Leser und Leserinnen vermutlich kaum mitbekommen haben: der Toptienkamp der Amateure (Niveau immerhin grob Elo 2300-2500). Die Partien konnte man vor Ort aus dem Publikum heraus einigermassen verfolgen, den pgn-file gab es jedenfalls mal auf der Turnierseite - aktuell finde ich ihn nicht mehr, also hänge ich ihn noch unten an den Artikel dran. Das ist der Endstand: Dobrov 6.5/9, Hendriks und Guramishvili 6, Pijpers 5, De Ruiter und Beukema 4.5, Van der Lende 4, Rudolf 3.5, Hopman 3, Brink 2. Der Russe Dobrov hat klarer gewonnen als der Endstand suggeriert, und das trotz zwei recht drastischer Niederlagen - aber die zweite in der Schlussrunde war irrelevant.

Nicht alle Teilnehmer(innen) sind wohl beim Publikum bekannt - einige schon, warum auch immer, z.B. weil sie auch in deutschen Ligen aktiv sind oder waren. Aber, auch um die bunte Mischung zu demonstrieren, stelle ich sie alle vor - bei den Damen verrate ich das Alter nicht, aber wer es wissen will kann ja (wie ich es bei den Herren gemacht habe) auf den FIDE-Ratingseiten nachschauen. Vladimir Dobrov ist Jahrgang 1984 und seit 2004 Grossmeister. Mir war er vom Namen her ein Begriff, da er bei einem Schnellturnier in Jurmala zwischenzeitlich ganz vorne mitspielte und auch einmal das Limburg Open gewann - mehr zu ihm später. Willy Hendriks ist Jahrgang 1966 und seit 2001 IM - noch aus einem anderen Grund ist er Exote im Teilnehmerfeld: er spielt für SV de Toren aus dem "Oostelijke Schaakbond" (Arnhem und Umgebung, fast schon Deutschland). Sopiko Guramishvili ist Georgierin, IM und WGM und wohnt aus privaten Gründen inzwischen in Den Haag. Arthur Pijpers ist Jahrgang 1994 und seit 2015 IM. Mir war er ein Begriff, seit sein Verein LSG Leiden recht ausführlich vom Europacup in Skopje berichtete, bei dem er seine zweite GM-Norm erzielte. Aufgefallen ist er dieses Jahr bereits beim Basel-Open, da besiegte er den bekannten GM Arkadij Naiditsch. Anschliessend dachte er vielleicht (ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen) "was Vishy Anand kann, das kann ich auch" und verlor gegen den relativ unbekannten französischen GM Adrien Demuth. Er spielte wohl auch gerne beim Neckar-Open: da erzielte er 2015 sowohl seine letzte IM-Norm als auch seine erste GM-Norm. Danny De Ruiter ist aus meiner ganz persönlichen Sicht die nord-holländische Reinkarnation von Jan Gustafsson - wobei Gusti natürlich noch lebt und der Schachszene erhalten blieb (wenn auch nur noch sporadisch als Spieler). Zu Kieler Zeiten verlor ich öfters gegen einen damals ca. 16-jährigen Hamburger, der gelegentlich bei Kieler Blitzturnieren vorbeischaute; in Noord-Holland erging es mir gegen den Teenager Danny De Ruiter ähnlich. Wie die Zeit vergeht, es ist schon ein paar Jahre her - er ist Jahrgang 1991, seit 2015 FM und spielt für Alkmaar bei Wijk aan Zee. Stefan Beukema ist ein echter Exot: ein Belgier der auch in der NL-Liga mitspielt (tendenziell ist es Einbahnstrasse in die andere Richtung), und zwar für Tilburg. Jahrgang 1996, seit 2012 FM. Ilias Van der Lende ist titellos, Jahrgang 1994 und spielt für Santpoort, ebenfalls Provinz und Schachverband Noord-Holland. Anna Rudolf ist Ungarin, wohnt aus privaten Gründen im spanischen Zaragoza, und ist auch IM und WGM. Pieter Hopman ist Jahrgang 1972, seit 2013 FM und spielt für Purmerend nördlich von Amsterdam. Barry Brink ist Jahrgang 1975 und spielt für Caissa aus Amsterdam (ebenfalls Provinz Noord-Holland, aber eigener Schachverband).

Gleich in der ersten Runde gab es Dobrov-Guramishvili, das Duell zwischen dem nominell besten und der geschlechtsübergreifend wohl bekanntesten Teilnehmerin. Das war Paprika, vielleicht mit einem Schuss Vodka, daher insgesamt vier Diagramme - so stand es nach 15.-Sf8:

Dobrov Guramishvili

 

 

 

 

 

 

 

Sie will den Eindringling auf d6 offensichtlich los werden - objektiv am besten war nun 16.Sc4 (über dieses verbotene Feld war er auch da gelandet). Aber Dobrov spielte 16.Tc6?! Td7! - nun musste er opfern und entschied sich für 17.Sxe6 Sxe6 18.Sxf5. Es folgte 18.-Sf8 (nach 18.-De8 glauben Engines nicht an weisse Kompensation) 19.Dc2 Lb7?!

Dobrov Guramishvili move 19

 

 

 

 

 

 

 

Wieder will sie einen Eindringling loswerden, diesmal war Dobrov zu Recht nicht einverstanden: 20.Le7! Db8 (das macht man/frau ungern, aber es muss sein) 21.Lxf6 gxf6 22.Tc1!? (objektiv besser war offenbar 22.Lxd5+ und drei Bauern plus schwacher schwarzer König ist genug Kompensation für die Figur)

Dobrov Guramishvili move 22

 

 

 

 

 

 

 

Richtig war nun 22.-Ld8 was einerseits den Läufer rettet, andererseits Feld e7 überdeckt. Schwarz spielte 22.-Lxc6 23.Dxc6 Dd8 - mit Mehrturm, und d5 ist gedeckt, oder? 24.Lxd5+! Txd5? (am besten 23.-Kh8 24.Dxa8 Txd5 25.Dxd8 Lxd8, und zumindest Sorgen um den König sind hinfällig) 25.Se7+! Kf7 (25.-Dxe7 kostet ja zwei Türme) 26.Sxd5 Ld6 27.Db7+ Kg6 28.Se3 De8 29.Dd5 Td8 30.Dg8+

Dobrov Guramishvili move 30

 

 

 

 

 

 

 

1-0 . Hinterher ergab sich - eher zufällig im Eingangsbereich des Amateur-Spielsaals - die Gelegenheit zu einem kurzen Interview mit Dobrov (hier bereits veröffentlicht, aber ich kopiere das mal rein): TR „Wie lief die Partie, offenbar war das Figurenopfer korrekt?“ Dobrov „Ich machte mir etwas Sorgen um meinen Springer, der sich auf d6 verlaufen hatte. Aber ich hatte genug Kompensation – viele Angriffsmöglichkeiten. Wir haben hinterher analysiert, es war ziemlich unklar. Dann hat sie gepatzt. Übrigens bin ich hier auch als Trainer und Reporter für den russischen Schachverband.“ TR „Wollen Sie die Gruppe gewinnen und nächstes Jahr auf der Bühne spielen?“ Dobrov „Vielleicht, aber das wird nicht einfach.“ Aha, es war also nicht unbedingt ein geplantes Opfer, aber er konnte seinen Springer teuer verkaufen. Trainer ist er für zwei Teenager, die neben ihm standen und – so sagte er zu einer anderen Person – „kein Russisch sprechen“. Auch im Pressebereich wussten sie nicht, ob er als Russe in den Niederlanden lebt oder warum er eigentlich mitspielt.

Dobrov spielte auch weiterhin teilweise spektakulär - einige Momente kommen erst später in der Rubrik (gegnerischer) Gurkensalat, dreimal zeige ich seine Schlusstellungen:

Dobrov Pijpers matt

 

 

 

 

 

 

 

Dobrov-Pijpers, noch Fragen?

De Ruiter Dobrov matt

 

 

 

 

 

 

 

Hier hat Schwarz kurz vor dem Matt aufgegeben - die Partie dauerte 19 Züge, Dobrov hatte gegen Danny De Ruiter Schwarz. Wenn man in katalanischer Struktur einen Bauern auf c4 verhaftet und verteidigt, kann der Schuss nach hinten losgehen (wobei die Stellung lange "unklar" war). Das war Runde 7 nach zuvor 5,5/6.

Hendriks Dobrov 1 0

 

 

 

 

 

 

 

Ähnliches gilt für Hendriks-Dobrov 1-0, Runde 9 und für den Turniersieg bereits irrelevant.

Nun sind zwischendurch andere dran, Drama in Brink-Hopman (am Ende 0-1) aus Runde 1:

Brink Hopman

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz steht trotz Mehrbauer schlecht, aber hat gerade 35.-Tf4!? entkorkt und Weiss fand nichts besseres als 36.Dxb7 Txf5 37.Dxa7 - nicht genug Kompensation für die geopferte oder, wie er vielleicht dachte, eingestellte Figur. Richtig war 36.Dc3 Dxf5 37.Th8+ Kg6 38.Tg8+ Kh5 39.gxf4 und, hier oder etwas später, 1-0. Zwischen all den Aufregungen eine Schlusstellung, bei der die Spielerinnen nett zueinander waren:

Rudolf Guramishvili

 

 

 

 

 

 

 

Die Freundinnen Anna Rudolf und Sopiko Guramishvili einigten sich hier auf Remis - immerhin waren bereits 15 Züge gespielt und ein Bauernpaar abgetauscht. Nun rückt ein Spieler in den Mittelpunkt, von dem ich nur ein kleines Foto (auf der FIDE-Ratingseite) fand:

Van der Lende

 

 

 

 

 

Das ist Ilias Van der Lende, der im Turnierverlauf gar nicht remis spielen wollte (+4-5). Zunächst eine kleine Taktikaufgabe für das Publikum:

Beukema Van der Lende

 

 

 

 

 

 

 

Beukema - Van der Lende, Weiss am Zug gewinnt

Guramishvili - Van der Lende war, wenn die Notation stimmt, wohl ein Zeitnotdrama. Sopiko hatte ihn komplett überspielt, und dann:

Guramishvili Van der Lende

 

 

 

 

 

 

 

39.Dd7?!? (39.exf7 +20 Tendenz steigend, wenn Engines länger als ein zwei Sekunden rechnen dürfen) 39.-Da3 (er glaubt ihr aufs Wort, kann Weiss nach 39.-Dxd7 40.exd7 Txd7 noch gewinnen?) 40.Txb7?? 1-0 vermutlich Zeitüberschreitung, nun konnte Schwarz nach 40.-Da1+ usw. matt setzen.

Es gab auch jede Menge Gurken, in einigen Stellungen die nun kommen fand einer (jedenfalls unter ansatzweise plausiblen Zügen) den schlechtesten überhaupt:

Van der Lende Hendriks

 

 

 

 

 

 

 

Van der Lende - Hendriks nach 11.-Se5, eine bekannte Stellung in der Weiss meistens 12.b3 spielt, Van der Lende fand 12.Lf1?? Dxd4 - noch nicht 0-1 da er tapfer weiterspielte, schliesslich war das Runde 1. Damit hat er den Wettbewerb "Gurke dieses Turniers" vielleicht gewonnen, aber er sollte noch einen drauflegen. Zuvor eine seiner Gewinnpartien:

Van der Lende Brink

 

 

 

 

 

 

 

Van der Lende - Brink nach 40.Dd6, womöglich auch hier Zeitnot: 40.-g6? (40.-Le8 oder 40.-Lb5 ist remislich) 41.Sxg6+ (noch besser ist 41.Sd5+ Kg8 42.Sf6+ Kg7 43.Sxd7 - Mehrfigur und weit und breit kein schwarzes Dauerschach) und nach beiderseits etwas ungenauem Spiel 1-0(49). Seine anderen Gewinnpartien waren sehenswert-spektakulär, aber zu kompliziert um sie in diesem Rahmen zu würdigen.

Dobrov Van der Lende

 

 

 

 

 

 

 

Dobrov - Van der Lende, kann Weiss dieses Doppelturmendspiel gewinnen? "Technik" musste er nicht zeigen, denn Schwarz fand 37.-Kf7?? 38.h6 1-0. Bei einer anderen Gelegenheit hatte Dobrov nur ein bisschen Glück:

Dobrov Hopman

 

 

 

 

 

 

 

Weiss steht ohnehin sehr gut, aber Gegner Hopman spielte 29.-f6? und gab auf - warum, darf der Leser selbst finden (Dobrov hätte es sicher gefunden). Ein anderer Lapsus kostete Hopman mindestens einen halben Punkt gegen Beukema:

Hopman Beukema

 

 

 

 

 

 

 

Weiss braucht wohl Geduld, um die Mehrqualität zu verwerten, aber wenn er (zum Beispiel) mit 29.h3 beginnt, sollte es auf die Dauer klappen. Stattdessen 29.Lh3?! Sxh2 ups! 30.Lg2 Sf3+ 31.Lxf3 exf3 usw. - dass es danach für Weiss rapide bergab ging, musste wohl nicht sein. Nach 40 Zügen (Zeitkontrolle geschafft) stand es so:

Hopman Beukema move 40

 

 

 

 

 

 

 

Und drei Züge später 0-1 !!? Minusqualität plus gegnerische Hilfe = Sieg gab es auch noch in einigen anderen Partien, aber das sprengt den Rahmen dieses Beitrags. Es gab noch das eine oder andere, schön und/oder kurios, aber das darf der motivierte Leser im pgn-file selbst entdecken:

 

Freitag, 05 Februar 2016 21:01

Drei Bauernendspiele

Für "Triplizität der Ereignisse" brauche ich heute zwei Turniere, aber dennoch nur wenige Tage - Bauernendspiele gibt es nicht nur in Studien, sondern gelegentlich auch in praktischen Partien. Die drei Partien haben einiges gemeinsam: jeweils fiel die Entscheidung im Bauernendspiel bzw. kurz zuvor, jeweils war die Niederlage aus Sicht der Verliererin oder des Verlierers unnötig. Angefangen hat am 29. Januar in Wijk aan Zee die Ex-Weltmeisterin Hou Yifan - gegen den amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen, der (auch) aufgrund dieser Partie das Turnier gewann. Am 1. Februar machte Ex-Weltmeister Vishy Anand in Gibraltar weiter - auch aufgrund dieser Partie konnte er gar nicht in den Kampf um den Turniersieg eingreifen; sein Gegner Benjamin Gledura ist, oder war jedenfalls vor dem Turnier, ein ziemlich unbekannter junger IM. Tags darauf dachte Europameisterin Natalia Zhukova "das kann ich auch!" - ihr Gegner JK Duda war immerhin mal U10-Weltmeister, wurde zuletzt fast Junioren-Weltmeister, und auch in diesem Blog erschien er bereits [inzwischen nutze ich dankbar den Vorschlag eines Kenners der polnischen Schachszene, seine Vornamen abzukürzen - statt immer zu kontrollieren wie man denn Jan-Krzysztof schreibt].

Zu jeder Partie gibt es drei Diagramme - als Bonus noch eines vom Vorjahr in Wijk aan Zee. So stand es in Carlsen - Hou Yifan nach 44.Dc3!?:

Carlsen Hou Yifan move 44

 

 

 

 

 

 

 

Soll ich oder soll ich nicht? Zehn Minuten grübelte Hou Yifan, dann geschah 44.-Dxc3+ 45.Kxc3 und nach fünf weiteren Sekunden 45.-h5??

Carlsen Hou Yifan move 45

 

 

 

 

 

 

 

Ob 44,-Dxc3+ "?!" verdient lag am nächsten Zug - das konnte frau schon machen, wenn ja wenn sie dann richtig fortsetzt: 45.-a5! ist, wie (auch) Carlsen selbst nach der Partie sagte, schlicht und ergreifend remis. Etwas aufpassen muss Schwarz noch, ich verzichte auf Details. Idee von 45.-h5?? war, ja was eigentlich? Livekommentator Peter Svidler dachte, dass sie den Königsflügel abriegeln wollte, aber das hatte noch Zeit - wenn der weisse König auf e1, e2 oder e3 steht, geht immer noch -h5 nebst -h4. Vielleicht fiel Hou Yifan nichts ein, also zog sie einen Randbauern und im Remissinne den falschen. Es folgte 46.Kb4!! Kc8 47.Ka5 Kc7 48.h4 Kb8 49.Kb6 Kc8 50.b4 Kb8 51.b5 (so knackt Weiss die schwarze "Festung") 51.-cxb5 52.axb5 axb5 53.Kxb5 Kc7 54.c3

Carlsen Hou Yifan move 54

 

 

 

 

 

 

 

Wenn Hou Yifan nun einfach die Uhr drücken könnte mit den Worten "Du bist dran!", dann wäre auch diese Stellung remis. So allerdings - 1-0. Entscheidend war, dass Weiss ein Reservetempo hatte.  45.-h5?? war objektiv der entscheidende Fehler, 44.-Dxc3+ kann man kritisieren - da sie dem Gegner das gab, was er offensichtlich wollte und dabei das Bauernendspiel falsch beurteilt hatte.

Manchmal kann man dem Gegner durchaus aufs Wort glauben, das war Ivanchuk-Jobava, Tata Steel 2015, nach 42.-Ta4?? :

Ivanchuk Jobava

 

 

 

 

 

 

 

43.Txa4!! 1-0 denn nach 43.-bxa4 44.Kc4 usw. hat Schwarz nur einen Freibauern (dass auch auf a5 ein Bauer steht ist irrelevant), Weiss bekommt dagegen zwei auf der c- und e-Linie die sich quasi gegenseitig schützen. Ivanchuk besprach das wort- und gestenreich zu Gast im Livekommentar, den gut gelaunt fluchenden Jobava traf ich zufällig im Gang: "Ich habe alles mögliche berechnet, nur nicht Kc4 - fuck fuck fuck."

Bei den beiden anderen Partien steige ich etwas früher ein, Stand in IM Gledura (2515) - GM Anand (2784) - Elozahlen jeweils vor dem Turnier - nach 28.Ke2:

Gledura Anand move 28

 

 

 

 

 

 

 

Das ist doch remis, oder? Anand spielte 28.-h5?! - "?!" ist wohl zu streng, aber das war nicht nötig und dieses Tempo fehlte später im Bauernendspiel. Es folgte 29.Lg5 Kf8 30.Kd3 Ke8 31.Lxf6!? (Läufer sind mir lieber als Springer, aber nun kann der weisse König eindringen) 31.-Lxf6 32.Ke4 Ld8 33.Se5 Ke7 34.Kd5 (musste das aus schwarzer Sicht sein?) 34.-Lb6 35.Sd3 Kd7 36.Sc5+ Lxc5 (vermutlich "?" - nach 35.-Kc7 konnte Gledura seinen prominenten Gegner lange quälen, aber kann er die Partie gewinnen?) 37.Kxc5 Kc7

Gledura Anand move 37

 

 

 

 

 

 

 

Und nun? Gledura spielte 38.h4!! und das war diesmal goldrichtig. 38.-Kd7 (zunächst dachte ich, dass 38.-b6+ 39.Kd5 Kd7 für Schwarz OK ist, da sein König dann zwischen d7 und c7 pendelt und der weisse Monarch am Königsflügel nicht eindringen kann. Aber dann folgt, wie in der Partie, f3 und g4 und nach -hxg4 fxg4 spielt Weiss h4-h5. Das erzwingt -f6 da Weiss sonst einen entfernten h-Freibauern bekommt, und die "Festung" am schwarzen Königsflügel ist dahin.) 39.Kb6 Kc8 40.b4 Kb8 41.f3 Kc8 42.g4 hxg4 43.fxg4 Kb8 44.h5 f6 45.a4 Kc8 46.Ka7 Kc7 47.b5 a5 48.Ka8

Gledura Anand move 48

 

 

 

 

 

 

 

1-0 Ursachenforschung? Anand dachte womöglich "das (Stellung nach 28.Ke2) ist immer und sowieso remis" und war nicht mehr voll konzentriert.

Bei Duda-Zhukova griff Schwarz wohl im Läuferendspiel daneben, Stellung nach (36.Tc2 Txc2) 37.Lxc2

Duda Zhukova move 37

 

 

 

 

 

 

 

37.-f5?! - warum? Gut möglich, dass dieser Zug "?" verdient, da Schwarz danach forciert verliert. Unabhängig davon ist es fragwürdig, die Bauern definitiv weissfeldrig festzulegen und den auf g6 zu schwächen. 38.Kg5 Le8 39.Lb3 b6 40.Lc4 Lf7 - ob das "?" verdient, liegt daran ob Schwarz das Läuferendspiel halten kann. Vermutlich nicht, aber ich untersuche das nicht im Detail - Thema heute sind ja Bauernendspiele:

Duda Zhukova move 40

 

 

 

 

 

 

 

41.Lxf7! - diesmal verzichtet Duda, im Gegensatz zu Dezember 2014 in Katar, nicht auf ein gewonnenes Bauernendspiel. 41.-Kxf7 42.Kh6! b5 43.b4 a6 44.f4 Kf6 45.Kh7 Kf7 46.g3 das Reservetempo 46.-Kf6 47.Kg8

Duda Zhukova move 47

 

 

 

 

 

 

 

1-0 Hier vermute ich, dass Zhukova bei 37.-f5 bereits das Bauernendspiel anstrebte und sich keinerlei Gefahr bewusst war - aber ich kann da nur spekulieren. Vor der Runde hatte sie noch gewisse Chancen auf einen der in Gibraltar recht grosszügigen Damenpreise, danach eher nicht mehr - und dann hat sie tags darauf gegen den Amerikaner Matthew Herman eine Gewinnstellung einzügig in eine Verluststellung verwandelt.

Generell: Bauernendspiele sind trickreich, auch Grossmeister (Titel hier geschlechterübergreifend) stolpern da mitunter. Europameister Evgeny Najer bekam vermutlich keine Tata Steel Einladung, und hat auch in Gibraltar nicht mitgespielt.

 

Freitag, 08 Januar 2016 18:35

Oscar-Listen

Anfang Januar ist die Zeit der Jahresrückblicke, auch was Schach betrifft. Ich kann nicht alles besprechen was so im Internet auftaucht: Partie des Jahres, Endspiel des Jahres, Höhe- und Tiefpunkte, denn dann wäre der Artikel irgendwann im Dezember veröffentlichungsreif ... . Also beschränke ich mich auf den Spieler des Jahres. Wer das ist und wer demnach wohl mal wieder den Oscar bekommt, da sind sich Experten und andere (bzw. Titelträger und titellose Schachspieler) ziemlich einig, nur einer tanzt aus der Reihe und sagte dazu, auf Englisch noch deutlicher als auf Deutsch, "I want to make a certain point". Dahinter geht es drunter und drüber - Spieler werden erwähnt oder auch nicht und recht unterschiedlich eingestuft. Thema dieses Beitrags sind neun Oscar-Listen, darunter zwei oder drei die offiziell abstimmen dürfen.

Der Reihe nach: Es begann (für mich) damit, dass Emil Sutovsky seine Liste - wie er selbst schrieb "my vision of the Chess Oscar 2015" - auf Facebook veröffentlichte. Leicht unklar ob er offiziell abstimmen darf - er ist alles Mögliche, aber eher kein Journalist? Chess24 hat das dann übernommen - inzwischen auch auf Deutsch, aber die Diskussion auf die ich mich beziehe tobte auf der englischen Seite. Ich war dabei, einiges was nun kommt ist Wiederholung, aber da hat jeder pro Kommentar maximal 2000 Zeichen zur Verfügung, hier kann ich es noch mehr vertiefen. Es geht aber nicht, jedenfalls nicht nur, um meine Meinung, sondern um alle Meinungen. Diverse "Laien" veröffentlichten ihre Listen, zwei Journalisten taten das auch: Stefan Löffler zunächst auf Deutsch, dann - und so wurde es international registriert, in Russland auf Englisch. Auch Sergey Shipov äusserte sich u.a. zum Thema Oscar, Colin McGourty hat das dann übersetzt (wieder gilt: Kommentare bisher vor allem auf Englisch).

Ich beginne mit Sutovsky, der - wie auch andere - seine Auswahl erklärte, innerhalb der Liste und dann (betrifft "wer warum nicht") auch in der Facebook-Diskussion. Er entschied sich für, in dieser Reihenfolge, Carlsen, Karjakin, Giri, Aronian, Kramnik, Vachier-Lagrave, Svidler, Eljanov, Ding Liren und Wei Yi. Prompt wurden zwei andere Namen vermisst, aber ich nenne erst seine vermutlichen Beweggründe: Er nennt den Weltcup "most important and toughest tournament of the year" - das sehe ich ähnlich, wobei es die Liste stark beeinflusst, dass gleich drei Spieler vor allem da überzeugend oder jedenfalls sehr erfolgreich spielten. Halb-explizit zählen für ihn Ergebnisse im zweiten Halbjahr mehr als die in den ersten sechs Monaten anno 2015 - für Aronian, Kramnik und MVL sagt er das quasi, tendenziell gilt es auch für Giri. Das sehe ich etwas anders und vermisse einen Namen, der auf Facebook nicht erwähnt wird. Andere vermissten Topalov und Nakamura, das erklärte Sutovsky so: Topalov hatte ein grossartiges Turnier in Stavanger, aber der Rest war nicht überzeugend ("not convincing at all"). Nakamura gewann kein Topturnier mit klassischer Bedenkzeit - Gibraltar, US-Meisterschaft und Millionnaire Chess waren schwächer besetzt, wenn auch finanziell attraktiv. Und Zürich war zur Hälfte Schnellschach. Das sehe ich ähnlich - ich würde ergänzen, dass Topalov in Norwegen von Carlsen und Hammer satte 1,5 Punkte (und damit auch 15 Elopunkte) geschenkt bekam, und dass Nakamura Zürich nur aufgrund eines kurzfristig angesetzten Tiebreaks gewann. Der Leser vermutet plausibel, welche Namen auch auf meiner Liste nicht auftauchen.

Nun meine Liste: Carlsen, Vachier-Lagrave, Giri, Anand, Aronian, Kramnik, Karjakin, Svidler, Eljanov, Tomashevsky. Anand hatte ich vermisst - im Gegensatz zu diversen anderen Spielern war er im ersten Halbjahr (Shamkir, Zürich, Stavanger) top und im zweiten Halbjahr nicht mehr. Tomashevsky bekam Platz 10 erst, nachdem andere auf (nur) zehn Namen bestanden - zuvor teilte er diesen mit Nakamura, Ding Liren, Wei Yi und Caruana. Ansonsten: Carlsen natürlich Nummer eins, aber für mich nur primus inter pares. Danach war ich bei der Reihenfolge unsicher, und habe etwas aus dem Bauch heraus entschieden: Sympathie-Bonuspunkte für MVL und Giri (schliesslich sprach ich beide letztes Jahr in Wijk aan Zee, Giri auch bei anderen Gelegenheiten), und die drei (anderen) Weltcup-Halbfinalisten nach dem letztendlichen Ergebnis sortiert. Topalov fehlt bei mir auch wegen relativer Inaktivität - das gilt zwar ähnlich für Kramnik und Anand, aber nur Topalov konnte so mehrfach eine 2800+ -Elo "verteidigen". So kann ich das auch, diese Zahl erreichen ist natürlich ein anderes Thema und für mich wie für die allermeisten nicht drin. Ausserdem stimmt es, dass ich ihn als Person eher nicht mag (Stichwort "Toiletgate") - das sollte zwar nicht das dominante Kriterium sein, aber auch das ist ein Tiebreaker.

Das waren zwei Meinungen, wie gesagt es geht um alle Meinungen. Bei denen, die auf chess24 kommentierten, nenne ich jeweils das Land - jedenfalls in einem Fall hat es seine Meinung beeinflusst da er seine Nummer 10 mit "(lol)" ergänzte. Zum Teil ist es relativ - ich bin da Niederländer, da ich mich mit einer niederländischen IP-Adresse angemeldet habe. Falls Kramnik da (unter Pseudonym) einen account hat, ist er - je nachdem wann/wo er sich angemeldet hat - Franzose oder Schweizer? Ähnlich relativ ist es eventuell für Stefan Löffler (Deutscher, aber verbrachte viele Jahre in verschiedenen Ausländern) oder Emil Sutovsky (Israeli, aber nach wie vor mit Draht nach Aserbaidschan). Dennoch gilt wohl tendenziell: ganz repräsentativ sind die sechs Meinungen von Laien nicht, da fehlen - um nur führende Schachländer zu nennen - die gesamte ehemalige Sowjetunion, die USA, China, ... .  Wer sich hinter einigen Namen verbirgt, keine Ahnung - "Sauron" hat jedenfalls nach eigener Aussage Nahschach-Elo ca. 2200. Es ist also nicht so, dass ein Spieler selbst mit abstimmte - über sich und über einen Spieler, der ihn als Sauron bezeichnete. Nun zunächst alle neun Listen nebeneinander - aus Platzgründen kürze ich einen Spielernamen ab:

2016oscar

Man kann das doppelt zusammenfassen: erstens nach offizieller Oscar-Wertung mit Bonuspunkten für die ersten drei (13,11,9,7,6,5, ...): Carlsen 115, Giri 72, Nakamura 59, Aronian 57, Vachier-Lagrave (nun habe ich Platz genug) 48, Kramnik und Karjakin 39, Topalov 28, Anand 27, Wei Yi 24, Eljanov 12, Svidler 11, Caruana 7, Tomashevsky 5, Ding Liren 4, Ragger und Pelletier 1.

Dann auch danach, wer wie oft genannt wurde: Carlsen, Giri, Aronian 9, Kramnik und Karjakin 8, Nakamura und Vachier-Lagrave 7, Anand 6, Topalov und Wei Yi 5, Eljanov 4, Caruana, Svidler, Tomashevsky 3, Ding Liren 2, Ragger und Pelletier 1.

Es gibt - Grenzen sind flexibel - Konsensus-Namen die (fast) immer auftauchen, umstrittene Namen die etwa die Hälfte der Jury erwähnt, und Exoten die nur auf wenigen Listen stehen. Carlsen fast durchgehend an eins, das geht in Ordnung. Giri an zwei, obwohl niemand ihn so hoch einstufte - aber sechs dritte, zwei vierte und ein siebter Platz. Das passt irgendwie zu seiner Turnierbilanz: selten bis nie ganz vorne, oft relativ weit vorne - das hat insgesamt positive Konsequenzen, auch für seine Elozahl. Nakamura und Vachier-Lagrave werden vergleichsweise unterschiedlich bewertet: weit oben, nicht so weit oben oder auch gar nicht in der top10. Bei Nakamura liegt es wohl daran, wie man "Turniere der zweiten Kategorie" einstuft, vielleicht auch wie man seine Persönlichkeit bewertet. Bei MVL sehe ich keinen Grund, ihn nicht zu mögen - da liegt es wohl daran, wie man sein Schachjahr 2015 mit Höhen und Tiefen insgesamt bewertet. Aronian wird wieder etwas stabiler bewertet - und landet hier knapp hinter Nakamura, da er weniger top3 Bonuspunkte erntete. Kramnik und Karjakin werden (fast) immer erwähnt, aber landen (fast) nie weit oben.

Vielleicht interessant, wer warum auch die Konsensus-Namen nicht auf seiner Liste hat. Sutovskys und meine Meinung zu Nakamura hatte ich bereits, zu Löffler und Karjakin komme ich noch. Zu Eyal und Kramnik habe ich privat nachgefragt, Tenor seiner Antwort: "Ich bewerte Einzelturniere höher als Mannschaftskämpfe. Kramnik glänzte in Mannschaftskämpfen, aber hat kein Einzelturnier gewonnen und konnte da auch fast nie in den Kampf um den Turniersieg eingreifen." Kann man so sehen ... zugleich setzte er Kramnik, Svidler und Wei Yi auf seine Reserveliste, aber in der top10 gibt es eben nur 10 Plätze zu vergeben. Shipov hat ebenfalls eine Reserveliste: Svidler, Ding Liren, Vachier-Lagrave, Wei Yi, Grischuk [ein Exote anno 2015], Eljanov, "usw.". slavmavrodiev "ignoriert" Vachier-Lagrave, da er (knapp, vielleicht zu knapp zusammengefasst) seine Schwächeperiode im ersten Halbjahr (28 sieglose Partien in Serie) stärker gewichtet als - Ausnahme Shipov? - alle anderen.

Noch einer bewertet Kramnik anders als der Rest - Sauron, der ihn an zwei plaziert, auch da habe ich nachgefragt: "Ich bewundere ihn vor allem dafür, dass er mit 40 nochmals Weltranglistenzweiter wurde. Wohl ein Altersbonus, da ich etwa dasselbe Alter habe." Auf meinen Einwand "und Anand, der dasselbe mit 45 erreicht hatte?": "Ja, aber er hat im zweiten Halbjahr stark nachgelassen ('pronounced slump') mit vielen uninspirierten Partien. Sonst wäre er sicher weit oben auf meiner Liste, er ist ein echter Gentleman."

Zu Anand zwischendurch der Vergleich Laien-Experten. Fünf von sechs Laien haben Anand, aber nur ein Experte - Shipov gerade so als Nummer zehn. Erliegen Experten eher der Versuchung, vor allem neueste Ergebnisse zu berücksichtigen? Zur Erinnerung: im ersten Halbjahr hatte Anand in Shamkir, Zürich und Stavanger grossartig gespielt. Zwei von drei Experten haben Svidler, und ich als einziger Laie. Mögen Laien nur Sieger (Ausnahme Giri), während Experten das mitunter lockerer sehen? Svidler hat nun einmal das Weltcup-Finale verloren, wobei das Erreichen des Finales bereits ein Sieg war (= Qualifikation für das Kandidatenturnier). Bin ich, da Schreiberling, auch ein bisschen Experte, oder bin ich das, da ich es nicht beruflich mache, nicht?

Topalov ist eben umstritten. Bei Wei Yi ist die Frage, ob er bereits zwischen die Weltklasse gehört, nur weil damit zu rechnen ist, dass er in absehbarer Zeit zur Weltklasse gehört. Für mich eher nicht, da gehen die Meinungen auseinander. Eljanov - tendenziell siehe Svidler. Caruana, Ding Liren und der gar nicht erwähnte Wesley So - zwar relativ stabil top10, aber dieses Jahr ohne allzu spektakuläre Ergebnisse, so sieht es offenbar die Mehrheit. Caruana landete vor allem deshalb auf meiner Reserveliste, da er Dortmund durchaus souverän und überzeugend gewann.

Tomashevsky gewann zwei Turniere, beide als Aussenseiter, beide souverän - Tiflis Grand Prix und Russische Meisterschaft. Ist das bereits vergessen, und/oder schauen viele zunächst auf die aktuellste Eloliste und gewichten dann Spieler? Tomashevsky ist da nur noch Nummer 26, da Katar für ihn nicht nach Wunsch verlief (für Wei Yi auch nicht) und da er zuvor auch beim Weltcup Elopunkte einbüsste. Womöglich spielt aber auch eine Rolle: top10 = 10 Namen, und für viele waren das eben zehn andere. fabelhaft schrieb noch per Kommentar: "We have probably all been unfair to Tomashevsky who had two very impressive wins, in one of the Grand Prix tournaments and then the Russian Superfinal. But it all is so subjective that it's difficult to even make the same list two days in a row."

Ragger und erst recht Pelletier fallen für mich, verglichen mit den bisher genannten Namen, unter die Rubrik "kleiner Scherz". Wobei Ragger eventuell ein Kandidat für den, sagen wir mal, B-Oscar wäre - für Spieler, die noch nie Elo 2750+ hatten und das vielleicht in diesem Leben nicht mehr schaffen. Andere Namen die hier und da genannt wurden, u.a. von mir selbst: Harikrishna, Li Chao (wobei beide aktuell Elo knapp über 2750 haben), Rapport, Kovalenko, Hammer, Grandelius, aus Sympathiegründen für sein Schach und seine Person auch Jobava. Diese Wahl wird aber sicher noch subjektiver und kontroverser - da jeder da seinen eigenen Liebling hat und andere Kandidaten vielleicht gar nicht kennt. Ich selbst kann alle Namen 'nachvollziehen' aber nicht gewichten, und sicher fehlen noch einige ... .

Alles bisher war subjektiv, ein objektiver Masstab wäre die TPR über das gesamte Jahr!? Diese Liste gibt es auch, wobei ich das nun nicht detailliert aufbröseln will: für mich spielt auch eine Rolle, wer wie viel oder wenig gespielt hat, und gegen wen. Wei Yi ist da übrigens Nummer 27 (Ragger Nummer 38).

Und nun knöpfe ich mir noch Stefan Löffler vor, aus zwei Gründen: Er ist für das Publikum hier vielleicht der bekannteste Juryname, wobei Sutovsky und Shipov international-global wohl bekannter oder berühmter sind. Und von ihm konnte ich auch noch ältere Listen finden - 2014, 2013 und 2011. Zusammen ergibt sich ein gewisses Bild. Seine Listen sind oft teilweise "originell" - das ist weder Lob noch Kritik, sondern schlichtweg eine Feststellung. Zweimal nominierte er auch Deutsche, die international wohl chancenlos waren - 2011 Gustafsson "stellvertretend für die deutsche Mannschaft, die erstaunlicherweise als hoher Außenseiter Europameister wurde, ohne eine Mannschaft zu sein. Mit seinem tollen, nur leider zu selten gefüllten Blog sammelte der Hamburger die nötigen Extrapunkte." [der Blog ist nun definitiv tot, der Schachspieler Gustafsson nur noch sporadisch aktiv. Aber natürlich spielt er weiterhin eine Rolle in der Schachszene]. 2013 Naiditsch, der es 2014 immerhin auf die Reserveliste schaffte (Platz 10 an Rapport knapp vor Naiditsch und Jobava). Auch 2013 war Carlsen für ihn "nur" Zweiter hinter Kramnik, und 2011 hatte er dasselbe zumindest erwogen. Das konnte ich jeweils nachvollziehen, "Patriotismus" kann ich auch verstehen - aber das waren jeweils sicher exotische Namen.

Auch 2011 gab es Vorschussloorberen für einen Jungstar - damals nominierte er Giri, der in Wijk aan Zee 50% erzielte und zum Jahresende Nummer 28 der Weltrangliste war. Das empfand ich damals als verfrüht, heute gilt dasselbe tendenziell auch für Wei Yi. Dazu will ich "obwohl er der bisher jüngste 2700-Spieler ist, wurde er zu keinem einzigen Topturnier eingeladen. Den vielleicht nächsten Weltmeister so links liegen zu lassen, wirft ein schlechtes Licht auf mehrere Veranstalter. An seinem unternehmungslustigen Spielstil kann es nicht liegen. Liegt es daran, dass er Chinese ist?" kommentieren. Auf welche Veranstalter wirft es ein schlechtes Licht? Die Chess Tour hatte sich auf immer dieselben Spieler festgelegt - was ich generell kritisiere, aber es war kein Affront speziell gegen Wei Yi. Gashimov Memorial kam zu früh, bleibt wohl Dortmund und Biel. Generell werden Spieler wohl bereits einige Monate vor dem Turnier eingeladen, generell gilt: "erst 2700 knacken, dann dieses Niveau eine Weile bestätigen, dann gibt es eventuell eine Einladung." Chinesen werden sicher nicht diskriminiert, aber es gibt zu viele .... . Kandidaten für Top-Einladungen sind Ding Liren, Yu Yangyi, Li Chao wäre auch an der Reihe, und Wei Yi. Ausserdem bekommt auch Hou Yifan diverse Einladungen - was ich (quantitativ und verglichen mit männlichen qua Alter und Elo vergleichbaren Spielern) nicht nachvollziehen kann.

2011 UND 2013 kommentierte ich, dass Karjakin auch möglich war - insgesamt habe ich den Eindruck "den mag er halt nicht". Jedenfalls 2011 hatte sich Karjakin noch nicht politisch geäussert, es sei denn man interpretierte seinen Verbandswechsel Ukraine -> Russland als politisches Signal. Wenn, dann war es allenfalls ein schachpolitisches Signal, da er mit der Förderung durch den ukrainischen Schachverband unzufrieden war bzw. in Russland bessere Perspektiven sah. Zu Karjakins politischen Ansichten: ich teile sie nicht, aber kann sie aus seiner Sicht (Krim-Ukrainer und ethnischer Russe) verstehen.

Ausserdem noch aus heutiger Sicht interessant: Bereits 2013 nannte ich Vachier-Lagrave ("anderthalb Jahre kriselte er, jetzt ist er wieder da?") und Eljanov ("hat sich von 69 auf 21 verbessert").

Wer will, kann nun auch hier seine eigene Oscar-Liste veröffentlichen bzw. das eine oder andere kommentieren - indirekt auch Löfflers Liste, die er inzwischen auf dem Schachticker publiziert.

 

 

Samstag, 14 November 2015 13:11

Falscher Läufer - kein Problem

Berichte zur Mannschafts-EM in Reykjavik gibt es anderswo noch nicht - es ist ja auch erst eine Runde gespielt, und parallel läuft ein Schaukampf in St. Louis. Auch der Schachbund (Titelseite, wird da wohl irgendwann verschwinden) äussert sich nur knapp und bezeichnet das 2,5-1,5 gegen die Schweiz zum Auftakt als "glücklich" - eventuell könnte man es auch als grossartige kämpferische Leistung verkaufen, die Anlass zu Hoffnungen für das weitere Turnier bietet. Jedenfalls bekommt Daniel Fridman das Titelbild, da er aus deutscher Sicht der Held war. Aus schweizerischer Sicht war Gegner Sebastian Bogner vielleicht der Depp, aber in diesem Artikel mit Motiv Triplizität der Ereignisse wird es erst das dritte und komplizierteste Beispiel. Jeweils geht es um Endspiele mit Mehrfigur und Mehrbauer, die manchmal dennoch Remis sind - es gibt nämlich den Begriff falscher Läufer oder alternativ falscher Randbauer. In den ersten beiden Fällen werde ich auch andeuten, wie dieses Endspiel entstand - und einmal gibt es als Vorspeise ein ungewöhnliches Mittelspiel-Motiv.

Ich beginne bei den Damen, mit einem Match das vielleicht vor allem Schachfreunde und -freundinnen in den Niederlanden (ich fühle mich angesprochen) oder auch Litauen interessierte. Bei Litauen fehlt Viktorija Cmilyte - komplett, sie ist wohl anderweitig beschäftigt: sie hat mal wieder geheiratet, diesmal Peter Heine Nielsen, wurde zum dritten Mal Mutter (zweimal war der Vater Alexei Shirov) und ist seit April 2015 Mitglied des litauischen Parlaments. Fairerweise verzichteten die Niederlande in Runde 1 auf Spitzenbrett Zhaoqin Peng, und so ergab sich an Brett 2 die Paarung Salomeja Zaksaite (2196) - Bianca De Jong-Muhren (2312). Salomeja hat also Weiss, Bianca ist nominell besser. Nach 19.La7 Tb7 stand es so:

Zaksaite De Jong move 19

 

 

 

 

 

 

 

Das ist natürlich noch kein Endspiel, sondern die versprochene Vorspeise - Weiss am Zug gewinnt bzw. erreicht jedenfalls klaren Vorteil. Das dürfen die Leser selbst finden, ich gebe nur drei Tips: 1) Zuvor war 18.-Dxd5 ungenau (besser 18.-exd5). 2) Die ersten beiden Züge der Kombination kann man/frau in beliebiger Reihenfolge spielen. 3) Am Ende ist in einer Variante Df5+ wichtig, und in einer anderen De4+ [hmm, der Hinweis dass das jeweils ein Schach ist sollte reichen]. Stattdessen kam in der Partie 20.Le4 - verlockend, aber Schwarz hat die Ausrede 20.-Dd2 und nun wurde aufgeräumt: 21.Dxd2 Lxd2 22.Txc8 Txc8 23.Lxb7 Tc7 24.Td1 Lg5 25.Lxa6 Txa7 26.Td6 - wir haben ein asymmetrisch-ausgeglichenes Endspiel. Das behandelte Weiss insgesamt besser, nach 40 Zügen stand es so:

Zaksaite De Jong move 40

 

 

 

 

 

 

 

Immer noch kein Grund zu Panik aus schwarzer Sicht, aber sie muss eher aufpassen. Weitere Bauern verschwanden vom Brett und im 81. Zug auch die Türme, Stand nach 82.-Ke5:

Zaksaite De Jong move 82

 

 

 

 

 

 

 

Und nun? Schwarz hofft noch auf ungleichfarbige Läufer und/oder darauf, dass Weiss am Ende nur den falschen Randbauern behält. Kleiner Let's Check - Ausflug: Beim Durchklicken von Partien sieht man so am schnellsten, welche Engines wann durchblicken - vor allem in Endspielen gibt es da Unterschiede, aber dieses Thema will ich nicht untersuchen und vertiefen. Komodo zeigt Sinn für "Ästhetik" und empfiehlt 83.La8 +250 - aber nahezu jeder Läuferzug sollte für Weiss gewinnen, nur nicht unbedingt das gespielte 83.Lc6? - was dieses Feld in einigen Varianten für den weissen König blockiert. Schwarz spielte nicht das beste (egal, ob es Remis hält oder letztendlich doch nicht) 83.-Ld6+ sondern 83.-Kf4? und fünf Züge später:

Zaksaite De Jong move 87

 

 

 

 

 

 

 

Touchdown! Schwarz muss sich natürlich von ihrem Läufer verabschieden, konnte dann die e- und g-Bauern gegeneinander abtauschen, es half nichts:

Zaksaite De Jong move 94

 

 

 

 

 

 

 

Stellung nach 94.Lg4 - das ist hoffnungslos für Schwarz, da der König nie und nimmer das rettende Feld h8 erreicht. Wohl eher Enttäuschung/Frustration, dass sie erst nach 102 Zügen die Uhr abstellte. Endstand im Match 2-2 - die Niederländerinnen konnten zwar an Brett 3 und 4 (jeweils auch klare Elo-Vorteile für sie) gewinnen, aber verloren auch an Brett 1 auf Elo-Augenhöhe (Haast, 2365 - Deimante, 2369 0-1).

Das nächste Match war aus internationaler und Ausrichter-Sicht interessant - mit Armenien spielte einer der Favoriten gegen Gastgeber Island. Armenien gewann glatt 4-0, aber nur 3-1 war durchaus möglich. An Brett 2 gab es ein Duell der S-Klasse wobei Schwarz den kräftigeren Elo-Motor hatte, aber das muss (jedenfalls in einzelnen Partien) nichts heissen: Steingrimsson (2566) - Sargissian (2689). Lange wurde geschlossen-spanisch manövriert, dann stand Weiss "eigentlich" klar besser:

Steingrimsson Sargissian move 47

 

 

 

 

 

 

 

Man sollte meinen, dass die drei (na gut, zweieinhalb) weissen Freibauern im Zentrum viel gefährlicher sind als der einzelne und doppelt entfernte (auch weit weg vom Umwandlungsfeld) schwarze a-Bauer. Engines sehen das auch so, aber nur wenn Weiss 48.Dd4! findet um das schwarze Gegenspiel mit -e3 zumindest zu erschweren, wenn nicht zu verhindern. Stattdessen kam 48.Sg1? e3! 49.Dxe3 Dxe3 50.fxe3 Kf7

Steingrimsson Sargissian move 50

 

 

 

 

 

 

 

Nur drei Züge weiter, aber eine total andere Stellung - ohne Damen auf dem Brett kann der schwarze König ins Geschehen eingreifen, im Gegensatz zum weissen auf h1. Man kann sich zumindest vorstellen, dass Weiss diese Stellung gar verliert - obwohl er nach der Erbsenzähl-Methode momentan zwei Mehrbauern hat. Ob Weiss noch remis halten kann, will ich in der Kürze der Zeit nicht untersuchen (bzw. bin mit dieser Aufgabe überfordert). Im weiteren Verlauf verschwanden jedenfalls reihenweise Bauern vom Brett, wobei der schwarze a-Bauer sich teuer verkaufte - Stellung nach 65.-a1D:

Steingrimsson Sargissian move 65

 

 

 

 

 

 

 

Wiederum fünf Züge später - der weisse König rannte so schnell er konnte zurück zum Königsflügel aber ein Tempo fehlte:

Steingrimsson Sargissian move 70

 

 

 

 

 

 

 

70.-Kh2! - nur so, aber das finden wohl auch Spieler mit Elo unter 2000. Sechs Züge später gab Weiss auf.

In diesen beiden Fällen war das Endspiel von Anfang an (d.h. ab 87.b8D bzw. 65.-a1D) und immer für die materiell stärkere Seite gewonnen, im dritten Fall stolperten beide Spieler auch nach Erreichen der Tablebase-Zone. Bevor ich die Schlussphase von Sebastian Bogner (2550) - Daniel Fridman (2627) bespreche, ein paar Bemerkungen zum gesamten Match Deutschland-Schweiz aus deutscher Sicht: An Brett 1 stand Georg Meier mit Weiss gegen Pelletier zwischenzeitlich schlecht, wenn nicht verloren - es wurde remis (damit ist Meier besser als Nakamura, der allerdings beim Europacup Schwarz gegen Pelletier hatte). An Brett 3 erreichte Buhmann gegen Jungstar Georgiadis nichts, jedenfalls nicht genug - remis. An Brett 4 stand der deutsche Jungstar Dennis Wagner gegen Richard Forster in einer wilden Partie zwischendurch total verloren (Computerurteil bis +10) und es wurde remis. Fridman spielte eine seiner Spezialvarianten - zur Stellung nach 12.-d4 hat die nach Schwarzelo sortierte Datenbank Lautier-Ivanchuk, Olympiade Moskau 1994 und dann siebenmal Fridman. Er stand wohl etwas schlechter, das muss man mit Schwarz akzeptieren, aber womöglich nie gefährdet. Dass und wie er dann gewann kommt nun - Stellung nach 47.-fxe3:

Bogner Fridman move 47

 

 

 

 

 

 

 

Bogner spielte 48.Lf3?! - noch kein Verlustzug, aber warum kümmert sich nicht der König um den Freibauern? Nach 48.Kg3 hat Schwarz den Trick 48.-Lg4!? und Weiss darauf den Gegentrick 49.Lf3 e2 50.Ld5+ nebst 51.Kf2 (50.Lxe2 Lxe2 ist hier auch Remis, aber das muss Weiss nicht "riskieren"). Nach weiteren schwarzen Ungenauigkeiten stand es so:

Bogner Fridman move 54

 

 

 

 

 

 

 

Nun ist 55.Lxe2 Lxe2 natürlich Pflicht, und ab hier kann ich durchgehend das Tablebase-Orakel befragen (die Spieler während der Partie natürlich nicht): 56.a4 (lose in 57, immerhin am zähesten) 56.-Ld1 (wir wollen mal nicht meckern, dass andere Züge schneller gewinnen) 57.a5 (wieder die bei weitem beste Chance)

Bogner Fridman move 57

 

 

 

 

 

 

 

Was nun? Weiss droht offensichtlich b4-b5-b6, Schwarz muss das verhindern - da er sonst nicht mehr gewinnen, höchstens noch verlieren kann. Fridman spielte 57.-a6? - falsch laut Tablebases, nur 57.-La4 oder 57.-Le2 gewinnt. Warum dem so ist, darf der Leser mich aber nicht fragen. Allerdings war es nur einen Zug lang remis, es folgte 58.Kf5 (hier verliert nur 58.b5??) 58.-Lc2+

Bogner Fridman move 58

 

 

 

 

 

 

 

Wohin mit dem König? a1 ist das Traumfeld, das geht natürlich nicht sofort - aber warum Bogner mit 59.Ke6?? in die andere Richtung ging, weiss allenfalls er selbst - hier vergebe ich streng zwei Fragezeichen, da es auch prinzipiell-intuitiv nicht gut sein kann (59.Kf6 verliert auch, drei andere Königszüge halten remis). 59.-Kc4 60.Ke5 Kxb4 61.Kd4 Lg6! (des Pudels Kern, verhindert 62.Kd3 und nun muss der weisse König sich entfernen) 62.Ke3 Kxa5 0-1 - z.B. 63.Kd2 Kb4 64.Kc1 Kb3 und da nun 65.Kb1 illegal ist, kommt langsam aber unvermeidlich a6-a5-a4-a3-a2-a1D. Hatte ich das Ergebnis des Matches bereits erwähnt? 2,5-1,5 für Deutschland. Bogner hatte sich sein Debüt für die Schweizer Nationalmannschaft, ausgerechnet gegen Deutschland, wohl anders vorgestellt. Die deutsche Truppe muss sich aber vermutlich im Turnierverlauf steigern, um auch mal gegen z.B. Team Naiditsch zu spielen.

[P.S.: Während ich an diesem Artikel schrieb, war Kollege Colin McGourty offenbar auch nicht faul. Zwischenzeitlich hat chess24 einen Bericht, in dem der deutsche Sieg gegen die Schweiz als "unglaublich" (defied belief) bezeichnet wird.]

Mittwoch, 04 November 2015 20:19

Ein Stapel nicht gespielte Opfer auf e6

Wieder mal ein Beitrag mit Leitmotiv "(kuriose) Multiplizität der Ereignisse" - wobei es diesmal nie tatsächlich passierte. Das Titeldiagramm kam so nicht aufs Brett und auch danach opferte Weiss konsequent nicht auf e6. Es ging im 11., 13.-15., 20. und 29. Zug - mit unterschiedlichen Motiven und Konsequenzen. Mitunter begebe ich mich auf ein recht niedriges Niveau, nämlich mein eigenes, heute gehe ich noch ca. 350 Elopunkte weiter runter. Die Partie wurde an Brett 6 unseres letzten Mannschaftskampfes gespielt; die beteiligten Spieler haben einiges gesehen und einiges nicht. Ich habe da leicht reden da ich Computer befragte - anders sehe auch ich nicht (jedenfalls nicht auf Anhieb bei knapper Zeit) was alles hinter den Kulissen blieb.

Genug der Vorrede. Weiss war nominell klar besser, aber Schwarz (mein Teamkollege) gewann - insgesamt verdient da er über weite Strecken der Partie besser stand.

Gerco Stapel (Aartswoud 3, Elo 1734) - Co van Heerwaarden (En Passant, Elo 1476) 0-1

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 a6 5.Sc3 e6 6.Le3 Sf6 7.Lc4 Die Eröffnung lasse ich mal unkommentiert - keine Hauptvariante, aber sie sind halt keine Grossmeister. 7.-Dc7 8.Lb3 b5 9.a3 Lb7 10.f3 Le7?!

Stapel van Heerwaarden move 11

 

 

 

 

 

 

 

Vorsichtiger war zunächst 10.-Sc6 (dann geht wenn nötig -Sxd4) oder 10.-Sbd7 nebst -Sc5; -Le7 nebst Rochade kann man auch noch etwas verzögern. Denn nun ging 11.Lxe6!? fxe6 12.Sxe6 Dd7 13.Sxg7+ und wir haben das Titeldiagramm. Computer haben hier lieber Weiss - auf dem Niveau dieser Spieler gilt vielleicht: wenn Schwarz so etwas gerne spielt, kann er das Opfer durchaus erlauben. Weiss spielte stattdessen 11.0-0 0-0 12.Dd2 Td8!? Das ist Mädchenschach, die letzte Datenbank-Partie stammt aus der panamerikanischen Meisterschaft U18 Girls anno 2001. Co van Heerwarden kannte diese Partie nicht und meinte zu 12.-Td8 "so spiele ich immer" - aber es erlaubte mal wieder ein Opfer auf e6:

Stapel van Heerwaarden move 12

 

 

 

 

 

 

 

13.Lxe6!? fxe6 14.Sxe6 Dd7 15.Sxd8 Dxd8 - wie ist das einzuschätzen? Ich bin mir nicht sicher, mit welcher Farbe ich lieber spielen würde - Tendenz am Vereinsabend war "Weiss steht etwas besser", das sehen Houdini und Stockfish auch so. Partie: 13.Df2 Sbd7 14.Tac1?! Eine "Neuerung", die Gerco Stapel im Nachhinein nicht gefiel. Ausflug nach Guaymallen in Argentinien: In der Stammpartie Maciel Etienne - Ramos geschah 14.Dg3 Sh5? 15.Dh3 Shf6

Maciel Ramos

 

 

 

 

 

 

 

und hier liess Weiss sich nicht lumpen: 16.Sxe6! fxe6 17.Dxe6+ Kh8 18.Tad1??! (18.Dxe7 mit klarem Vorteil ging, die weisse Dame kommt zurück ins Spiel. Zugegeben, 18.-Te8 19.Df7 Te5!? 20.La2! Tf8 21.Db3 ist etwas krumm, aber ganz gratis bekommt man/frau zwei Mehrbauern nun auch wieder nicht.) So gewann später Schwarz - die Partie und letztendlich das Duell gegen den letzten Platz im Turnier. Daniela Ramos aus Paraguay wurde 18., Erline Maciel Etienne aus Costa Rica 19. - nur Freilos landete noch hinter den beiden, musste allerdings (unfair) alle Partien mit Schwarz spielen. Bekannteste Teilnehmerin wurde übrigens Lorena Zepeda aus El Salvador - nicht weil sie im Turnier 50% erzielte, sondern weil sie später Loek van Wely heiratete. Zurück in die Provinz Noord-Holland, Aartswoud liegt da mittendrin.

14.-Tac8 und nun tauchte Weiss 20-30 Minuten ab. Er dachte vielleicht "warum habe ich eigentlich Tac1 gespielt?" - das sagte ich am Vereinsabend und ein anderer Clubkollege meinte "ja, derlei passiert mir auch ab und zu". Ein Computervorschlag (jedenfalls bei niedriger Suchtiefe) ist 15.Tcd1!? - aber das (einen Fehler sofort zugeben und korrigieren) machen nur ziemlich starke oder ziemlich schwache Spieler? 15.Lxe6 ging immer noch, stattdessen kam 15.Sce2?! Sc5 Computer wollen sofort 15.-d5 spielen 16.La2 d5 17.exd5 Eine Computeridee ist 17.e5!? Dxe5 18.Lf4 Dh5 19.Sg3 Dh4 - schwarze Dame auf Abwegen, aber so recht glauben sie selbst auch nicht an weisse Kompensation. 17.-Sxd5 18.b4 Sxe3 musste nicht unbedingt sein 19.Dxe3 Sd7

Stapel van Heerwaarden move 19

 

 

 

 

 

 

 

Und nun wollen Engines 20.Lxe6!? spielen - Weiss steht etwas schlechter, also Remis forcieren nach 20.-fxe6 21.Dxe6+ Kf8 22.Df5+ Kg8 23.De6+ usw. (22.-Ke8 ist zumindest unklar nach 23.Se6 oder eventuell auch 23.Dxh7). Dabei geben sie Schwarz nach 20.-Ld6!? oder 20.-Te8!? trotz Minusbauer leichten Vorteil, da Weiss nun mit 21.Lxd7 auch den zweiten Läufer abtauschen muss. Stattdessen geschah 20.c4 (aktiviert immerhin den Tc1) 20.-bxc4 21.Txc4 Db6 22.Tfc1 Txc4 23.Lxc4 Sf6(?) - besser 23.-Lf6 oder 23.-Ld6 denn:

Stapel van Heerwaarden move 23

 

 

 

 

 

 

 

Nun ausnahmsweise kein Opfer auf e6, sondern 24.Sf5!? Dxe3 25.Sxe3 mit Ausgleich. Dazu musste Weiss sich gegebenenfalls durchringen - jedenfalls wenn er wusste, dass er klarer Elofavorit war. 24.Df2 - auch das entfesselt den Springer, aber das schwarze Läuferpaar bleibt gefährlich. 24.-Sd5 24.-a5! um den Le7 zu aktivieren. 25.Lb3? h6? [Besser war 25.-Lg5! 26.f4 Sxf4! 27.Sxf4 Dxd4 28.Dxd4 Txd4 29.Tc7 Lxf4 30.Txb7 Td3 - das musste man alles sehen, und auch dass auf der Grundreihe vorläufig nichts droht] 26.Kf1? [Hier ging 26.Sc6! Lxc6 27.Dxb6 Sxb6 28.Txc6 Td6 29.Txd6 Lxd6 und das ist nun wirklich remis] 26.-Lg5! 27.Tc5 Le7? [Der Tc5 gefiel Schwarz nicht, aber nun konnte er den Spiess umdrehen und selbst via Feld e3 klaren Vorteil bekommen: 27.-Le3! was in allen Varianten Material gewinnt, z.B. 28.Dh4 Sf6 29.Lc2 (29.Tc4 Ld5 30.Tc3 Lxb3 31.Txe3 Lc4) 29.-e5 30.Sf5 Lxc5 31.bxc5 Dxc5 32.Sxh6+ gxh6 33.Dxh6 Dd6. Und selbst wenn man nicht schnell Material gewinnt, steht der Läufer auf e3 einfach gut.] 28.Tc1 Sf4?

Stapel van Heerwaarden move 28

 

 

 

 

 

 

 

Und hier ging, zur Abwechslung, 29.Sxe6! Dxf2+ 30.Kxf2 Sxe6 31.Lxe6 fxe6 32.Tc7 mit Rückgewinn der Figur und Mehrbauer. Allerdings kam 29.Sxf4 Txd4 30.Sd3?! (30.Se2 Td6 31.Dxb6 Txb6 mit Ausgleich) 30.-Lf6 [besser war 30.-Dd8 31.Se5 a5 32.bxa5?! Lxa3 33.Ta1 Lc5 das Idealfeld für den Läufer 34.a6 Lxa6+ 35.Txa6 Td1+ 36.Lxd1 Lxf2] 31.Sc5 La8 32.Dg3 a5! endlich! 33.bxa5 Db5+ (laut Engines genauer als das ebenfalls gute 33.-Dxa5) 34.Kg1 Td8 35.a6? Db6? [35.-Ld4+ 36.Kh1 Lxc5 war besser - ab hier wird es öfters recht suboptimal] 36.Kh1 Le7 37.De5 Ld5 38.Sb7 Lxb7 39.axb7 Dxb7? [genauer war 39.-Dxb3 - da dann auch 40.-Td1+ droht kann man den b-Bauern auch im nächsten Zug verhaften] 40.La2 Ld6 41.De3 Db2 42.Lb1 Lxa3 43.Te1 Td2 44.De4 g6 [44.-Txg2 war gut - Schwarz muss weder 45.Dh7+ Kf8 46.Dh8+ Ke7 fürchten noch 45.Da8+ Lf8] 45.Dh4 Kg7 46.Dg3 Lc5 47.Tf1 Ld6 48.Dg4 De5 [besser 48.-Db5 oder 48.-h5 49.Dg5 Dd4, jeweils mit Mattangriff - ich verzichte mal auf nähere Varianten] 49.f4 Db5 50.Df3 Lc5 51.Te1 Tf2 52.Dc3+ Kh7 53.Ld3 Lb4? denn das Endspiel ist für Schwarz nicht unbedingt gewonnen 54.Lxb5 [54.Dc7 De8 ist für Weiss auch einigermassen OK] 54.-Lxc3 55.Td1? Txf4 Jetzt ist das Endspiel für Schwarz gewonnen, der Schluss war noch nett: 56.g3 Tf2 57.Lc6 Kg7 58.Kg1 Tc2 59.Le8 Kf8 60.Lb5 Ke7 61.Td7+ Kf6 62.Kh1 Lb4 63.Td1 Tf2 64.Td3 Lc5 65.Td7 Kg5 66.Lc4 Kg4 67.La6 Kh3

Stapel van Heerwaarden move 67

 

 

 

 

 

 

 

0-1

Falls der Eindruck entstand, dass ich mich über die Spieler lustig mache - dem ist nicht so. Aber ich finde es faszinierend, was in der Partie alles ging - hier gibt es sie komplett zum Durchklicken.

 

 

Donnerstag, 29 Oktober 2015 22:02

Endspiele aus Skopje

Ich habe den Europacup aus dem eigenen Wohnzimmer via Internet verfolgt - im Gegensatz zu Olaf Steffens und noch einer Reihe Spielern mit oder auch ohne Schachtitel, die vor Ort am Brett sassen. Heute kommt eine kleine Nachlese - wiederum vielleicht unterhaltsam, vielleicht lehrreich, vielleicht beides, vielleicht auch nicht. Es geht um Endspiele, nicht nur aber weitgehend die Tablebase-Zone (bzw. diese wird erreicht, wenn die Spieler richtig fortsetzen). Vorab definiere ich meine Zeichensetzung: Zwei Fragezeichen gibt es für Fehler aus der Rubrik "das sollte ein Grossmeister doch wissen" - kann allerdings sein, dass ich zuviel Respekt vor GMs habe und ihnen daher im positiven Sinne zuviel zutraue. Drei(!) Fragezeichen gibt es, wenn womöglich selbst ich besser gespielt hätte. Ein Fragezeichen gibt es, wenn es halt objektiv ein Fehler war.

Ich weiss nicht, ob Olaf Steffens nochmal was schreibt ... . Für diejenigen, die sich nicht anderswo informieren - z.B. chess-results oder Schachticker: Werder Bremen verlor knapp gegen die schwedischen Wikinger, bekam dann ein Hammerlos - Oslo (ja, das liegt in Norwegen) angeführt von Jon Ludvig - und verlor diesmal nicht so knapp.

Norwegen wird auch in diesem Beitrag eine Rolle spielen, aber ich beginne bei mir um die Ecke mit der Partie IM Sprenger (in Diensten von LSG Leiden) - GM Matlakov (für Mednyi Vsadnik aus St. Petersburg). Jan Michael Sprenger ist womöglich, wie ich, ein Deutscher mit Lebensmittelpunkt in den Niederlanden - zumindest spielt er hier regelmässig (auch ab und zu ein Open), und in Deutschland spielte er zuletzt 2012/2013 eine Partie in der Zweiten Bundesliga West. In der Partie hatte der fast-2700 GM zuvor ein Turmendspiel so lange geknetet, bis er tatsächlich auf Gewinn stand:

Sprenger Matlakov 1

 

 

 

 

 

 

 

Nun spielte er 83.-Te6 84.Ta8 Kxg4 - nicht falsch, das ist immerhin eine Tablebase-Gewinnstellung. Schöner, einfacher und/oder "sicherer" war allerdings vielleicht 83.-Tb2+ 84.Ke1 Kf3 nebst Durchmarsch des e-Bauern (85.Ta6 f5 - muss nicht unbedingt sein, aber dann hat Weiss keine Schachs von hinten). Danach folgte 85.Ke3 Kf5 86.Th8 Ke5?! (verdirbt noch nichts, aber ...) 87.Ta8 f5?? (nur wieder 87.-Kf5 gewinnt):

Sprenger Matlakov 2

 

 

 

 

 

 

 

Das ist nun eine Tablebase-Remisstellung! Weiss spielte richtig 88.Ta5+ Kf6 und nun falsch 89.Kf4? (nur ein Fragezeichen, denn Sprenger ist kein GM) - nach 89.Ta2 oder 89.Ta1 kann er die schwarzen Freibauern stabil blockieren. Es folgte noch 89.-e3 90.Ta1 (90.Txf5+ Ke7 und die weissen Figuren behindern sich gegenseitig, also läuft der e-Bauer durch) 90.-e2 91.Te1 Te4+ 92.Kg3 Ke5 93.Kf3 Kd4 0-1 - Weiss erreicht bestenfalls ein verlorenes Bauernendspiel. Das fand ich über die Homepage der LSG Leiden. Jan Michael Sprenger selbst vergleicht den gesamten Wettkampf mit Ajax Amsterdam oder PSV Eindhoven gegen ein Topteam der Champions League und schreibt zu seiner Partie (die er auch komplett analysiert): "In der Nachspielzeit, nachdem ich bereits auf Verlust stand, bekam ich noch eine Chance. Mein Gegner spielte ungeschickt und erlaubte eine Blockadestellung. Plötzlich stehst Du frei im Strafraum und kannst den Ausgleich erzielen. Ich machte jedoch einen impulsiven Zug (89.Kf4) und jagte den Ball auf die Tribüne. ... Es war einer von neun Tagen, an denen der Favorit halt gewinnt."

Das zweite Fragment ist nur was die Elozahlen betrifft auf hohem Niveau: GM Hracek (2613) - GM Yu Yangyi (2721). Hracek spielte für das tschechische Novy Bor, Yu Yangyi nicht etwa für ein chinesisches Team das sich nach Europa verirrt hat sondern für Alkaloid aus Mazedonien. In einem Sizilianer opferte Weiss einen Bauern, um Schwarz einen doppelten f-Bauern zu verpassen. Den vermutlich erhofften Königsangriff bekam er nicht, aber die Stellung war etwa oder fast ausgeglichen - bis zu diesem Diagramm:

Hracek Yu Yangyi 1

 

 

 

 

 

 

 

57.Txa3? (ich gebe mal ein Fragezeichen) musste nicht sein, der a-Bauer ist unter weisser Kontrolle. 57.-De6+! 58.g4 (58.Kg2 Tc2+ nebst 59.-De2 nebst Matt oder Materialverlust) 58.-Kg7! (richtig) 59.Dd2 Th8+? (falsch, 59.-De5! 60.Tg3 De4! 61.Te3 Dh7+! 62.Kg3 Tc2! - nur so, die Ausrufezeichen beziehen sich darauf, dass es jeweils der einzige Gewinnzug ist). Nun bekam Schwarz nach 60.Kg2 De4+ 61.Tf3 Txh2+ 62.Kxh2 Dxf3 nur einen "symbolischen" Mehrbauern. Das nächste Diagramm setze ich nach 69.K(f3-)g3???

Hracek Yu Yangyi 2

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz am Zug gewinnt mit 69.-Kg7 (oder auch 69.-Kh7) 70.Kf3 (nach 70.Dxe5, was die schwarzen Bauern entdoppelt, ist das Bauernendspiel auch verloren) 70.-Dxf4+ (jetzt!) 71.Kxf4 Kg6 72.Kf3 Kg5 73.Kg3 f5 74.gxf5 Kxf5 75.Kf3

Hracek Yu Yangyi Analyse

 

 

 

 

 

 

 

75.-f6! Für wenig fortgeschrittene Leser (die haben wir vielleicht auch): derlei Bauernendspiele sind gewonnnen, wenn der König ein Feld zwei Reihen vor seinem Freibauern erreicht (hier e5, f5 oder g5). Das alles kam nicht, sondern 69.-Dd5??? 70.De3??? Dd6+??? (70.-De5+ siehe oben) 71.Df4 Dd5 (hier kann Schwarz nicht siegreich ein Tempo verlieren) 72.De3??? Dg5???. Um neben GMs auch Engines zu kritisieren: Stockfish und Komodo sehen, im Gegensatz zu Houdini, nicht dass 70./72.-De5+ glatt gewinnt!? Weiter geschah 73.Df4 f5!? 74.Dd6+? Kh7 75.Dd7 Dxg4+ usw. - zu Yu Yangyis Ehrenrettung sei gesagt, dass er am Ende doch noch in ein gewonnenes Bauernendspiel abwickelte:

Hracek Yu Yangyi 3

 

 

 

 

 

 

 

Egal, wie Weiss auf 84.-f3+ reagiert, Schwarz kann die Damen tauschen und gewinnt mit dem anderen f-Bauern. Sicher war die Bedenkzeit beiderseits knapp, aber ich kann mir das nur so erklären: reine Nervensache - beim Stand von 2,5-2,5 ging es um viel und beide Teams wollten eine Medaille (schafften es am Ende dann nicht).

Das letzte Beispiel ist kompliziert, ich behaupte nicht dass ich es komplett verstehe und kratze nur etwas an der Oberfläche. Es stammt aus einem Match zweier Talententeams: IM Sagafos (Elo 2393) hatte Weiss gegen GM Mamedov (2590). Das ist Nidjat Mamedov, der etwas bessere und bekanntere Rauf durfte ab und zu für die SOCAR-Startruppe mitspielen. Nidjat spielte für Odlar Yurdu, laut Spitzenbrett Emil Sutovsky ein "Projekt, um junge Azeris auf die Olympiade 2016 vorzubereiten" [das sagte er auf Anfrage 2013, ich nehme an es stimmt immer noch]. Das norwegische Vaalerenga hatte mit dem russischen Trainer GM Romanov auch ein erfahrenes Spitzenbrett, und dahinter junge IMs und FMs - die Spieler von Odlar Yurdu sind immerhin bereits GMs und waren daher favorisiert. Vaalerenga hatte tags zuvor überraschend das russische Belorechensk besiegt, nun verloren sie am Ende 2,5-3,5 aber eine weitere halbe Überraschung war drin.

Sagafos Mamedov 1

 

 

 

 

 

 

 

So stand es nach 48.h4 - auch hier hat Schwarz einen doppelten f-Bauern und daher quasi einen Bauern weniger. Kann Weiss gewinnen? Fragt mich was leichteres! Mamedov spielte 48.-Kc5?! 49.Kf5 Kc4 50.Kxf6 Kxc3 (materiell steht es nun gleich, aber der schwarze König steht schlecht) 51.Sf5 Kd3

Sagafos Mamedov 2

 

 

 

 

 

 

 

Was nun? 52.Kxf7? war falsch - ich kann den weissen Gewinnplan nur grob andeuten (natürlich brauche ich dafür Engines): Der König muss den schwarzen König abblocken, der Springer muss Bauern erobern. Idealerweise bekommt Weiss einen freien h-Bauern, der ist (neben dem a-Bauern) der grösste Feind des Springers. Eine von mehreren Computervarianten lautet 52.h5 Ke4 53.Sd6+ Kf4 54.g5 Se2 55.h6 Sg3 56.Sxf7 Sh5+ 57.Ke6 Ke4 58.Sd6+ usw. (bloss nicht 58.g6?? Sf4+). In der Partie folgte 52.-Ke4 53.Sh6 Kf4 54.Kg7 Kg3 55.h5

Sagafos Mamedov 3

 

 

 

 

 

 

 

Und nun? Höchste Zeit, den Springer zurückzuholen (55.-Se2 oder 55.-Sd3), aber Schwarz spielte 55.-Kh4? und Weiss bekam den nächsten Freistoss aus aussichtsreicher Position: 56.Kxh7 Sd3 (zu spät, "eigentlich")

Sagafos Mamedov 4

 

 

 

 

 

 

 

Wir haben eine Tablebase-Stellung, also können wir die Wahrheit erfragen: Einzig richtig ist 57.Sf7!, z.B. 57.-Kxg4 58.h6 Sf4 59.Kg7 Sh5+ 60.Kg6 Sf4+ 61.Kf6 Sh5+ 62.Ke5 Sf4 63.h7 - Zugzwang, z.B. 63.-Sg6+ 64.Kf6 oder 63.-Kf3 64.Kf5. In der Partie folgte 57.Kg7? Sf4 58.Sf5+ Kxg4 59.h6 Kxf5 60.h7 Sg6 61.h8D Sxh8 1/2.

Wie erging es den beteiligten Teams am Ende? Mednyi Vsadnik bekam Bronze. Novy Bor und Alkaloid verloren jeweils gegen Spitzen-Spitzenteams und wurden daher zum Schluss Fünfter und Sechster. Für Odlar Yurdu waren die Spitzenteams auch noch eine Nummer zu gross, am Ende Platz 13. Leiden und Vaalerenga spielten in der letzten Runde gegeneinander. Leiden gewann glatt und für sie war Platz 9 ein grosser Erfolg, Vaalerenga landete auf Platz 17.

Irgendwie ist dieser Beitrag unvollständig, es fehlt noch ein Läuferendspiel, aber ich mache hier Schluss.

Freitag, 16 Oktober 2015 21:57

Aller Dinge waren drei auf der Isle of Man

Alternativ hatte ich als Titel auch "Mann-oh-Mann auf der Isle of Man" erwogen - geht nicht, eine Dame war mit beteiligt. Dieser Beitrag kommt etwas verspätet und ist daher nicht mehr top-aktuell - zwischendurch gab es (für mich) eine Dienstreise nach Korsika und (für viele Schachspieler aus Deutschland und anderswo) ein zwei Turniere in Berlin. Thema sind drei Partien aus Runde 6 beim Pokerstars Isle of Man International - nicht komplett, jeweils vor allem ein (nicht) entscheidender Moment in der Partie. Dreimal spielten GMs gegen Nicht-GMs, dreimal wurde es am Ende remis, dreimal waren Deutsche beteiligt. 1,5/3 war vor den Partien ein schönes deutsches Gesamtergebnis - die Grossmeister heissen Daniel Fridman, Jan Timman und Alon Greenfeld, die Nicht-GMs sind IM Justin Tan aus dem fernen Australien, IM/WGM Elisabeth Paehtz und FM Thorben Koop. Aber da war aus deutscher Sicht mehr drin, mindestens 2,5/3. Ich behaupte mal, dass dieser Beitrag angesichts der verpassten taktischen Wendungen zwar verspätet, aber auch zeitlos ist. Ein Diagramm zeige ich gleich dreimal - zuerst kommentarlos, dann mit ein paar Tips, dann mit der bzw. den Auflösungen (da gab es allerdings nur zwei, allerdings eine mit späterer Nebenlösung, wenn man so will also doch drei). Los geht's:

Fridman Tan

 

 

 

 

 

 

 

Fridman-Tan nach 35.-De5 - Weiss am Zug, was tun? Mehr verrate ich (noch) nicht, und auch die zweite Schlüsselstellung gibt es zunächst kommentarlos:

Koop Greenfeld

 

 

 

 

 

 

 

Koop-Greenfeld nach 37.-Le7 - Weiss am Zug, was tun?

Im Sinne von "genug Platz zwischen Diagramm und Auflösung" kommt nun Lady last aber doch first, denn die Partie Paehtz-Timman bespreche ich nun komplett, bzw. zwei Momente daraus. Nach 9.Dxd4 D(d5-)b5 10.De5 Dd7 stand es so:

Paehtz Timman move 11

 

 

 

 

 

 

 

Weiss hatte nichts einzuwenden gegen frühen Damentausch und eine leicht bessere Stellung, Schwarz war nicht einverstanden. Wenn man weiss, das nun was geht, findet man es wohl auch, daher verrate ich die nächsten Züge sofort: 11.Lh6! Sc6 12.Dg5 Tg8 13.Lxg7 (das geht!) 13.-Se4 14.Dh6 f5 15.Dh5+ Df7 16.Dxf7+ Kxf7 17.Le5 - Weiss hat einen recht gesunden Mehrbauern. Später stand es nach 24.-Tg8 so:

Paehtz Timman move 25

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz hat immerhin seine Figuren aktiviert und ein bisschen Kompensation. Andererseits: das ist noch kein Endspiel, sondern immer noch Mittelspiel - also steht sein König potentiell anfällig. Nach 25.h4 steht Weiss immer noch besser - nicht unbedingt gewonnen, aber besser. Dann geht 25.-Txb2?! nicht, jedenfalls nicht wirklich: 26.Tab1 Txb1 (alternativ und schlechter 26.-Tb3 27.Txb3 Lxb3 28.Td7+) 27.Txb1 - und Weiss bekommt wiederum jedenfalls einen Mehrbauern. Die Idee von Paehtzs 25.Lxc6?! verstehe ich gar nicht - kann an mir liegen, ich bin Patzer und grosser Freund des Läuferpaars, aber Houdini kritisiert diesen Zug auch. Vielleicht hat sie sich verzählt: 25.-bxc6 26.Ld2 Txb2 27.Lxa5 (27.Tab1 Tgb8!) 27.-Txe2 und das wurde remis.

Insgesamt erzielte Timman übrigens 2,5/4 gegen Deutschland: Siege gegen die IMs Martin Zumsande und Jonas Lampert, Null gegen FM Thorben Koop.

Nun nochmals das erste Diagramm und dazu ein paar Tips:

Fridman Tan

 

 

 

 

 

 

 

36.Lf5 würde fast unparierbar Matt drohen, bis auf die siegreiche Verteidigung 36.-Txg6 - kann man den schwarzen Turm von d6 entfernen? Zweiter Tip: Wie ist die Stellung zu beurteilen, wenn fast alle Figuren vom Brett verschwinden, bis auf einen schwarzen Turm und einen weissen Läufer auf g6? Wieder darf der Leser grübeln, und ich bespreche zwischendurch FM Koop - GM Greenfeld. Greenfeld spielte, na was schon, Grünfeld, aber schon mit seinem seltenen (1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 4.Lf4 Lg7 5.e3 0-0 6.Sf3) 6.-Le6 entstand fast theoretisches Neuland. Aus der Eröffnung heraus stand Koop bereits gewonnen, konnte den Sack aber nicht zumachen und musste die Partie im Endspiel noch einmal gewinnen - das schaffte er ... fast, hier nochmals das obige Diagramm:

Koop Greenfeld

 

 

 

 

 

 

 

Nun gewinnt 38.Tc8+! Kd7 39.c6+! Kxc8 40.Lxa7 glatt - Engines sagen bereits "Matt in 15 Zügen". Stattdessen geschah 38.Te8 (kein Fragezeichen, Weiss steht immer noch gewonnen) 38.-exf4 39.Lxf4? - 39.Tc8+ usw. war immer noch gewonnen, auch wenn es nun bis zum Matt etwas länger dauert, 39.Ld4/f2/g1 und danach Tc8+ reichte ebenfalls (oder nach 39.-Txa6 40.Txe7). In der Partie geschah noch 39.-Txa6 40.Txe7 Ta4+ 41.Kd3 Txf4 42.Txh7 remis. Und nun Fridman-Tan die dritte:

Fridman Tan

 

 

 

 

 

 

 

Fridman spielte 36.Tb1 - das war es nicht und die Partie verflachte zum Remis. Ein Fragezeichen ist womöglich zu streng, da die Computer-Gewinnvarianten zumindest etwas unmenschlich sind - Weiss kann und muss ein bis zwei Türme opfern, und der Gegner kann diese mit Schach schlagen! Richtig war 1) 36.Td3!!? Dxa1+ 37.Kg2 Txd3 38.Lf5 Tg3+! (nur so kann Schwarz Matt verhindern) 39.Dxg3! (39.fxg3 oder 39.Kxg3 wird Dauerschach) 39.-Df6 40.Dg6 Dxg6 41.Lxg6 - nun hat Schwarz eine Qualität mehr, aber einen König weniger im Spiel, und auf sich alleine gestellt kann der Turm die weissen Freibauern nicht aufhalten. Oder auch 2) 36.Td1!!? Txd1+ 37.Kg2 T1d6 und nun "thematisch" 38.Td3 (Turm fesselt Turm!?) 38.-Txd3 39.Lf5 Dxf5 (muss sein) 40.exf5 usw., z.B. 40.-T3d5 (verhindert jedenfalls 41.f6 nebst Matt auf g7 oder h6) 41.De6 Kh7 42.Dxd5 Txd5 43.f8D. Oder auch 38.f4 Db2+ 39.Kh3 Td3 (es drohte 40.e5 nebst 41.Dxg7 matt) 40.f8D+ (oder auch 40.f8T+) 40.-Txf8 41.Txd3. Hier muss Weiss noch ein bisschen aufpassen, dass Schwarz nicht mit Dauerschach entwischt.

Noch ein paar Bemerkungen zum Turnier aus deutscher Sicht: Martin Zumsande durfte in derselben sechsten Runde an Brett 1 gegen Harikrishna spielen, die Niederlage war wohl einkalkuliert, gegen fünf andere GMs erzielte er 3,5/5 - Belohnung am Ende 21 Elopunkte und eine GM-Norm. Lampert, Paehtz und Koop nahmen auch ein paar Elopunkte mit auf die Heimreise, Koop ausserdem eine IM-Norm. Nur Fridman war sicher nicht zufrieden: er remisierte fast durchgehend, egal ob er gegen FMs, IMs oder einen einzigen vergleichsweise schwachen GM (Gormally) spielte. Direkt danach bei der Blitz-WM waren Remisen gegen Tomashevsky, Morozevich, Korobov und Leko durchaus akzeptabel ... . Dann war da noch der Neu-Azeri Arkadij Naiditsch, der fünf Partien gewann, allerdings gegen Harikrishna und Fressinet verlor und mit 6/9 geteilt Sechster wurde. Und noch ein paar deutsche Spieler mit am Ende 50% oder weniger.

 

Donnerstag, 13 August 2015 18:53

Buntes Treiben in Riga

Es juckt mich schon wieder in der Tastatur, denn in der vierten Runde des Riga Technical University Opens geschah jede Menge - wieder mal aus der Rubrik unterhaltsam und/oder lehrreich. Das Titelbild zeigt das noch nicht, aber später sassen dann Spieler aus aller Herren Länder auf den hier noch leeren Stühlen. Bevor ich zur Sache komme, ein kleiner Exkurs: Kollege Olaf Steffens hat vor kurzem dem deutsch-lettischen Neu-Aserbaidschaner Arkadij Naiditsch einen Artikel gewidmet. Eine Quelle kannte er da vielleicht noch nicht, ein ausführliches Naiditsch-Interview von Hartmut Metz für Schach-Magazin 64. Grund genug für mich, dieses Heft käuflich zu erwerben, aber wegen Urheberrecht undsoweiter und weil es nur peripher zum heutigen Bericht passt bringe ich nur zwei Perlen aus diesem Interview. AN: "Ich kann es zum Beispiel nicht verstehen, warum wir als grösster europäischer Schachverband keine Turniere organisieren. Lediglich dank der Privatinitiative von Wolfgang Grenke in Baden-Baden und durch die Sparkasse in Dortmund bestehen zwei Gelegenheiten pro Jahr. Die kleinsten Republiken organisieren Topwettbewerbe, nur wir nicht ... ." Mal abgesehen von dem Detail, dass (auch) der Schachbund Dortmund sponsort, welche kleinsten Republiken meint er?? Vielleicht Lettland, da tut sich seit der Rückkehr von Alexei Schirow einiges - dank Herrn Schirow, der vielleicht mitunter der Doppelrolle als Spieler und Organisator Tribut zollen musste. Dafür bekommt er von mir, nicht zum ersten Mal, ein Foto (Quelle ebenfalls Turnierseite):

Schirov2

 

 

 

 

 

 

 

 

Dann hatte Naiditsch noch kollegiales Lob für Daniel Fridman: Er arbeite nicht an seinem Schach, sondern "spielt nonstop irgendwelche kleinen Turniere". Es hat sicher seine Gründe, warum Fridman (wie übrigens auch Naiditsch) gelegentlich in Lettland spielt. Es hatte wohl auch seine Gründe, warum er mehrfach das wirklich kleine Oster-Open in Oberhausen spielte. Davon abgesehen und generell ist er nun einmal Schachprofi und im Gegensatz zu Naiditsch auch Familienvater.

Und nun Schach - mit unter anderem Daniel Fridman, aber vor allem jungen russischen IMs. Bei der Fülle an Material kann ich das durchaus interessante GM-Duell Dragun-Schirov an Brett 1 (remis) glatt ignorieren und beginne mit Brett 2:

GM Fridman - IM Chigaev nach 28 Zügen

Fridman Chigaev move 28

 

 

 

 

 

 

 

Maksim Chigaev (*1996) hatte seinen Königsinder gerade mit 27.-h4 28.g4 g5 gewürzt, was tun aus weisser Sicht? Die (Computer-)Lösung verrate ich später, nur soviel: die Partiefortsetzung 29.Sxd7 Txe1 SCHACH 30.Dxe1 Sxd7 war nicht die beste Möglichkeit. Fridman stand im weiteren Partieverlauf dennoch mitunter besser, so stand es dann nach 41.-Ld4:

Fridman Chigaev move 41

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz verschaffte sich zwischenzeitlich einen Freibauern auf der a-Linie (noch nicht aber latent-potentiell) und steht nun nicht mehr schlechter. Weiss musste sich auf 42.Sxd4 cxd4 43.Kg1! d3 44.Df6! einlassen, und das geht (Computerurteil 0.00). Zeitkontrolle gibt es in Riga keine, bzw. nur eine für die gesamte Partie (90 Minuten plus 30 Sekunden Inkrement pro Zug). Fridman investierte hier 8 1/2 Minuten und entkorkte 42.Sh6+?!? Kh7 43.Dxf7+ Kh6 44.h4 und verlor kurzzügig, da Schwarz neben einer Mehrfigur auch (eigenen) Königsangriff hatte. Was er übersehen oder falsch gesehen hatte, da bin ich überfragt.

Auch Brett 3 stand unter dem Motto GM gegen Jung-IM:

GM Melkumyan - IM Lugovskoy nach 18.Sdf3

Melkumyan Lugovskoy

 

 

 

 

 

 

 

Abwechslung muss sein, Lugovskoys Vorname ist nicht etwa Maksim sondern Maxim. Aber man sollte es auch nicht übertreiben, auch er ist Baujahr 1996. Wie dem auch sei, der armenische GM hatte mutig bis übermütig geopfert, immerhin hat Schwarz noch nicht rochiert. Das konnte er nun tun, und wo ist dann die weisse Kompensation? Stattdessen eroberte er mit 18.-Txe5?! 19.Sxe5 Dxe5 noch mehr Material, und Weiss steuerte mit 20.Dc8+ Ld8 21.Tfd1 Ke7 (nach 21. - 0-0 nicht etwa 22.Txd8? sondern 22.Dxd8!) usw. sein schwankendes Schiff in den Remishafen.

An Brett 4 stand es zwischen den GMs Kovalev und Socko nach 63 Zügen so:

Kovalev Socko

 

 

 

 

 

 

 

Computer rufen "Weiss gewinnt!", aber wie genau?? Diese Partie endete jedenfalls später remis - wenn ein Grossmeister den Gewinnweg nicht findet, dann finde ich ihn auch nicht. Erinnerungen werden wach an das Halbfinale des letzten Weltcups, damals konnte Herr K(ramnik) eine etwa vergleichbare Stellung auch nicht gewinnen.

Brett 5 überspringe ich, an Brett 6 spielte wieder ein russischer IM gegen einen GM:

IM Usmanov - GM Bartel vor 54.-Ld8?

Usmanov Bartel

 

 

 

 

 

 

 

Auch Vasily Usmanov ist Baujahr 1996, nach 54.-Ld8? 55.Td6+ Kc7 (55.-Ke8 ist offenbar nicht besser) 56.f6 usw. gewann er den schwarzen Läufer und kurz danach die Partie - diese Version Endspiel mit Mehrfigur ist relativ einfach. Warum genau z.B. 54.-Lb6 viel besser war, darf der Leser erforschen.

Wieder überspringe ich zwei Bretter und komme zum chaotischen Höhepunkt der Runde:

IM Kozionov - GM Neiksans nach 15.-Dd8??!

Kozionov Neiksans

 

 

 

 

 

 

 

Die Dame kam von c7, kostet das nicht eine Figur?? Ja schon, wobei der lettische GM sich etwas dabei gedacht hat - und am Ende funktionierte es, auch wenn es objektiv gesehen Quatsch war. Lawrence Trent (für seine diversen Rollen inklusiv der neuesten siehe sein Twitter-account) tweetete hier: "If it's too good to be true, it normally is. White to play and win!" [Wenn es zu gut ist um wahr zu sein, dann ist dem so. Weiss am Zug gewinnt!]. Kozionov spielte 16.Sxh5 (warum auch nicht?) Dxh4 17.b4!? (halb-richtig) Lxb4 18.Sf4 (falsch!). Auch hier verrate ich die Lösung erst später. Nach 18.-Lc5 usw. war die Stellung (jedenfalls in einer praktischen Partie) "unklar", und nach 24.-Ld4 stand es so:

Kozionov Neiksans move 24

 

 

 

 

 

 

 

25.Sxe5? Lxe5 26.Dc1 Dh4 27.f4 gxf3 28.Tfxf3 Thg8 29.De1 Th5 30.Dg1 Txg3 0-1 ! Im Nachhinein war 15.-Dd8 ein zum Sieg führender grober Fehler. Kirill Kozionov ist übrigens Jahrgang 1998.

Einen habe ich noch - Brett 15 ganz unten in der Liveübertragung:

Bernotas - GM Ankit nach 26.-Txh4

Bernotas Ankit

 

 

 

 

 

 

 

Chaos pur - dabei zeigte sich, dass man seinen König besser hinter gegnerischen als hinter eigenen Bauern verstecken kann. Auch vor 27.Sd2?! exd2 SCHACH stand Weiss hoffnungslos verloren. Bernotas ist titellos, Lette und relativ alt (*1995), nur etwa ein Jahr jünger als sein indischer Gegner.

Die Lösungen: Fridman musste 29.Tee2 spielen, dann droht alles mögliche und Schwarz kann sich nicht mehr mit -Txe1+ entlasten. Wieder mal ein Motiv aus der Rubrik "entweder man sieht es, oder man sieht es nicht"? Kozionov konnte mit 17.Lxe5 dxe5 18.Dxg4 Dxg4 19.Sf6+ das schwarze Konzept widerlegen - das ging auch noch ab dem 18. Zug.

Freitag, 07 August 2015 11:26

Beerdsen spielt wie Carlsen

Ich hatte auch andere Titel erwogen, z.B. "Fragmente aus Vlissingen" (vom Hogeschool Zeeland Open im tiefen Südwesten der Niederlande) oder "Tücken der Turmendspiele" (auch auf hohem Niveau, FM gegen GM, und selbst auf Weltklasse-Niveau). Gängige Kost in offenen Turnieren ist, dass der nominell (viel) bessere Spieler mitunter keinen Vorteil erreicht, dann ein Endspiel endlos knetet und am Ende doch noch gewinnt. So auch im heutigen Beispiel, mit unterwegs einigen Irrungen und Wirrungen. Die Mischung macht es bei offenen Turnieren - mehr oder weniger bekannte Grossmeister dürfen/müssen gegen aufstrebende Jugendliche antreten. Einige Teilnehmer dieses Opens habe ich bereits persönlich gesprochen - neben den recht bekannten Loek van Wely und Baadur Jobava auch den nicht ganz so bekannten IM Jorden Van Foreest oder auch international unbekannte Jugendliche wie Thomas Beerdsen. Jobava ist heute nicht Schwerpunkt, er wird anderswo gewürdigt - "Jobava does his thing" ist Punkt 6 auf chess24 (jedenfalls vorläufig nur auf Englisch).

Ich sollte wohl zunächst die Protagonisten vorstellen und beginne mit dem indirekt Beteiligten: Magnus Carlsen ist Weltklassespieler mit gewissen Schwächen im Endspiel - hoppla, jetzt habe ich die Carlsen-Fanpolizei aufgeweckt. Gemeint ist z.B. seine Niederlage bei der Olympiade gegen Arkadij Naiditsch, die direkte Parallele zum heutigen Bericht ist natürlich eine Jugendsünde:

Aronian Carlsen move 73

 

 

 

 

 

 

So stand es in der Partie Aronian-Carlsen, Tal Memorial 2006 nach Aronians trickreichem 73.Td6. Carlsen spielte 73.-Ta7+? und gab nach 74.Ke8 auf. Nur 73.-Kg6 hätte remis gehalten, wie in Kommentaren auf chessgames.com erläutert. Moral der Geschichte: Nur weil das Spiel so heisst, muss man nicht unbedingt immer Schach geben (vergleiche unten). Inzwischen verliert Aronian gerne mal unnötig gegen Carlsen, aber das ist nicht Thema dieses Berichts.

Der bereits erwähnte Thomas Beerdsen ist Jahrgang 1998 und immerhin FM mit Elo 2317, ihn sprach ich Pfingsten 2014 beim Limburg-Open und zitiere aus meinem damaligen Bericht: "Halb im Jux fragte ich [Beerdsen], ob er Schachprofi werden will, und die Antwort war ein entschiedenes JA. Daneben stand der ein Jahr ältere Mischa Senders: “Du willst also in Armut leben?! Ich werde studieren und dann einen normalen Beruf ausüben …”. Gegen Ende des Berichts noch ein Zwischenton zu diesem Thema – ohnehin müssen sie sich ja noch nicht entscheiden." Der Zwischenton kam später von Jorden Van Foreest. Beerdsen spielte in der vorgestellten Partie wie Carlsen damals 2006, wird es weitere Parallelen geben??? Er hatte Schwarz gegen GM Jan Werle - mir vom Namen her ein Begriff, aber ehrlich gesagt war ich mir nicht sicher ob er noch aktiv ist. Zumindest ist er für mich allenfalls Jan Nummer 4 hinter (da will ich mich qua Reihenfolge nicht festlegen) Gustafsson, Timman und Smeets.

Ich steige erst spät in die Partie ein bzw. setze zu den ersten ca. 70 Zügen nur ein paar Diagramme:

Werle Beerdsen move 28

 

 

 

 

 

 

Nach 28 gepflegt-ruhigen Zügen (orthodoxes Damengambit) stand dieses Endspiel auf dem Brett - Schwarz hat einen Isolani auf d5, aber das sollte man doch halten können?

Werle Beerdsen move 50

 

 

 

 

 

 

Nach 50 Zügen - gerade wurden die Läufer abgetauscht.

Werle Beerdsen move 66

 

 

 

 

 

 

Nach 66 Zügen.

Werle Beerdsen move 72

 

 

 

 

 

 

Nach 72 Zügen - Weiss hat immerhin einen Mehrbauern, und nun steige ich ein ins Geschehen. Noch braucht man (nicht frei verfügbare) 7 Men Tablebases, um als Laie zu wissen was genau Sache ist. Nun folgte 72.-Tf1? (72.-Te1 und Weiss kann keine weiteren Fortschritte machen) 73.Ke4 Td1 74.Tb5 Kd6 75.Kf5 Tf1 76.Tb6+ Kxd5 77.Txf6

Werle Beerdsen move 77

 

 

 

 

 

 

Das ist nun ein Tablebase-gewonnenes Turmendspiel mit Mehrbauer - aber wenn Werle das souverän gewonnen hätte gäbe es diesen Bericht eher nicht. 77.-Kd4 78.Td6+ Ke3 79.Te6+ Kf3

Werle Beerdsen move 79

 

 

 

 

 

 

Und nun? Nur 80.Te4 gewinnt, Werle spielte 80.Ta6? und der schwarze König landete auf Umwegen da, wo er hin gehört: 80.-Kg3 81.Ta4 Kh4! 82.Kf6 Kh5 83.f5 Tb1 84.Te4 Tf1? (fast alle Turmzüge auf der b-Linie halten remis, ebenso 84.-Tc1 oder 84.-Ta1 - Schwarz braucht Platz für Turm-Seitenschachs) 85.Te5? (nur 85.Te8 oder 85.Te2 gewinnt - warum da bin ich auf die Schnelle überfragt) 85.-Tb1 (schnell zurück!) 86.Kf7 Tb7+ 87.Te7 Tb6 88.f6 Kg5? (88.-Kh6, nur so!) 89. Te5+? ("Patzer sieht ein Schach, Patzer gibt ein Schach" - vielleicht etwas frech, einen GM als Patzer zu bezeichnen, aber hier gewann [nur] 89.Te6) 89.-Kh6! (er bekam seine zweite Chance) 90.Te6 (nun zwar trickreich, aber nicht mehr gewinnbringend, es sei denn ...)

Werle Beerdsen move 90

 

 

 

 

 

 

90.-Tb7+? (Patzer sieht ein Schach, Patzer gibt ein Schach - die Patzer heissen Thomas Beerdsen und Magnus Carlsen. Nach 90.-Tb8 ist es weiterhin, oder auf die heutige Partie bezogen mal wieder, remis). 91.Kf8! (Ausrufezeichen beziehen sich hier und zuvor darauf, dass dies laut Tablebases der einzige Gewinn- oder Remiszug ist. Carlsen hat in sehr ähnlicher Stellung aufgegeben, Beerdsen spielte noch ein paar Züge:) 91.-Kg6 92.f7+ Kh7 93.Te2 Tb8+ 94.Ke7 Tb7+ 95.Kf6 Tb6+ 96.Te6 Tb8 97.Te8 Tb6+ 98.Ke5 1-0.

Rundenbeginn ist übrigens jeweils um 18:30 - damit dauern die Partien mitunter bis in den späten Abend, aber tagsüber kann man sich anderweitig beschäftigen. Womit, da hat die Turnierseite (Flickr-Fotoserie Rubrik Vlissingen) ein paar Ideen:

Vlissingen Stadt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Downtown Vlissingen

Vlissingen Strand

Vlissingen beach

Noch ein Foto von Thomas Beerdsen - in einer früheren Runde war er gegen King Loek van Wely relativ chancenlos:

van Wely Beerdsen

 

 

 

 

 

 

 

Und ein Foto zu einem anderen Endspiel in derselben siebten Runde, das ich nicht auch noch besprechen will - aber als Zugabe gibt es die beiden kompletten Partien.

Ankit Heltzel endgame

 

 

 

 

 

 

 

GM Ankit (2461) - CM Heltzel (2216), Remis nach 108 Zügen.

 

Samstag, 11 Juli 2015 09:46

Eindrücke von der NL-Meisterschaft

Wie angekündigt wird dies vor allem ein atmosphärischer Bericht - da ich für ein vor allem deutsches Publikum schreibe ist Schwerpunkt oder Leitmotiv "Was ist in NL anders als in Deutschland, und warum?". Ich sage "anders", nicht unbedingt besser oder schlechter - wer dazu eine Meinung hat, darf sie gerne im Kommentarbereich erwähnen, auch wenn das schon mehrfach diskutiert wurde. Um die wesentlichen Unterschiede eingangs zu nennen: Die NL-Meisterschaft ist traditionell ein Rundenturnier, oft (nahezu) in Bestbesetzung. Die deutsche Meisterschaft ist ein Turnier nach Schweizer System, mit Vertretern aller Landesverbände aber tendenziell (fast) ohne die besten deutschen Spieler. Die NL-Meisterschaft wird meistens in einer Grosstadt ausgetragen, die deutsche Meisterschaft meistens irgendwo in der Provinz (Ausnahmen bestätigten die Regel).

Nun chronologisch aus meiner Sicht - mit Schwerpunkt Freitag vor Ort, aber ich hatte mich vorher etwas vorbereitet. Natürlich wirft man einen Blick auf die Turnierseite - recht ausführlich einschliesslich Hinweise zum Rahmenprogramm, naturgemäss auf Niederländisch aber das ist für mich (und wohl die meisten potentiellen Leser) kein Problem. Da wurde auch ein Presseraum erwähnt sowie eine Kontakt-email. Die habe ich angeschrieben mit der Bitte um Zugang zum Presseraum, prompte Antwort: "Dag Thomas, Presse- und VIP-Raum sind zusammen im Tuinzaal. Ich freue mich, Dich dort Freitag zu treffen. Grüsse Paul." Wer ist Paul? Da muss sich der Leser noch etwas gedulden. Donnerstag hat Peter Doggers auf chess.com zur NL-Meisterschaft was geschrieben, auf Englisch - er konnte (im Gegensatz zu mir) wohl mit dem Fahrrad anreisen und hatte (im Gegensatz zu mir) eine Kamera dabei. Auch er erwähnt das Rahmenprogramm und schrieb ergänzend im Kommentarbereich (etwas frei übersetzt) "Das ist 'nice' - vor 2014 war es für mehrere Jahre ein sehr 'einfaches' Turnier." Zum rein schachlichen Geschehen steht, wieder auf Niederländisch, jede Menge (mehr als auf der Turnierseite) auf schaaksite.nl . Ich werde nur die fünfte Runde etwas streifen.

Freitag verlief zunächst so: Anreise per Zug nach Amsterdam Hauptbahnhof, dann weiter zum Bahnhof Amsterdam-Muiderpoort, dann 300m zu Fuss. Auf der Hotelterrasse lief der "alternative NK" bereits, aber ich bin nicht schlecht genug um da mitspielen zu dürfen - es war ein Schnellturnier für Spieler ohne nationale Elo oder mit Elo <1500. Ausserdem hätte ich früh aufstehen müssen, um rechtzeitig vor Ort zu sein, und wäre ich altersmässig eher ein Fremdkörper: die meisten Teilnehmer waren (geschätzt) unter 14 oder über 60. Drinnen im Hotel checkte gerade Gert Ligterink mit Frau ein, als nächstes suchte und fand ich den Tuinzaal. Das ist ein eher kleiner Raum: VIPs waren die Leute, die mit dem Turnier zu tun haben (Organisation, Kommentatoren, später auch die Spieler), Presse an diesem Tag ausser mir offenbar Fehlanzeige - mal abgesehen davon, dass Kommentator (zusammen mit Robert Ris) Gert Ligterink für die Zeitung 'De Volkskrant' schreibt und bereits zwei Artikel im Sportteil unterbringen konnte.

Die anderen und öffentlichen Schauplätze sind, neben der bereits erwähnten Terrasse, der Spielsaal im ersten Stock sowie das Hotelrestaurant für Livekommentar und kulturelles Rahmenprogramm. Was da im Laufe der Woche alles geboten wurde und noch wird, siehe dieses Poster:

PosterFestivalSchakenEnCultuur

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alles auf Niederländisch, aber Theater, Dichter, Film, Quiz usw. sollte auch der deutsche Leser verstehen. Als nächstes ging ich in den Spielsaal: ca. zehn Minuten vor Rundenbeginn lief da noch, wie überall im Hotel, Musik - die Robin Van Kampen wohl nicht zusagte, denn er hatte sein eigenes Programm per Kopfhörer. Auch andere sassen konzentriert am Brett und investierten vielleicht (bei noch nicht laufender Uhr) viel Bedenkzeit für "1.e4 oder 1.d4 ?". Nur Tea Lanchava und Bianca de Jong-Muhren unterhielten sich angeregt. Dann wurde die Musik abgestellt, es ging der Gong zum Start der Runde (von Mieke Ligterink) und es ging los. Vor recht zahlreichem und zum Teil sehr jungem Publikum - der alternative NK wurde vorübergehend unterbrochen. Einige spielten die Eröffnungsphase flott, das war nicht so in der Spitzenpartie im Damenturnier Haast-Peng: 1.e4 e6 2.b3!? c5 3.Lb2 b6 - Pause, nach 20 Minuten 4.Sf3. In dieser Partie sollte noch einiges passieren .... wie auch in anderen Partien.

30 Minuten nach Rundenanfang begann der Livekommentar, der sich neben der bereits erwähnten Partie der Damen den Schlüsselpartien der Herren widmete, also Ernst-Giri und Van Wely-Tiviakov. Giri tat sich mit Schwarz gegen den soliden Sipke Ernst zunächst schwer. Thema im Livekommentar war auch Giris bevorstehende Hochzeit und eventuelle Konsequenzen für seine schachlichen Ergebnisse - irgendein GM hatte nämlich mal gesagt, dass das angenommene Damengambit keine gute Eröffnung ist. Nach 1.d4 d5 2.c4 spielte Giri dann aber nicht 2.-dxc4 sondern 2.-e6, später entstand ein ruhiger Halbslawe. Van Wely-Tiviakov war ein Dameninder á la Tiviakov - 7.-Sa6 sieht krumm aus, aber so spielt er oft und wohl gerne. King Loek stand optisch sehr gut; die Karriere des schwarzen Damenspringers ging weiter mit 9.-Sb4, 11.-Sa6, 13.-Sb8 und 14.-Sd7. Andererseits: Tiviakov hatte sich auf den letzten drei Reihen aufgebaut und hatte keine Schwächen. Später gewann van Wely die Dame gegen Turm und Läufer und bot dann Remis, was Tivi akzeptierte: die schwarze Festung hat keine Schwächen, also kann man sie nicht knacken. "Vorteil van Wely" im Titelduell gegen Giri war also trügerisch, auch angesichts des abrupten Endes von Ernst-Giri, aber ich greife den Ereignissen voraus!

Zwischendurch wurde der Livekommentar für das kulturelle Rahmenprogramm unterbrochen, heute war das Thema Fotografie: Zwei Studenten der Königlichen Kunstakademie Den Haag hatten acht Teilnehmer(innen) porträtiert, und berichteten über ihre Erfahrungen und wie sie dabei vorgingen. Fabian hat Schwerpunkt "Dokumentation" (späteres Arbeitsfeld Journalismus?), Liv Schwerpunkt "Fiktion" bzw. Kunst (späteres Arbeitsfeld z.B. Modefotografie?).

Dann wieder Livekommentar, und etwas danach ging ich zurück in den Tuinzaal, wo Pressechef Tom Bottema gerade zu seinem Monitor "was ist das denn?" (oder so ähnlich) sagte. Ich wusste bereits Bescheid, das war die Schlusstellung von Ernst-Giri:

Ernst Giri

 

 

 

 

 

 

 

Zuletzt geschah 29.-Lxh2+ 30.Kxh2 Dh5+ 31.Kg3?? g5 0-1. Nach 31.Kg1 hat Weiss, sagen jedenfalls Computer, volle Kompensation für den Minusbauer - nach 31.Kg3 hatte Schwarz mehr als Dauerschach.

Giri und ein relativ gut gelaunter Ernst erschienen zur Analyse. Danach wurden beide "entführt" - Sipke Ernst von einem Erwachsenen mit dem einen Wort "Biertje?", Giri von einem ca. 14-jährigen mit den Worten "Du musst beim Livekommentar vorbeischauen!". Gesagt, getan, ich hinterher. Giri begann seine Analyse mit "Die Partie hatte nur eine schöne Stellung, die Schlusstellung". Später sagte er "auch in einer ausgeglichenen Stellung kann der Gegner noch eine Ungenauigkeit begehen, dann noch eine, dann ein Fehler, dann ein Patzer - und schon hat man gewonnen." Thema war auch, was für Giri wichtiger ist - Turniersieg oder seine Elozahl verteidigen. Antwort war tendenziell "sowohl als auch": "Ich brauche 5,5/7 um meine Elo zu halten - wenn dann einer 6/7 erzielt, meinetwegen, dann ist er verdienter NL-Meister."

Danach schnappte ich mir Giri und stellte meine Standardfrage: "Ich schreibe für eine deutsche Schachseite. Warum gibt es in den Niederlanden - im Gegensatz zu Deutschland - eine Meisterschaft in Bestbesetzung?". Giri redete Klartext: "Die Konditionen stimmen! Die Deutschen sind ja untereinander zerstritten. Aber wenn das Finanzielle stimmt, machen alle mit - auch Naiditsch". Für Schachprofis zählt vor allem Geld, wer will es ihnen verdenken? Anderes mag auch eine Rolle spielen - attraktives Ambiente, alle machen mit also machen alle mit, die niederländische Schachfamilie ist (wie später offensichtlich wurde) nicht zerstritten, usw. . Zu meiner dummen Frage "ist Elo an sich wichtig, oder geht es auch um die Qualifikation für das Kandidatenturnier?" war die Antwort wiederum "sowohl als auch". Dann sagte Giri noch "die NL-Meisterschaft war ein bisschen gefährdet, aber dank Paul Rump ist sie quicklebendig."

Damit ist Pauls Nachname genannt, den muss ich wohl auch befragen - bzw. das war ohnehin geplant. Paul Rump ist Turnierdirektor, ihn sprach ich etwas abseits vom Trubel draussen auf der Terrasse. Zur Standardfrage sagte er unter anderem: "Die Tradition der NL-Meisterschaft _als Rundenturnier_ muss bleiben. Das ist gut für den Schachsport, damit gut für die Spieler, das wissen die Spieler, also machen alle mit." Ausgewählt wurden die Teilnehmer so: die drei Besten der letzten Meisterschaft, die drei (nächst)besten nach Elo, der beste Niederländer der offenen NL-Meisterschaft [das war Roeland Pruijssers, nach Elo recht klarer Aussenseiter im Turnier], und dann gab es noch ein Qualifikationsturnier. Da wurden Nummer 8-11 nach Elo eingeladen (Bok, Reinderman, Spoelman, Nijboer), alle akzeptierten, Bok gewann. Spezialfälle: Sokolov hat die Einladung abgelehnt [er hat als Trainer in den Vereinigten Arabischen Emiraten derzeit Urlaub, wollte den aber lieber mit seiner Familie verbringen], Smeets galt als inaktiv [er bekam eine Einladung zum Quali-Turnier und lehnte ab], Timman bekam eine Wildcard angeboten und lehnte ab. Zur deutschen Meisterschaft nach Schweizer System hat Rump eine klare Meinung: "für eine nationale Meisterschaft kein gutes System. Da kann ja einer mit 0,5/2 beginnen und am Ende mit 7,5/9 Meister werden fast ohne starke Gegner."

Zu Sponsoren - warum werden auf der Webseite gar keine erwähnt? Das ist zum einen das Hotel (Saalmiete und Übernachtungskosten Null), zum anderen der niederländische Schachbund - "die nationale Meisterschaft ist wichtig und wird entsprechend gefördert". Was das Hotel davon hat: Mir war es zuvor kein Begriff - ob ich oder andere Besucher nun deswegen mal dort übernachten, steht auf einem anderen Blatt, man kann es zumindest nicht ausschliessen. Rump ist sehr zufrieden mit Turnier und Zuschauerresonanz, Freitag waren wohl ca. 100 Zuschauer vor Ort - trotz herrlichem Sommerwetter in Amsterdam. Zu seiner Person ("Dein Name war mir gar kein Begriff!?"): "Das hier mache ich seit letztem Jahr. Schon 1983 war ich Brettjunge bei Turnieren, in den 90er Jahren machte ich Pressearbeit für die OHRA-Turniere. Dann habe ich kürzer getreten. Aber ich kenne diverse Leute in der Schachszene, z.B. ist Jeroen van den Berg (Turnierdirektor in Wijk aan Zee) Mitglied meines Vereins."

Dann zurück in den Tuinzaal, wo inzwischen munter analysiert wurde, und nahezu alle machten mit. Besonders ausführlich wurde etwa ab dieser Stellung in Bok-Pruijssers analysiert - mit dabei jedenfalls van Wely, Giri und l'Ami (nicht Sipke Ernst, der war vielleicht inzwischen betrunken).

Bok Pruijssers

 

 

 

 

 

 

 

Wie ist das als Damenendspiel zu bewerten? Klare Tendenz "Weiss gewinnt". Wie als Turmendspiel? "Kommt drauf an" - auf kleine Details. Giri war mitunter inaktiv, blieb aber in der Nähe und wurde mehrfach gerufen: "Anish, was meinst Du dazu?". Nur das Bauernendspiel haben sie, warum auch immer, nicht analysiert. Andererseits widmeten sie sich auch dem Endspiel Paulet(2197) - Ratsma(2088) aus dem Damenturnier.

Einerseits war das (womöglich) auch für mich lehrreich, zumindest wenn ich mir das merken kann/könnte. Andererseits wollte ich zwar Spieler befragen, aber nicht unterbrechen. Irgendwann waren sie fertig, und ich konnte Benjamin Bok zu einem anderen Turnier befragen: "Kannst Du Dich noch an Lc8 beim Limburg-Open erinnern?" Breites Lächeln und "Ja, natürlich!". "Wie/warum hast Du das gefunden?". Die Antwort war lakonisch: "Entweder man sieht es, oder man sieht es nicht". Er hatte es offenbar nicht auf Anhieb gesehen, aber nach ein oder zwei Minuten. Auch ein gerade auf chess24 erschienener Artikel "Vallejo: Players rated 2600-2720 are in limbo" wurde vor Ort diskutiert - Bok dazu: "mich meint er ja nicht". Neben Pruijssers ist er der einzige mit Elo unter 2600, dagegen hat ja ein Spieler Elo über 2720.

Auch Erwin l'Ami bekam noch meine Standardfrage und meinte dazu: "Das haben wir Paul Rump zu verdanken. Da ist er, ihn solltest Du auch noch sprechen!". Hab' ich doch schon gemacht, Erwin - konnte er nicht wissen. Van Wely habe ich nicht mehr erwischt, aber zwei Aussagen von voll etablierten GMs reichen wohl auch.

Ich will noch kurz nachreichen, was in der Partie Haast-Peng alles passierte. Haast stand später schlecht, opferte etwas aus der Not geboren einen Bauern und rettete sich in ein schlechteres aber wohl haltbares Endspiel. Da opferte sie plötzlich inkorrekt eine Qualität und stand verloren, gewann aber letztendlich im Damenendspiel. So wird es nichts mit einem weiteren Titel für Rekordmeisterin Zhaoqin Peng, nun hat Anne Haast die besten Karten (für Titel Nummer 2, aber sie ist noch jung). Einziger Wermutstropfen für mich: Auf dem Weg zurück zum Hauptbahnhof, nun per Strassenbahn, kam ich vorbei an allerlei vollen Strassencafes - aber ich musste mich beeilen um die letzte Fähre nach Texel nicht zu verpassen, daher für mich kein Biertje.

 

 

Es hat etwas länger gedauert als geplant, aber nun kommen die Lösungen jeweils zwischen den Zeilen. Dieser Artikel ist quasi Vorspeise - Freitag bin ich bei der niederländischen Meisterschaft vor Ort und werde hinterher wohl einen (eher atmosphärischen) Bericht schreiben. Natürlich verrate ich nicht, wo man (fast) alle Antworten finden kann - wer neugierig ist und die niederländische Sprache einigermassen beherrscht, kann sich von der Turnierseite dahin durchklicken, das habe ich auch gemacht. Im Gegensatz zu Olaf Steffens verspreche ich keine Preise - schliesslich gewinnt ohnehin Schachfreund Hebbinghaus, oder vielleicht diesmal nicht. Genug der Vorrede, es geht los:

1) Welche dieser Städte war noch nie Austragungsort der niederländischen Meisterschaft? Amsterdam, Den Haag, Groningen, Hilversum, Leeuwarden, Nijmegen, Rotterdam, Utrecht.

Groningen ist die richtige Antwort = dort gibt es zwar jedes Jahr um Weihnachten ein Schachfestival, aber sie haben noch nie eine Landesmeisterschaft ausgerichtet. Leeuwarden (Hauptstadt der Provinz Friesland) und Hilversum (NL-Medienhauptstadt) waren jeweils einige Jahre lang fester Ausrichter. Amsterdam war im Lauf der Jahre und Jahrzehnte immer mal wieder dran, die anderen Städte relativ selten (aber alle mindestens einmal).

2) Im Laufe der Jahre gewannen gelegentlich Spieler, die keine gebürtigen Niederländer sind, einige gar mehrfach. Nenne sechs von acht Namen [Tip: auf fünf würde ich kommen, der sechste war für mich überraschend, die beiden anderen Namen sind mir kein Begriff]

Das hat Holger Hebbinghaus bereits beantwortet.

3) Wann und wo/warum starben der erste offizielle NL-Meister Adolf Olland (anno 1909) sowie der Sieger 1936 (Name nenne ich nicht, da Antwort auf Frage 2)?

Olland erlag bei der NL-Meisterschaft 1933 im Alter von 66 Jahren am Brett einem Herzversagen. Salo Landau starb 1944 im deutschen Zwangsarbeitslager Gräditz - Wikipedia nennt in verschiedenen Sprachen verschiedene Todesdaten (Frau und Tochter starben im KZ Auschwitz).

4) Zwei Fragen zum Turnier 1963: Was bekamen alle Teilnehmer vor dem Turnier vom Schachbund Den Haag? Was wollte Jan Hein Donner tun, falls er das Turnier gewinnt? (Er gewann dieses Jahr nicht)

Alle Teilnehmer bekamen vor dem Turnier eine Dose mit Zigaretten angeboten. Donner wollte als NL-Meister seinen Bart abrasieren.

5) 1972 spielten zwei Brüder im Turnier, welche? [Tip: einer ist international/weltweit ziemlich bekannt, wurde aber erst zwei Jahre später erstmals NL-Meister]

Jan und Ton Timman (war bereits beantwortet).

6) Wer erzielte 1977 das beste Ergebnis aller Zeiten bei einer NL-Meisterschaft?

Kortschnoi mit 12/13 (ebenfalls bereits beantwortet)

7) Wer wurde 1979 überraschend Meister? (überraschend aber verdient, da er drei Favoriten in direkten Duellen besiegte)

Gert Ligterink - der Tmman, Ree und Donner besiegte und nur gegen Sosonko verlor. Ligterink - dieses Jahr als Kommentator und Journalist vor Ort - wusste Bescheid und sagte sofort "das war 1979".

8) Wer begann 1981 mit zwei Niederlagen und wurde dann doch Meister?

Jan Timman - nach anfangs 0/2 erzielte er am Ende 9/13.

9) Warum war Theo van Scheltinga 1983 ein (so meine Quelle) "besonderer Teilnehmer"?

Theo van Scheltinga - bereits beantwortet

10) Wo wurde das Turnier 1991 ausgetragen?

Im Fussballstadion von PSV Eindhoven.

11) 1995 bekam der Sieger neben 8500 Gulden noch zwei Sachpreise, welche?

Sokolov bekam ausserdem ein Fahrrad und eine Schachuhr

12) Was gab es 1999 zum ersten und einzigen Mal? [Tip: in Wijk aan Zee gab es analoges zweimal]

Zhaoqin Peng als erste (und immer noch einzige) Teilnehmerin bei den 'Männern' (war bereits beantwortet)

13) 2000 war ein Teilnehmer sehr umstritten, meine Quelle dazu: "Neben Publizität gab es vor allem sehr viel Widerstand". Ein Teilnehmer weigerte sich, anzutreten, ein anderer gab demonstrativ nach wenigen Zügen auf. Wer war das? [Tip: Er ist gebürtiger Deutscher, aber daran lag es sicher nicht]

Ja, das Schachprogramm Fritz SSS* - Paul van der Sterren verlor kampflos, Manuel Bosboom fast kampflos.

14) Welchen Rekord eroberte Paul van der Sterren 2001, und wer hat diesen Rekord 2003 quasi verbessert?

Paul van der Sterren nahm 25-mal an der NL-Meisterschaft teil. John van der Wiel spielte 2003 das 25ste Mal hintereinander (und dann 2004 noch ein 26. und letztes Mal).

15) 2002 haben alle Spieler einen Test bestanden, welchen? [Tip: in anderen Sportarten sind mitunter Leute durchgefallen]

Ja genau, Dopingtest.

16) Auch 2006 wurde das Turnier an einem ungewöhnlichen Ort ausgetragen, wo?

In einem speziell eingerichteten Fernsehstudio in Hilversum.

17) 2009 hatte das Turnier keinen Hauptsponsor und wurde ausnahmsweise in einem kleinen Ort in der Provinz gespielt. Was sorgte dann für a) negative, b) positive Schlagzeilen? [Tip: beide beteiligte Spieler habe ich bereits indirekt erwähnt]

Bereits beantwortet. Tiviakov wollte in der letzten Runde in null Zügen remis spielen um schon vorher zur kroatischen Mannschaftsmeisterschaft anzureisen - der Gegner war einverstanden, die Turnierleitung nicht.

18) 2012 wurde parallel zur NL-Meisterschaft ein anderes internationales Turnier ausgetragen. Was war das besondere bei diesem parallelen Turnier? [Tip: Ich habe auf Schach-Welt darüber geschrieben]

Ja, das ACP-Turnier mit Hängepartien.

19) Auch 2013 kannte einen überraschenden Sieger, nach Schnellschach-Stichkampf gegen einen noch überraschenderen Teilnehmer. Wer waren diese beiden?

Dimitri Reinderman gewann das Stechen gegen Wouter Spoelman (nach Elo waren sie Nummer sechs und sieben von acht Teilnehmern).

Statt mir noch eine 20. Frage aus der Tastatur zu saugen, zum Schluss eine Bonusfrage auch zur niederländischen Schachszene: Welche Petition haben (fast) alle Teilnehmer von zunächst Norway Chess und dann Dortmund unterschrieben?

Eine Petition zum Erhalt des Max Euwe Zentrums in Amsterdam (die Gemeinde Amsterdam will zum 1.1.2016 die Subventionen einstellen).

Auf der Homepage des Max Euwe Zentrums habe ich - hier und dann durchklicken - die Übersicht zu allen NL-Meisterschaften gefunden. Was mir dabei noch aufgefallen ist: alle Teilnehmer waren mal jung und wurden dann älter. 1919 debütierte der 19-jährige Mathematikstudent Max Euwe (bis 1956 bei NL-Meisterschaften aktiv). Hans Ree spielte erstmals 1965 im Alter von 22 Jahren (inzwischen ist er "nur noch" Journalist und Vereinsspieler). Timman debütierte 1969 im Alter von 17 Jahren. 1988 debütierte der 19-jährige Jeroen Piket (inzwischen inaktiv). 1991 war Loek van Wely 19 und neu (momentan ist er immer noch aktiv). 2003 war der 16-jährige Daniel Stellwagen (inzwischen inaktiv) jüngster Teilnehmer aller Zeiten. 2009 hat der 15-jährige Anish Giri diesen Rekord verbessert und erzielte gleich seinen ersten von derzeit vier Meistertiteln.

 

 

Montag, 08 Juni 2015 07:28

Sebastiens verpasste Chance(n)

Auch bei der derzeit noch laufenden französischen Mannschaftsmeisterschaft wurden viele interessante Partien gespielt, aber eine hat mich besonders fasziniert und bietet mehr als genug Stoff für einen Artikel. Bevor ich die Spieler vorstelle und die gesamte Partie bespreche, heute eine doppelte Aufgabe zum Titeldiagramm: 1) Was ist der bei weitem beste Zug für Weiss? 2) Warum nicht das - in der Partie gespielte - 33.Lxe5 Lxe5 34.Txf7 ? Kleiner Hinweis: Wer 2) findet, kann eventuell auch 1) leichter finden.

Beteiligt sind Sebastien und Ivan. Sebastien ist vermutlich auch in Frankreich nicht allzu bekannt - Nachname ist nicht Feller (der wieder mitspielen darf) sondern Tranchant. Er hat Elo 2275 und spielt in Frankreich offenbar vor allem Mannschaftskämpfe, ab und zu auch ein Open. Ausserhalb Frankreichs hat er offenbar noch nie gespielt [für derlei Dinge verwende ich BigDatabase, nicht um mich auf eigene Gegner vorzubereiten]. Ivan ist in mindestens drei Ländern recht bekannt, aber wohl auch in einigen anderen wie z.B. Deutschland. Gemeint sind seine alte Heimat Bosnien, seine Wahlheimat Niederlande sowie die Vereinigten Arabischen Emirate wo er inzwischen als Trainer tätig ist. Nachname ist Sokolov, Elo ist momentan 2623 - war mal knapp über 2700, ist auch nach diesem Turnier (oder jedenfalls im Moment virtuell) mehr da er mit insgesamt 7/9 durchaus erfolgreich spielte. Aber in dieser Partie ist kein Klassenunterschied erkennbar, sonst hätte ich sie nicht ausgewählt. Legen wir los - die Gefahr, dass ich mich später im Chaos der Computervarianten verzettele ist reell, das nehme ich in Kauf. Wer sich zunächst nur die Diagramme anschauen will: maple-braun wie üblich sind Stellungen die tatsächlich auf dem Brett standen, metallisch grau sind Varianten die hinter den Kulissen blieben. Nicht dass letztere nicht interessant sind, aber irgendwie will ich das optisch voneinander trennen. Etwas übersichtlicher und mit, der Reihe nach, allen Diagrammen, gibt es das auch hier. Und auf der Startseite unter dem 'Teaser' zum Artikel gibt es auch die pgn-Datei (keine Ahnung, warum sie da als pgn.txt steht - ich mache das zum ersten Mal ...).

Tranchant (2275) - GM Sokolov (2623)

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.e3 Tranchant spielt nicht im Stile seines Namens (Tranchant bedeutet "scharf", bzw. a double tranchant ist zweischneidig). Mit Schwarz spielt er Benoni, mit Weiss wird heute der Gegner für die nötige Schärfe sorgen. 4.- 0-0 5.Sge2 Te8 6.a3 Lf8 7.Sg3 d5 8.Le2 g6 9.0-0 h5

Tranchant Sokolov move 9

 

 

 

 

 

 

 

Schon haben wir das erste Diagramm. Der Grossmeister geht offenbar nicht davon aus, dass sein Gegner irgendwann freiwillig eine Figur oder auch nur einen Bauern einstellen wird, sondern wird aktiv. Wann genau er den Bogen überspannen wird, ist mir etwas unklar. 10.f3 c5 11.dxc5 h4 12.Sh1 ein hässliches Feld für den Springer, aber nur vorübergehend 12.- Lxc5 13.b4 Ld6 14.Lb2 Sc6 15.Sf2 siehe Kommentar zum 12. Zug 15.- Lf8 warum nicht bereits im 12. Zug? Aber der (potentielle) Verlustzug ist es sicher nicht. 16.Te1 Lg7 17.Db3 d4 18.Tad1 e5 19.Sb5

Tranchant Sokolov move 19

 

 

 

 

 

 

 

Warum nun nicht 19.-a6 um den Springer zu vertreiben? Das war wohl aus schwarzer Sicht am besten, allerdings muss Weiss dann nicht reumütig 20.Sc3 spielen sondern hat 20.exd4 axb5 21.dxe5 Sd7 22.cxb5  (22.f4!? Dc7 23.cxb5 Sd8 24.Tc1 mit viel Kompensation für die Figur geht auch) 22.-Scxe5 (22.-Scb8 oder 22.-Sa7, jeweils 23.Lc4 überlebt Schwarz nicht - Material hin oder her)23.f4 mit Rückgewinn der Figur und einem einigermassen gesunden Mehrbauern für Weiss.

In der Partie kam 19.-Sh5?! 20.c5! Ab hier steht Schwarz schlecht, solange der Gegner richtig fortsetzt. 20.-Tf8 21.Lc4 h3?! konsequent aber nicht gut 22.g4 Dh4

 

 

 

 

 

 

 

Nun hat Weiss ein (Luxus-)Problem: Soll ich oder soll ich nicht? Er spielte 23.gxh5? - es gab Besseres, nämlich A) 23.Sd6 (hat er doch mit 20.c5 vorbereitet) mit totaler Dominanz, z.B. 23.-dxe3 24.Txe3 und ich breche hier ab, oder auch B) 23.exd4 exd4 24.gxh5 (erst jetzt - der Unterschied wird gleich deutlich:) 24.-Dg5+ 25.Sg4 Lxg4 26.fxg4 Dxg4+ 27.Dg3 Dxh5 Schwarz hat hier nicht genug für die Figur). Des Pudels Kern ist, dass Weiss die dritte Reihe geöffnet hat und damit den schwarzen Königsangriff abfedern kann. Warum hat Schwarz eigentlich (jedenfalls ein bisschen) Königsangriff, obwohl sein Damenflügel noch schläft? Der Läufer kann oft sofort mit Schach eingreifen, und die Türme sind in dieser Stellung ohnehin kaum einsatzfähig.

23.-Dg5+ 24.Kf1 muss jetzt sein 24.-e4!

Tranchant Sokolov move 24

 

 

 

 

 

 

 

Und nun? Mut (plus Intuition und/oder genaue Berechnung war angesagt), nämlich 25.Ke2 und nun A) 25.-exf3+ 26.Kd2 Dxh5 27.Kc1 Dh4 28.Td2

Tranchant Sokolov variante 25Ke2

 

 

 

 

 

 

 

Alles ist gedeckt, und der "lang rochierte" weisse König steht ziemlich sicher. Oder (statt 26.-Dxh5) 26.-Dg2 27.Tf1 dxe3+ 28.Dxe3 Lxb2 29.hxg6 Lf5 30.gxf7+ Kh7

Tranchant Sokolov variante 25Ke2II

 

 

 

 

 

 

 

Bevor Schwarz mit -Tad8+ aktiv wird (was man ohnehin mit Sd6 abfedern kann) ist Weiss dran: 31.Ld3 Lxd3 32.Dxd3+ usw. B) Sofort 25.-Dg2 27.Tf1 dxe3+ 28.Dxe3 Lxb2 29.hxg6 ähnlich wie in der gerade erwähnten Variante.

In der Partie geschah 25.hxg6? exf3? - Pflicht war 25.-Dg2+ 26.Ke2 d3+

Tranchant Sokolov variante 25 Dg2I

 

 

 

 

 

 

 

Nun gibt es einen Verlustzug (27.Dxd3??) und drei Alternativen, die Engines alle mit 0.00 bewerten:

A) 27.Kd2 Dxf2+ 28.Kc1 d2+ 29.Txd2 Dxe1+ 30.Kc2

Tranchant Sokolov variante 25 Dg2II

 

 

 

 

 

 

 

Warum das trotz schwarzem Mehrturm total ausgeglichen ist - weiter habe ich nicht rechnen lassen ..... .

B) 27.Lxd3 exf3+ 28.Kd2 Dxf2+ 29.Kc1 Dxb2+ 20.Dxb2 Lxb2+ 31.Kxb2 fxg6 - Quasi-Endspiel mit ausgeglichenem Material, hier setze ich mal kein Diagramm.

C) 27. Txd3 exd3+ 28.Dxd3 Lxb2 29.gxf7+ Kg7 30.Db1 Le5 31.Tg1 Lxh2 32.Txg2+ hxg2 

Tranchant Sokolov variante 25 Dg2A

 

 

 

 

 

 

 

Und auch das ist ausgeglichen, wobei die Varianten noch weiter gehen ... .

Zurück zur Partie: (25.-exf3?) 26.gxf7+ Kh8 27.Te2? Vielleicht empfindet der Leser diverse Fragezeichen als übertrieben, aber sie entsprechen nun einmal der objektiven Wahrheit. Pflicht war für Weiss 27.Sg4! Lxg4 28.Td2- so ähnlich hatten wir das schon einmal, nur dass Weiss hier die zweite Reihe räumt und sich auf dieser verteidigt. 27.-Dg2+?

Findet ein Mensch den Computerzug 27.-Txf7! ? Idee ist, den Lc4 abzulenken (und nebenbei einen weissen Gegentrumpf zu beseitigen sowie die f-Linie zu öffnen). Zum Beispiel A) 28.Lxf7 Dg2+ 29.Ke1 fxe2 30.Lc4 (30.Lf7xe2 ist illegal!) 30.-Df1+ (noch besser ist offenbar 30.-Le6 mit erneuter Ablenkung) usw., oder hier 30.Kxe2 Lg4+ (hatte ich erwähnt, dass der Lc8 nur auf diese Chance wartete?) 31.Kd2 Dxf2+ 32.Kc1 Lxd1 33.Dxd1 Dxf7 und hier hat Schwarz schlicht und ergreifend einen Turm mehr.

Oder B) 28.Sd6 fxe2+ 29.Kxe2 Lg4+ (siehe oben) 30.Sxg4 Dxg4+ 31.Kd2 Tf2+ 32.Kc1 Taf8 Schwarz hat das Kommando übernommen.

In der Partie kam, wie gesagt, 27.-Dg2+? 28.Ke1 fxe2 29.Lxe2 und das ist, nach all den Aufregungen, ausgeglichen - aber Sokolov entkorkte 29.-Se5? und nun wurde die Stellung plötzlich turmfreundlich, einen hat Weiss ja noch: 30.Txd4 (einen halben Zug zuvor noch nicht spielbar) 30.-Txf7 Schwarz hat auch einen mitspielenden Turm, aber nur vorübergehend: 31.Th4+! Kg8 32.Tf4 Dg6 und wir haben das Titeldiagramm, hier nochmals:

Tranchant Sokolov move 32

 

 

 

 

 

 

 

Was tun? Richtig ist 33.Sc7!- warum sehen wir gleich im Lichte der falschen Partiefortsetzung. Und, um nur eine Variante zu nennen, nach 33.-Lf5 nicht materialistisch 34.Sxa8 (34.-Le6 35.Dd1 Td7 36.Ld4 Lh6 usw. - die verbleibenden schwarzen Figuren sind koordiniert, die weissen nicht), sondern 34.e4 Dg1+ 35.Lf1 Tc8 36.exf5 Tcxc7 37.f6 Sg6 38.Sxh3 Dxh2 39.Tg4 Weiss gewinnt.

Sebastien spielte das durchaus verlockende 33.Lxe5? Lxe5 34.Txf7 und rechnete vielleicht damit, dass der Gegner aufgibt:

Tranchant Sokolov move 34

 

 

 

 

 

 

 

Dummerweise - aus weisser Sicht - muss Schwarz nicht 34.-Dxf7? 35.Lc4 spielen, sondern hat den Zwischenzug 34.-Le6! . Ab hier war die Stellung durchweg ausgeglichen, der Rest und auch alles bereits Erwähnte daher nur hier zum Durchklicken. Ich habe auch einen pgn-file zum runterladen - wer will, kann die gesamte Partie mit oder vielleicht gar ohne Computer noch weiter analysieren.

Das Ganze war ein für mich neues Experiment - ob ich ähnliches noch einmal machen werde und dann womöglich anders aufbaue/strukturiere, weiss ich noch nicht. Um nochmals auf Schmidts Kommentar zum letzten Artikel einzugehen: War es unterhaltsam? Für mich ist es eine sehr unterhaltsame Partie - wenn das nicht unterhaltsam ist, was ist unterhaltsam?? Ist es auch lehrreich?

Da hole ich etwas aus: Letzte Saison hatte ich vereinsintern den Auftrag, die gemeinsame Analyse des letzten Mannschaftskampfs vorzubereiten. Das hiess acht Partien in Chessbase eingeben und Computer dazu befragen - nur so kann man, kann jedenfalls ich bei beschränkter Zeit untersuchen, was in den Partien los war und welche Momente kritisch waren. Das fiel grob in drei Kategorien: 1) Computer waren mit dem Gebotenen weitgehend einverstanden - das gibt es gelegentlich auch bei Spielern mit Elo unter 2000. 2) Verbesserungen fallen in die Kategorie "das hätte man selber sehen können" und "ähnliche Ideen oder Motive kann man bei anderer Gelegenheit vielleicht selbst anwenden". 3) Computer-Vorschläge sind "absurd" oder "unmenschlich", Ideen/Motive sind so speziell dass man sie kaum recyclen kann.

Für mich und die Zielgruppe Elo unter 2000 (zu der ich inzwischen selbst gehöre) bot Tranchant-Sokolov jede Menge drei und eventuell ein bisschen zwei bis zweieinhalb. Darunter fällt am ehesten der 23. und 33. Zug von Weiss, nach dem Motto "keine Eile mit (vermeintlichem) Materialgewinn" sowie zwei Klischees mit wahrem Kern: 1) Wenn Du einen (vermeintlich) guten Zug siehst, suche nach einem besseren; 2) "Die Drohung ist stärker als die Ausführung". Keine Regel ohne Ausnahme: Bei Bok-Commercon im letzten Beitrag musste Weiss seine Chance sofort nutzen, ansonsten war sie dahin. Schach ist schwierig, Schach ist faszinierend.


Partie zum Online nachspielen 

Sonntag, 31 Mai 2015 15:55

Fragmente vom Limburg Open

Auch dieses Jahr berichte ich vom Limburg Open zweigeteilt: zunächst ein aktueller Turnierbericht auf dem Schachticker, und nun - nicht mehr aktuell, aber irgendwie zeitlos - hier einige Fragmente. Und dieser Bericht ist wiederum dreigeteilt mit den Rubriken Einfälle, Reinfälle und Mattbilder. Bei einem Fragment zweifelte ich, ob ich es als Aufgabe präsentieren oder die Lösung verraten soll - also mache ich beides, unten im Text gibt es (fast) dasselbe Diagramm nochmals. Wer es erst selbst versuchen will bekommt nur einen kleinen Tip: Zuletzt geschah 16.Tf1-e1 Tf8-d8 (was die Spieler am Brett natürlich wussten).

Und nun ein bisschen Runde für Runde, wenn auch teilweise durcheinander: Schon in der ersten Runde gab es eine Überraschung - am Spitzenbrett verlor Elofavorit Fedorchuk gegen den belgischen FM Frederic Decoster. Decoster hat nur (oder immerhin) Elo 2303, sein Gegner immerhin (oder nur) Elo 2657. Hat Decoster, was Underdogs gerne mal unterstellt wird, betrogen? Wohl kaum, denn zunächst stand er "wie erwartet" auf Verlust. Die Entscheidung fiel scheinbar vor, und dann tatsächlich in umgekehrter Richtung nach der Zeitkontrolle. Das erste Diagramm setze ich nach dem 39. Zug von Weiss:

Decoster Fedorchuk move 39

 

 

 

 

 

 

 

Das war ein wilder Sizilianer in dem - etwas untypisch - beide lang rochierten. Später musste Schwarz (Fedorchuk) eine Qualität opfern, quasi erzwungen aber gut. Danach drohte er Matt, was Weiss nur mit Dauerschach oder eventuell Matt parieren kann. Auf dem Weg zum (erhofften) Dauerschach gab er einen ganzen Turm zurück. Und nun? Die Houdini-Hauptvariante lautet 39.-Kd5 40.Dd8+ Ke5 41.Db8+ Kf5 42.Tf1+ Tf2 - Weiss kann dann zwar mit 43.Txf2 das Matt verhindern, aber nicht den Partieverlust. Stattdessen geschah 39.-Dc7 40.Dxc7+ Kxc7 41.Th6 und das ist bereits "unklar". Schwarz versuchte einen zweiten Mattangriff und übersah dabei ein Detail: 41.-a5 42.Txg6 a4 43.f7 a3??

Decoster Fedorchuk move 43

 

 

 

 

 

 

 

(Pflicht war 43.-Lxf7 44.Tg7 a3 45.Txf7+ - Schwarz kann das Turmendspiel dank seines aktiven Turms gerade so remis halten). Nun kam (nicht 44.f8D?? sondern) 44.Txe6! Txe6 45.Kb1! 1-0

In Runde 2 gab es bereits ein Duell etwa auf Elo-Augenhöhe: GM Janssen (2464) - IM Burg (2507) - der nach Elo unterlegene GM gewann diese Partie und am Ende nach Wertung das gesamte Turnier. Dabei konnte er dasselbe taktische Motiv kurz hintereinander zweimal anwenden. So stand es nach 28.Dxf6:

Janssen Burg move 28

 

 

 

 

 

 

 

Und dann folgte 28.-Te6 29.Dc3 Tg6 30.f4 Sf7 31.Dxg7+

Janssen Burg move 31

 

 

 

 

 

 

 

Das ist zwar (im Gegensatz zu einigen Diagrammen später) kein Matt, aber Schwarz verliert einen weiteren Bauern und dann noch eine Qualität, oder er kann (wie in der Partie) zuvor, nämlich hier aufgeben.

Nun (aus Runde 3) das Titeldiagramm leicht anders, nämlich einen halben Zug später:

Bok Commercon 2

 

 

 

 

 

 

 

Das war GM Bok - Commercon (2216). Ein Schachfreund, der die Partie mit Engine-Analysen live verfolgte, schrieb zu 17.Lc8! "Ich wäre eine Wette eingegangen, dass Weiss diesen Zug nicht findet. Wie kommt man auf so etwas?". Im Nachhinein ist es aus meiner Sicht logisch: Bok hatte das Motiv Se7+ mit 16.Te1 selbst erzeugt (Schwarz musste das mit 16.-Le5 oder auch 16.-Kh8 parieren), weiterhin dachte er vielleicht: "Ich habe momentan Entwicklungsvorsprung, kann ich davon profitieren bevor es (17.-Sc6) zu spät ist? Gibt es eine Schwäche in der schwarzen Stellung? Ja, b7!". Die relevanten nächsten Züge waren 17.-Sa6 18.Lxb7 Tab8 19.Se7+ Kf8 20.Sc6 Dc7 21.Sxd8 Dxd8 - danach spielte Schwarz noch ein bisschen weiter, bis er nach 26 Zügen noch eine Figur verlor. Der Leser darf selbst untersuchen, warum Alternativen für Schwarz im 20. Zug keinesfalls besser oder zäher waren.

In der Rubrik Ëinfälle springe ich zu Runde 6, Haast - Van Foreest:

Haast Van Foreest vor 27 Dxc5

 

 

 

 

 

 

 

Der holländische Jungstar entkorkte hier 27.-Dxc5!? - was zwar nicht forciert gewinnt, aber in den darauf folgenden Komplikationen gewann er recht schnell.

Nun einige Reinfälle - Zufall, dass zwei deutsche Teilnehmer beteiligt sind und auf dem verkehrten Stuhl sassen. Besonders aktiv war allerdings der niederländische IM Koen Leenhouts, als Täter und Nutzniesser. In Runde 4 hatte er Schwarz gegen GM Ernst:

Ernst Leenhouts

 

 

 

 

 

 

 

Die vorherige Partiephase verlief nicht ganz nach Wunsch für Sipke Ernst, Dauergast in Maastricht. Nun folgte 44.d4?? exd4 0-1 da auch der weisse Sb3 ersatzlos verschwinden wird. In Runde 5 spielte Leenhouts gegen den (wie bereits erwähnt) späteren Turniersieger Ruud Janssen, und nach 38 Zügen und wechselndem Vorteil stand es so:

Leenhouts Janssen vor 39Dg4

 

 

 

 

 

 

 

Nun ist 39.hxg5 (nach 39.-exf4 oder 39.-Dxg5+) remislich, aber er spielte weiter auf Angriff und verlor im Gegenangriff: 39.Dg4?! exf4 40.Lc3+ Kh7 41.fxg6+ fxg6 42.hxg5 De4 43.Lf3 De3+ 44.Kh2 und zugleich 0-1. Der Turniersieger im Glück, das gehört dazu. In Runde 6 traf Leenhouts auf Lokalmatador Jacob Perrenet (2078) und war vielleicht vorgewarnt, dass es keine "normale" Partie werden würde. Perrenet war bereits in Runde 4 zu Gast in der Liveübertragung, da versuchte er gegen IM Shkapenko 1.Sc3!? Sf6 2.g4!????! - nach eigenen Angaben hatte er sich dieses Gambit selbst ausgedacht. Datenbanken kennt er vielleicht nicht, es gab immerhin 58 Vorläufer. Gegen Leenhouts hatte Perrenets Schwarz und spielte "etabliertes Kaffeehaus-Schach": 1.e4 Sc6!? 2.Sf3 f5!?? . Ich weiss nicht, ob das bereits in Colorado gespielt wurde oder woher der Name dieser Variante stammt - gespielt wurde es jedenfalls u.a. in Pardubice, Wien und Deizisau. Die Partien hatten eines gemeinsam: ein gewisser Ilja Schneider hatte Schwarz. Perrenets (bzw. Leenhouts) Interpretation führte zu klarem schwarzem Vorteil:

Leenhouts Perrenet vor 16 Lg7

 

 

 

 

 

 

 

Mir wird bei dieser Stellung zwar schwindlig, aber ich kann durchaus nachvollziehen, warum Engines Schwarz klar bevorzugen. Nun spielte Perrenet 16.-Lg7??!! und das war dann doch inkorrekt.

Zurück zu Runde 5 mit deutscher Beteiligung, IM Braun - GM Dambacher nach 41.-Lxa2:

Braun Dambacher vor 42Tb5

 

 

 

 

 

 

 

Trotz Mehrqualität muss Weiss aufpassen angesichts der weit vorgerückten schwarzen Freibauern, die nach 42.Te1 Lg7 usw. ungehindert weiter laufen könnten. Richtig war 42.Te4, und nach 42.-b3 kann Weiss (nicht erzwungen aber möglich und sicher) mit 43.Te6+ nebst 44.Txh6 in ein Remisendspiel mit ungleichfarbigen Läufern abwickeln. Stattdessen geschah 42.Tb5?? - wohl dieselbe Idee aber ... 42.-Le3+ 43.Kh2 b3 0-1.

Runde 7 fehlt noch, der nominell stärkste deutsche Teilnehmer IM Thomas Henrichs spielte gegen WGM Bianca De Jong-Muhren (wenn ich ihr begegne, vor allem alle Jahre wieder in Wijk aan Zee, nenne ich sie Bianca). Nach wildem Verlauf stand es so:

Henrichs DeJongMuhren vor 34Sf6

 

 

 

 

 

 

 

Warum nun 34.Sf6+ Txf6 0-1 ? Das muss der Leser Thomas fragen, aber nicht mich!

Noch eine Maastrichter Besonderheit anno 2015: Etwa jede zehnte Partie in der Liveübertragung (neun von 12*7=84) endete mit Matt. Alle neun Stellungen zeige ich nicht, nur drei. Warum hat der Verlierer nicht vorher aufgegeben? Dafür mag es jeweils individuelle Gründe geben.

Shkapenko-Offringa

Shkapenko Offringa mate

 

 

 

 

 

 

 

Coenen-Burg

Coenen Burg mate

 

 

 

 

 

 

 

Geht auch mit Schwarz

Van Osch - Tate

Van Osch Tate mate

 

 

 

 

 

 

 

Geht mitunter auch ohne Damen. Nicht überliefert ist, ob der Einheimische seinem amerikanischen Gegner zum Schluss sagte "Mr. Tate, it's mate!".

 

 

 

Gestern gab es eine Pressekonferenz in St. Louis - vorab angekündigt als "grösste Meldung im internationalen Schach seit 1988". "Neue Ära im Schach" stammt von chess24, die es mit einem Fragezeichen versehen, das tue ich auch. Worum geht es? Das neue, naja nicht wirklich neue Projekt besteht darin, dass ein paar Superturniere sich unter dem Namen "Chess Tour" zusammentun, vorher wurde der Name 'Golden League' zirkuliert [der Seitenhieb sei erlaubt, chess24 hiess anfangs cisha - da ist nachvollziehbar, dass sie später einen international markanteren Namen wählten]. Was ist weiterhin neu? Sie haben sich geeinigt, dass Spieler wie Gelfand, Svidler oder auch Naiditsch (einer von vielen möglichen Namen, aber ich schreibe ja für ein deutsches Publikum) draussen bleiben müssen - nur die allerbesten (plus jeweils eine Wildcard) sind willkommen. Sie haben jede Menge Geld und geben das aus - wie gesagt nur für Spieler die ohnehin bereits reich oder zumindest vermögend sind. Last but not least: Kasparov (in einer Nebenrolle auch Short) wollen sich damit schachpolitisch profilieren. Disclaimer vorab: nicht alles was ich nun schreibe ist absolut ernst gemeint, mitunter bin ich eben ironisch bis sarkastisch.

Die drei Turniere - Norway Chess, Sinquefield Cup und London Classic - sind alle relativ neu, alle ein Produkt der Carlsen-Ära und des Carlsen-Hypes, alle dem Kasparov - Carlsen - Sinquefield - anti-FIDE Lager zuzuordnen. Vielleicht deshalb wurde Gashimov-Memorial nicht eingeladen - Aserbaidschan hat allgemein ein neutrales bis positives Verhältnis zur FIDE. Zum Bild passt, dass anfangs gesagt wurde "das ist völlig unabhängig von FIDE!". Das trifft doch auf alle private (Super)Turniere zu? Es kann dann drei Dinge bedeuten: 1) Es ist schlichtweg Blablabla oder schachpolitische Propaganda. 2) Sie sind konsequent, und die Turniere werden nicht Elo-ausgewertet. 3) Sie wollen das Ganze als alternative Weltmeisterschaft inszenieren oder verkaufen. Dazu später mehr ... .

Erst ein bisschen Schachgeschichte zu meinen Lebzeiten. Was meinen sie mit 1988? Damals gab es - Idee von Kasparov - eine World Cup Turnierserie der Grandmasters Association. Die Turnierserie gab es einmal, und auch die GMA verschwand schnell von der Bühne - warum sie daran erinnern, ist ihr Geheimnis. Nächster Versuch war der Grand Slam, Idee von Danailov, ähnliches Konzept wie nun die Chess Tour: einige Superturniere tun sich zusammen, in dem Fall immerhin mit (neu) extra Finale in Bilbao. Da hat dann zunächst Danailovs Schützling Topalov das Interesse verloren (da das Preisgeld in Bilbao nicht seinen Vorstellungen entsprach). Später verschwanden drei der vier Turniere: nur Wijk aan Zee gibt es nach wie vor und hoffentlich noch viele Jahre, Bilbao gibt es auch noch aber es ist ein Schatten seiner selbst verglichen mit den ersten Jahren. Damals gab es übrigens Gerüchte über neue Superturniere in Seattle und Argentinien; nun gibt es Gerüchte betrifft ein Turnier in Indonesien, und in der Pressekonferenz wurde auch die Schachhochburg Afrika erwähnt - was daraus wird, abwarten.

Wie genau wurde die Chess Tour bzw. Golden League angekündigt? Zuerst gab es Gerüchte in norwegischen Zeitungen, dann wurde eine offizielle Pressekonferenz mehrfach angekündigt und wieder verschoben, dann Bühne frei in St. Louis. Weitestgehend klopften sich die drei Turniere gegenseitig kräftig auf die Schulter. Zum Beispiel Tony Rich (der vor kurzem Wesley So disqualifizierte): "They really represent the pinnacle of chess around the world. It's the gold standard. These three events have established themselves as the premiere, the flagship events, down to every detail, from organization and execution to spectator experience and conditions for the players." Sinngemässe und knappe Übersetzung: "Wir sind soooooo toll!". Auch Kasparov wurde gelobt, Heimspiel (und Freibier) für alle! Dann wurden die Teilnehmer genannt, angeblich wollen sie (sagte Rich) aus allen Superstars machen - bisher taten sie das nur für Carlsen und auch Nakamura. Grundlage war die Ratingliste Januar 2015, von oben nach immer noch sehr weit oben, also: Carlsen, Caruana, Grischuk, Topalov, Anand, Aronian, Giri, Nakamura. Moment mal, warum fehlt die damalige Nummer 8 Kramnik? Er hat die Einladung abgelehnt, vielleicht hat er keine Lust auf diese Kasparov-Show.

Carlsen-Adjutant Tarjei Svensen hat eine andere Theorie: Auf Twitter fragte er, ob Kramnik demnächst seinen Rücktritt vom Turnierschach erklärt - diesbezüglich ist er Wiederholungstäter, er tat es bereits im Juli 2014 nach oder während Kramniks schlechter Vorstellung in Dortmund. Nun wieder einmal Salz in Kramniks Wunden streuen, wobei das Timing vielleicht nicht ganz zufällig war. Im Stile einer Boulevardzeitung: "Tritt er (Politiker oder Fussballtrainer) zurück?" - Carlsens Sponsor ist übrigens die norwegische Boulevardzeitung VG. Einige andere (Europe Echecs und DeepMikey von den Chesstigers) fanden das geschmacklos, ich auch. Hintergrund ist, dass Kramnik in 2011 mal sagte, dass für ihn mit etwa 40 Jahren vielleicht Schluss ist. Zumindest ein bisschen länger spielt er wohl: Dortmund 2015 direkt nach seinem 40. Geburtstag.

Damit haben sie acht Spieler, vorgesehen sind neun, immer dieselben, plus eine Wildcard. Den neunten Namen haben sie auf der Pressekonferenz nicht verraten, sondern erst kurz danach auf ihrer Webseite: Maxime Vachier-Lagrave. Da kann man sich nun wundern: Grundlage war die Eloliste Januar 2015, da war MVL Dreizehnter noch hinter So, Karjakin und Mamedyarov. Es gibt diverse Gründe, um Karjakin nicht einzuladen: 1) Er hat zweimal hintereinander Norway Chess gewonnen, vorgesehener Turniersieger war Carlsen. Höchste Zeit, um mit einer Tradition zu brechen - eigentlich wird bei allen Turnieren der Vorjahressieger wieder eingeladen. 2) Kasparov mag seine politischen Meinungen nicht. 3) Meinetwegen auch: man mag seine Art Schach zu spielen nicht. Aber erst sagen sie "Elo entscheidet, und zwar diese Liste", und dann weichen sie davon ab wobei sie es auf der Pressekonferenz nicht erwähnen. Vielleicht wollen sie ja neun Spieler aus neun Ländern, dann sollen sie das sagen. Ich habe übrigens absolut nichts gegen Vachier-Lagrave.

In der Pressekonferenz gab es nur Fragen von 'befreundeten' Journalisten, z.B. "Was ist der Unterschied zur FIDE Grand Prix Serie?" - Steilvorlage für Nigel Short: "Wir sind besser!". Das wurde dann näher erläutert mit "wir haben die allerbesten Spieler, einschliesslich Carlsen!". Carlsen haben sie, weil sie dem Carlsen-Lager zuzuordnen sind, die anderen bekommen sie weil das Preisgeld stimmt. Ansonsten sind es eben unterschiedliche Konzepte: die FIDE Grand Prix Serie wendet sich an einen etwas breiteren Spielerkreis - ein bisschen mehr Demokratie statt nur Elo-Diktatur. Natürlich konnte man sich über Elo für die GP-Serie qualifizieren, aber auch z.B. über den Weltcup. Dann haben die Weltcup-(Halb)Finalisten Andreikin und Tomashevsky jeweils ein GP-Turnier gewonnen, derlei Überraschungen sind bei der Chess Tour nicht drin. Generell kann bei der FIDE im Prinzip jeder Weltmeister werden bzw. zumindest am WM-Zyklus teilnehmen - auch ich könnte mich theoretisch bei der Europameisterschaft für den Weltcup qualifizieren, und dann beim Weltcup für das Kandidatenturnier. Es ist eben ein anderes Konzept, vielleicht nicht besser aber auch nicht schlechter?

Meine Meinung zur Chess Tour: Warum nicht, sie können das schon machen und inszenieren. Ob drei nahezu identische Turniere wirklich eine neue Ära im Schach einläuten, bleibt Ansichtssache. Und es ist doch nix Neues, nur bereits Vorhandenes anders verpackt und lauter vermarktet? Zum Glück (sagt Thomas Richter) gibt es weiterhin Turniere wie Wijk aan Zee, Dortmund, Biel, ... die nicht nur die absoluteste Weltspitze einladen. So, ich mache Schluss - ich habe bewusst ein bisschen übertrieben ... .

Samstag, 21 Februar 2015 11:12

Phantomdrohungen und Intuition

Im letzten Mannschaftskampf spielte ich eine "Modellpartie" - so stand es jedenfalls hinterher in der Lokalzeitung Texelse Courant. Und die haben Ahnung vom Schach, jedenfalls wenn ein Mitglied unseres Vereins (nicht ich selbst) derlei Artikel schreibt. Sinn und Zweck dieses Beitrags ist aber nicht, oder allenfalls ein bisschen, Eigenlob, sondern ich will einige psychologische Aspekte beleuchten - meine eigenen Gedanken während der Partie, bereits zu diesem Zeitpunkt und auch in der anschliessenden Analyse wurde deutlich warum es prima funktionierte. Wenn Weiss in 28 Zügen glatt gewinnt, hat Schwarz einiges falsch gemacht. Was er falsch gemacht hat, ist relativ klar - man kann es vielleicht auf einen Moment reduzieren. Warum er so spielte, nun es lag u.a. an "Phantomdrohungen": die Drohung ist stärker als die Ausführung, vor allem wenn eigentlich gar nichts droht. Zwei andere Aspekte werden auftauchen: Zum einen die Qual der Wahl zwischen Druck/Initiative aufrecht erhalten oder einen Bauern gewinnen - matt setzen bzw. noch mehr Material gewinnen ist natürlich besser, wenn es denn geht. Zum anderen war da ein recht ungewöhnliches taktisches Motiv, das leider (aus gegnerischer Sicht) bzw. zum Glück (aus meiner Sicht) hinter den Kulissen blieb. Woran scheitert im Titeldiagramm 23.Lxe6, und warum ist auch das alternative 23.Txe6!? kein allzu guter Zug? Das ist zunächst eine Taktikaufgabe für die Leser, später werde ich die Lösung(en) verraten.

Ein bisschen Kontext vorab: Wir spielten gegen Kennemer Combinatie 3. Die können durchaus kombinieren, an anderen Brettern erfolgreich, aber der Name bedeutet Fusion/Spielgemeinschaft mehrerer Vereine aus der Region Haarlem/Kennemerland im tiefsten Süden der Provinz Noord-Holland. Dieses Team spielt in unserer Nordgruppe, da Kennemer Combinatie 4 in der Südgruppe antritt - damit kannten wir sie gar nicht, und sie uns auch nicht. Kennemer Combinatie 1 spielt höherklassig mit Titelträgern. Wie mir mein Gegner hinterher verriet, bekommen die (zumindest etwas) Geld und sind regelmässig beim Vereinsabend dabei - womöglich bekommt Kennemer Combinatie 3 auch Tips von Kennemer Combinatie 1, auch das habe ich bei der Partieanlage berücksichtigt. Einige Spieler ihrer ersten Mannschaft sind übrigens auch in Belgien und Deutschland (GM Spoelman in Emsdetten, IM Ducarmon in Aachen) aktiv.

Auch in anderer Hinsicht war es ein etwas ungewöhnliches und unberechenbares Team: drei Jugendspieler im Alter von vielleicht 14-16 Jahren oder noch jünger, aber auch einige sehr erfahrene Spieler. Die FIDE-Eloliste weiss einiges: mein Gegner Gerard Snijders ist Jahrgang 1956, sie hatten auch noch Frank Taylor (*1947) und Pieter Kroon (*1949). Spiele ich lieber gegen einen Jugendlichen, oder gegen einen noch älteren Gegner (selbst bin ich Jahrgang 1967)? Man nimmt was man bekommt .... . Und nun zur Partie, wobei die Ausrufe- und Fragezeichen nur zum Teil den objektiven und zum Teil den psychologischen Effekt des jeweiligen Zuges reflektieren:

Thomas Richter (1964) - Gerard Snijders (1946), En Passant - Kennemer Combinatie 3, NHSB (Noord-Hollands Schaakbond) 1A, 7.2.2015

1.e4 c5 2.Sf3 e6!? Das spiele ich selbst seit etwa einem Jahr, unter anderem da ich mich dagegen mit Weiss schwer tue. Meine Vorbereitung (ja, das hatte ich vorbereitet): wenn das aufs Brett kommt, dann keine Hauptvariante. Mein Gegner hatte sich, wie er mir hinterher verriet, gezielter vorbereitet und fand tatsächlich drei Partien von "Thomas Richter" in seiner Datenbank. Welcher Thomas Richter das war, keine Ahnung - ich jedenfalls mit ziemlicher Sicherheit nicht (ich habe zwar einen Doktortitel, aber war nur einmal im Leben kurz vor der Wiedervereinigung in Leipzig und spielte auch für keinen der zehn anderen deutschen Vereine). Damit erübrigt sich die Frage, ob man einen Spieler aufgrund von drei Partien stilistisch oder eröffnungmässig einschätzen kann. 3.c3! Das spielte ich jahrzehntelang schon im zweiten Zug, irgendwann wurde es langweilig und nicht zu vielversprechend. Aber vielleicht erwische ich ihn auf dem falschen Fuss? Dem war so. 3.-Sf6 nach fünf Minuten 4.e5 Sd5 a tempo 5.d4 cxd4 wieder fünf Minuten, im Buch ist er wohl nicht mehr 6.cxd4 Sc6 7.Sc3 Sxc3? Wenn man lang rochieren will, sollte man nicht die b-Linie öffnen. Schwarz wollte zu diesem Zeitpunkt aber wohl nicht lang rochieren. Warum er es dann doch tat, Stichwort "Phantomdrohungen". 8.bxc3 mangels Alternativen bekommt dieser Zug kein Ausrufezeichen 8.-d6 9.exd6 Lxd6 10.Ld3! Natürlich ein logisches Feld für den Läufer, das nach schwarzer kurzer Rochade eventuell Lxh7+ andeutet. 10.-Da5 Er verzichtete auf 10. - 0-0 eben wegen 11.Lxh7+, was aber allenfalls "einigermassen spielbar ist" und keinesfalls sofort gewinnt. Der schwarze König muss dann nach g6 auswandern, aber danach wird es weder Matt noch kann Weiss das geopferte Material (mit Zinsen) zurückgewinnen. Aber 10.-Da5 ist auch OK - laut meinem Gegner auch mit der eventuellen Idee -Da5-h5 aber dann vergass er offenbar, dass die Dame auch zum Königsflügel schwenken kann. 11.Ld2 kein sehr schönes Feld für den Läufer, aber a) gibt es ein besseres? b) nach später mal c3-c4 kann sich das ändern 11.-Ld7 Dito, auch der Läufer kann vielleicht mal auf c6 gut stehen. Hier ging allerdings 11.- 0-0 12.Lxh7+? Kxh7 13.Sg5+ Kg8! 14.Dh5 Df5! 12.0-0 h6 Nun war die Rochade nicht so gut, nicht wegen 13.Lxh7+ s.o. sondern wegen 13.Db1 nebst (relativ) gratis Bauerngewinn auf b7 oder h7. Bauern auf b7 sind mitunter vergiftet, hier war es wohl spielbar - Weiss hat seine Entwicklung mehr oder weniger abgeschlossen, und die Dame steht auf b7 nicht wirklich gefährdet. Das hatte ich (noch) nicht gesehen, aber nach eventuell 12. - 0-0 muss ich ja nicht a tempo reagieren. 13.Te1! Wiederum gilt: logischer und guter, was die weitere Partie betrifft, sehr guter Zug. 13.-Se7? Das verdient nun auch objektiv ein Fragezeichen. Kurz rochieren wollte er immer noch nicht, da er Angst vor einer späteren Batterie auf der Diagonale b1-h7 hatte. Allerdings ist z.B. 13.- 0-0 14.De2 Dc7 15.De4 f5! für Schwarz völlig OK. Das war meine letzte "Phantomdrohung", ab hier droht tatsächlich beinahe ständig was. 14.Se5! Wieder logisch - manchmal macht man das selbst, wenn man -Lxe5 mit dxe5 beantworten muss 14.-Lxe5 Fast erzwungen - aber ich mag sowohl Läuferpaar als auch Entwicklungsvorsprung 15.Txe5 Dc7 Computer bevorzugen 15.-Da3 mit ein bisschen Gegendruck. Spielt man das als Mensch, wenn es nicht Teil einer etablierten Eröffnungsvariante ist? 16.Dg4 Hier sagte ich hinterher in der Analyse "Ich denke, dass Computer diese Stellung mit +1 oder +2 beurteilen". Mein Gegner entschied sich für +1.5, Houdini sagt +1.2, Stockfish (generell grosszügiger) +2. 16.-g6 16.-Kf8 ist wieder so ein Computerzug, den ein Mensch allenfalls ungern spielt. 17.Tae1 Sc6 Wenn man so will, seine erste Falle. Nun rechnete ich einige Zeit an 18.Txe6+?!!? was aber gar nicht funktioniert. Das "muss" man untersuchen nach dem Motto "was, wenn es geht und mein Vorteil sonst dahin ist?". Ich erwog auch 18.Lf4?! ohne (18.-Sxe5! 19.Lxe5) 19.-Dxc3! zu sehen. Das ist dann laut Engines 0.00 wenn Weiss danach die besten Züge findet. Dann auf Nummer sicher: 18.T5e2 Züge wie 18.Tc5 oder 18.Tb5 hatte nun ich, im Gegensatz zu Engines, gar nicht auf der Rechnung. 18.- 0-0-0 Das muss nun sein, bevor Weiss auch diese Rochade mit Dh4 verhindert. 19.Df3 natürlich nicht sofort 19.Lf4? e5!. Dieser Zug bereitet Lf4 vor und greift eher nebenbei einen Bauern an. 19.-f5 Ich erwartete 19.-g5 - lieber einen Bauern hergeben als komplette schwarzfeldrige Dominanz (vgl. 14.-Lxe5) zulassen? Dann hätte ich wohl mit etwas gemischten Gefühlen 20.Dxf7 gespielt, was offenbar geht. Aber ein Bauer ist nur ein Bauer, und ein Königsangriff ist ein Königsangriff. Mein Gegner war materialistisch. 20.Lf4 Da5 21.Lc4 ein multi-funktioneller Zug: die Bauern auf a2 und c3 sind gedeckt, Schwarz kann sich nun nicht mit eventuell -Dd5 entlasten und damit leidet seine Tante etwas unter Atemnot. Grund genug um Lc4 zu spielen, wiederum greift es eher nebenbei einen Bauern an. 21.-g5 22.Ld6 ein erstaunlich stabiles Feld für diesen Läufer 22.-The8 Das war als brilliante Falle konzipiert, wie mir mein Gegner später verriet. Warum nun nicht 23.Lxe6? Wer es nicht gesucht oder nicht gefunden hat, nun verrate ich die Lösung: 23.Lxe6?? Lxe6 24.Txe6 Sxd4!!

Richter Snijders Variante

Doppelter Röntgenblick - weiter geht es eventuell mit 25.cxd4 Dxe1+ 26.Txe1 Txe1 matt - Moment mal, ICH wollte doch mattsetzen! Hinterher untersuchten wir in etwas grösserer Runde 23.Txe6!? ohne des Pudels Kern zu finden. Unsere Variante lautete 23.-Sxd4 24.cxd4 Dxe1+ 25.Txe1 Txe1+ 26.Lf1 (der kleine Unterschied) 26.-Lb5?! [nach 26.-Txf1+ 27.Kxf1 Lb5+ 28.Ke1 Txd6 lebt Schwarz noch ein bisschen] 27.Dc3+ - "Du willst als Erster mattsetzen?" (so mein Gegner) - "Na 28.Dxe1 sollte reichen" (meinte ich). Die richtige Variante lautet 23.-Lxe6 24.Lxe6+ Txe6 25.Txe6 Sxd4! (erst hier) 26.cxd4 Txd6! Nach 27.Te5 nebst Dxf5+ hat Weiss immer noch ein bisschen Vorteil (sagen jedenfalls Engines) aber da muss mehr drin sein. Das alles hatte ich nicht ansatzweise gesehen. Vielleicht hatte ich im Unterbewusstsein, dass ich in Stellungen mit schwarzer Dame auf a5 und weissem Turm auf e1 mitunter anfällig bin, aber ich verzichtete eher aus allgemeinen Erwägungen auf diesen Bauern - Druck aufrecht erhalten ist sicher besser - und spielte den 'Computerzug' 23.Tb1. Dann 23.-g4 Der Bauernsturm geht weiter, aber die schwarzen Figuren stehen zu suboptimal für einen Angriff auf den weissen König. 24.Dd3 Mein Gegner: "Warum denn dieser starke Zug? Ich hoffte auf 24.Dg3 und dann lebe ich noch." Jedenfalls in einem Mannschaftskampf will man das Ende so lange wie möglich hinauszögern. Idee hinter Dd3 ist, b7-b6 zu verhindern aufgrund von dann La6 Schach bis Matt. 24.-e5 Nun spielt auch er Computerzüge - aber wenn das der beste Zug ist stimmt irgendwas nicht mit seiner Stellung. 25.Tb5 e4 26.Db1 Wieder sagte mein Gegner: "Warum das denn? 26.Dc2 war aus meiner Sicht besser." 26.-Da6 27.Teb2 Der nächste bitte. 27.-Le6 28.Txb7 1-0.

Wir haben übrigens insgesamt bei den Erwachsenen 3-2 gewonnen, aber das Duell Texelsche Oldies (alle drei 40+) gegen Kennemer Teenies 0-3 verloren und damit am Ende null Mannschaftspunkte. Unser Abstiegskampf (letztes Jahr sind wir aufgestiegen) geht weiter, während der Gegner (letztes Jahr abgestiegen) aufgrund anderer Ergebnisse nur noch kleine bis theoretische Chancen auf den angestrebten Wieder-Aufstieg hat. Das liegt unter anderem daran, dass sich ihr Spitzenspieler (Elo 2224) bereits in höheren Teams festgespielt hat und daher nicht mehr zur Verfügung steht - ein Luxusproblem das die eine und einzige Mannschaft von En Passant Texel nicht hat.

 

 

Donnerstag, 19 Februar 2015 18:17

Skandal in Zürich?

Es passiert nicht oft, dass ich ganz spontan und ein bisschen wütend etwas schreibe - heute ist es soweit. Um eingangs Schach mit der viel populäreren Sportart Fussball zu vergleichen: Im Fussball ist unentschieden in einzelnen Partien möglich, Gleichstand am Ende eines Wettbewerbs (z.B. 34 Runden in der deutschen Bundesliga) dagegen ziemlich selten - und dann gibt es noch das Torverhältnis als absolut logischen Tiebreaker. Verlängerung und Elfmeterschiessen gibt es daher auch nur ausnahmsweise. Im Schach ist Remis in einzelnen Partien ein logisches Ergebnis (auch wenn es Zuschauer gibt, die das nicht mögen - und Spieler wie Jobava die alles tun damit eine Partie nicht remis endet), und Gleichstand am Ende eines Turniers insgesamt wohl weder Regel noch Ausnahme sondern ca. fiftyfifty. Das ist eben so, aber es gibt Leute (Veranstalter, Journalisten, Zuschauer) die doch unbedingt einen Sieger haben wollen. Manchmal (z.B. im Kandidatenturnier) muss das so sein, bei anderen Gelegenheiten nicht unbedingt - aber es kommt immer mehr in Mode. Im Fussball gibt es wohl keine Elfmeterschiessen-Spezialisten - das, den Druck in dieser Situation, kann man kaum üben oder simulieren, und es gibt keine aparte Disziplin "Elfmeterschiessen", das ist immer nur Nachtisch nach 120 Minuten. Im Schach gibt es durchaus Blitz-Spezialisten.

Drei Turniere relativ neuen Datums: In Gibraltar 2014 war Cheparinov am Ende ein aus meiner Sicht paradoxer Sieger - warum ich das so sah und sehe habe ich anderswo erläutert. Kurzfassung: Er spielte "Schweizer Gambit" und erzielte im Turnier 8/10 - wie Ivanchuk und Vitiugov, allerdings gegen deutlich schwächere Gegner. Dann hatte er im fälligen Blitz-Tiebreak zunächst Losglück und setzte sich dann durch. Tücken von Schweizer System plus Tiebreak-Regeln, aber immerhin stand das von Anfang an in den Regeln.

Dann, wohl noch frisch in Erinnerung, Baden-Baden 2015. Auch da hatten die Regeln einen Tiebreak vorgesehen, wenn auch etwas unklar formuliert. Das wurde dann ein grosses Spektakel, auch weil Aronian und Caruana es live mit kommentierten - sehr unterhaltsam aber für mich ziemlich losgelöst vom Turnier mit klassischer Bedenkzeit, das zwei Sieger hatte. Carlsen gewann am Ende. Ich bekam Ärger mit Carlsen-Fans weil ich Naiditsch als moralischen Sieger bezeichnete - OK, Ansichts- oder Geschmackssache.

Und nun, ganz frisch, Zürich 2015. Hier entschieden die Organisatoren offenbar spontan während dem Schnellturnier, dass es bei Gleichstand noch Blitz und Armaggedon geben würde. Dazu kam es, und dann das: Nakamura sass am Brett und wartete auf seinen Gegner Vishy Anand - geplant waren zunächst zwei Blitzpartien und dann eventuell Armaggedon. Dann stellte sich heraus, dass Anand offenbar protestierte - Kompromiss, wie auch immer er entstand: Armaggedon, und zwar sofort. Mein Eindruck zu dieser Partie: Anand protestierte immer noch, nun am Brett mit seiner bizarren Partieanlage. Das sieht zumindest Europe Echecs genauso: "il suffit de rejouer ce blitz final pour s'aperçevoir qu'Anand n'avait pas du tout envie de le jouer !" - Man muss die Partie nur nachspielen um fest zu stellen, dass Anand absolut keine Lust hatte! Nakamura gewann.

Ich weiss nicht, ob es bereits Reaktionen von den Spielern gibt. Sagte Nakamura etwa "in the end I won and that's all that matters"? Fand Anand diplomatische oder auch nicht so diplomatische Worte? Irgendwie habe ich den Eindruck, Nakamura 'sollte' endlich sein zweites Superturnier gewinnen. Auch wenn seine Blitzstärke manchmal etwas übertrieben wird, er war sicher Favorit und er mag derlei Spektakel wohl mehr als Anand.

Persönlich bevorzuge ich, sofern möglich, wenn Turniersiege offiziell geteilt werden. Gängiger Einwand: "Das gibt es in keiner anderen Sportart!" - aber das ist eben ein Gebiet auf dem Vergleiche zwischen Schach und anderen Sportarten begrenzt sinnvoll sind. Ich mag "mein Turnier in Wijk aan Zee" bei dem ich auch dieses Jahr wieder Eindrücke hinter den Kulissen sammeln konnte. Am letzten Tag gab es eine, wenn auch eher kleine Chance, dass gleich fünf Spieler punktgleich vorne liegen würden - ich fragte Pressechef Tom Bottema "und dann?". "Dann teilen wir alles: Preisgeld, Pressekonferenz, Foto mit dem Pokal - nur müssen wir die Spieler irgendwie ordnen und einer darf den Pokal dann mitnehmen".

Soweit mein Schnellschuss, der vor allem Diskussionen auslösen soll.

 

Montag, 29 Dezember 2014 17:23

Du da, tausch doch die Damen

Ich habe zwar hier bereits über Damenendspiele geschrieben, aber bin da wahrlich kein Experte - zum Glück (oder, im Sinne von Erfahrungen sammeln, leider?) sind sie in meinen eigenen Partien ziemlich selten. Auch Grossmeister sind da keinesfalls perfekt, nur Tablebases sind - sobald ihr Territorium erreicht ist - unfehlbar. Aber an einer Stelle hätte wohl "sogar" ich besser gespielt als der Weisspieler der heutigen Partie Duda-Cheparinov - im 69. Zug, ziemlich unwahrscheinlich jedoch, dass ich so lange durchgehalten hätte ... . Gespielt wurde sie vor gut einem Monat in der dritten Runde des Katar Opens; das Turnier war so stark besetzt, dass es schon früh hochkarätige GM-Duelle gab.

Zwischenzeitlich machte der 16-jährige Pole Jan-Krzysztof Duda anderweitig Schlagzeilen, nämlich bei der EM im Blitz- und Schnellschach wo er Silber und Gold gewann, obwohl er nur an 51 und 69 gesetzt war. Ist er damit nun der weltweit drittbeste Spieler mit verkürzter Bedenkzeit, nach Doppel-Weltmeister Carlsen und Doppel-World Mind Games Sieger Grischuk? Nicht unbedingt: erstens war es in Wroclaw/Breslau noch knapper als in Dubai und Peking, zweitens war das Turnier etwas schwächer besetzt, drittens hinken derlei Vergleiche immer (auch wenn manche Leser sie vielleicht wortwörtlich nehmen).

Zurück zur Partie: Eröffnung (Najdorf mit 6.h3) lasse ich aussen vor, und das Mittelspiel bis frühe Endspiel fasse ich nur kurz zusammen: Nach heterogenen Rochaden kam es zum üblichen beiderseitigen Bauernsturm - Sinn der Sache ist, Bauern zu opfern um Linien zu öffnen. Mattsetzen konnte allerdings keiner der beiden, damit ergab sich ein Endspiel mit beiderseits Freibauern, am jeweils linken Flügel vor dem eigenen König. Konkret war es ein Schwerfigurenendspiel mit Damen und je einem Turm, das Duda zunächst wohl nicht optimal behandelte: die schwarzen Figuren waren viel aktiver, und der weisse König stand etwas zugig. Es gibt gewisse Parallelen zur ersten WM-Partie Anand-Carlsen - Anand erreichte da dann den Remishafen, Duda gar ein besseres Damenendspiel, Thema dieses Beitrags (komplette Partie siehe unten). So stand es nach 54.Txf3 Dxf3+ 55.Ka4:

Duda-Cheparinov move 55

 

 

 

 

 

 

 

Warum steht Weiss hier trotz Minusbauer (potentiell) etwas besser? Der b-Bauer ist etwas gefährlicher als der g-Bauer, und der schwarze a-Bauer im Endspiel anfällig (im Mittelspiel war er ja noch ein potentieller Sargnagel, aber nach dem Mittelspiel kommt mitunter ein Endspiel). Weiter geschah zunächst 55.-g4 56.b6 g3 57.Dc7+ Kg6 Vielleicht war 57.-Kh6 genauer, warum wird später klar. 58.b7 De4+ 59.Kxa3 tschüss, a-Bauer! 59.-De3+ 60.Kb4 g2 Spielte Cheparinov auch auf Gewinn, oder "sah" er (im Gegensatz zu Engines), wie Weiss Dauerschach vermeiden kann? Nun ging jedenfalls 61.Dc2+ und 62.Dxg2, und dann muss Schwarz doch Dauerschach anstreben, objektiv nun ausser Reichweite. 61.b8D ist auch nicht verkehrt, aber nun braucht man Tablebase-Wissen 61.-Dd4+ (61.-g1D wird forciert Matt in 10 Zügen, sagt Stockfish - ich zeige nicht die Variante, nur die Schlusstellung:)

Duda-Cheparinov Variante 1

 

 

 

 

 

 

 

62. Kb3 Dd3+ 63.Kb2 Dd4+ 64.Ka3 De3+ 65.Kb4 Dd4+ 66.Dc4

Duda-Cheparinov move 62 or 66

 

 

 

 

 

 

 

Nun ruft Stockfish, Version Liveübertragung, "Matt in 90 Zügen!" (ging natürlich bereits nach 61.-Dd4+ 62.Dc4). Kann er so weit vorausberechnen? Nein, er hat sicher gemogelt und heimlich Tablebases befragt - nun kann forciert eine Tablebase-gewonnene Version von Dame plus a-Bauer gegen Dame entstehen. Kleiner Exkurs: Gibt es eigentlich Beispiele aus der Praxis zu unklaren und stabilen Doppeldameendspielen? Unklar bedeutet, dass es keinen forcierten Gewinn gibt (wie in obiger Variante), stabil dass alle vier Damen längere Zeit auf dem Brett verbleiben? In der Partie vereinfachte Duda korrekterweise mit 66.-g1D 67.Dg8+ Kh5?? 68.Dxg1 Dxg1

Duda-Cheparinov move 68

 

 

 

 

 

 

 

und musste nun weiter vereinfachen mit 69.Dc5+ nebst gewonnenem Bauernendspiel: 69.-Dxc5+ (69.-Dg5 70.Dxg5+ wird Zugumstellung) 70.Kxc5 Kg4 71.a4 e5 72.a5 e4 73.Kd4 Kf3 74.a6 e3 75.a7 e2 76.a8D SCHACH!!

Duda-Cheparinov Variante 2

 

 

 

 

 

 

 

Stattdessen geschah 69.Dxe6?? - Duda, tausch doch die Damen (und zwar alle vier). Die Zeit war zwar womöglich bereits knapp, aber nicht extrem knapp: für 69.Dxe6 investierte Duda 13 Sekunden, für zuvor 68.Dxg1 immerhin eine Minute und fünfzehn Sekunden. 1) Hatte er 69.Dc5+ gar nicht gesehen? 2) Hat er sich im Bauernendspiel irgendwo verrechnet? 3) Wusste er nicht, dass die Stellung im Diagramm direkt oben für Weiss gewonnen ist? Option 3) schliesse ich aus, 1) oder 2) ist beides unwahrscheinlich, aber irgendwas muss es ja gewesen sein. Und warum hatte Cheparinov nach satten zwei Sekunden 67.-Kh5?? gespielt? Offenbar wollte er seinen e-Bauern nicht mit Schach verlieren. So wie sie gespielt wurde, dauerte die Partie noch eine ganze Weile. Cheparinov kannte offenbar einen Artikel von Kollege Michael Schwerteck (oder er hat andere Quellen) und lief mit seinem König in die entfernteste Ecke, also nach h1. Tablebases sagten ständig remis, bis zum 117. Zug. Gerade geschah 117.Kd2:

Duda-Cheparinov move 117

 

 

 

 

 

 

 

"Nalimov" wurde gerade anderswo im Kommentar erwähnt, die Internet-Version findet man hier. Fünf Züge halten remis (-Df7, -Dh8, -Dh4, -Df5 und -Dg8), Cheparinov spielte stattdessen 117.-Kg2? . Das Fragezeichen ist sicher etwas zu streng, aber eben die objektive Wahrheit - nun kann Weiss in 52 Zügen mattsetzen! Beiderseits bestes Spiel ginge weiter mit 118.Dc6+ Kg3 119.Dc5 Df7 120.a7 (einziger Gewinnzug) 120.-Da2 (alles andere verliert viel schneller) 121.Kd3 Db1+ 122.Kd4 Dd1+ 123.Ke5 Dh5+ 124.Kd6 Dg6+ 125.Kd7 Df7+ 126.De7 Df5+ 127.Kc6 usw. usw. - nach insgesamt 36 Zügen ab 117.-Kg2 kommt Weiss zu a8D. Duda spielte zunächst einigermassen richtig 118.Dd5+ Kh2 119.De5+ Kh1 120.De1+? (nur wieder 120.Dd5+ gewinnt) 120.-Kh2? (120.-Kg2 ist remis) 121.De3? (Weiss musste mit 121.De5+ die Züge wiederholen) und danach war die Stellung wieder remis, und blieb es bis zum Schluss. Für mich ist das reiner Hokuspokus, gibt es Leser die Sinn, Struktur, Ästhetik oder was auch immer der Tablebase-Varianten ergründen können? Einmal musste Cheparinov noch aufpassen:

Duda-Cheparinov move 147

 

 

 

 

 

 

 

Bitte nicht 147.-Dxa7?? sondern zunächst 147.-Dg1+ 148.Ke2 Dxa7 149.Df2+ Dxf2! (only move) 150.Kxf2! (ebenso)

Duda-Cheparinov move 150

 

 

 

 

 

 

 

Und nun war es soweit: Auslosung für die nächste Runde in Katar. Cheparinov holte im weiteren Turnierverlauf noch 3.5/6, weder schlecht noch besonders gut. Duda musste sich danach mit 2/6 begnügen - hatte diese Seeschlange Konsequenzen? Sah er nach der Partie selbst, welchen Elfmeter er verschossen hatte, oder hat er das von anderen (vielleicht gar von seinem Gegner) erfahren? Wie bereits erwähnt, sein nächstes Turnier war Blitz- und Schnellschach - da hat man kaum Zeit, verpassten Chancen nachzutrauern ..... .

 

Freitag, 19 Dezember 2014 10:58

This is sick

Zum Titelbild: Weiss am Zug, was tun? Jedenfalls nicht die Partiefortsetzung 20.Tb1?? Df2+ 21.Kh3 Se3+ 0-1. Diverse Züge sind besser, aber a) Was ist der beste Zug? b) Was ist dann die (Computer-)Beurteilung der Stellung bei beiderseits bestem Spiel? c) Was kann passieren, wenn Schwarz plausibel aber nicht optimal reagiert? Der Leser darf selber darüber nachdenken - aber da es viele vermutlich überfordert, werde ich später die Lösung verraten. Thema dieses Artikels ist unter anderem "unglaublich, was Computer mitunter finden" - illustriert mit drei Fragmenten: zwei zwischen unbekannten Amateuren (einer der vier ist als Schach-Schreiberling hier und anderswo ein bisschen bekannt), und eine - chronologisch die erste - zwischen bekannten Grossmeistern, daher stammt auch der Titel dieses Beitrags. Das war schon einige Zeit geplant, nun ist es quasi auch eine aktuelle Antwort auf IM Jeremy Silman ("A Chess Engine is NOT Your Friend!"). In diesem Beitrag schreibt Silman, dass Amateure Computer sparsam bis gar nicht verwenden sollten. Stattdessen sollen sie ihre Partien selber analysieren, Bücher und Trainer können wohl auch helfen und indirekt empfiehlt er wohl den Buchautor und Schachtrainer Jeremy Silman. Gesehen hatte ich das zunächst bei Dennis Monokroussos (nebst Diskussion in die ich mich auch ein bisschen einmischte).

Hintergrund: Mein Verein ist letztes Jahr aufgestiegen und damit mal wieder "erstklassig" in der Provinz Noord-Holland - wobei es hierzulande über der ersten regionalen Spielklasse noch die 'Promotieklasse' gibt, und überregional bis national über der ersten Klasse noch die 'Meesterklasse'. 2006/2007 waren wir schon einmal erstklassig und sind damals recht souverän wieder abgestiegen - diesmal haben wir auf dem Papier bessere Chancen, die Klasse zu halten, ob es klappt wissen wir am Ende der Saison. Ich schlug vor, Partien aus Mannschaftskämpfen am nächsten Vereinsabend gemeinsam zu analysieren. Da habe ich mir was eingebrockt: "der Journalist" darf das nun vorbereiten und koordinieren. Das heisst (Handschriften entziffern), Partien in Chessbase eingeben und acht Partien vorab untersuchen. In der Kürze der Zeit und überhaupt schaffe ich das nur mit Hilfe von Engines. Deren Verbesserungsvorschläge fallen grob gesagt in zwei Kategorien: 1) Das konnte man auch selbst finden, und vielleicht kann man ähnliche Ideen/Pläne demnächst mal in ähnlichen Stellungen/Strukturen verwenden. 2) "typische Computervarianten" - darüber kann man vor allem staunen und sie vielleicht ansatzweise verstehen. Allerdings ist es recht unwahrscheinlich, dass man auch nur ansatzweise vergleichbare Motive später mal recyclen kann - dafür ist Schach zu kompliziert!

Genug der Vorrede, steigen wir ein in die Partie Thomas Richter (1964) - Marcel Duin (1852), gespielt am 1.11.2014. Ich will sie nicht komplett analysieren, aber doch andeuten wie es zu der Schlüsselstellung kam. So: 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2 Sf6 4.e5 Sfd7 5.f4!? Eine scharfe Variante, früher spielte z.B. Schirov das gelegentlich und mit wechselndem Erfolg, inzwischen ist es jedenfalls auf hohem Niveau ziemlich selten. Ist es objektiv schlecht, zu riskant oder einfach aus der Mode? Auf Amateurniveau ist es relativ irrelevant, was Grossmeister davon halten? Ich spielte das bis vor ca. 15 Jahren regelmässig, seither nicht mehr. An diesem Tag spekulierte ich auch darauf, dass der Gegner es vielleicht nicht kennt. Tatsächlich begann er zu überlegen, folgte dann aber der Theorie. Nach der Partie sagte er "Ich musste 'wie ging das nochmal?' rekonstruieren". 5.-c5 6.c3 Sc6 7.Sdf3 cxd4 8.cxd4 Lb4+ (häufiger ist erst 8.-Db6 9.g3 Lb4+, aber so wird es eine Zugumstellung) 9.Kf2 (hier ging auch 9.Ld2) 9.-Db6 10.g3 g5!? immer noch Theorie - findet man das am Brett wenn man die Variante nicht kennt? Hier verabschiedete ich mich von der Illusion, ihn vielleicht auf dem verkehrten Bein zu erwischen. 11.fxg5 In irgendeinem Buch steht "just play this open position!". Mein Gegner hinterher: "Ja, so ähnlich ist auch meine Schachauffassung". 11.-Sdxe5 12.Kg2 "normal" ist 12.Sxe5 Sxe5 13.Kg2 und nun 13.-Sc6 oder 13.-Sc4 12.-Sg6 gut, das ist auch ein Feld für den Springer. "Irgendwann" kann man ihn vielleicht mit h2-h4-h5 belästigen was natürlich die eigene Königsstellung schwächt ... . 13.Se2 Ld7 14.Sc3 im Nachhinein gefällt mir 14.a3 Ld6 15.Sc3 besser, verhindert vorläufig wohl e6-e5. 14.- 0-0-0 15.a3 Lxc3 sah ich als grosser Freund des Läuferpaars zunächst gerne, aber es gibt andere konkrete Faktoren in der Stellung 16.bxc3 e5! 17.dxe5 Scxe5 (17.-d4 ist kompliziert und gut für Schwarz) 18.Sxe5 Sxe5 19.Lf4? Hinterher schauten wir uns 18.Dd4 an und waren uns einig, dass Weiss in diesem Semi-Endspiel etwas besser steht. Houdini teilt diese Auffassung nicht aber empfiehlt auch 18.Dd4. 19.-Sg4 bekommt von Houdini auch ein Fragezeichen (19.-Lf5, 19.-Sg6 jeweils mit schwarzem Vorteil). Das von mir etwas befürchtete 19.-Lc6!? 20.Lxe5 d4+ 21.Kh3 dxc3 bewertet er nach diversen weissen Damenzügen mit 0.00. Und nun haben wir das Titeldiagramm, ich bringe es nochmals:

Richter-Duin

 

 

 

 

 

 

 

Weiss am Zug, was tun? Houdinis Antwort lautet 20.Dd4! Schön und gut, und nun ist Damentausch wie auch immer gut für Weiss (u.a. da der Sg4 dann wacklig steht) aber da geht doch 20.-Db2+ !? Houdini sagt "kein Problem". Eine Variante lautet nun 21.Kg1 Dxa1 22.Dxa7 Lc6 23.Da5 Kd7 24.h3 usw. 0.00, irgendwie gibt Weiss offenbar Dauerschach. Gleichwertig ist 21.Kf3!? und nun ist 21.-h5 der einzige Zug für Schwarz! Und nun ist sowohl 22.h3 absolut 0.00, als auch 21.gxh6 Txh6 22.Lxh6 Dxa1 (bzw. auch 22.-Sxh6) 23.Lf4 Sxh2+ 24.Kf2.

Findet ein Amateur 21.-h5 ? Und warum denn nicht 21.-Dxa1 ? Wegen 22.Dc5+ Lc6 23.Kxg4

Richter-Duin 2

 

 

 

 

 

 

 

und Weiss gewinnt (+7 oder so), es droht unter anderem Kh4 nebst Lh3+. Eine der verrücktesten Computervarianten, die mir jemals begegnet sind - konnte ich (falls Schwarz 21.-h5 nicht findet) glanzreich gewinnen statt blamabel zu verlieren? Wenn ich das Schach auf f2 nicht komplett übersehen hätte, dann hätte ich vielleicht so gespielt - da Alternativen im 20. Zug wie z.B. 20.Ta2 (was mein Gegner als erzwungen betrachtete) ziemlich hässlich sind. Früher hatte ich mitunter vergleichbare Stellungen in dieser Variante: der weisse König steht auf g4 sicher, dem schwarzen König geht es an den Kragen. Das waren vor allem Blitzpartien: da hat man wenig Zeit um zu überlegen, noch weniger Zeit um sich Sorgen zu machen, also spielt man einfach drauflos!

Wie eingangs erwähnt, kurz davor (am 28.10.2014) gab es auf etwas höherem Niveau eine ähnlich überraschend-absurde Variante: Karjakin-Giri, gespielt beim Grand Prix in Taschkent. Die Diagrammstellung unten hätte nach 13.Sdxb5 (statt - Partie - 13.fxe5) 13.-axb5 14.Lxb5+ Ke7 15.fxe5 Sxe3 entstehen können:

Karjakin-Giri

 

 

 

 

 

 

 

Nun ist 16.Dxe3 für Schwarz noch einigermassen OK, aber 16.Df4!! ist 'absolutely crushing'. Unter anderem scheitert nun 16.-f5 oder 16.-f6 am Doppelangriff 17.exf6+ (auf Ke7 und Dc7). Giri dazu hinterher: "16.Df4 is sick- aber nicht verwunderlich dass Weiss hier gewinnt bei so vielen Figuren auf der schwarzen Grundreihe."

Und noch ein Beispiel aus der Ersten Klasse NHSB (Noord-Hollandse Schaakbond), mein Teamkollege hat Schwarz:

Johan Plooijer (1777) - Jaap de Wijk (1648), Stellung nach 36.-Txf3? 37.Dxg5+ Kf8:

Plooijer - de Wijk

 

 

 

 

 

 

 

Zuvor geschah u.a. 29.-g5?! was die schwarze Königsstellung freiwillig, permanent und unnötig schwächte, und kurz danach hat Weiss eine Figur einzügig eingestellt. Aber warum war 36.-Txf3? ungenau, was muss Weiss nun spielen damit Houdini auf 0.00 besteht? Kleiner bzw. nicht so kleiner Hinweis: nicht etwa 38.Kg2? Tf2+! . Den besten (und einzigen) weissen Zug kann man vielleicht finden, auch wenn man nicht alle weiteren Varianten sieht - daher verrate ich die Lösung nicht. Das war am Samstag der 13. Dezember - für uns ein Glückstag da unser Gegner (Konkurrent im Abstiegskampf) an vier Brettern verfrühte Weihnachtsgeschenke verteilte, u.a. misshandelte mein Gegner ein gewonnenes Läuferendspiel und verlor noch. Dadurch gewannen wir insgesamt 5,5-2,5 und haben uns auf den vorletzten Platz verbessert. Da zwei Teams absteigen, haben wir gute Vorsätze für 2015: in den drei verbleibenden Mannschaftskämpfen noch mindestens ein Erfolgserlebnis. Vermutlich/leider sind wir nicht das einzige Team mit guten Vorsätzen für 2015, und mitunter sind gute Vorsätze bereits Ende März (dann wird die letzte Runde gespielt) Makulatur. Noch ist es nicht soweit, in diesem Sinne wünsche ich den Lesern frohe Weihnachten und (es sei denn ich schreibe zwischendurch nochmal was) einen guten Rutsch in das Neue Jahr!

Samstag, 25 Oktober 2014 00:00

Der perfekte Turniersaal

Nein, das wird keine Reklame für ein Turnier an einem Ort, das werden ein paar allgemeine Gedanken, Denkanstösse oder Stichworte. Am Ende wird allenfalls herauskommen, dass es den perfekten Turnierort nicht gibt - da man es nie allen recht machen kann und da es quasi unmöglich ist, alle fünf Kriterien, die ich nennen werde, optimal zu bedienen. Anregungen für diesen Artikel stammen zum Teil aus email-Diskussionen mit DSB-Vizepräsident Michael Woltmann (am Rand meiner Grand Prix - Berichterstattung für den Schachbund). Und dann beendete auch noch Macauley Peterson einen Artikel über das "Chess Train" Turnier mit der Frage an die Leser: "Wo würdet ihr am liebsten ein Schachturnier spielen? Lasst es mich in euren Kommentaren wissen ...". Ich beziehe mich allerdings auf Superturniere; die allermeisten Leser von chess24 (einschliesslich aller, die auf Deutsch oder Englisch dort kommentierten?) haben vermutlich Elo unter 2700 und bekommen deshalb keine Einladungen zu hochkarätigen Turnieren.

Bevor ich eins bis fünf nenne: eigene Einblicke aus zwei Perspektiven (die aus Teilnehmersicht fehlt!) habe ich vor allem aus Wijk aan Zee - nicht das Mass aller Dinge, aber eben ein konkretes Beispiel. Und nun eins bis fünf, die Reihenfolge/Priorität ist Ansichts- oder Geschmackssache:

1) Was wird den Spielern geboten? Ein ausreichend belüfteter (aber nicht zugiger) sowie, je nach Bedarf, beheizter oder klimatisierter Spielsaal sollte selbstverständlich sein, ebenfalls ein angemessenes Hotel - da scheiden sich dann vielleicht schon die Geister, was (wieviele Sterne) angemessen ist. Und darüber hinaus, für diejenigen die etwas Ablenkung brauchen statt nur Schlafen-Essen-Vorbereiten-Essen-Spielen-Essen-Schlafen? Der eine bevorzugt vielleicht eine Grosstadt (= Kultur, Nachtleben, Einkaufsmöglichkeiten), der andere eine ländliche Umgebung für Spaziergänge und Ausgleichssport. Dann gibt es noch Spezialfälle: Nicht alle mögen interkontinentale Turniere mit mittendrin langer Reise und Jetlag oder auch nur kürzere Reisen - wie bei Norway Chess und, seit 2014, Tata Steel. Nicht alle spielen gerne in einem Glaskäfig. Zu beidem stellt sich die Frage: was 'darf' der Sponsor den Spielern 'zumuten'? Wobei jeder selbst entscheiden kann und muss, ob er die Einladung zu einem Turnier annimmt.

2) Was wird Zuschauern vor Ort geboten? Für wie viele ist Platz, wie viele können kommen? Sinn und Zweck von "Spitzenschach in einer Metropole" ist aus meiner Sicht, dass 'die Metropole' (natürlich nicht Millionen Menschen, aber doch ein paar hundert bis über tausend Zuschauer) tatsächlich zuschauen kann, aber dazu komme ich noch bei Punkt fünf. Subkriterien sind für mich: relative Nähe zu den Spielern (natürlich ohne sie zu stören), Rahmenprogramm d.h. auch Schach auf Amateurniveau, Livekommentar, andere Räume um sich mit Schachfreunden nicht flüsternd zu unterhalten und zwischendurch was zu essen oder zu trinken.

Eigene Eindrücke aus Wijk aan Zee: Zuschauer stehen (sitzen geht nicht) ein paar Meter von den Schachbrettern entfernt und können damit Körpersprache der Spieler und Zeitnotdramen direkt verfolgen - aus meiner Sicht 'besser' als selbst die allerbeste Videoübertragung. Nach den Partien müssen die Spieler durch den "öffentlichen" Bereich - Chance für Autogrammjäger oder vielleicht auch für ein kurzes Gespräch. Dazu eine kleine Anekdote aus Wijk aan Zee 2014: Ein Amateur (Name beim Autor bekannt) ist grosser Nakamura-Fan und war, wohl wie Nakamura selbst, mit dessen Turnier gar nicht zufrieden. Dann begegnete er ihm draussen vor dem Eingang und sagte "Was ist los mit Dir? Du spielst wie Elo 1800!". Nakamuras weibliche Begleitung (selbst Schachspielerin mit etwas höherer Elo) musste herzlich lachen, aber der (Gross)Meister war stinksauer ... . Dieses Gespräch kam nicht zustande. Rahmenprogramm gibt es auch, ebenfalls Nebenräume mit Bewirtung. Livekommentar seit diesem Jahr (Sparmassnahmen) nur noch am Wochenende. Wann Livekommentar gelungen ist - welches Niveau, welche Mischung aus Anekdoten und tiefgreifenden Analysen laufender Partien - ist sowohl Geschmackssache als auch ausreichend Stoff für einen eigenen Artikel. Bekommt Wijk aan Zee Bestnoten? Das hängt davon ab, wie man Punkt 5) gewichtet.

Ansonsten war ich nur einmal, vor vielen Jahren, in Dortmund vor Ort. Dort sassen die Zuschauer im Theater und die Spieler, relativ weit entfernt, auf der Bühne. Livekommentar gab es über Kopfhörer, Rahmenprogramm (kleines Open) war irgendwo anders in Dortmund, Nebenräume soweit ich mich erinnere Fehlanzeige.

Noch ein Punkt: Wo ist der richtige Ort für ein Turnier? Nie kann man es allen recht machen, aber ich hätte (mit entsprechend Zeit und Geld bzw. wenn mir das jemand bezahlt) die Chance, neben Wijk aan Zee auch zumindest Dortmund, Paris und London vor Ort zu besuchen. Zum Beispiel Usbeken müssen warten, bis Taschkent mal wieder ein GP-Turnier ausrichtet. Auch Moskau ist ja ziemlich weit weg ... .

3) Was wird Zuschauern im Internet geboten? Dann ist es (bis auf die Zeitzonen) egal, wo ein Turnier stattfindet. Liveübertragung sollte funktionieren, Livekommentar ist auch nett. Früher bekamen Turniere Pluspunkte für Livekommentar, nun bekam der Taschkent GP Minuspunkte weil es diesen die ersten zwei Tage nicht gab - so sind heutzutage die Ansprüche des nicht zahlenden Publikums (P.S. zu Punkt 2: wieviel Eintritt für Zuschauer vor Ort ist angemessen, angebracht oder vertretbar?). Journalisten und wohl auch Leser freuen sich über Fotos auf der Turnierseite, "faule" oder unter Zeitnot leidende Journalisten freuen sich auch über Presseberichte, die sie dann mehr oder weniger kopieren können.

kf2105220p4) Was wird VIPs und Journalisten vor Ort geboten? Sind Journalisten VIPs? Ich muss da nicht verwöhnt werden mit Getränken, Snacks usw. - für manche Kollegen beeinflusst es vielleicht, ob sie anreisen und wie (positiv) sie über das Turnier berichten. Ausreichend sind gute Arbeitsbedingungen: Presseraum, Stuhl, Tisch, Platz für den Laptop und Internet-Verbindung. Das stimmte in Wijk aan Zee, bei der Runde im Reichsmuseum Amsterdam nur zum Teil: der Presseraum war etwas klein und beengt (auch weil diverse Pressevertreter speziell für diese Runde anreisten), und meinen Laptop liess ich vorsorglich zu Hause - man musste ihn offenbar am Abend zuvor abgeben und von der Museums-Security kontrollieren lassen. Dafür gab es an diesem Tag Getränke und eine Privatführung durch das Museum.

Das Limburg-Open in Maastricht war übrigens eine andere journalistische Erfahrung: Es gab keinen Presseraum, zunächst sass ich mit Laptop in der Kantine der Sporthalle - bis die ersten Partien beendet waren, Spieler erschienen und es da zu voll und zu laut wurde. Aber das war ja kein Superturnier, und meines Wissens war ich vor Ort der einzige Schreiberling.

5) Wie wichtig ist das Ambiente, und wie es präsentiert wird? Das steht für mich an fünfter Stelle, für Schachfreund Woltmann offenbar weiter oben. Einige Beispiele aus der GP-Serie: Simpson's in the Strand war eine inspirierende Umgebung voller (Schach)Geschichte mitten in London, allerdings war kein Platz für Zuschauer. Auch das Turnier in Paris wurde an einem ungewöhnlichen Ort ausgetragen - eine Kirche in Elancourt, ein ziemlich abgelegener Vorort. Das Zuschauerinteresse war daher auch begrenzt, sicher im Vergleich zum Aljechin-Memorial im Louvre mitten in Paris. Dieses Jahr stimmt(e) auch das Ambiente in Baku und Taschkent, soweit ich es von Fotos beurteilen kann - vor Ort zuschauen war ohnehin nicht drin.

Tata Steel im Reichsmuseum war eine Mischung: Fototermin vor Rembrandts Nachtwache brachte viel Medienresonanz, die Partien selbst wurden dann in einem ziemlich neutralen Auditorium gespielt. Tata Steel in Wijk aan Zee ist eher bodenständig, der Turniersaal (für Amateure und Profis) ist normalerweise eine Sporthalle. "Feine" Turnierorte sind meistens eher klein, vielleicht findet man auch mal einen feinen, ausreichend grossen (und erschwinglichen) Turnierort, aber das ist wohl dann die Ausnahme zur Regel.

So, ich habe fünf Fragen gestellt, ohne sie definitiv zu beantworten. Wenn es Schlussfolgerungen gibt, dann diese: den perfekten Turniersaal gibt es nicht. Sowie - quer durch den ganzen Superturnier-Kalender: die Mischung macht es. Das gilt natürlich erst recht für den viel grösseren offenen Turnierkalender.

 

Samstag, 20 September 2014 00:00

Damenendspiele in Bilbao

"Normale" Berichterstattung über Bilbao mache ich für den Schachticker, zumal die Schach-Welt mit Olaf Steffens einen Reporter vor Ort hat. Stattdessen wieder ein Bericht mit Leitmotiv "Multiplizität der Ereignisse" - dasselbe Thema mehrfach in ein- und demselben Turnier (bzw. nun in zwei parallelen Turnieren, offen und unter Ausschluss des männlichen Geschlechts, am selben Ort zur selben Zeit) in zum Teil kuriosen Variationen. Mehrfach ist auch der Leser am Zug und darf versuchen, (Damen)Züge zu finden, die die Damen am Brett nicht gefunden haben. Es wird eine Quadruplizität der Ereignisse, wobei ich mich im ersten Fall aus Rücksicht auf den beteiligten GM kurz fasse und auf Diagramme verzichte:

GM Sandipan (2619) - FM Frischmann (2254) 0-1

Der indische GM in Solinger Diensten versuchte, ein Damenendspiel mit vier gegen drei Bauern am selben Flügel zu gewinnen. Irgendwann kam er auf die Idee, einen Bauern zu opfern und gleichzeitig die Damen zu tauschen - also haben wir ein Bauernendspiel. Da ist es mitunter eine gute Idee, absichtlich ein Tempo zu verlieren - hier war es keine gute Idee. Der Gegner wusste, für welchen Verein er bei dieser Gelegenheit spielt - The Smashing Pawns Belvaux aus Luxemburg - und schmetterte einen Bauern auf die Grundreihe, damit hatte nur er wieder eine Dame. Das war nicht das einzige überraschende Einzelergebnis in dieser (und auch in anderen) Runde(n), aber wohl in der Entstehung das kurioseste und glücklichste. Solingen gewann übrigens 4,5-1,5.

Schon in Runde 2 gab es eine Spitzenpaarung (SOCAR-Moskau) und damit mehrere Duelle zweier prominenter Spieler, eines passt zum Thema:

GM Topalov (2784) - GM Morozevich (2731) 1-0 [Elozahlen hier und anderswo vor dem Turnier, die Elolücke zwischen diesen Spielern vergrösserte sich nicht nur wegen dieser Partie]

Nach 27 Zügen Benoni-Geplänkel entstand diese Stellung:

Topalov-Morozevich move 27

 

 

 

 

 

 

 

Weiss hat einen gedeckten Freibauern, wieviel besser steht er deswegen? Die Partie dauerte noch acht Züge: 28.De3 Dd6 29.Kg2 Kg8 30.Kf3 Da6 31.Ke4!? (31.Dxc5 war wohl auch nicht schlecht) 31.-Dxc4+ 32.Kxe5 Dxa2 33.Ke6 Dxb2 34.Df3 Kg7 35.g5

Topalov-Morozevich move 35

 

 

 

 

 

 

 

1-0 Eine Faustregel nicht nur in Damenendspielen ist "Qualität der Bauern zählt mehr als Quantität" - meistens geht es darum, welcher Bauer schneller laufen kann. Hier hat der d-Bauer vor allem die Funktion, seinen König zu schützen (35.-Db6+ 36.d6), und der g-Bauer ist wichtig, obwohl kein Freibauer.

Den Damen widme ich mich, passend zum Thema, etwas ausführlicher:

Cramling (2516) - Kovalevskaya (2431) 0-1

Trotz der respektablen Elozahlen erinnerte diese Partie phasenweise an Mavuso Lunga - Cheda von der Olympiade. Nun gut, die Bedenkzeit war wohl mitunter knapp, und da die Damen an nur vier Brettern spielen ist der Druck womöglich noch grösser als bei den Herren - jede einzelne Partie zählt! Das Mittelspiel überspringe ich, da es nicht zum Thema gehört, bis auf einen Moment:

Cramling-Kovalevskaya move 30

 

 

 

 

 

 

 

Weiss am (31.) Zug - wie konnte sie nun die Partie am einfachsten beenden und den gegnerischen Widerstand (vermutlich) sofort brechen? Stattdessen entstand dann dieses Damenendspiel (Stellung nach 44.-DxTb6):

Cramling-Kovalevskaya move 44

 

 

 

 

 

 

 

Im weiteren Verlauf liefen die weissen Freibauern am Damenflügel, Schwarz warf ihren h-Bauern über Bord und installierte dessen Kollegen auf g3 - Stellung nach 67.-g3:

Cramling-Kovalevskaya move 67

 

 

 

 

 

 

 

Nun musste Weiss mit dem König flüchten (Kf1 entweder sofort oder nach ein paar Damenschachs), das machte sie nicht und nach 68.De1? Dd3! ist die Stellung, kaum zu glauben aber wahr, bereits objektiv remis. Aber dann passierte dies:

Cramling-Kovalevskaya move 76

 

 

 

 

 

 

 

Zuletzt 76.Dxf6?? Dd1+. Weiss hat einen Mehrbauern zu viel, ohne den auf g2 wäre noch alles im Lot. Hier ist ein schwarzer g-Bauer mehr wert als diverse weisse Bauern. Ohne Worte ... oder "alte Schwedin!".

Noch kompliziert-kurioser verlief die nächste Partie, auch wenn sie auf chess.com so beschrieben wurde: "Khotenashvili easily won a queen ending with two connected passed pawns to secure both match points." Ich beginne etwas früher, sofort nachdem das Damenendspiel im 33. Zug entstand:

Khotenashvili (2507) - Pogonina (2482) 1-0

Khotenashvili-Pogonina move 33

 

 

 

 

 

 

 

Weiss steht wohl angesichts der Bauernschwäche auf c6 etwas besser, aber ist das ausbaufähig? Das nächste Diagramm setze ich nach dem 72. Zug:

Khotenashvili-Pogonina move 72

 

 

 

 

 

 

 

Schwarz tat zwischenzeitlich ... eigentlich nichts, während der weisse König nach b4 marschierte (und das war noch nicht das Ende der Reise). Nun tat sich etwas, nämlich 72.-De2 73.Dxc6 Dxf2. Nächstes Diagramm nach dem 85.Zug von Weiss:

Khotenashvili-Pogonina move 85

 

 

 

 

 

 

 

Damit haben wir das Titelbild - Schwarz am Zug, was tun? Selbst hatte ich diese Stellung zufällig live gesehen und dachte "was macht der weisse König auf g5?". Das ist kein (zusätzlicher) Hinweis auf die Lösung - natürlich geht es darum, diese Königsstellung auszunützen. Live roch ich selbst keinen Braten, und als Vorbereitung auf diesen Artikel habe ich dann die komplette Partie zusammen mit Houdini durchgeklickt, der hier "piepte". Einigen Schachfreunden habe ich diese Stellung geschickt mit derselben Frage "Schwarz am Zug, was tun?". Sie haben (nationale oder FIDE-)Elo ca. 1400-2557, damit sind sie (bis auf einen!?) anonym. Sechs fanden die Lösung (zum Teil mit der Bemerkung "wenn man weiss, dass etwas geht ..."), vier scheiterten, diverse andere haben meine email (noch) nicht beantwortet. Es ist also, auch wenn man weiss dass etwas geht, nicht ganz trivial. Von den vier schrieben zwei "keine Ahnung", einer sah die Idee aber nicht alle Varianten, und einer wollte das spielen was auch aufs Brett kam und dann einen kreativ-illegalen Zug. Die Partie ging weiter mit 85.-Dh6+ 86.Kf6 g5+ 87.Kxf5 Dg6+ 88.Ke5 - soweit auch in der email, und nun 88.-Dxg3+!!??. Dazwischen steht der schwarze g-Bauer (nicht immer ist es hilfreich, wenn man einen g-Bauern hat!). Also 88.-gxh4 und Pogonina verzichtete zunächst auf (89.)gxh4 sondern spielte erst 89.Da7+ Kh6 90.gxh4. Die nächsten Züge verrate ich nicht - da sie die Lösung der nächsten Aufgabe andeuten - nächstes Diagramm nach 92.Kd5:

Khotenashvili-Pogonina move 92

 

 

 

 

 

 

 

Der Gewinn ist dahin, aber Schwarz am Zug muss diese Partie nicht verlieren - war 92.-Dxh4 etwa ein Gewinnversuch? Das letzte Diagramm setze ich nach 99.Kxh4:

Khotenashvili-Pogonina move 99

 

 

 

 

 

 

 

Den Rest der Partie hat chess.com ja bereits zusammengefasst!

Passend zum Thema dieses Artikels war die womöglich letzte Partie des gesamten Turniers ein Damenendspiel, das Caruana und (mit ab hier leichtem Vorteil) Karjakin vom 58. bis zum 101. Zug übten, bevor sie sich auf remis einigten und die Abschlussfeier nicht weiter verzögerten. Das war aber nach Redaktionsschluss und beiderseits sauber vorgetragen.