Gentlemen no Engines please
Freigegeben in Blog
Samstag, 08 November 2014 00:00

Gentlemen no Engines please

Die WM wird wieder auf vielen Webseiten und Servern kommentiert und da kommt gleich wieder ein ganz heißes Thema aufs Tapet: darf man Engines verwenden oder muss man gefälligst selber rechnen? In so manchem Chat genügt es „+1,27“ fallen zu lassen, um sofort einen Sturm der Entrüstung loszulassen und anderswo wird sofort gekontert „Nein – jetzt nur mehr +1,03 bei Tiefe 35“ und „achwo mein selbstkompilierter, optimierter Fischimagix auf Stickstoff gekühlter Hardware sagt +08,15 – game over!“ „Schleicht‘s Euch mit Euren Enginebewertungen oder ich zucke aus – rechnet endlich selber“ bereichert ein anderer wiederum die Diskussion.

Wer hat nun Recht? Nun diese Frage lässt sich ganz einfach beantworten: BEIDE!!

Beleuchten wir aber für die jüngeren Leser ein wenig den geschichtlichen Aspekt der Lagerbildung – zuerst waren die Computer einfach nur schwach, richtige Lachnummern wie der Mephisto I im Jahre 1980 mit 1250 Elo oder dann später ungeheuer groß und teuer wie „Deep Thought“, der als „Deep Blue“ unter IBM Flagge 1997 im zweiten Wettkampf sogar den Weltmeister Garri Kasparov unter Turnierbedingungen besiegen konnte.

Auch auf handelsüblichen PC und dann Laptops waren bekannte Programme wie Fritz, Shredder & Co dann dem Menschen vor allem taktisch und bei kurzen Bedenkzeiten überlegen, aber bei den Anfang der Nullerjahre aufkommenden Videoübertragungen von Schachturnieren kam es zu technischen Problemen. Laptops – damals noch mit Singlecore CPUs ausgestattet - konnten nicht gleichzeitig eine Engine rechnen lassen und Livevideos an den Server schicken ohne komplett in die Knie zu gehen oder gar abzustürzen. Also wurde aus der Not eine Tugend geboren: Kommentatoren mussten ohne Engineunterstützung auskommen – auch auf die Gefahr hin, dass User zu Hause vor dem Computer mit Engineunterstützung andere Einblicke in das Geschehen bekamen. Dass es heute für einen Laptop kein großes Problem darstellt Videos zu übertagen während auf den restlichen Kernen eine Engine als Blunderchecker agiert oder noch besser der Laptop via Cloud auf einen starken Computer mit Engine zugreifen kann – ja dies ist an manchen Kommentatoren spurlos vorbei gegangen. Und warum haben Sie dann trotzdem auch Recht mit dem „Selberrechnen“? Klar nur damit kann man seine eigene Spielstärke steigern, denn durch stumpfes Ablesen einer Enginebewertung wird man nicht wirklich ein besserer Schachspieler ... auch wenn manche davon träumen mögen!

Und warum haben dann die Enginebefürworter bei Übertragungen auch Recht? Nun ich schaue mir Übertragungen zur Unterhaltung als Fan an und nicht um meine Spielstärke zu erhöhen, die schon fast 20 Jahre auf gleichem Niveau dahinvegetiert. Mich interessiert auch nicht die Rechenstärke des Kommentators während seiner Arbeit – ich will wissen, was am Brett los ist und mir ist klar, dass die Engines stärker sind als jeder Mensch!

Bei einer Übertragung vom Gewichtheben der Klasse +105 kg und 260 kg auf der Hantel zeigt mir der Übertragungsexperte auch nicht wie er locker 200 kg hochstemmen kann und sagt mir ich sollte mich endlich mehr anstrengen, damit ich mal mehr als 60 kg schaffe und auch die Tatsache, dass jeder Kran 260 kg locker heben kann will ich nicht hören – nein, ich möchte vom Experten seine Einschätzung hören, ob der Athlet die ihm gestellt Aufgabe schaffen kann oder nicht.

Und zurück zum Schach: die Einbeziehung von Enginebewertungen kann die Sache auch interessanter machen, denn die Superstars treffen oft und mit ehrlichen Mitteln die Enginezüge und einem guten Kommentator können Enginebewertungen helfen, Gefahren der Stellungen und Ideen der Superstars zu erkennen und so aufzubereiten, dass auch wir die Masse der Zuhörer die Chance auf einen Einblick in diese uns verborgene Welt zu gewähren.

Während Carlsen gegen Anand spielt, will ich keine Trainingsstunden für mein Schach nehmen, ich möchte ein wenig verstehen können was sich am Brett abspielt und dafür brauche ich keine Engine und keinen Schachoberlehrer sondern einen KOMMENTATOR!!


So und lassen wir die Emotionen hinter uns und versuchen rational an das Thema heranzugehen. Eine Schachpartie endet nicht +1,27 sondern entweder gewonnen, verloren oder remis und dies gilt für jede einzelne der fast unendlichen Stellungen unseres schönen Spiels. Betrachten wir ein ganz einfaches Beispiel:

2014Engine01

Dass Weiß am Zug gewinnt ist logisch und mit einer einfachen Regel erklärt: König auf der 6. Reihe vor dem Bauer gewinnt immer! Nach Tablebases ist das ein Matt in 12, aber das rechnet ja kein Mensch tatsächlich aus – uns reicht die Info Bauer wird Dame und damit gewonnen. Nehmen wir nun mal eine ganz alte Engine an, die keinen Tablebasezugriff hatte und auch keine Tiefe von 24 Halbzügen erreichen konnte. Die würde wohl dann mit einer Bewertung von +9 für den Damenwert oder etwas mehr für die Hilflosigkeit des Schwarzen bewerten und damit einen Weißsieg mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Was uns +9 aber nicht sagt, sind welche Gefahren der Weiße noch umschiffen muss, um zu gewinnen. Hier natürlich extra widersinnig gewählt, aber Weiß kann diese Stellung auch noch verlieren und ein Remis ist ja immer möglich solange kein Matt die Partie beendet hat. Aber lassen wir Weiß den Bauern e6 schlagen und unsere Primitivengine würde wieder +9 für die zu erwartende Dame bewerten, obwohl jetzt ein Verlust total ausgeschlossen ist, aber ein Remis immer noch möglich ist!

Enginebewertungen sagen uns nur auf welches Ergebnis (1, 0 oder =) die Engines setzen würden. Hohe Bewertungen zeugen von einer höheren Gewinnwahrscheinlichkeit – Remiswahrscheinlichkeiten lassen sich aus den Enginebewertungen sehr schwer bis gar nicht ablesen – ebenso gibt es keine Informationen zur Schwierigkeit des Gewinn- oder Remisweges. Schauen wir uns noch ein Beispiel an:

2014Engine02

Das ist Matt in 549 wie uns die Tablebases sagen - allerdings ohne Berücksichtigung der 50 Züge Regel, aber das ist für unser Beispiel hier vernachlässigbar auch wenn die Engines den Braten möglicherweise riechen könnten, weil der Bauer schnell zu einem Springer wird und dann der Turm erst im 509. Zug geschlagen wird. Schauen wir uns trotzdem die Enginebewertungen im Detail an: Stockfish tippt auf auf klar gewonnen und hat liegt damit richtig und falsch zu gleich: Komodo sagt gute Gewinnchancen für Weiß voraus - allerdings ist ein Remis durchaus im Bereich des Möglichen und Houdini tippt auf Remis, aber die Bewertung +0,12 gibt uns keinen Hinweis auf die 50 Züge Regel.

Aber eigentlich ist dieses Beispiel nicht viel schwieriger als unser Babyendspiel vorhin, denn wir wissen mit oder ohne Engine beide können gewinnen und Remis ist immer möglich! Die Engines geben uns den Tipp Richtung Gewinn von Weiß mit mehr oder weniger Chancen auf Remis. 

Und jetzt kommt unser Kommentator ins Spiel, der möglicherweise in der Hitze des Gefechts und der Doppelbelastung den Fehler machen könnte zu denken, dass statt des Springereinzuges auch Dameneinzug möglich sei und das Endspiel Dame gegen Turm und Springer aufgrund des etwas abseits stehenden Turms für Weiß gewonnen sein könnte – obwohl auf jedem Rechner im Wohnzimmer schon Remis angezeigt wird!

2014Engine03

Was wollen wir also von ihm hören?

Dass er besser ist als wir im Schach – nein, das wissen wir sowieso!
Dass er schwächer als die Superstars ist – nein, auch das wissen wir!
Dass er nicht so gut wie Engines rechnen kann – nein, auch das ist uns bekannt!

NEIN – wir wollen nur seine Einschätzung der Stellung mit Hilfe aller auch uns auch zugänglichen Informationen hören – also auch inklusive Enginebewertungen, weil er schachlich näher an den Superstars dran ist und eher verstehen kann, was die sehen können und was nicht. Und diese Aufgabe wird mit stärken Engines, Tablebases nicht leichter werden, sondern viel, viel schwieriger, weil immer öfter erklärt werden muss, dass manches für den Menschen nicht sichtbar und schon gar nicht berechenbar ist! Es ist klar, dass Kommentatoren Fehler machen müssen, aber es ist nicht zwingend vorgeschrieben, dass sie sich laufend mit hochrotem angestrengten Kopf lächerlich machen und Untervarianten am Leben erhalten wollen, obwohl schon der Einstieg ein Fehler ist und das nur weil sie auf Hilfsmittel verzichten wollen, weil sie Belehrer und nicht Erklärer sein wollen.

Ich habe bisher bewusst keine Namen von Kommentatoren im Artikel genannt, möchte aber doch einen herausheben: Klaus Bischoff auf schach.de – zwar auch kein Freund von Engineanalysen, aber einer der wenigen, die wenn solche eingeworfen werden, sehr schnell die Ideen hinter den Enginevorschlägen versteht und in die Kommentierung einbaut, auch wenn er gerade eine andere Idee bespricht und berechnet. Vielleicht liegt es daran, dass er 1980 hinter Kasparov und Short den geteilten 3. Rang bei der Jugendweltmeisterschaft in Dortmund belegt hat und damit selbst einmal in der Welt der Superstars war!

Nutzen der Betrugserkennung
Freigegeben in Blog
Dienstag, 22 März 2011 12:47

Nutzen der Betrugserkennung

Als ein Grund für den Niedergang des Kommunismus wird u.a. angesehen, dass es dem System nicht gelungen ist, technische Erkenntnisse aus der militärischen Forschung für die zivile Wirtschaft nutzbar zu machen. Unter diesem Aspekt möchte ich als Abschluss der „Betrugsserie“ einen Blick auf eine mögliche Zusatznutzung von Betrugserkennung für das Schach machen.

Ein wesentliches Problem beim Schach ist, dass es für den Zuseher sehr schwierig ist, die Lage am Brett schnell und richtig einzuschätzen. Zwar gibt es heute die Möglichkeit mit Engines eine Bewertung vornehmen zu lassen, allerdings ist diese nicht wirklich informativ. Viele Schachspieler nervt bei Übertragungen beispielsweise, dass einige Schachfreunde lange Computervarianten posten und sagen Engine X bewertet das mit 0,50 und Engine Y mit 0,90 im Plus. Dann wird ausgiebig darüber gestritten, ob 0,90 zum Gewinn führt und 0,50 nur zum Remis. Die Geheimnisse der Stellung bleiben aber weiterhin für die Masse verborgen.

Anderseits lauschen viele Schachfreunde gerne den Kommentaren von stärkeren Spielern bei Übertragungen – auch wenn diese mit ihren Einschätzungen manchmal daneben liegen. Das liegt natürlich auch daran, dass diese Kommentare mit Anekdoten gewürzt sind, aber interessant ist auch das Beleuchten warum etwas auf dem Brett passiert oder eben nicht passieren wird. Allerdings kosten menschliche Kommentatoren Geld und das ist mit den wenigen zahlenden Zusehern wiederrum auf die Dauer nicht finanzierbar.

Und genau hier könnte man die Betrugserkennung als Hilfsmittel einsetzen. Die normale Enginebewertung wird mit Erkenntnissen aus der Betrugserkennung aufgepeppt. Man könnte beispielsweise auf typische Fehlermöglichkeiten hinweisen oder die Stellung daraufhin untersuchen, ob sie ruhig oder schwierig ist. Möglicherweise gibt es neben abenteuerlichen Verwicklungen auch einen ruhigen für Menschen einfach zu sehenden Ausweg, den die Engines gar nicht anzeigen, weil er nicht so gut bewertet wird. Zudem könnte man auch Informationen des „persönlichen Profils“ eines Spielers in die automatischen Kommentierung einfließen lassen: beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, dass Shirov den schwierigeren Weg wählen wird oder aber auch wo er patzen könnte, patzen wird usw. Zudem könnte man auch zeigen, dass dieser oder jener Zug wahrscheinlich nicht aufs Brett kommen wird, obwohl er eine gute Enginebewertung hat, weil er für einen Menschen schwer zu finden ist – aber im Umkehrschluss auch zeigen, dass ein Zug wohl nach längerer Berechnung kommen wird, obwohl er schwierig zu finden ist für einen starken Spieler einfach auf der Hand liegt. Man könnte den Laien damit einen kleinen Einblick in die Mustererkennung der Topspieler geben. Das wäre nicht nur informativ und spannend während einer Partie, sondern dieses Wissen könnte für uns Patzer auch für eigene Partien genutzt werden.

Man könnte die aus der Betrugserkennung gewonnen Erfahrungen somit ohne große zusätzliche Kosten einem breiteren Publikum zugänglich machen und sich somit auch Vorteile bei Übertragungen gegenüber anderen Anbietern verschaffen, die nur auf reine Engineausgaben setzen.

Nebenbei würde eine derartige Kommentierung es auch realen Betrügern - wie im aktuellen Fall Feller - schwerer machen, denn es würde viel mehr Leuten auffallen, dass ein Spieler gerade in kritischsten Situationen immer die richtigen Entscheidungen trifft. Natürlich kann dies immer noch alles Zufall sein, aber jedes Wochenende ein Lottohauptgewinn – daran glauben auch nur wenige!

Natürlich schadet dies den menschlichen Kommentatoren, aber da diese in der Realität sowieso nicht finanzierbar sind, hält sich der Schaden meiner Meinung diesbezüglich in vertretbaren Grenzen – und bis ein Computer unterhaltsam Anekdoten erzählt dauert es noch sicherlich sehr sehr lange!


Artikelserie:

  1. Betrugserkennung
  2. Betrugserkennung Wurznpraxis
  3. Betrugserkennung ökomomischer Blick
  4. Betrugserkennung Mythbusting
  5. Nutzen der Betrugserkennung