Die Hand Gottes
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Donnerstag, 14 März 2013 15:49

Die Hand Gottes

Wegen Zeitmangels komme ich im Moment nicht zu tiefschürfenden Analysen, aber eine kleine Einstimmung auf das morgen (na gut, bei Veröffentlichung des Artikels fast schon "heute") beginnende Kandidatenturnier will ich hier schon noch loslassen - natürlich wieder unter dem Blickwinkel des Endspiels. Meine Prognose ist nämlich, dass Magnus Carlsen gerade wegen seiner Überlegenheit im Endspiel das Turnier gewinnen wird. Eröffnungstechnisch werden alle Teilnehmer exzellent vorbereitet sein, auch der sonst etwas theoriefaule Weltranglistenerste, der mit Peter Heine Nielsen einen der besten Sekundanten verpflichtet hat, die man sich vorstellen kann. Im Mittelspiel sehe ich Kramnik und Aronian auf Augenhöhe, vielleicht sogar auch Iwantschuk, falls er in Topform sein sollte. Im Endspiel hingegen kann niemand Carlsen das Wasser reichen. Es ist unglaublich, wie viele Punkte er in dieser Partiephase holt und was für scheinbar leblose Stellungen er immer wieder gewinnt. Faul wie ich bin, verweise ich zu diesem Thema auf einen Artikel, den ich Anfang Dezember anderswo veröffentlicht habe, damals anlässlich der Partie gegen McShane in London. (Und wo ich schon dabei bin, auch noch der Hinweis auf den Artikel meines Vereinskameraden Martin Schmidt, der sich einige Endspiele aus der Bundesliga angeschaut hat, u.a. die hier in den Kommentaren angesprochene Partie Balogh-Khenkin.) Von vielen wird auch Kramnik als überragender Endspielexperte angesehen, aber das halte ich (auch wenn es in der Tendenz natürlich nicht ganz falsch ist) für übertrieben. Wenn man es konkret überprüft, stellt sich heraus, dass er bei weitem nicht immer das Optimum aus seinen Endspielen herausholt. Zu ein paar Beispielen kommen wir gleich noch.

Auch wenn ich mich in diesem Artikel um eine objektive Bewertung bemühe, will ich keinen Hehl daraus machen, dass ich ein langjähriger, eingefleischter Carlsen-Fan bin und natürlich meinem Idol fest die Daumen drücke. Woher kommt eigentlich diese Faszination, dieser "Carlsen-Hype", wie Blogkollege Thomas Richter es leicht abschätzig bezeichnet? Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht genau, aber das ist ja gerade das Tolle. Es hat irgendwie etwas Mystisches. An der Spielstärke allein liegt es wohl nicht. Wunderkinder gibt es immer wieder, z.B. wurde Karjakin noch deutlich früher Großmeister, hat mich deswegen aber trotzdem nie besonders interessiert. Carlsens Spiel hat irgendetwas Besonderes, etwas Magisches, das man nicht erklären kann, sondern entweder fühlt oder eben nicht. Mir scheint jedenfalls, dass es ziemlich viele Leute fühlen, darunter auch einige von Carlsens Gegnern, die davon so beeindruckt sind, dass sie unter ihrem üblichen Niveau zu spielen scheinen. Ich selbst habe mich 2003 zum ersten Mal mit Carlsens Partien beschäftigt, als der damals 12-Jährige beim Open im österreichischen Schwarzach auftrat und die Titelträger das Fürchten lehrte. "Ein neuer Leko?" fragte "Schach" damals. Mir wird vielleicht keiner glauben, aber ich hatte schon damals das Gefühl, dass es sogar noch besser kommen würde. Ein Leko reicht ja auch schon, oder? :)  Ein Schlüsselerlebnis kam für mich jedenfalls einige Jahre später, als ich einem Playchess-Livekommentar von Daniel King folgte. Ich erinnere mich nicht mehr an die Begleitumstände, ich habe nur noch einen Satz im Kopf, mit dem der Großmeister kurz und knapp seine Eindrücke von einer Carlsen-Partie zusammenfasste: "Man konnte die Hand Gottes spüren." Ich bin eigentlich kein gläubiger Mensch, aber trotzdem scheint mir dieser Ausspruch den Nagel auf den Kopf zu treffen, auch wenn ich es, wie gesagt, nicht erklären kann. Und nein, mit Maradona hat das alles gar nichts zu tun. (Zur Illustration siehe übrigens Bild oben. Man beachte auch rechts den ebenfalls nicht unwichtigen O-Saft Gottes.)

Damit wieder zu einer irdischeren Betrachtungsweise. Man findet anderweitig bereits eine Untersuchung von Carlsens Eröffnungsrepertoire, entscheidender erscheint mir allerdings sein "Endspielrepertoire". Da Kramnik und Aronian vermutlich die härtesten Konkurrenten sein werden, folgt nun ein kleiner Rückblick auf Carlsens Endspiel-Duelle mit diesen beiden, angefangen mit dem Armenier.

Es ist keineswegs so, dass Carlsen im Endspiel schon immer besonders gut war, eher im Gegenteil. Zu Beginn seiner Karriere verdaddelte er noch einiges, aber die vorliegende Niederlage gegen Aronian (Tal-Memorial 2006) war ein sehr heilsamer Schock. Etwas ungenau hatte der Jungmeister auch schon vorher gespielt, aber die Diagrammstellung war immer noch remis und die richtige Spielweise aus der Endspielliteratur auch gut bekannt. Weiß droht hier eigentlich nichts, aber Schwarz ist dran und es ist nicht so einfach für ihn, einen unschädlichen Zug zu finden. 73...Tb8? wäre z.B. nicht gut, denn später bei Seitenschachs wäre dann die Distanz zum weißen König zu kurz. Details bitte ich ggf. in den einschlägigen Büchern nachzulesen. Richtig ist jedenfalls einzig 73...Kg6!=, falsch war hingegen die Partiefolge 73...Ta7+? 74.Ke8 und bereits aufgegeben, da der Durchmarsch des Bauern nicht vernünftig zu verhindern ist. Nach dieser Pleite setzte sich der Norweger auf den Hosenboden, beschäftigte sich intensiv mit der Materie und seine Endspiele wurden bald deutlich besser, auch in nicht-elementaren Stellungen.

 

Hier eine Kostprobe aus dem Kandidatenmatch von 2007. Sicher steht Carlsen mit Weiß hier ganz schön, aber wie lautet der Gewinnplan? 27.Sf5!! Zwei Rufzeichen von Mihail Marin, mit dem Kommentar: "Ein fantastischer Zug, der von sehr tiefem Stellungsverständnis zeugt." Das nun entstehende Turmendspiel musste präzise bewertet werden. 27...Sxf5 28.exf5 Kg8 29.Te4! Das Manöver Te4-g4-g7 ist sehr stark; Schwarz kommt gar nicht dazu, den d-Bauern abzuholen. Aronian fand keine Verteidigung, 1-0 nach weiteren 12 Zügen.

Auch Carlsens nächste Weißpartie in diesem Zweikampf war sehr interessant. Die Diagrammstellung sieht nicht sehr vorteilhaft für ihn aus, denn der Bauer c3 geht verloren und das auf der Hand liegende 36.Tf8 nebst Sxf7 führt nur zum Remis. Carlsen hatte jedoch schon einige Züge vorher die Gewinnidee entdeckt: 36.f4! Txc3 37.h5! gxh5 38.Tf8 Ta3 39.f5! und nun sieht man den Unterschied: Weiß erwischt den Bf7, ohne seinen mächtigen Springer abtauschen zu müssen. Gegen dieses Gespann war nichts mehr zu machen, 1-0 nach weiteren 10 Zügen.

Von den weiteren Partien kann ich natürlich nicht alles zeigen; in Linares 2009 verlor Carlsen zugegebenermaßen noch einmal ein objektiv remises Turmendspiel, allerdings nur durch einen sehr späten Fehler in keineswegs einfacher Stellung, nach zuvor starker Verteidigung. Hingegen gab es auch noch mehrere überzeugende Siege im Endspiel. Ich möchte noch an ein recht drastisches Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit erinnern (Carlsen-Aronian, London Classic 2012):

So stand es unmittelbar nach dem Damentausch. Weiß hat hier einen Bauern mehr, aber die schwarzen Figuren sind deutlich aktiver. Die Kontrahenten waren sich einig, dass allenfalls Schwarz besser steht und Weiß eigentlich mit einem Remis gut bedient wäre. Es war jedoch erheiternd, wie die weiße Stellung in der Folge Zug um Zug immer besser wurde. Man hatte das Gefühl, dass Carlsen haargenau wusste, was zu tun war, während sein Gegner eher im Nebel stocherte. Schauen wir uns nach Art eines Vorher-Nachher-Vergleichs eine später entstandene Stellung an. Finden Sie die 20 Unterschiede:

 

Krass, oder? Was hat Schwarz mit seinen Figuren angestellt und was hat Weiß erreicht? Natürlich eine rhetorische Frage. Nähere Kommentare dürften sich erübrigen; 1-0 nach weiteren 8 Zügen.

Und damit zu Wladimir Kramnik, der sich auch immer wieder pikante Duelle mit dem jungen "Wikinger" lieferte. Das erste Endspiel zwischen diesen beiden entstand in Wijk aan Zee 2008; Carlsen gewann, aber dies war auch nicht allzu schwer, da er im Mittelspiel schon klaren Vorteil erzielt hatte. Spannender ging es beim Tal-Memorial 2009 zu: In einem eher langweilig aussehenden Endspiel mit Türmen und ungleichfarbigen Läufern spielten beide Seiten mit aller Macht auf Gewinn und nach einigen Komplikationen endete der Kampf remis. Einen Erfolg für Kramnik gab es dann in der Hinrunde des Grand Slam-Finales 2010, wobei die entscheidende Phase allerdings eher eine Art damenloses Mittelspiel war. Aufschlussreicher ist für uns die Rückrundenpartie:

Die Remistendenz von Turmendspielen ist bekannt, aber hier hat Kramnik mit Schwarz einen gesunden Mehrbauern und nach seinen eigenen Kommentaren ist die Stellung in der Tat gewonnen. Dennoch konnte Carlsen die Partie halten! Noch erstaunlicher war jedoch der Gang der Dinge in London 2010:

Mit sehr starker Mittelspielbehandlung hatte Kramnik sich eine Mehrfigur erarbeitet und hätte nach 62.Td3 recht einfach gewinnen sollen.  Er wählte jedoch 62.Txd6+?! und verkannte dabei offenbar die technischen Schwierigkeiten nach dem Abtausch der Türme und Springer. Objektiv war es zwar immer noch gewonnen, aber während Carlsen sich optimal verteidigte, griff Kramnik später erneut fehl und verdarb auch diese Partie zum Remis.

Hier haben wir nun Kramnik-Carlsen aus Wijk aan Zee 2011, auch wieder ein interessanter Fall. Schwarz hat gerade einen Bauern gewonnen, steht aber noch vor erheblichen technischen Schwierigkeiten, da der a-Bauer seine Kräfte binden wird und der weiße Läufer stark zu werden droht. Bei richtigem Spiel sollte Weiß sich behaupten können, aber derjenige, der das Maximum herausholte, war einmal mehr der Norweger!

Die letzten beiden Fälle: In London 2011 hielt Kramnik ein leicht unangenehmes Endspiel remis, ein Jahr später an selber Stelle tat Carlsen dasselbe, wobei diese Aufgabe m.E. die etwas schwerere war. Insgesamt zeichnet sich jedenfalls wieder das bekannte Muster ab: Hat Carlsen realistische Gewinnchancen, holt er auch den Punkt, steht er hingegen schlechter, hält er in der Regel remis. So muss man es machen und so kann man auch Weltmeister werden. Alles Gute, Magnus!

Kurzumfrage: Wer gewinnt Wijk? Wenig überraschend  - Anand!
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Das Ergebnis unserer Kurzumfrage kam nicht überraschend: Vishy Anand geht als klarer Favorit unserer Leser in die letzten Runden. Der amtierende Weltmeister hat in Deutschland viele Anhänger. Zum einen durch seine jährliche Präsenz bei den Chess Classic zum anderen verdientermaßen durch sein gutes Spiel. Nie war er stärker! Mit 41 Jahren hat er wohl das beste Alter für die Kombination aus körperlicher Fitness und Erfahrung und mit 2816 in der aktuellen Live-Eloliste die höchste Elozahl seines Lebens.

Platz 2 geht an meinen Favoriten Aronian mit der Hälfte der Stimmen.

Den jungen Spielern wird noch nicht allzu viel zugetraut - etwas überraschend, denn die Leistung des Mitführenden Nakamura in diesem Turnier ist beeindruckend. Und mit seinem heutigen Schwarzsieg, zwei Runden vor Schluss,sollte er zum klaren Favoriten der Buchmacher werden. Ein steiler Aufstieg. Mich verwundert es wenig - habe ich doch in einer dunklen Nacht vor sieben Jahren  14:0 gegen den Amerikaner verloren (und das als Elofavorit). Doch dazu an anderer Stelle mehr....

Zwischenstand nach der 11. Runde

1. Nakamura         8 Punkte
2. Anand                 7,5
3. Aronian               7
Zum Zeitpunkt der Berichterstellung muss sich Kramnik (6,5) noch in einem schwierigen Endspiel mit Minusbauern gegen Carlsen (5,5) erwehren (gefühlter Sieg für MC, aber schwierg). Somit werden wohl beide nichts mehr mit dem Turniersieg zu tun haben (siehe Aktualisierung)

Zum Thema: Spannendes Finale in Wijk                       Zur Umfrage                Zu Tatasteelchess

Nachtrag:

Soeben ging Carlsen-Kramnik zu Ende. Ein interessantes beispiel für das endspiel guter Springer gegen schlechten Läufer (mit viel Analysebedarf in den nächsten Tagen)

Spannendes Finale in Wijk
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Mittwoch, 26 Januar 2011 10:09

Spannendes Finale in Wijk

Selten war der Ausgang eines Spitzenturniers so unklar wie der des diesjährigen A-Turniers des Tatasteelchess-Events in Wijk aan Zee. Vier Runden vor Schluss kommen noch 6 Spieler für den Sieg infrage. Vier davon liegen gleichauf.

Die Tendenz der letzten Jahre  bestätigt sich: Nach mehr als 100 Jahren in denen der Weltmeister zumeist unbestritten der beste Spieler war, ist die Weltspitze eng zusammengerückt.

Der Überflieger der letzten zwei Jahre, Magnus Carlsen, scheint eine (Zwischen-) Landung eingelegt zu haben. Eine bittere Niederlage warf ihn in Wijk zunächst deutlich zurück. Nach einem glücklichen Sieg gegen l‘Ami hat er jedoch den Anschluss an die Spitzengruppe wieder gefunden. Mit 5,5 aus 9 teilt er sich mit Frankreichs Jungstar Vachier-Lagrave den 5.Platz.
An der Spitze der vier Spieler mit 6 Punkten finden wir den aktuellen Weltmeister, Viswanathan Anand,  der ebenso grundsolides Schach darbietet wie der Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik und Lewon Aronian. Die drei haben bisher keine einzige Partie verloren. Anders der Vierte im Bunde, der sich zwischenzeitlich kurz absetzen konnte, ehe ihn eine heftige Niederlage gegen Carlsen wieder auf den Boden zurückbrachte. Amerikas Schachspieler des Jahres, Hikaru Nakamura ist für extravagantes und taktisches Schach berkannt. Nachdem er aber seine Experimente, wie z. B. 1. e4 e5 2. Dh5 einstellte, ist er ein ernstzunehmender Kandidat, der sich fest unter den TOP Ten etablieren wird.
Mein Favorit ist Aronian. Unauffällig rangiert der Blitzweltmeister seit geraumer Zeit knapp hinter den Führenden in der Weltrangliste und es würde mich nicht überraschen, wenn er es an Position 1 schaffen würde. In Wijk hat er eindeutig das leichteste Restprogramm. Mit zwei Holländern, einem angeschlagenen Schirow und Ponomariov stehen nur noch Spieler des Tabellenendes auf dem Speiseplan.

Vier spannende Runden liegen vor uns. Wagen Sie eine Prognose – unsere Umfrage steht ab sofort links oben zur Verfügung.
Lewon Aronian
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Donnerstag, 09 Dezember 2010 20:34

Der Weltmeister in Oberursel

Möchten Sie ein Turnier mit der Nummer 3 der Weltrangliste spielen oder auch nur dem Weltmeister bei der Arbeit über die Schulter sehen? Dann bietet sich die  Gelegenheit am 16.12.2010 in Oberursel. Der Blitzweltmeister Levon Aronian (Elo 2801) verteidigt seinen Titel beim Weihnachtsblitzturnier.

Ausschreibung:

Meldeschluss
19.45 Uhr. Anmeldung möglich ab 18.30 Uhr.
Beginn
Es wird pünktlich um 20 Uhr mit dem Turnier begonnen.
Teilnehmer
Das Turnier ist offen für alle Schachspieler.
Preise je Turnier
Zu jedem Wertungsturnier werden drei Geldpreise in Höhe von 50, 35 und 15 Euro ausgespielt, bei Punktgleichheit werden die Preise geteilt
Gruppeneinteilung
Treten mehr als 16 Spieler zu einem Turnier an, so werden 2 Gruppen gebildet, in welche die Teilnehmer nach DWZ (ersatzweise ELO, sonst Einschätzung) eingeordnet werden. Änderungen bei hoher Teilnehmerzahl bleiben vorbehalten.
Startgeld
Für aktive oder passive Vereinsmitglieder und Teilnehmer an der Oberurseler Stadtmeisterschaft 2010 werden keine Startgebühren erhoben. Aber auch Vereinsfremde können teilnehmen, müssen aber je Wertungsturnier ein Startgeld in Höhe von 5 Euro entrichten.
Am Freitag, dem 17.12., findet ab 18.30 Uhr das Weihnachtsblitzturnier für Kinder und Jugendliche statt.