August 2020
Die unerträgliche Leichtigkeit des Cheatings
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Früher – ja da war alles besser – war Betrug einmal eine schwerwiegende Angelegenheit und wurde heftig diskutiert. Es ging aber nicht so sehr um einzelne Züge, sondern es ging um Absprachen oder präziser um die mögliche Existenz von Absprachen zu Gunsten des Einen und zu Ungunsten des Anderen. Dem geneigten Leser werden hier Interzonenturniere und dergleichen mehr einfallen. Die eingesagten Züge von stärkeren Spielern gab es zwar auch, aber die waren mit dem Risiko des Nichtverstehens der Idee verbunden oder sie waren doch nicht so stark wie erhofft.

Heute ist alles viel, viel leichter und locker geworden. Der Betrug oder Cheating wie man es im Onlineschach nennt, hat eine unerträgliche Leichtigkeit entwickelt und die Züge sind gegen menschliche Gegner nahezu immer ausreichend und sicher. Es wird zwar ebenfalls heftig – teilweise in Ermangelung von Argumenten persönlich und untergriffig – diskutiert, aber niemand versucht ernsthaft die Probleme zu analysieren und dann nach brauchbaren und haltbaren Lösungen zu suchen, denn die für jeden passenden reflexartigen Antworten sind verführerisch einfach.

Der Mythos, dass Cheater Computerexperten und Mausakrobaten erster Klasse sein müssen, gilt schon lange als gebusted, denn jeder der ein Programm installieren kann und schneller lesen kann als Varianten berechnen, kann ganz leicht betrügen. Die entsprechenden Tools findet man im Internet und wer sich in die Tiefen des Darknets begibt, findet dort nahezu unzählige Tools – viele davon mit mehr oder besseren Verschleierungsfeatures. Also Cheaten ist leicht – wirklich unerträglich leicht und für das schicke nebenbei cheaten gibt es noch das Smartphone. Wer cheaten möchte, kann dies leicht und ohne Anstrengung machen – herrlich.

Klar, dass dies eine andere Fraktion auf die Palme trieb und diese nennen wir sie uncharmant „Cheating Paranoide“ reagierte anfangs sehr verstört auf obige Erkenntnisse und versuchten diese zu negieren. Aber als dies scheitern musste, entwickelte man umgehend eine ebenfalls unerträgliche Leichtigkeit in der Problemlösung: Anticheatingalgorithmen! Schon in den Nullerjahren wurden diese Programme in den Himmel gelobt und da man heute über viel mehr Daten verfügt und zudem ganz modern KI (Künstliche Intelligenz) zum Einsatz kommt, wurden sämtliche Zweifel, die es methodisch zwingend geben sollte, schnell über Bord geworfen. Unschuldsvermutung und Rechte der Beschuldigten werden mit einer unerträglichen Leichtigkeit ignoriert – und dass es bei so einer hohen Zahl an Beschuldigten eine zwar geringe Anzahl an „false positive“ geben müsste, wird mit dem Satz „Wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, der braucht keine Strafe zu fürchten“ schnurstracks ignoriert, denn der Hass auf die Cheater vernebelt jegliche Objektivität und lässt Zweifel an der Leichtigkeit erst gar nicht aufkommen.

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Die unerträgliche Leichtigkeit hat sich auch auf die Serverbetreiber übertragen – wurden früher Cheater mit martialischen Worten (Computerbetrug, Sportbetrug, usw.) zwangsgeoutet, was in wenigen Fällen zu juristischen Problemen für die Server führte, so hat man viel Kreide gefressen und viel mildere Worte gefunden: Schutzsperren, Disqualifikation in einem Turnier ohne weitere Konsequenzen und wenn es gar nicht anders geht, werden Accounts wegen Verstoß gegen die Allgemeinen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen reklamtionsschonend geschlossen. Vorbei die Zeiten als man hasstriefende Artikel über die Abartigkeit der Cheater lesen musste, weil die Serverbetreiber rasch erkannt haben, dass zwar zu viele Cheater geschäftsschädigend sind, aber zu viele „false positives“ ein ebensolches rufschädigendes Potential haben. Aus gut informierten – aber nicht bestätigten – Quellen hört man rauschen, dass Serverbetreiber bei Reklamationen wegen Cheatings sehr unnachgiebig und auch sehr wortkarg reagieren, aber andererseits bei Einbringung einer Klage sofort den Vergleichsweg beschreiten und Verschwiegenheit vereinbaren, weil Urteile über die Anticheatingalgorithmen und die Rechtmäßigkeit der Eingriffe in die Endgeräte der User und deren Daten von unabhängiger Gerichten könnte die unerträgliche Leichtigkeit etwas trüben.

Am Ende bleiben die Verbände übrig, die bei diesem Thema ebenfalls die unerträgliche Leichtigkeit des Wegsehens praktizieren indem sie den Serverbetreibern ihre Blackbox Cheatererkennung einfach als Privatangelegenheit überlassen. Ist es im Sportbetrug (Doping) üblich, dass Methoden von den Verbänden geprüft und freigegeben werden müssen, bevor sie angewendet werden dürfen, so zeigen weder nationale noch internationale Verbände ein Schutzinteresse der unter ihrer Flagge spielenden Personen.

Die unerträgliche Leichtigkeit des Cheatings ist einfach zu bequem – und jeder findet seine Wohlfühlecke ohne Anstrengung … wir leben im Paradies – vergessen wir doch die paar Wenigen, die wirklich komplett unschuldig des Betrugs bezichtigt wurden und werden! Außerdem kennt ja nur der „false positive“ mit 100%iger Sicherheit sein Schicksal und zudem kann man die definitionsgemäße Unschuld eines „false positive“ in Zeiten von fake news und Verschwörungstheorien auch noch anzweifeln.

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Das Schielen auf Elozahlen, nur der Gewinn zählt, usw … das wären die Punkte wo man gegen Cheating ansetzen müsste. Die Freude am Spiel, an der eigenen Leistung und auch die simple Erkenntnis, dass niemand eine Partie gewinnen kann ohne, dass ein anderer diese verliert, usw. würden der Schachwelt mehr helfen. Wäre diese Leichtigkeit wirklich unerträglich schwer zu erreichen?